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Wissenschaftliche Phänomene in der Mediengesellschaft: Karl-Rudolf Korte und der Neandertaler

 

Foto: Neandertal-Museum, Mettmann

Ein vielbeklagtes, dennoch offenbar nicht aus der Welt zu schaffendes Ärgernis unserer Mediengesellschaft ist ihr Merkmal, kurz eine Sau durchs Dorf zu treiben, bis die nächste dran ist. Personen oder Ereignisse, Krisen oder Katastrophen werden für eine kurze Zeit „hochgekocht“, um danach alsbald in Vergessenheit zu geraten. Niemand von uns scheint sich dieser etwas oberflächlichen Gepflogenheit entziehen zu können. Auch ich selbst – als Autor – spüre die Versuchung, schneller, aktueller oder einfach nur näher dran sein zu wollen.

Nichts gegen Aktualität – solange sie nicht den Blick für wirklich Wichtiges trübt oder uns gar den Sinn für größere Zusammenhänge verstellt. Ich möchte Ihnen diese Gefahr anhand zweier Personen bzw. der dazugehörigen Ereignisse verdeutlichen – einmal Duisburg und Umgebung, das andere Mal die Geschichte der Menschheit. Wir drehen die Uhr um etwa ein halbes Jahr zurück, befinden uns Ende April, Anfang Mai dieses Kalenderjahres, und wen sehen wir da? – Prof. Dr. Dr. Karl-Rudolf Korte, Duisburg, und, nur ein paar Kilometer weiter südlich, den Homo neanderthalensis, also den Neandertaler.

Sollten Sie jetzt tatsächlich einwenden, diese Beiden hätten nun aber wirklich nichts miteinander zu tun? Sollte diese Mediengesellschaft es wirklich schon geschafft haben, Ihnen den Sinn für größere Zusammenhänge zu verstellen? Diese Beiden haben nämlich mehr miteinander gemein, als man bei oberflächlicher Betrachtung denken möchte. Vielleicht gar noch mehr als jene popeligen zwei bis vier Prozent des Genoms, die auch Sie mit den beiden genannten Personen teilen, sollten Sie nicht zufälligerweise ein Schwarzafrikaner sein.

Hier geht es aber nicht um die Sarrazin-Thesen, hier interessiert etwas Anderes, nämlich das Erleuchten und Verglühen am Sternenhimmel der Mediendemokratie. Und weil wir uns hier, also in Duisburg, mit Politischem befassen: ja, wir hatten einen Star. Univ.-Prof. Dr. rer. pol. habil. Dr. phil. Karl-Rudolf Korte von der hiesigen Universität und Direktor der „NRW School of Governance“. Ein Quell der Gedankenanregungen – ob es um die Wahlerfolge der Linkspartei ging, um das Kommunistische Manifest oder auch nur um die komfortable Sandwich-Lage der Grünen, stets hatte der Meister die Antworten auf alle Fragen, die uns bedrängen.

Prof. Dr. Dr. Karl-Rudolf Korte, Homo sapiens

Korte war der Star, Fernseh-„Parteienforscher“, Wissenschaftskolumnist in der WAZ und was weiß ich sonst noch alles. Doch dann, urplötzlich im April, ja: diesen April, trieb die blöde Dialektik der Nebenfolgen ihr übles Spiel. eMails konnten belegen, dass Prof. Korte in das Sponsoring-Geflecht der NRW-CDU verstrickt gewesen ist. Bei Wikipedia steht:

„2010 wurden E-Mails von Korte auf einem Internetportal veröffentlicht, die laut FAZ-Autor Jürgen Kaube zumindest Gschaftlhuberei nahe legen. Demnach soll Korte gegen Bezahlung von der Regierung „wohlwollende“ Analysen über die CDU von einem wissenschaftlichen Mitarbeiter geliefert haben. Nach einem deutlichen Stimmenverlust für die CDU bei der Landtagswahl in Nordrhein-Westfalen 2010, der einen Regierungswechsel erwarten ließ, äußerte sich Korte hingegen kritisch über die Politik der CDU.“

Der Star erlebte seine Supernova. Irgendwie hört und liest man seither nicht mehr viel von ihm – in Duisburg. Andernorts ist jedoch sein Stern nie so ganz erloschen. Und jetzt hatte Korte gar seinen Auftritt auf einem wichtigen Kongress. So mit anderen tollen Wissenschaftlern wie Manfred Güllner. „Denk ich an Deutschland: Freiheit und Verantwortung“, so der Titel der Konferenz. „Die Parteien“, sagte Korte, „gefährdeten nicht die Demokratie. Aber den Parteien läuft die Kundschaft weg.“ Boah!

