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Alice Schwarzer: Offener Brief an Kristina Schröder

Alice Schwarzer

Offener Brief von Alice Schwarzer an BM Kristina Schröder vom 8.11.2010:

Sehr geehrte Frau Ministerin!

Sie sind jetzt seit fast einem Jahr im Amt. Seither warte nicht nur ich auf Taten und Zeichen von Ihnen, die die Lage der Familien verbessern und die Gleichberechtigung der Frauen weiter bringen könnten. Zeichen, wie wir sie von Ihrer couragierten Vorgängerin gewohnt waren. Wir warteten bisher allerdings vergebens. Die einzig aufregende Nachricht aus Ihrem Amt war Ihr Namenswechsel von Köhler auf Schröder – was mich persönlich, ehrlich gesagt, bis heute verwirrt.

Dafür haben Sie nun dem Spiegel ein aufschlussreiches Interview gegeben. Ein Interview, bei dem man nicht so recht weiß, ob man nun weinen oder lachen soll. Eines jedenfalls ist spätestens jetzt klar: Was immer die Motive der Kanzlerin gewesen sein mögen, ausgerechnet Sie zur Frauen- und Familienministerin zu ernennen – die Kompetenz und Empathie für Frauen kann es nicht gewesen sein.
Mit Ihrem übereifrigen Engagement für Männer – statt Frauen – gehen Sie selbst den beiden Spiegel-Interviewern zu weit. Die machen Sie im Gespräch mehrfach ironisch darauf aufmerksam, dass Sie „doch Frauen- und nicht Männerministerin“ seien und von 185 Dax-Vorständen noch immer 181 männlich. Doch das kann Sie nicht bremsen.

Als erstes nehmen Sie sich den „frühen Feminismus“ vor. Da haben Sie als Jahrgang 1977 zwar die Gnade der späten Geburt, aber nicht das Recht, Stammtisch-Parolen zu reproduzieren. Stammtisch-Parolen aus den 1970er Jahren wohlgemerkt. Denn die Stammtische 2010 sind längst weiter, viel weiter als Sie.

Der „frühe Feminismus“ habe „übersehen, dass Partnerschaft und Kinder Glück spenden“, für ihn sei die Homosexualität „die Lösung der Benachteiligung der Frau“ gewesen, behaupten Sie. Frau Ministerin, ein so billiges Klischee wagen Sie doch nicht allen Ernstes über die folgenreichste soziale Bewegung des 20. Jahrhunderts zu verbreiten? Eine Bewegung, der Sie unter anderem Ihre ganz persönliche Karriere zu verdanken haben. Und die Anstöße gab für eine Welt, in der Frauen endlich davon ausgehen dürfen, dass sie alles können, was Männer können – und umgekehrt (Stichwort Vaterschaftsurlaub). Eine Welt, in der die von Ihnen so wohlfeil im Munde geführte „Partnerschaft“ nicht mehr länger reine Theorie sein muss, sondern echte Chancen hat. Weil nur Gleiche Partner sein können.

Sodann bürsten Sie mich ab, klar. Sie hätten zwar „viel gelesen“ von mir, aber… Mit Verlaub: Ich kann mir das kaum vorstellen. Sonst würden Sie nicht einen so hanebüchenen Unsinn behaupten wie den: Ich hätte geschrieben, „dass der heterosexuelle Geschlechtsverkehr kaum möglich sei ohne die Unterwerfung der Frau“.

Ich vermute, Sie rekurrieren damit auf den 1975 (!) erschienenen „Kleinen Unterschied“. Darin wird in der Tat die Funktion von Sexualität und Liebe bei der (Selbst)Unterdrückung von Frauen analysiert. Das ist weltweit ein zentrales feministisches Thema. Denn noch immer verstehen manche Frauen unter Liebe vor allem Selbstaufgabe, und ist Sexualität noch viel zu oft mit Gewalt verbunden.

Aber das war, wie gesagt, 1975, zwei Jahre vor Ihrer Geburt. Seither habe ich schon noch dies und das veröffentlicht. Inzwischen schreiben wir nämlich das Jahr 2010. Doch auch dazu reproduzieren Sie nichts als Klischees.

Zum Beispiel das Klischee, die Überzahl weiblicher Erzieher und Lehrer sei schuld an der Misere der „armen Jungen“. Denen wollen Sie sich jetzt mit Ihrem Ministerium vorrangig widmen. Sie gehen dabei so weit, feministischen Pädagoginnen zu unterstellen, sie würden „Jungs bewusst vernachlässigen“, was „unmoralisch“ sei. Es ist diese Unterstellung, Frau Schröder, bei diesen Frauen, die einen sehr harten, sehr engagierten Job machen, die unmoralisch ist!

Ja, es stimmt, dass wir es mit einer rasanten „Feminisierung“ der pädagogischen Berufe zu tun haben. Aber warum? Weil die Männer einfach nicht mehr Kindergärtner oder Lehrer sein wollen! Zu schlecht bezahlt und gesellschaftlich nicht anerkannt. Das ist das Problem.

Nein, es stimmt nicht, dass die Überrepräsentanz weiblicher Pädagogen schuld ist an den Problemen der Jungen. Dafür gibt es, wie Sie als Ministerin wissen sollten, null wissenschaftliche Beweise (siehe dazu auch www.emma.de/hefte/ausgaben-2010/herbst-2010/arme-jungs/ ). „Schuld“ ist eher ein verunsichertes Verständnis von „Männlichkeit“, eine Männerrolle, bei der es als uncool gilt, zu lernen, und als cool, zu pöbeln – und Pornos zu konsumieren.

„Schuld“ ist auch der Zuzug von Menschen aus Kulturen nach Deutschland, die eben leider nicht durch den Feminismus gegangen sind, wie die ex-sozialistischen Militärdiktaturen Osteuropas oder die muslimischen Länder. Deren Söhne geraten nun mit ihrem vormodernen, archaischen Männlichkeitsbild in unsere moderne Welt. Da liegt in der Tat reichlich Konfliktstoff und vieles im Argen.

Es ließe sich noch vieles sagen, Frau Schröder. Aber, darf ich offen sein? Ich halte Sie für einen hoffnungslosen Fall. Schlicht ungeeignet. Zumindest für diesen Posten. Vielleicht sollten Sie Presse-Sprecherin der neuen, alten so medienwirksam agierenden, rechtskonservativen Männerbünde und ihrer Sympathisanten werden.

Mit Bedauern und besten Grüßen

Alice Schwarzer (eine von vielen frühen Feministinnen)

EMMA
Bayenturm, 50678 Köln
T 0221/606060-0, Fax -29
www.emma.de
www.aliceschwarzer.de

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siehe dazu auch: http://xtranews.de/2010/11/06/ministerin-schroeder-cdu-und-die-konservativen-werte/

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