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Kuhls Kolumne: DUISDOOF – STADT OHNE WORTE

ob-kuhl-0206Jahrzehntelange systematische Vernachlässigung des Kultursektors „Wort“ hat Duisburg blöd gemacht. Im Kernbereich demokratischer Wertevermittlung ist Ebbe. Inzwischen ist der Lobotomisierungsprozeß soweit fortgeschritten, dass Comedy unter „Kultur“ läuft. Höchste Zeit, auf Literatur, Kabarett und Schauspiel hinzuweisen, die in der 14.größten Stadt Deutschlands nur noch in Nischen existieren. Wir wollen doch nicht, dass die Tradition der Dichter und Denker in der Universitätsstadt im Scharnier von Rhein und Ruhr zu einer Praxis von Debilität und Lachäffchen verkommt. Eine Tour de force kultureller Wertevermittlung von den hellenischen Ursprüngen bis in den Duisburger Sumpf.

In seinem Hauptwerk „Von der guten Verfassung“, hierzulande falsch mit „Der Staat“ übersetzt, schrieb Platon „Die Polis ist der großgeschriebene Mensch“ – und meinte damit, dass die Verfassung des Staates der seiner Bürger entspräche. Charakterbildung als Politische Bildung sah er als Voraussetzung von Demokratie. Verfassung, individuell als Bewusstsein von Recht und Unrecht. Gerechtigkeit als Maß der Dinge. Seele (griech. Psyche) als Ort des Geschehens.

Aischylos, Euripides und andere thematisierten in ihren Tragödien ewige Menschheitsfragen in Anwendung auf aktuelle politische Probleme. Drei Tragödien und anschließend zum Runterkommen ein Satyrspiel – das sah man sich an und diskutierte nachher auf der Agora (Marktplatz) oder bei Symposien (Trinkgelagen) in Triklinien (Kneipen). Die Anschauung (Theoria) dieses Zyklus war Thema unter den Politikern, in sokratischen Zirkeln und bei den Sophisten.

Nun hat Duisburg gar kein Schauspiel – aber die protzige „Deutsche Oper am Rhein“ (direkt am Dichterviertel!) – weil renommiersüchtigen Sozialdemokraten schrilles Gejodel wichtiger war als kulturelle Grundversorgung. Alibinöse Hobby-Nano-Inszenierungen in der „Säule“ und Gastspiele von Theatern anderer Städte oder sehr bemühte Szene-Vorstellungen in Ruhrort können dieses Defizit nicht annähernd beheben.

In Dostojewskij’s „Schuld und Sühne“ kann man nachlesen, dass Rauchverbote sich gut eignen, um mörderische Zustände zu kaschieren, was Rabe und sein Ordnungsamt sehr gut wissen. Bei Balzac findet man das Gemisch aus Kriminalität, Bürgertum und Kapitalismus in seinem Entstehungsprozeß unterhaltsamst, worüber man Sauerland, Hellmich und Funke sicherlich nicht mehr informieren muß. Freud erklärt plastischst Verdrängungsprozesse, wie wir sie hier seit der Love-Parade erleben. Hammett und Chandler zeigen Grade von krimineller Energie auf, die sogar die GEBAG-Führung erblassen liessen. Von Bukowski könnten die Bandidos noch was lernen.

Doch da ist das bildungsbürgerliche Brett zu dick und zu dicht vorm Kopp. Noch nie habe ich erlebt, dass die „Duisburger Akzente“ ein inhaltliches Konzept gehabt hätten. Man erfindet ein Thema und lässt gute Freunde machen, was ihnen so dazu einfällt. Umgekehrt bei der „Duisburger Filmwoche“: Da kommt jede Menge Super-Dokumentarfilmmaterial und die Jury versteht es nicht oder Chef Rudzika findet es nicht relevant: Diese Woche wieder: Filme im Filmforum, Diskussion (unbedingt hingehn: ungewollte sublime Satire!) im Grammatikoff.

A propos: Das Ex-Hundertmeister eröffnet unter dem Namen des Teufelsgeigers aus Weimarer Zeiten neu. Musikalisch ist der Name ein fast unerreichbares Ziel. Im Bereich Wort macht man sich gleich blöd mit zwei Comedians, womit der Schimpfname „Comedy-Bunker“ weiterhin für das Haus gelten dürfte. Selbiges gilt für die Feuerwache unter neuer Führung.

Soeben hat im Volksempfänger ein volksverblödendes Volksbildungsspektakel „Den klügsten Deutschen“ gekürt: Ein Duisburger Junge namens Runge verfügte über genügend Wissensmüll, um eine kreuzdebile Jury namens Rakers und Hirschhausen sowie die moderierende Pflaume von einem Satz meines Berufskollegen Karl Kraus zu überzeugen: „In einen hohlen Schädel geht viel Wissen“. Immerhin: Deutschland suchte mal wieder nach irgendwas – und fand es hier… Genau darum geht es mir nicht.

