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SPD und PS fordern stärkere wirtschafts- und sozialpolitische Koordinierung in der Europäischen Union

SPE

Die SPD und die französische Parti Socialiste (PS) treten für eine stärkere wirtschafts- und sozialpolitische Koordinierung innerhalb der Europäischen Union ein. In einer gemeinsamen Erklärung, die die Parteivorsitzenden Martine Aubry und Sigmar Gabriel erarbeitet haben, setzen sie sich für eine abgestimmte Wirtschaftspolitik in der EU ein. Dazu „Jede Beschränkung auf nur eines der beiden Ziele schadet dem Wohlstand der einzelnen EU-Staaten und der EU als Gemeinschaft“, heißt es in dem Papier. Ein neuer Stabilitäts- und Wachstumspakt müsse Mechanismen enthalten, mit denen die Auslandsverschuldung und die Leistungsbilanzen der Mitgliedstaaten überwacht werden können. In der Fiskalpolitik fordern die beiden Schwesterparteien als ersten Schritt eine einheitliche steuerliche Bemessungsgrundlage für Unternehmenssteuern und Mindeststeuerkorridore.

Außerdem setzen sich beide Parteien für eine wirksame Finanzmarktregulierung und die Einführung einer europäischen Finanztransaktionssteuer ein. Wenn die EU-Staats- und Regierungschefs bei der Einführung einer solchen Steuer keine Fortschritte erzielten, müsse der politische Druck weiter erhöht werden. Das durch den Vertrag von Lissabon neu geschaffene Instrument einer Europäischen Bürgerinitiative sei hierbei ein geeignetes Instrument. SPD und PS fordern zudem einen „Pakt für sozialen Fortschritt“. Darin soll das Prinzip eines Mindestlohns festgeschrieben werden, dessen Höhe in den Mitgliedstaaten differieren könne. Darüber hinaus sollen Korridore für den Anteil der Sozial- und Bildungsausgaben an den nationalen Bruttoinlandsprodukten verankert werden.“

Hier die Erklärung im Wortlaut:

Gemeinsame Erklärung der Sozialdemokratischen Partei Deutschlands und der Sozialistischen Partei Frankreichs zur verstärkten wirtschafts- und sozialpolitischen Koordinierung in der Europäischen Union

0. Folgen der Finanzkrise gefährden den europäischen Zusammenhalt und das europäische Projekt

Die Kräfte des entfesselten Finanzmarkts haben das internationale Finanzsystem an den Rand des Zusammenbruchs gebracht und haben zur schwersten Wirtschaftskrise seit 80 Jahren geführt. Unverändert droht der Verlust von Millionen von Arbeitsplätzen. Um Banken vor der Zahlungsunfähigkeit zu bewahren, den Kreditbedarf der Wirtschaft zu decken und den Finanzsektor insgesamt zu stabilisieren, waren Regierungen weltweit gezwungen, neue Schulden in erheblichem Maße aufzunehmen.

Zugleich sind viele Banken mittlerweile zur Tagesordnung zurückgekehrt, agieren nahezu unverändert und orientieren sich ausschließlich an der Maximierung des share holder values. Deutlich wird dies unter anderem an hohen Vergütungen, die im Jahr 2009 trotz der Krise weiter gestiegen sind. Zugleich hat die in erheblichem Maße gestiegene Schuldenlast vieler Staaten dazu geführt, dass weniger Zukunftsinvestitionen in Bildung, Forschung und Entwicklung getätigt werden und weniger Mittel zur

Finanzierung der Sozialsysteme zur Verfügung stehen. Wir sind davon überzeugt, dass diese Entwicklung und die daraus resultierende Aufspaltung der Gesellschaft den sozialen Zusammenhalt in unseren Ländern gefährdet, sowie den Zusammenhalt der gesamten Europäischen Union.

Die Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD) und die Sozialistische Partei Frankreichs (PS) wollen zum Schutz der Bürgerinnen und Bürger unserer beiden Länder und in der Europäischen Union, zur Verhinderung einer weiteren Finanzkrise und zum Erfolg der gesamten EU beitragen und veröffentlichen im Folgenden ihre gemeinsamen Vorschläge zur Verbesserung der europäischen Wirtschafts- und Finanzpolitik.

1. Ausgeglichenes und abgestimmtes Wirtschaftswachstum aller EU-Staaten

Nachhaltiges Wirtschaftswachstum in der EU erfordert ein Gleichgewicht von exportorientierter Wettbewerbsfähigkeit und Binnennachfrage in allen EU-Staaten. Ungleichgewichte zwischen den EU-Staaten fördern die Verschuldung und beeinträchtigen dadurch die Stabilität des Euro. Erstrebenswert sind deshalb tendenziell ausgeglichene Leistungsbilanzen zwischen allen EU-Staaten.

