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Klarnamen im Internet: Der Trend geht zur Zweitidentität

Image via CrunchBase

Innenminister Hans-Peter Friedrich hat in einem Interview mit dem Spiegel angeregt, “Klarnamen”im Internet zur Pflicht zu machen und Web-Pseudonyme zu untersagen. Zwar hat Friedrich in der Zwischenzeit wieder einen Rückzieher gemacht und will seine Aussagen nur als “Denkanstoß” verstehen – doch nun ist die Diskussion angestoßen: Sind Pseudonyme im Social Web eher ein Risiko oder bedeuten sie eine Chance? Von unserer Gastautorin Eva Ihnenfeldt

Facebook, Xing und GooglePlus verlangen, dass ihre Netzwerkmitglieder den wahren Namen verwenden. Facebook ist diesbezüglich locker und duldet auch Pseudonyme, doch bei Xing und GooglePlus wird ein Profil gelöscht, wenn man einen falschen Namen angibt. Wenn man bei Xing ein Foto einstellt, muss dieses auch erkennbar den Profilinhaber darstellen – Comics, Zeichnungen, Symbole etc, sind laut AGB untersagt. Twitter ist bekannt dafür, dass man sehr leicht und unkompliziert mit einem Pseudonym arbeiten kann – was ja in vielen autoritär geführten Ländern zu einem Web-Schutzraum für Regimekritiker geführt hat. Foren, Singleportale, Communities und Chatrooms sind ebenfalls vor allem von Menschen belebt, die bewusst einen  Nickname verwenden, um nicht erkennbar zu sein. Rein technisch gesehen ist im Netz niemand wirklich anonym. Dies ist nur möglich, wenn man über technische Vorrichtungen die IP-Adresse unkenntlich macht. Um die wahre Identität im Web zu verschleiern, reicht die Einrichtung einer speziellen Mail-Adresse für das Pseudonym und ein Nickname. Man muss nur darauf achten, dass das Pseudonym nicht mit der wahren eigenen Identität in Kontakt tritt, sonst fliegt die Tarnung leicht auf, wenn jemand mit detektivischem Gespür sucht.

Risiken der Pseudonyme

Frauen und Kinder können in Gefahr geraten, wenn jemand unter Pseudonym sich das Vertrauen erschleicht und später missbraucht. Opfer von Pseudonymen im Web können Stalker-Zielpersonen sein, Mobbingopfer, unliebsame Wettbewerber, Nachbarn, Arbeitgeber, Vermieter. Pseudonyme können erpressen, bedrohen, beleidigen, demütigen, verunglimpfen, hetzen, den Ruf ruinieren. Erst wenn ein Straftatbestand auftritt, kann sich das Opfer mit Hilfe der Polizei gegen die Angriffe wehren – oder es muss den Betreiber einer Plattform dazu bewegen, die Einträge zu entfernen. Häufig ein sehr mühseliger Prozess, vor allem bei internationalen Portalen wie Facebook.

Chancen der Preudonyme

Menschen können mit Hilfe von Pseudonymen im Web eine Identität leben, die ihnen in einer ihrer gesellschaftlichen Rollen versagt bleibt. Politische Meinungen können geäußert werden, Opfer können über ihre Erlebnisse berichten und sich Rat holen. Sexuelle Vorlieben können geäußert und diskutiert werden, man kann sich geschützt nach einem neuen Partner umsehen. Hilfe bei Krankheiten, Depressionen, Behinderungen, Vergewaltigung … die Liste, wann man mur mit einem Pseudonym im Web offen kommunizieren kann, würde mehrere Seiten füllen.

Meine Meinung zu Pseudonymen

Ich veröffentliche in den SteadyNews normalerweise keine Kommentare von Nutzern, die anonym sind. Als “Zeitung” lege ich Wert darauf, dass jeder Kommentar auf seinen Urheber zurückgeführt werden kann. Ich möchte nicht die Verantwortung für Kommentare übernehmen, hinter denen der Verfasser selbst nicht stehen will oder kann. Ich würde mir auch wünschen, dass in anderen Zeitungen Leserbriefe nur noch unter den wahren Namen veröffentlicht werden – dort ist meiner Meinung nach kein Raum für Pseudonyme.

Dass Twitter ein Schutzraum für Pseudonyme ist, finde ich ausgesprochen wichtig. Nicht nur in autoritären Regimen, auch im “Freien Westen” brauchen Menschen Schutzräume, um verschiedene Seiten in sich leben zu können und um mit Gleichgesinnten ungehemmt kommunizieren zu können, ohne Sanktionen durch Arbeitgeber, Staat, Lehrer, Kollegen, Familie etc. zu fürchten. Twitter als Kurznachrichtenportal ist unverzichtbar, um Unrecht aufzudecken mit Links, Videos, Fotos – auch in Deutschland – z.B. bei den Polizeiübergriffen in Stuttgart.

Foren, Communities und Chaträume leben vom Schutz der Anonymität. Wer will schon auf einem Singleportal mit der wahren Identität surfen? Das könnte gerade für Frauen sehr bedrohlich sein. Weibliche Nicknames werden im Web 25-mal häufiger belästigt oder bedroht als männliche oder geschlechtsneutrale Pseudonyme – eine Pflicht zum Klarnamen wäre viel zu gefährlich – es käme einem Maulkorb gleich.

Vielleicht wäre es wirklich mal eine gute Idee, es selbst auszuprobieren: Dr. Jekyll befreundet sich mit Mr. Hyde. Was passiert, wenn wir es wagen, uns eine virtuelle “Zweitidentität” anzuschaffen, wenn wir mal ganz frei und ungehemmt im Web schreiben können, was auch immer wir wollen. Werden wir uns sexuell ausleben? Oder politisch poltern? Werden wir gut gehütete Geheimnisse gestehen und endlich mit anderen besprechen, was wir noch nie Jemandem anvertraut haben?

Werden wir womöglich noch berühmt, weil wir im Schutz des Pseudonyms unsere künstlerische Ader entdecken und Einzigartiges publizieren? Ich möchte hiermit ein bisschen Mut machen:

Der Trend geht zur Zweitidentität – nur Mut!

 

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