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Münster: „Ein Spiegelbild der Gesellschaft“

Mit Zensus-Interviewern unterwegs / Begegnungen und bereichernde Erfahrungen / Nur eine Handvoll Verweigerer

(SMS) „Das haben wir uns schwieriger vorgestellt“, sind sich Annkathrin Dreyer, Simone Hollenhorst und Oliver Reichelt einig. „Zu 90 Prozent wird unser Besuch, den wir per Terminkarte im Briefkasten ankündigen, positiv aufgenommen.“ Die drei geschulten Erhebungsbeauftragten des Zensus 2011 spüren nichts vom scharfen Wind des Protestes und des Misstrauens, der 1987 den Volkszählern ins Gesicht blies. Seit dem Stichtag 9. Mai klingeln sie und 37 andere Interviewer im Rahmen einer Haushaltsbefragung an den Türen von Privathäusern, Studentenheimen, Altenheimen und Sondereinrichtungen, um die Daten einzuholen. Fragen nach persönlichen Daten, Bildung, Ausbildung oder Beruf.

Dabei sind sie zumeist freundlichen Menschen begegnet, die eine Tasse Kaffee, ein Glas Wasser, orientalischen Tee oder Gebäck angeboten haben. Verweigerer, weiß Manfred Meyer, Leiter der Erhebungsstelle für den Zensus 2011, „gibt es zur Zeit höchstens eine Handvoll.“ Eine Handvoll von 25 000 per Stichprobe ausgewählten Münsteranern.

Das Interessante an dem Job, auch darin stimmen die drei Zensus-Beauftragten überein, „ist die Begegnung mit unterschiedlichen Menschen.“ Eine Begegnung auch mit Einsamkeit und Schicksalen. „Ein Spiegelbild unserer Gesellschaft“, sagt die Studentin Simone Hollenhorst, die die Aufgabe als Bereicherung empfindet. Für die 26-Jährige – neben der willkommenen kurzfristigen Beschäftigung – ein Grund, sich zu bewerben.

Fingerspitzengefühl und Durchsetzungsvermögen

So hört man Sätze zum Schmunzeln, wie etwa den des Zehnjährigen, der dringend vermerkt wissen wollte, „dass wir unbedingt einen Fußballplatz brauchen.“ Das war aber leider nicht das Thema. Man hört schöne Geschichten und traurige, denn mit dem reinen Ausfüllen der Fragebögen ist es oft nicht getan. Die Interviewer nehmen sich Zeit, ohne dabei ihren Auftrag aus den Augen zu verlieren. Sie müssen sich auf das Gegenüber einstellen, ob es gestresst ist oder in Plauderlaune. Da ist Fingerspitzengefühl und Durchsetzungsvermögen gefragt.

Für die selbstständige Friseurin Annkathrin Dreyer sind diese Begegnungen wie „ein Geschenk“. Tief berührt hat die 40-Jährige der Lebensweg eines politisch Verfolgten, der als 16-Jähriger allein nach abenteuerlicher Flucht das fremde Deutschland erreichte. Heute lebt er zwar in Münster, „innerlich aber ist er in seiner Heimat“, so Dreyer nachdenklich.

Oder der Besuch bei einer alten Dame. Die Frau konnte die Frage, ob sie nach 1955 ihren Wohnsitz in der Bundesrepublik genommen habe, nicht beantworten. Mit Tränen in den Augen erzählte sie, dass sie sich nur noch an das KZ erinnere. „Die Jahre danach liegen im Dunkeln.“ Die Interviewerin wird die traumatisierte Frau mit der verlorenen Kindheit wohl nie vergessen.

Verständigungsprobleme geschickt gelöst

 

Reibungslos dagegen, so Hollenhorst, sei die Befragung in den Studentenheimen über die Bühne gegangen. Nur einmal hatte Kollege Reichelt mit Verständigungsproblemen zu kämpfen. Das Englisch einer chinesischen Studentin war nur schwer zu verstehen. Treffen am Dienstag oder Donnerstag? Die Frage war am Telefon nicht zu klären. „Ich habe schließlich den Freitag vorgeschlagen“, zog sich der Mitarbeiter der Stadt geschickt aus der Affäre.

In einem Fall bekam es der 41-Jährige mit einem Totalverweigerer zu tun. Er, so der Befragte, habe sich auch in der Zeit von 1933 bis 1945 nicht untergeordnet und wolle sich auch dem Zensus nicht beugen Und wenn es Ärger gebe, na und? Reichelt blieb höflich, stufte den Mann als nicht auskunftswillig ein, und ging. Ein Fall für das Ende Juli folgende Erinnerungs- und Mahnverfahren.

Natürlich gibt es sie gelegentlich, die notorischen Meckerer. „Die“, bleibt Reichelt gelassen, „meckern aber auch an der Wursttheke. Das nehme ich nicht persönlich.“ Oder die, die erst gar nicht öffnen, obwohl der Tür-Spion dunkel wird oder der laufende Fernseher oder das laute Radio signalisieren: Es ist jemand zu Hause. Zweimal wird ein Termin angekündigt. Wer nicht aufmacht, bekommt den Fragebogen per Post zugeschickt. Er wird ihn also in jedem Fall erreichen, denn: Jeder ist von Gesetzes wegen zur Auskunft verpflichtet.

 

Nicht selten jedoch hören die Interviewer den Satz: „Wie? Das war’s schon? Ich dachte, das wäre mehr.“ Im Internet, so Meyer, gebe mancher eben mehr von sich preis als im Zensus-Fragebogen.

Foto: Seit dem 9. Mai klingeln die Zensus-Interviewerinnen Annkathrin Dreyer (l.) und Simone Hollenhorst an münsterschen Haustüren. Ihnen begegnen die unterschiedlichsten Menschen und Schicksale. Nur selten treffen sie auf Ablehnung. Foto: Presseamt Stadt Münster.

 

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