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Das Ruhrgebiet: Zwischen Altlasten, Visionen und drängenden Problemen

Hauptschalthaus, Image via Wikipedia

Die Städte und Gemeinden des Ruhrgebiets haben nach den Plänen von Wirtschaft, Raumplanung und Politik eine glänzende Zukunft: Die Projektion wird als Ruhr2030 bezeichnet. Es handelt sich um ein Entwicklungsprojekt, das dem betriebenen Strukturwandel eine Richtung gibt. Für die Menschen, die durch den Niedergang der Montanindustrie und mangels Alternativen im Nichts stehen, bleiben die Beschäftigungtherapie, die von den Ämtern verordnet wird, und, mit Glück, der eine oder andere Billigjob. Die Zukunft gehört nicht ihnen. Ihr Leben ist abgeschrieben.

Ein typisches Beispiel für die Schaffung von Billigjobs im Ruhrgebiet ist das geplante Factory-Outlet-Center im Duisburger Norden. Die zu erfolgende private Investition in Höhe von rund 125 Millionen Euro für ca. 700 Jobs wird durch die Stadt und den Rat ausdrücklich begrüßt, auch wenn für den neuen Parkplatzbedarf, wie Der Westen berichtet, ca. 1.000 Bürger umgesiedelt werden müssen und es deshalb zu Protesten kommt.

Den Städten und Gemeinden fällt es schwer, wenn auch in unterschiedlicher Weise, Investoren zu finden. Gut bezahlte Vollzeitstellen erfordern die Produktion und den Verkauf von hochwertigen Gütern und Dienstleistungen. Dafür gibt es in der Region jedoch kaum geeignete Arbeitskräfte und – soll für Endverbraucher produziert werden – eine ausreichend hohe Kaufkraft. Beispiele für hochwertige Produkte sind Medizintechnik oder Mikroelektronik. Diese Hochtechnologie ist im Ruhrgebiet bereits zu finden. Sie entspricht der neuen Ausrichtung. Eine kleine Anzahl von jüngeren Arbeitsuchenden können dort inzwischen gut bezahlte Jobs finden. Die Zahlen der Arbeitslosen reduzieren sich dadurch jedoch nicht. Eine Stadt wie Duisburg profitiert in einem solchen Fall durch die Steuereinnahmen. Und nährt die Hoffnung, dass zu den bisherigen Ansiedlungen von Firmen der Hochtechnologie noch weitere hinzukommen, so dass sich Cluster (Trauben) ausbilden.

Es gibt im Ruhrgebiet durchaus gut qualifizierte Menschen. Die Montanindustrie lebte von Facharbeitern und Ingenieuren. Zudem bildeten und bilden die Universitätsstandorte in Duisburg, Essen, Bochum und Dortmund fortlaufend Nachwuchs aus. Die Schwierigkeit besteht darin, die erworbenen Qualifikationen und die Nachfrage der Unternehmen zusammenzuführen. Arbeitssuchende und die ohnehin geringe Nachfrage der Unternehmen passen nicht zueinander.

Ein Blick zurück

Die Politik der Großunternehmen bestand in den Zeiten von Kohle und Stahl darin,  wirtschaftlich im Verbund bzw. in Clustern vorzugehen. Es bildete sich die Montanindustrie als ein Komplex heraus, der aus der Großindustrie und ihren lokalen Zulieferern bestand. Die Menschen an der Ruhr gehörten zum Reservoir, aus dem nach Bedarf geschöpft werden konnte. Für Mitarbeiter wurde viel getan: Siedlungen gebaut, Sozialeinrichtungen geschaffen. Eine mittelständische Wirtschaft, die von der Montanindustrie unabhängig war, konnte jedoch nicht entstehen.

Auf den Seiten der ‘Metropole Ruhr’, die der Regionalverband betreibt, wird auf diese Facetten der Geschichte nicht hingewiesen. Die Marketingfunktion legte eine andere kommunikative Ausrichtung nahe. Der geringe Informationsgehalt erhöht die Attraktivität. In der Regionalkunde des Verbandes wird die Gefahr hingegen beschreiben: “Geraten Kohle oder Stahl in eine Krise, so ist die gesamte Regionalwirtschaft und mit ihr die Bevölkerung betroffen.“

Je geringer der Einfluss von Politikern war, desto leichter konnte es den Großunternehmen fallen, jene Politik der Cluster zu verfolgen. Weil das Ruhrgebiet nur aus einer Ansammlung von Städten bestand, sich nicht als eigenständiger politischer Raum Geltung verschaffen konnte, war eine regionale politische Konkurrenz nicht zu fürchten. Und es bestand die Möglichkeit, die Städte im Notfall gegeneinander auszuspielen. Die Politik an der Ruhr wurde zu einem nicht geringen Anteil von den Unternehmen gemacht!

