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CDU-Leitantrag, Teil 2: die „christlich-jüdische Tradition“


Vom 19. bis 21. November 2010 findet der CDU-Bundesparteitag statt. Bei der Untersuchung des vom Vorstand vorgelegten Leitantrags kam gestern die Sprache auf einen Kampfbegriff, der als letzter Schrei zur Zeit bei den Konservativen ganz hoch im Kurs steht, nämlich die „christlich-jüdische Tradition“.
 

Warum eigentlich hat man all die letzten Jahrzehnte noch nie etwas von ihr gehört, wo sie doch „unsere kulturellen Werte“ angeblich so stark geprägt hat, diese „christlich-jüdische Tradition“? Nicht einmal von der „jüdisch-christlichen“? Weil man, wenn das Jüdische mit im Boot ist, nur schwer deutschnationaler Tendenzen bezichtigt werden kann. Oder weil, wenn sich Juden zu den Christen hinzusetzen dürfen, es umso deutlicher auffällt, dass Muslime eben nicht dazugehören? 

Wer von diesen CDU-Chefsemantikern ist eigentlich auf die Idee gekommen, die besagte Tradition „christlich-jüdisch“ zu nennen, wo man doch auch in diesen Kreisen wissen dürfte, dass – rein historisch betrachtet – das Judentum etwas früher da war als das Christentum. Mehr noch: warum formulieren jetzt die Parteistrategen in dieser Reihenfolge? Erst christlich, dann jüdisch, was ja nicht nur chronologisch falsch ist, sondern auch die Tatsache kaschiert, dass die eine Religion aus der anderen heraus entstanden ist. Absicht? 

Wie auch immer: diese Sprachregelung ist bereits jetzt offizielle Sprachregelung, auch bei der CSU (Seehofer auf „seinem“ Parteitag). Und irgendetwas wird sich der bzw. werden sich die Wortschöpfer schon dabei gedacht haben. Egal, man mixt noch die Aufklärung und nicht näher erläuterte „historische Erfahrungen“ hinzu – und fertig ist sie: die „Leitkultur in Deutschland“.

Ihr weiß sich die CDU, so der Leitantrag, „besonders verpflichtet“, und deshalb – ja deshalb! – erwartet sie „von denjenigen, die zu uns kommen, dass sie diese respektieren und unter Wahrung ihrer persönlichen Identität auch anerkennen.“ Haltung annehmen! Persönliche Identität kann gewahrt bleiben! – Wie bitte? – Nein, nur die persönliche Identität, selbstverständlich nicht nur der ganze andere Krempel (Nationalität, Volksgruppe, Sprache, Familie, Religion), der erstens nicht zur „Leitkultur in Deutschland“ passt und zweitens sich sogar zum Störpotenzial auswachsen könnte. 

Deshalb hat der CDU-Vorstand, dem sich der Parteitag gewiss anschließen wird, auch deutliche Worte bereit für die „Minderheit, die sich nicht integrieren, nicht unsere Sprache lernen will und ihren Kindern Teilhabe und Aufstieg verwehrt.“ In Punkt 22 zieht die Regierungspartei schon recht zufrieden Bilanz: „In unserer Regierungsverantwortung haben wir Rot-Grüne Multi-Kulti Politik beendet und die Integrationspolitik unter das Leitmotto ,Fördern und Fordern` gestellt.“ 

Keine Frage, es gibt sie, diese sog. „Integrationsverweigerer“; doch sie sind, wie auch die CDU in diesem Papier eher beiläufig konzediert, in der Minderheit. Doch während der Mehrheit der Zuwanderer mit einem einzigen Satz Anerkennung für ihre Anpassungsleistung ausgesprochen wird, geht es in epischer Breite um diejenigen, die den Zorn der Konservativen auf sich gezogen haben. Noch ein wenig „Erfolgsbilanz“: „Wir haben damit die Integrationspolitik an unseren Interessen (!) ausgerichtet und Schluss gemacht mit einer Politik falsch verstandener Toleranz.“ 

Doch dann geht es richtig zur Sache. Unmöglich, den Balsam für die konservative Seele komplett zu zitieren, nehmen wir an dieser Stelle nur Punkt 24 des Leitantrags: „Integration erfordert aber auch Konsequenz. Deshalb treten wir Integrationsverweigerern entschieden entgegen. Hierzu braucht es einen starken Staat – auch im Interesse der großen Mehrheit rechtstreuer Zuwanderer. Wer sich seinen Pflichten entzieht, für den sind Sanktionen mit Folgen für seinen Aufenthaltsstatus und seine Leistungsansprüche vorgesehen. In Fällen von Integrationsverweigerung darf es keine Toleranz mehr geben. Wir werden deshalb künftig noch stärker dafür Sorge tragen, dass die Sanktionsmöglichkeiten konsequent angewandt werden und prüfen, ob weitere Verschärfungen notwendig sind.“ 

Es ist eingangs darauf hingewiesen worden, dass Parteitagsbeschlüsse in aller Regel keinen allzu großen Leserkreis finden. Aber sie definieren die Linie und markieren das Selbstverständnis der Partei. Dass insbesondere die hier passierten Passagen aus dem „Verantwortung-Zukunft“-Papier des CDU-Parteitags gleichsam als Blaupause für etliche Referate in den Ortsgruppen dienen wird, dürfte ebenso gewiss sein wie die Aussicht, dass es die größte Regierungspartei nicht bei dieser kraftmeierischen Rhetorik belassen wird. 

Am letzten Wochenende waren in den Fernsehberichten vom CSU-Parteitag die Begeisterungstürme bei den entsprechenden Redepassagen Seehofers zu besichtigen. Gut situierte Jung-Unionisten waren genauso aus dem Häuschen wie in die Jahre gekommene Dorfbürgermeister. Es ist kaum anzunehmen, dass auch nur einer von ihnen jemals schlechte Erfahrungen mit kriminellen Türkengangs in großstädtischen Problemvierteln gemacht hatte. Dennoch ist dieser Hass da – ebenso wie das Gefühl der Erlösung, wenn im deutschnationalen Gemeinschaftserlebnis angekündigt wird, den Schurken ans Leder zu gehen. 

Es steht zu befürchten, dass es bei den Brüdern und Schwestern der großen Schwesterpartei in knapp zwei Wochen nicht wesentlich anders aussehen wird. „Wir geben Werten Zukunft und den Bürgern unseres Landes eine politische Heimat, die an unsere Werte glauben und der nächsten Generation ein liebens- und lebenswertes Land im Herzen Europas übergeben wollen“, so der Schlusssatz des hier erörterten Papiers. 

Nun gut, man muss ja nicht unbedingt bei der CDU seine „politische Heimat“ suchen. Man glaubt halt einfach nicht an die hier dargelegten „Werte“ und gut ist. Und doch: es bleibt nach der Lektüre dieses CDU-Parteidokuments ein unangenehmes Gefühl zurück. Was wird eigentlich passieren „im Herzen Europas“ (auch so ein Terminus für sich), wenn man an diese Werte partout nicht glauben möchte. Wenn man darauf besteht, bei „Recht und Ordnung“ kritisch nachfragen zu dürfen, und wenn man einfach keine „Haltung“ annehmen möchte. Wird es dann reichen, einfach nur kein Zuwanderer zu sein?

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