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Merkel und Niebel – gefeiert in New York

Dirk Niebel, der Bundesminister für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung, weilt zur Zeit – zusammen mit der Kanzlerin – auf dem UN-Millenniumsgipfel in New York. Machen Sie sich keine Sorgen: die beiden kommen prima miteinander aus, auch wenn sie mal einen Scherz über ihn gemacht hat. Spaß muss sein. Und mit Dirk Niebel kann man wirklich Spaß haben. 

Heute zum Beispiel hat er erklärt, dass Deutschland bei seinen Zusagen zur Entwicklungshilfe mächtig im Verzug ist. Ein Grund dafür sei – wie könnte es anders sein – die schwere Wirtschaftskrise. Sie erinnern sich: 2009 ging das Bruttoinlandsprodukt um 5 % zurück. Die Bundesregierung hatte sich das Ziel gesetzt, die öffentlichen Entwicklungsleistungen bis 2015 schrittweise auf 0,7 Prozent des Bruttoinlandsprodukts zu steigern. 2009 sollten es 0,5 % werden; es wurden aber nur 0,35 %.
Merken Sie etwas. Niebel meint, das läge an der Wirtschaftskrise, sprich dem Rückgang des BIP. Was wäre eigentlich passiert, wenn 2009 – ohne Krise – das BIP um fünf oder sechs Prozent höher ausgefallen wäre? Achtung: die Entwicklungsleistungen werden in Prozent des BIP dargestellt. Grundwert mal Prozentsatz ist gleich Prozentwert. Hier also: BIP mal 35 geteilt durch 1000 gleich Niebel-Etat.
Wenn das BIP zurückgeht, kommt Deutschland automatisch seinen Milleniumzielen näher, weil der Anteil in Prozent automatisch steigt. Dass es trotz des geschrumpften Grundwertes (BIP) statt 0,5 % nur 0,35 % wurden, besagt nur, dass die Entwicklungsausgaben deutlich zu gering bemessen sind. Etwas umständlich erklärt; ich wollte es aber mal gesagt, also geschrieben haben. Wer weiß, wie die Zeitungen mit diesem Stuss umgehen. 

Ob Niebel absichtlich getäuscht hatte oder dies selbst nicht so ganz durchschaut, kann ich Ihnen nicht sagen. Viel spricht für das Zweite, also die Probleme mit der Prozentrechnung. Denn man kann über Niebel sagen, was man will: er ist in diesen Dingen „ungewohnt deutlich“, wie die FR zurecht findet. „Wir sind im Moment nicht im Plan, das ist richtig“, gestand Entwicklungshilfeminister Dirk Niebel (FDP) am Dienstag ungewohnt deutlich ein. Das sind doch deutliche und ehrliche Worte!
„Deutschland ist bei seinen Zusagen zur Entwicklungshilfe mächtig im Verzug“, schreibt die FR. „Die sogenannte ODA-Quote, die den Anteil der staatlichen Entwicklungshilfe am Bruttonationaleinkommen misst, wird in diesem Jahr gerade einmal 0,4 Prozent erreichen. Angestrebt sind 0,7 Prozent. In der mittelfristigen Finanzplanung bis 2014 sollen die Etatansätze des Entwicklungsressorts sogar sinken.“
Natürlich: etwas zu meckern findet sich immer. So kritisieren Vertreter von Hilfsorganisationen den Vorschlag von Entwicklungshilfeminister Dirk Niebel (FDP), private Spenden auf die öffentliche Entwicklungshilfe anzurechnen. Dies sei „Taschenspielerei“ und „Trickserei“. Langsam, es ist ja nur ein Plan.
„Wir sind im Moment nicht im Plan, das ist richtig.“ Ja, was soll er denn noch sagen, der Niebel?! Das 0,7-Prozent-Ziel gelte weiter, stellte er klar, „nur dass wir das alles nur mit Steuermitteln finanzieren können, das halte ich nicht für sinnvoll und nicht für realistisch“, sagte er laut „Focus“. 