Seit der Weimarer Klassik hat Deutschland, das es bekanntlich zu Schillers Zeiten noch gar nicht gab, eine Axt im Kopf, die Kultur und Politik trennt. In Konkurrenz zum revolutiönären Frankreich fand man politisches Engagement prollig – aber apolitische Kultur etepetete. In Unkenntnis der Tatsache, dass schon die alten Griechen, auf die man sich sonst gerne berief, den Privatier (privare – berauben), der sich nicht fürs Gemeinwohl interessierte, als „Idiotes“ bezeichneten, fanden die neuen Bürgerlichen diese amputierte Kultur „fein“ – und wurden zu Bildungsbürgern, worunter in Duisburg sowohl die Stadtbibliothek als auch die VHS heute noch zu leiden haben.

Den Franzosen waren solche Sorgen nicht unbekannt. Ein Menschenalter nach der Revolution waren sie von Bismarcks Horden überfallen worden und die Kultur lag danieder. Es ergab sich eine Situation wie im heutigen Duisburg. In den Theatern lief nur noch Erbauungsquark. Die Music-Halls (Grammatikoff, Feuerwache, High 5 Club) lieferten Unterhaltungsmusik am laufenden Band, die Kulturinstitutionen (Bibliothek, VHS, Szene) warteten mit Belanglosigkeit auf, hier und da ein Zirkus, ansonsten Comedy.

Nach zehn Jahren Pariser Commune hatte Rudolphe Salis gerade „Der schwarze Kater“ von Edgar Allan Poe gelesen, wo ein Mörder einen lebendigen schwarzen Kater zusammen mit seinem Opfer einmauert. Dieser Kater treibt den Täter mit seinem Geheule in den Wahnsinn und letztlich die Polizei auf die richtige Spur, was dem Mordbuben seine gerechte Strafe und dem Kater die Freiheit einbringt.

Salis trommelte seine Kumpels zusammen und eröffnete im Puffviertel von Paris, auf dem oberen Montemartre (Märtyrerberg) eine klitzekleine Kaschemme, die er „Chat Noir“ (Schwarzer Kater) nannte. Als Genre gab er „Cabaret“ an, was bis dahin als gemischte Dessert-Delikatessen-Platte galt. Maler wie Toulouse-Lautrec gestalteten den Raum, Dichter und Schauspieler rezitierten revolutionäres Dichtwerk und singend ging es um den Eros. Anfangs ein Vergnügen für Boheme, Ganoven und Nutten, begannen nach und nach auch bürgerliche, den Laden „tres chic“ zu finden – obwohl sie dort aufs unflätigste beleidigt wurden. Seitdem bezeichnet man die Kunstgattung, die aufklärerisch, politisch und erotisch die Genres verknüpft als Cabaret oder Kabarett.

Das kann ein gläubiger unpolitischer Spießer wie Kai Magnus Sting oder ein Thekenproll namens Trepper, das wissen die nicht, weshalb sie auch keine Kabarettisten sein können, was wiederum deren ungebildetes bildungsbürgerliches Publikum nicht ahnen kann. Man erinnert sich: Wo die Politik fehlt, da ist Idiotes. Und dass sich Kabarettasten als Kabarettisten bezeichnen, geht nur, wo Dummheit herrscht – oder der klügste Deutsche wohnt – oder überall nur noch Comedy lallt. Das muß aufhören!

Warum Sokrates’ Xanthippe eine tolle Frau war, warum Nietzsche in dem Moment, den Dostojewskij schon Jahre vorher beschrieben hatte, wahnsinnig wurde (ein früher Juhnke), ob es Jesus überhaupt gegeben haben kann, inwiefern sich Hitler erfolgreich als Messias etablieren konnte, was Karl May besser konnte als heutige Werbefuzzies – das ist der Stoff, aus dem Kabarett besteht.

„Der satirische Schriftsteller ist … nur in den Mitteln eine Art Künstler. Hinsichtlich des Zwecks, den er verfolgt, ist er etwas ganz anderes. Er stellt die Dummheit, die Bosheit, die Trägheit und verwandte Eigenschaften an den Pranger. Er hält Menschen einen Spiegel, meist einen Zerrspiegel, vor, um sie durch Anschauung zur Einsicht zu bringen. Er begreift schwer, dass man sich über ihn ärgert. Er will ja doch, dass man sich über sich ärgert. Er will, dass man sich schämt. Dass man gescheiter wird. Vernünftiger. Denn er glaubt, zumindest in seinen glücklicheren Stunden, Sokrates und alle folgenden Moralisten und Aufklärer könnten recht behalten: dass nämlich der Mensch durch Einsicht zu bessern sei.“ sagt Erich Kästner.

Duisburg braucht nicht bildungsbürgerliche Verpeiltheit. Ein provokantes Kabarett wäre vonnöten. Es gibt da einen Kabarettisten (den einzigen dieser Stadt), der das gerne machen würde (und auch als Oberbürgermeister kandidiert). Demnächst gibt er wieder sein Judas-Kulturmagazin heraus. Er sammelt gerade Künstler und Unterstützer für den „Schwarzer Kater“. Nen Raum hat er schon im Auge. Und freut sich drauf, von dort aus Literatur, Schauspiel und Politik zu machen.

Wer das wohl sein mag…

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