Oder hier, im Deutschlandfunk, super wissenschaftlich: „Asymmetrische changierende Fünf-Parteiensysteme sind fast überall entstanden, Koalitionslotterien, die uns als Wähler begegnen. Wir haben postmoderne Regierungsbildungsprozesse. Wir haben einen Gewissheitsschwund über die Verweildauer des politischen Personals. Ich bin dann mal weg, ist doch ein großes Motto geworden.“

Allein dieser Satz wäre eine eigene Kolumne wert. Aber leider … – lesen Sie ihn sich einfach dreimal hintereinander durch und amüsieren Sie sich allein! Mir geht es hier nämlich um den Beleg, dass er lebt, der Parteienforscher. Im Bayrischen Fernsehen über die Grünen: Grüne Kernthemen wie Umwelt- und Klimaschutz sind längst gesellschaftsfähig. „Werden die Grünen zur Volkspartei? Ja, sagt Parteienforscher Prof. Karl-Rudolf Korte gegenüber Kontrovers. Die Grünen seien in der Mitte der Gesellschaft angekommen.“

Hätte man gar nicht gedacht; nun ja: kein Wunder, so aus der Sandwich-Position heraus. Oder in der „Welt“ der Parteienforscher über die Piratenpartei: „Nischenpolitik: Verschollen im Netz – Piratenpartei droht Versenkung. Karl-Rudolf Korte, Parteienforscher an der Uni Duisburg-Essen, hält das Auf und Ab für ganz normal: „Die Piraten sind noch auf dem Weg der Parteiwerdung“. So ist das: das Auf und Ab ist ganz normal. Ehrlich gesagt: irgendwie hat er mir schon ein wenig gefehlt, der Prof. Dr. Dr. Korte. Vielleicht darf er ja auch bald wieder am Ort oder im (Bundes-) Lande etwas sagen.

Homo neanderthalensis, unbekanntes Exemplar

Kommen wir nun zum Themengebiet Wissenschaft! Etwa zur gleichen Zeit, als es für den Duisburger Forscher ganz normal abwärts ging, gelang Anthropologen ein sensationelles Forschungsergebnis. Nach sehr langem wissenschaftlichen Streit gilt seit einem halben Jahr als bewiesen, dass der Sapiensmensch Familienzuwachs bekommen hatte. Ich erinnere an die Meldung der ARD-„Tagesschau“:

„Gemeinsames Genmaterial – Neandertaler doch mit Menschen verwandt. Lange waren Forscher sich uneins, doch jetzt ist angeblich der Beweis erbracht: Der Neandertaler ist unser Vorfahre. Zu diesem Ergebnis kommt eine Gruppe des Leipziger Max-Planck-Instituts für evolutionäre Anthropologie, die weite Teile des Neandertaler-Erbguts entschlüsselt und analysiert hat. Demnach stammen etwa ein bis vier Prozent des menschlichen Genmaterials vom Neandertaler.
,Das ist eine wissenschaftliche Sensation`, sagte Ralf Schmitz, der als Neandertaler-Experte auch an der Untersuchung beteiligt war, die im amerikanischen Wissenschaftsmagazin ,Science` veröffentlicht wurde.“

Recht hatte er, der Ralf Schmitz: das ist bzw. war eine wissenschaftliche Sensation; doch als Sensation ist sie in unserer Mediengesellschaft nun wirklich nicht behandelt worden. Zugegeben: alle führenden Medien hatten über diesen Erkenntnisfortschritt berichtet – Ende April / Anfang Mai. Ein helles Aufleuchten wie bei einer Supernova. Eine weiterführende Behandlung des Themas in den Fachmagazinen des Fernsehens oder in den Feuilletons der großen Zeitungen?

Fehlanzeige. Dabei wurde in den Jahren und Jahrzehnten zuvor durchaus über die von mir bevorzugte und nunmehr verifizierte Vermischungshypothese berichtet und diskutiert, freilich nicht ohne den Hinweis, dass es sich bei ihr um eine Außenseiterposition in der wissenschaftlichen Community gehandelt hatte. Ob es auch an dem in letzter Zeit auffällig hochgezogenen Spannungsverhältnis zwischen Religion und Evolution liegen könnte.

Kann es sein, dass die Leute nicht so gern an ihre Ursprünge auch beim Neandertaler erinnert werden möchten, und stattdessen eher noch einem Dampfplauderer zuhören würden, wenn der sich nicht dabei erwischen lassen hätte, wie er sich die Kohle für seine wissenschaftliche Reputation in Rüttgers Club zusammenschnorrt? Kann es sein, dass die neuen Erkenntnisse über die Ursprünge der Menschheit gar nicht bis ins Massenbewusstsein vordringen werden, weil der Neandertaler nicht recht integrationsfähig in die gegenwärtig hoch im Kurs stehenden Bekenntnisse zu dieser oder jener Religion passt. Müssen wir damit leben, dass sich politisches Denken auf Kortes „asymmetrische changierende Fünf-Parteiensysteme“ beschränkt. Jedenfalls ist der Neandertaler ausgestorben, während der Typus des infotainenden Parteienforschers fröhliche Urständ feiert.

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