Leicht vergessen wird auch der – von Demonstranten immer wieder geforderte – faktische Schuldenerlass. Auch der – selbstverständlich Entwicklungshilfe! Deshalb wurden auch diese Gelder, die „wir“ ohnehin niemals wiedergesehen hätten, bei der Berechnung der Entwicklungsleistungen mit berücksichtigt.
Inzwischen gibt es aber kaum noch Schulden, die man erlassen könnte. Das führt zu dem Problem, dass künftig anstelle dieses imaginären Buchgeldes echtes, frisches Geld aufgebracht werden müsste, will man irgendwie in der Nähe der bislang berechneten Prozentsätze bleiben. Und jetzt stelle man sich das nur einmal vor: statt Luftnummern echtes Geld, der Prozentsatz soll bis auf 0,7 steigen, bei einem BIP-Wachstum (nach dem Einbruch von 2009).
Das wird, das würde ein bisschen viel. „Wir sind im Moment nicht im Plan, das ist richtig“, spricht Niebel – darauf hinweisend, dass dahin zu kommen weder „sinnvoll“ noch „realistisch“ sei. Überhaupt: die ganze Sache muss unter diesen Umständen völlig anders „verkauft“ werden. Wenn das Durchmogeln („muggling through“) nicht mehr geht, muss ein neuer Ton angeschlagen werden. Ein klarer Fall für die Chefin! 

dpa-Meldung von gestern: „New York – Bundeskanzlerin Angela Merkel will die Entwicklungspolitik neu ausrichten und die Finanzmittel an gute Regierungsführung knüpfen. Entwicklungshilfe könne nicht zeitlich unbegrenzt sein, sagte sie vor dem UN-Millenniumsgipfel in New York. Es komme darauf an, begrenzte Hilfsgelder so nutzbringend wie möglich einzusetzen. Merkel will damit die jeweiligen nationalen Regierungen mehr in die Pflicht nehmen. Sie räumte ein, dass die UN-Ziele zur Armutsbekämpfung nicht bis 2015 erreicht werden könnten. Dennoch blieben die Ziele gültig und müssten konsequent durchgesetzt werden.“
Verstehen Sie? Die Ziele können nicht erreicht werden, bleiben jedoch gültig und müssen deshalb auch konsequent durchgesetzt werden. Respekt! Das macht ihr keiner nach, der guten Frau Merkel. Der schwarze Peter wird in den Süden geschoben, ein griffiges Wort muss her: „ergebnisorientierte Entwicklungshilfe“, dafür lassen sich Bündnispartner finden (unter den reichen Industrienationen), und schon kann die deutsche Regierungschefin stolz einen Erfolg nach Hause melden:
Sie habe eine Vielzahl von Gesprächen geführt und für den deutschen Ansatz der ergebnisorientierten Finanzierung von Entwicklungshilfe „sehr breite Unterstützung bekommen“, sagte sie. Es sei in ihren Gesprächen mit zahlreichen Geberländern immer wieder deutlich geworden, dass der Erfolg der Entwicklungshilfe nicht nur darin bestehe, „dass wir ihnen helfen, sondern dass sie aus dieser Hilfe für die Menschen in ihren Ländern auch das Beste machen“. 

Dieser „Paradigmenwechsel“ ist gelungen. Dem Publikum wird er mit der neuen Erkenntnis begründet, dass es Diktatoren gebe, die das Volk hungern und es sich selbst gut gehen lassen. Frau Merkel berichtet, dass wir immer noch auf Platz 3 stehen – bei den Entwicklungsleistungen, darüber reden wir ja. Nicht über die gesamte Wirtschaftsleistung und schon gar nicht über Waffenexporte. Herr Niebel macht an anderer Stelle mitunter darauf aufmerksam, dass Entwicklungshilfe ohnehin im Zusammenhang mit Außenwirtschafts- und Rüstungspolitik gesehen werden müsse.

Die Rocker nörgeln noch ein wenig. Bob Geldof bekommt ein Küsschen von der Kanzlerin, Bono einen Brief von Niebel. So sind sie nun einmal, diese älteren Herren Gutmenschen, kommt für die Fans daheim rüber. Dass Geldof und Bono nur Deutschland, nicht aber die gesamte reiche Welt scharf kritisieren, wird dabei gewiss übersehen. Die Neuausrichtung deutscher Entwicklungspolitik hat geklappt, die Prüfung auf der großen internationalen Bühne bestanden. Alles ist bestens.

Wer jetzt noch verhungert, hat Pech gehabt.

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