Die Vision 2030

Dem Ruhrgebiet nach dem Niedergang der Montanindustrie eine Zukunft zu erhoffen, fällt angesicht des Armutsatlasses (PDF) vom Paritätschen Wohlfahrtsverband nicht schwer: Das Ruhrgebiet gehört im Westen Deutschlands zu den Regionen mit erhöhten Armutsquoten, neben dem Saarland, das gleichfalls an industriellen Altlasten schwer zu tragen hat, und einigen ländlichen Bereichen. Eine neue Orientierung für das Ruhrgebiet legte der Initiativkreis Ruhrgebiet (PDF) vor, eine Organisation der Großindustrie, soweit sie noch besteht, und weiterer Verbündeter: Nun ging es um Qualitätsstahl, Mikroelektronik, Energie und Logistik, um wichtige Bereiche anzuführen. Erneut stand die Bildung eines Clusters im Zentrum, diesmal im Zeichen von HighTech. Gegen eine solche Ausrichtung wäre gar nichts vorzubringen, wenn nicht sie zum Inbegriff für die visionär erkorene ‘Metropole Ruhr’ konzeptioniert worden wäre.

Die Konzentration auf ein Cluster für die Region hängt mit einer Beanspruchung von Fördermitteln zusammen: Die HighTech-Ausrichtung soll auf internationalem Niveau weiter ausgebaut werden, möglichst ohne Irritationen. Die Universitäten wurden gleichfalls eingebunden: Sie sollen zusammenwachsen, um Kompetenzen und Mittel auf Weltniveau zu bündeln. Sogar an einen Ausbau der Luftverkehrskapazitäten wurde gedacht, um z.B. die aufstrebenden asiatischen Märkte leichter einbeziehen zu können. Bildung und Kultur rangieren immerhin unter Lebensqualität. Auch diese gesellschaftlichen Bereiche werden gänzlich aus dem Blickwinkel der eigenen partiellen Bedürfnisse betrachtet.

Abgeschrieben?

Und die Arbeitslosen der Region? Die Ausweglosigkeit dieser Menschen wird kaum mehr als amtlich verwaltet. Auch Weiterbildungsmaßnahmen helfen selten: Sie füllen eine Langzeitarbeitslosigkeit oft nur aus. Menschen mit einer solchen Karriere sind auf dem Arbeitsmarkt selten gern gesehen. Es bleiben allenfalls Aushilfsjobs – oder Wege in die Selbständigkeit, die aufgrund fehlenden Kapitals und der regional geringen Kaufkraft nicht stets zu bewältigen sind. Dumping-Honorare auf einigen Märkten, auf denen die Zahl von Selbständigen und Freiberuflern angewachsen ist, kommen hinzu, unabhängig von der hiesigen Region. Davon sind zum Beispiel auch junge Anwälte betroffen, wie Spiegel Online berichtete.

Eine ins Experimentelle gehende Überlegung zum Schluss: Lassen sich vielleicht aus dem regionalen Pool von Arbeitslosen einige Genossenschaften gründen, in denen anders als marktüblich kalkuliert werden könnte? Auf diese Weise ließe sich der enge Arbeitsmarkt im Ruhrgebiet erweitern. Eventuell ließen sich sogar heimische Märkte bedienen und ein der Region verpflichtetes Image erlangen. Die Idee klingt abenteuerlich, dessen bin ich mir durchaus bewusst. Ist es möglich,  Genossenschaften gleichsam aus der Retorte zu bilden, konzeptionell, ausgehend von regional vorhandenen Fähigkeiten und Qualifikationen als auch von qualifizierten Marktanalysen? Oder handelt es sich bloß um eine spinnerte Idee, die etwas vorbringt, was eigentlich gar nicht gewollt ist: Die bereits abgeschriebenen Opfer des Strukturwandels in etwas einzubinden, das den Begriff Arbeit tatsächlich verdient.

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