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Kuhls Kolumne: FASCHISTEN MIT GEMÜT

ob-kuhl-0206In einer früheren Kolumne hatte ich Sauerland als Gemütsfaschisten bezeichnet – und festgestellt dass der Begriff heute nicht mehr geläufig ist. Unter „Die Koalition der Schmerzfreien“ hatte ich die „grauenhafte Indolenz“ (Ralph Giordano) der Duisburger „Prominenz“ gegeißelt. Andererseits frönen die grausamen Herren einer geradezu schnuckeligen Puppenstubenromantik und zerfließen vor Selbstmitleid. Nun geht’s mir um die Innenansicht mächtiger Psychopathen, die de facto eine gemütsfaschistische Normalität konstituieren.

„Müssen wir Deutschen denn ewig im Büßerhemd durch die Weltgeschichte laufen?“ fragte Neonazi Schönhuber vor ein paar Jahren, was mich fatal an die Bande erinnert, die – auf Einladung der Rheinischen Post – „den Blick nach vorne wenden“ will, um sich nicht mit der Aufarbeitung früherer Versäumnisse im Rahmen der Loveparade aufhalten zu müssen.

Diese Schwamm-drüber-Mentalität ist die andere Seite des Selbstmitleids eines Sauerland, der an der öffentlichen Empörung laboriert, ohne deren ethischen Kern zu begreifen. Auch sein Sprecher Josip Sosic, der mir erzählte, was für einen „Riesenstress“ man doch im Rathaus gehabt habe, sackt da in den melancholischen Modus ab.

Wenn Professor Stecker vom Lehmbruck-Museum von mittelalterlichen Verfolgungsritualen oder Stadtdechant Lücking vom „Sündenbock“ spricht, da scheint etwas auf, das wir alle schon mal erlebt haben – und worauf viele reinfallen.

Offensichtlich sind solche „Realpolitiker“, die mit aller Macht austeilen und das Leid anderer nicht wahrnehmen, sobald es sie selbst angeht, Mimosen.

Schon Platon beschrieb Tyrannen als Menschen, die ausschließlich von ihren Ängsten und Leidenschaften geleitet sind. Hitler war zu feige, sich zu erschießen und überließ das seinem Fahrer, Saddam Hussein haben wir ja gerade erlebt und Sauerland jammert ohne Ende über die Einschränkungen, die er hinnehmen musste – und hält die Übernahme politischer Verantwortung (sprich: seinen Rücktritt) für unzumutbar.

Als ich Robert Jungk kennenlernte haben wir auch über den von ihm geprägten Begriff „Gemütsfaschismus“ geredet. Er war besorgt, dass „diese mörderischen Plänzlein-rühr-mich-nicht an-Menschen“ erreichen könnten, dass ihre Mentalität Schule macht, dass unsere Gesellschaft auf diesem Wege wieder unmenschlich werden könne.

Damals war ich während eines längeren Studienaufenthaltes auch zwei Wochen in Oswiecim im Auschwitz-Archiv. In den Memoiren des damaligen Lagerleiters Höß las ich, wann immer es um Unmenschlichkeit ging, vom „wahren Adam“, seiner Umschreibung der menschlichen „Natur“ – aber auch: „Im Frühjahr 1942 gingen Hunderte von blühenden Menschen unter den blühenden Obstblumen des Bauerngehöftes, meist nichtsahnend, in die Gaskammern, in den Tod.“ Saul Friedländer hat diesen Todeskitsch in seinem lesenswerten Buch in die richtigen Zusammenhänge gesetzt.

Das heimelige Drinnen und das grauenhafte Draußen. Die schönen eigenen Gefühle und die böse Welt, Schlagerromantik. Schöngeist wider die barbarische Natur. Höß ist offen für die Ästhetik blühender Obstblumen – und schiebt seine eigene Verantwortung am Massenmord weit von sich.

Friedhelm Lövenich bringt es auf den Punkt: „Die Deutschen sind diejenigen gewesen, die die ‚Kultur’ als Lyrik hochgehalten haben, um der ‚Natur’ ihrer missgestalteten Triebe freien Lauf lassen zu können… …Das ist der offen aufgebrochene Zusammenhang zwischen Gemüt und Faschismus, kaputter Romantik und romantischer Brutalität – Gemütsfaschismus mit Gemüt für sich und Faschismus für ‚die Anderen’“.

Sauerland, Janssen und ich sind nicht nur gleichaltrig. Wir sind auch in derselben adenauerisch-christ-katholischen Nazischeiße aufgewachsen. Wenn jemand zehn Jahre nach dem Krieg den Vornamen Adolf verpaßt kriegt, dann spricht das Bände über sein Elternhaus. In der Welt des „Du musst!“, „Du darfst nicht!“ und „Was sollen denn die Leute denken!“ ist nichts mit Liebe und wahrgenommen werden. Das – freudianisch gesprochen – Introjekt ist dann ein Selbsthaß, eine emotionale Verarmung, die in ihrer Umkehrung nach außen zum Machttypus erfolgreicher Politiker werden kann.

Arno Gruen beschreibt das am Beispiel Ronald Reagan, der sein Selbst nur in Rollen leben konnte – sei es als Schauspieler oder als Präsidentendarsteller. „Sieht man Reagan nur als Opfer der Umstände, entgeht einem, dass gerade die Zurückweisung der politischen Verantwortung solche Führer charakterisiert. Damit würde man das ihren Handlungen innewohnende Böse entschuldigen.“

Bleibt die Verkitschung. Daß ein Janssen diesen lächerlichen Schuhkarton im Innenhafen, an dem die GEBAG gerade verreckt, für große Kunst hält und von „Weltrang“ schwafelt – oder Stecker „seinen“ Kantpark enzäunen lassen wollte, damit da auf dem heiligen Rasen keine leeren Bierflaschen rumliegen…

Manchmal ist brüllendes Gelächter und Kotzen dasselbe…

PS für die, die weiterlesen wollen:

Robert Jungk: Gemütsfaschismus und Technofaschismus

Saul Friedländer: Kitsch und Tod

Arno Gruen: DerWahnsinn der Normalität

Ralph Giordano: Die zweite Schuld

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