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Fernsehkonsum und Produktinnovation Ein Deodorant im Champions-League-Finale

Auch wenn Sie mich für einen Angeber halten mögen, muss ich Ihnen das jetzt einfach mal erzählen. Ich fühle mich der Aufklärung verpflichtet, was a) bedeutet, dass ich ohnehin damit leben muss, dass Sie mich für einen Aufschneider halten, und b) dass ich mich nicht davon abbringen lassen darf, Dinge anzusprechen, die angesprochen werden müssen. Selbst wenn es – wie in diesem Fall – ein wenig heikel ist, mir also nicht ganz so leicht fällt.

Die Sache ist die: ich gucke relativ wenig Fernsehen. Jedenfalls deutlich weniger als die Gesamtbevölkerung im Durchschnitt. Und wenn überhaupt, dann in aller Regel öffentlich-rechtliche Sender. Abends selbstverständlich. Sehen Sie?! Ich habe es doch gewusst: jetzt halten Sie mich für einen Prahlhans. Das ist schon okay. Ich muss nämlich – ein weiteres Geständnis – zugeben, dass ich selbst auch Menge und Art meines Fernsehkonsums irgendwie für ein Zeichen von Intellektualität gehalten habe.

Bis gestern Abend. Da habe ich mir nämlich das Fußball-Finale der Champions-League angesehen: FC Bayern München gegen FC Chelsea London. Dabei ist mir schlagartig klar geworden, dass es blöd ist, unheimlich blöd. Mein Nutzungsverhalten … – für die kleine Minderheit unter Ihnen, die es nicht weiß, muss ich darauf hinweisen: das Fußballspiel hatte gestern Abend ein Privatsender übertragen. Ein Ausnahmephänomen, auch was die Fußballübertragungen betrifft.

 

Schlagartig klar geworden ist mir bei diesem Anlass das schwerwiegende Defizit meines bisherigen Fernsehkonsums. Die öffentlichen TV-Anstalten dürfen nämlich nach 20 Uhr keine Werbung mehr senden. Ein kurzer Hinweis auf die Sponsoren; aber das war´s dann: „Das Fußballländerspiel Deutschland gegen Albanien wird Ihnen präsentiert von der Biermarke X und der Automarke Y.“ Ende. Mehr nicht.

Mit Produktinformation hat das nicht mehr allzu viel zu tun. Ein leckeres Bier, bei dessen Genuss eine attraktive junge Frau dem Trinkenden schmachtend zusieht, dazu noch ein sportliches, also PS-starkes Auto – zugegeben: auf die wichtigsten Dinge wird hingewiesen; doch dass diese öffentlich-rechtliche „Versorgung“ aufgeklärten und mündigen Verbrauchern eine adäquate Basis böte, wird niemand allen Ernstes behaupten wollen.

Ganz anders die Situation im Privatfernsehen. Vor und nach dem Spiel, während der Pausen – Sie wissen bestimmt: gestern Abend gab es eine Verlängerung (ebenfalls zwei Halbzeiten) und Elfmeterschießen – Produktinformationen. „Der Reichtum der Gesellschaften, in welchen kapitalistische Produktionsweise herrscht, erscheint als eine `ungeheure Warensammlung´, die einzelne Ware als seine Elementarform.“ (Karl Marx: Das Kapital. Erster Band, erster Satz). Eine Warenwelt, die mir bislang weitgehend verborgen geblieben ist. Vor allem wegen meines, wie ich jetzt weiß, ziemlich idiotischen Fernsehkonsums.

 

Wer sich darauf beschränkt, nur abends fast nur öffentlich-rechtlich fernzusehen, grenzt sich selbst aus der realen Welt weitgehend aus und – sagen wir, wie es ist – verblödet. Freilich könnte man, anstatt den Umweg übers Fernsehen zu gehen, direkt in das Handelsgeschehen der freien Marktwirtschaft eintauchen – etwa durch Besuche von Einkaufszentren oder von Fachhandelsstationen wie Autohäusern, Getränkemärkten, Elektronikwarenhäusern.

Hier könnte jedoch wegen der schieren Masse des Angebots die Übersicht verloren gehen. Nur dem Auge des geübten Kunden scheint unter diesen Bedingungen die Wahrnehmungskonzentration auf die richtungsweisenden Produktinnovationen in der heutigen Zeit noch wirklich möglich zu sein. Deshalb erweist sich die Fernsehwerbung gerade in diesem Punkt als durch nichts zu ersetzende Hilfe. „Neu“ muss, wenn schon nicht die Ware selbst, zumindest irgendetwas an dem Produkt sein.

Beim Bier ist die Sache insofern etwas komplizierter, weil die Idee, mit Zitronensaft den Gerstensaft zu verfeinern, vom Kunden nicht so recht angenommen wurde und selbst unsere Kids die Brühe im Regal stehen ließen. Dumme Sache. Der Biermarkt schrumpft, also muss geworben werden, selbst wenn der Kreativste der Kreativen nur schale Vorstellungen davon hat, womit. Aber Bier stellt eine Ausnahme dar; wie gesagt: dumme Sache.

 

Ganz anders sieht es beim Auto aus. Diese Marke, jene Marke – ob groß oder klein: Produktinnovationen ohne Ende. Was es nicht alles gibt! Oder diese neuen Mobiltelefone mit kleinem Bildschirm, auf den man drücken kann, und dann kommt man ins Internet, gleichzeitig kann man beim Filmen auch ein Foto machen. Musik hören und downloaden sowieso mit SMS-Versand auf Gratis-Flat. Junge Leute, die voll hip sind, machen das alles. Und was die alles für Wörter kennen! Ich staune …

Total angesagt sind seit Neuestem auch Kosmetik-Artikel – für Männer! Heterosexuelle Männer, zugegeben: eine echte Herausforderung. Für die Männer? – Keine Ahnung. Auf jeden Fall aber für die Kreativen, sprich: für die Leute, die irgendwelche Produkte so entwickeln müssen, dass irgendwelche anderen Leute sie auch tatsächlich verkaufen können. Körperpflege für Heten – da musst Du kreativ sein! Das sind die aber.

Der letzte Schrei: das 72-Stunden-Deo. Echt der Hammer! 72 Stunden, ich habe das mal nachgerechnet. 72 Stunden, das sind drei Tage. Drei Tage und Nächte absolute Frischegarantie beim 72-Stunden-Deo! Only„for men“, versteht sich. Ein echter Knaller! Gut, dass gestern das Finale im Privatfernsehen lief. Wer weiß, ob ich sonst überhaupt, und wenn ja wann, von dieser epochemachenden Produktinnovation erfahren hätte?! Das 72-Stunden-Deo, diese Einsparmöglichkeiten, diese Synergieeffekte!

 

So! Und jetzt raten Sie mal, wer diese segensreiche Weiterentwicklung dem modernen Fußballfan von heute empfohlen hat? Es ist gar nicht so schwer. Denken Sie einfach mal scharf nach! – Also: das 72-Stunden-Deo wird empfohlen von – kein Witz, wirklich wahr – ja richtig, logisch: Schweini.

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