Um dies zu erreichen, müssen die „Überschussländer“ ihre Binnennachfrage stärken und die „Defizitländer“ die Wettbewerbsfähigkeit ihrer Wirtschaft verbessern. Jede Beschränkung auf nur eines der beiden Ziele schadet dem Wohlstand der einzelnen EU-Staaten und der EU als Gemeinschaft. Wir setzen uns für starke Volkswirtschaften ein. Die Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer müssen am Volkseinkommen angemessen beteiligt werden. Um dies zu erreichen, muss die Lissabon-Nachfolgestrategie „EU 2020“ entsprechend ausgestaltet und mit mehr Verbindlichkeit ausgestattet werden.

2. Gemeinsame Instrumente zur Krisenvorbeugung und zum Krisenmanagement

Die bestehenden nationalen und europäischen Institutionen zur Kontrolle der Finanzmärkte haben versagt. Zur Bekämpfung von Spekulationen und zur Vorbeugung einer erneuten Finanzkrise setzen wir uns für eine wirksame Finanzmarktregulierung einschließlich der Einführung einer europäischen Finanztransaktionssteuer gemeinsam mit unseren Partner in der Sozialdemokratischen Partei Europas und mit der Sozialdemokratischen Fraktion im Europäischen Parlament ein. Wenn die Regierungen der EU-Mitgliedstaaten hierbei keine konkreten Fortschritte erzielen, muss der politische Druck auf die europäischen Institutionen und die Regierungen der Mitgliedstaaten erhöht werden. Das durch den Vertrag von Lissabon neu geschaffene Instrument der Europäischen Bürgerinitiative ist hierfür ein geeignetes Instrument.

Um ein Auseinanderbrechen der Währungsunion zu vermeiden, treten wir zudem für eine Verbesserung des Stabilitäts- und Wachstumspakts ein. Eine solche Vereinbarung muss auch Mechanismen enthalten, mit denen die Auslandsverschuldung und die Leistungsbilanzen der Mitgliedstaaten überwacht werden können. Darüber hinaus setzen wir uns für die Vereinbarungen eines europäischen Pakts zur Außenhandelspolitik ein. In diesem muss die Beachtung von sozialen und von Umweltstandards in den

Außenwirtschaftsbeziehungen der EU und deren Verankerung in internationalen Handelsregelwerken festgeschrieben werden.

Zugleich muss die Europäische Union noch stärker zu einer politischen Union fortentwickelt und die von unseren Parteien immer wieder geforderte stärkere wirtschaftspolitische Koordinierung in Form einer europäischen „Wirtschaftsregierung“ endlich konkretisiert werden.

Darüber hinaus muss die EU über eine unabhängige Möglichkeit zur Bewertung der Kreditwürdigkeit ihrer Mitgliedstaaten durch eine unabhängige europäische Ratingagentur verfügen. Eine europäische Ratingagentur sollte in bestehende Strukturen der EU integriert werden.

Neben einer verbesserten Finanzmarktregulierung benötigt die EU wirksame Instrumente, um Finanzkrisen zu lösen, wenn vorbeugende Maßnahmen versagt haben. Wir brauchen einen europäischen Mechanismus für verbesserte Finanzmarktstabilität. Derzeit verfügt die EU über kein Verfahren für den Umgang mit überschuldeten und von Zahlungsunfähigkeit bedrohten Mitgliedstaaten. Insbesondere muss sichergestellt werden, dass spekulative Attacken gegen Mitgliedstaaten nicht zu hohen Mehrausgaben durch spekulativ überhöhte Zinsen führen. Ein solcher Mechanismus ist ein geeigneter Schritt zur Finanzmarktstabilisierung, ohne dass die Unabhängigkeit der Europäischen Zentralbank angetastet wird. Er könnte in die Strukturen der EZB oder einer bestehenden EU-Agentur integriert werden.

3. Eine verbesserte europäische Steuerpolitik

Eine erfolgreiche Währungsunion braucht eine bessere Abstimmung der einzelstaatlichen Fiskal- und Wirtschaftspolitiken. Andernfalls bleibt die Gefahr bestehen, dass einzelne EU-Staaten wirtschaftspolitisch erfolgreich sind, andere dagegen auf den finanziellen Bankrott zusteuern. Unser Ziel ist eine EU, die gemeinsam erfolgreich ist.

In der Fiskalpolitik wäre ein erster wichtiger Schritt eine einheitliche steuerliche Bemessungsgrundlage für Unternehmenssteuern und Mindeststeuerkorridore. Dies würde dazu dienen, dass alle EU-Staaten ein Mindestmaß an Einnahmen hätten. Damit wird u.a. die Voraussetzung dafür geschaffen, dass die Mitgliedstaaten die notwendigen Mittel zur Verfügung haben, um in Forschung und Bildung sowie nachhaltige Infrastruktur zu investieren.

Zudem würde eine bessere Abstimmung in Fragen der Fiskalpolitik einem ruinösen Steuerwettbewerb zwischen den EU-Staaten vorbeugen.

4. Ein Sozialer Stabilitätspakt für Europa

Die europäische Integrationsdynamik hat bis heute in erster Linie „marktschaffend“ und nicht „marktkorrigierend“ gewirkt. Aus dieser Form der sogenannten „negativen Integration“ ist ein System von Wettbewerbsstaaten entstanden, die innereuropäisch um Finanzinvestitionen und Produktionsstandorte konkurrieren und dabei dem Versuch erliegen, durch Dumpingstrategien in der Lohn-, Steuer- und Sozialausgabenpolitik Wettbewerbsvorteile zu erzielen. Dagegen haben die Mitgliedstaaten den positiven  Ansatz vergessen, der die europäische Integration begründet hat und auf der Bereitschaft zu „gegenseitigem Lernen“ beruhte (positive Integration).

Die Verstärkung der wirtschaftlichen und sozialen Heterogenität der EU durch die Erweiterungen 2004 und 2007 sowie die Globalisierung haben diese destruktive Entwicklung verstärkt. Wenn nun für die neue „Europa 2020“- Strategie ausschließlich ein Minimalkonsens über unambitionierte und unverändert unverbindliche Ziele festgeschrieben wird, besteht die Gefahr, dass diese Asymmetrie bestehen bleibt und die soziale Dimension Europas nicht gestärkt wird.

Es geht nicht darum, eine Vereinheitlichung der Sozialsysteme der Mitgliedstaaten mit ihren spezifischen Traditionen und Regeln anzustreben. Aber die Schaffung eines gemeinsamen europäischen Rahmens im Bereich der Sozialpolitik würde die Konvergenz in einigen Feldern der nationalen Sozialpolitik erleichtern. Die EU muss zurückfinden zur Idee des “double engagement“, indem sie die wirtschaftliche Integration durch die soziale Dimension ergänzt.

Dieses Ziel muss in Form eines europäischen Pakts für sozialen Fortschritt verankert werden. Darin würden die Mitgliedstaaten Folgendes vereinbaren:

• das Prinzip eines Mindestlohns, dessen Niveau Staat für Staat unter der Berücksichtigung der nationalen wirtschaftlichen Entwicklung vereinbart wäre. Ein am jeweiligen nationalen Durchschnittslohnniveau orientierter prozentualer Wert – etwa 60% – könnte eine Untergrenze einziehen. Den Mitgliedstaaten stünde es frei, für ihr Land höhere Mindestlöhne einzuführen.

• einen Prozess von sozialer Konvergenz mit prozentualen Werten für Sozial- und Bildungsausgaben, in Abhängigkeit vom erzielten Bruttoinlandsprodukt pro Kopf (BIP) jeden Staates. Diese Konvergenzbewegung kann eine Angleichung der Ergebnisse der Sozialpolitiken erleichtern, ohne auf eine Harmonisierung abzuzielen, die aufgrund der spezifischen Traditionen der einzelnen Mitgliedstaaten nur schwer zu erreichen wäre.

Bildung gilt als eines der wichtigsten Instrumente zur Verwirklichung von Chancengleichheit und zur Ermöglichung des individuellen sozialen Aufstiegs wie auch zur Stützung der ökonomischen Leistungsfähigkeit. Zu den Bildungsausgaben zählen die Finanzierung von Kindergärten, Schulen, Universitäten, beruflicher Bildung und weitergehender fachlicher Ausbildung, wobei hier nicht zwischen öffentlichen und privaten Maßnahmen unterschieden wird. Vergleichbar zu den Korridoren für Sozialausgaben sollten für mehrere Staatengruppen Ziele zur Steigerung der Bildungsausgaben auf europäischer Ebene vereinbart werden, die unterschiedlichen regionalen Entwicklungen und Bedürfnissen Rechnung tragen. Jedem Land stünde es frei, über diesen Rahmen hinaus mehr Mittel für die Bildungspolitik bereitzustellen.

5. Fortschritt statt Stillstand

Die konservativen Regierungen unserer beiden Länder haben darin versagt, die EU auf neue und aktuelle Herausforderungen vorzubereiten. Beide Regierungen sind bestrebt, den Status Quo aufrechtzuerhalten. Die Verteilung des Wohlstandes wird immer ungerechter. Die Bürger erwarten aber Fortschritte, die sie am Wohlstand angemessen beteiligen. Wir, die Sozialdemokraten und Sozialisten in Deutschland und Frankreich, werden gemeinsam mit den Schwesterparteien innerhalb der Sozialdemokratischen Partei Europas und der Sozialdemokratischen Fraktion im Europäischen Parlament dafür einsetzen, die Folgen der Wirtschafts- und Finanzkrise weitgehend einzudämmen, Wohlstand für möglichst alle Menschen zu sichern und sozialen Fortschritt zu verwirklichen. Die Verursacher der Krise müssen an den Folgekosten beteiligt werden. Hierfür werden wir uns auf der nationalen, europäischen und internationalen Ebene gemeinsam einsetzen.

Berlin, 16. Juni 2010

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