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10 Jahre nach der Loveparade-Katastrophe: Adolf Sauerland im Gespräch mit Xtranews

In dieser Woche jährt sich zum 10. Male die Katastrophe der Loveparade. Es kamen 21 junge Menschen in Duisburg ums Leben. 20 starben am 24.07.2010, ein weiteres Opfer  in den Tagen danach. Es ist eine Narbe in unserer Stadt, die ewig bleiben wird, die immer wieder aufbricht. 21 Tote und für viele Menschen nur EIN Verantwortlicher: Der damalige Oberbürgermeister Adolf Sauerland.

Bereits einen Tag nach einer misslungenen Pressekonferenz stand für Viele fest, dass der Mann, der den wirklich unglücklichen Satz sagte: „Ich habe nichts unterschrieben“- zur Verantwortung gezogen werden musste.

Schnell formierten sich Abwahlinitiativen. Es wurden immer neue Informationen aus internen Kreisen durchgestoßen. Viele, die der Richter 10 Jahre später als verantwortlich, wenn auch nicht im strafbaren Sinne bezeichnete, ducken sich ganz schnell weg. Es gibt ja einen Schuldigen, den man hängen sehen will: Adolf Sauerland.

Nach der geglückten Abwahl wird über einen Neuanfang für Duisburg diskutiert. Über einen unabhängigen

Sören Link MdL

Kandidaten, der über den Parteien steht und die Stadt wieder versöhnen soll. Ein Wirtschaftsprüfer, ein Gewerkschafter und sogar der Vorsitzende der jüdischen Gemeinde kommen ins Spiel und treten sogar gegeneinander an, nachdem sich die Parteien nicht einigen können. Sie treten gegen einen Landtagsabgeordneten an, der dann sogar die Wahl gewinnt. Sein Name: Sören Link. Seine Partei: Die SPD.

10 Jahre danach fragt man sich aus der Distanz:

Was wäre gewesen, wenn Adolf Sauerland nicht auf seine Berater gehört hätte und statt zur Pressekonferenz einfach in den Tunnel gegangen wäre und mit den Menschen getrauert hätte?

Was wäre gewesen, wenn unsere Redaktion nicht die aus dem Untersuchungsausschuss des Landtages heraus zugespielten Loveparadeunterlagen veröffentlicht hätte? 

Was wäre gewesen, wenn der Mann, auf den alle eingeprügelt haben, statt zu schweigen einfach geredet hätte?

Vielleicht wäre heute vieles anders in dieser Stadt.

Genau diese Fragen habe ich nächtelang mit dem Gründer der Xtranews-Redaktion Thomas Rodenbücher diskutiert. Einst wurde die Xtranews-Redaktion von der Stadt Duisburg und Adolf Sauerland verklagt, nachdem er einen Teil der einst zugespielten Dokumente veröffentlicht hatte. Zahlreiche Medien berichteten (unter anderem auch die Ruhrbarone). Denn sein Antrieb war es bis zu seinem Tod vor einem Jahr Licht ins Dunkle um der Vorgänge um die Loveparadekatastrophe zu bringen.

Jetzt bin ich unterwegs nach Walsum, um in seinem Gedenken das Interview zu führen, auf das er bis zu seinem Tod gewartet hat. Zum ersten Mal spricht Adolf Sauerland, ehemaliger Oberbürgermeister von Duisburg über seine Sicht zu den Dingen, die damals geschehen sind.

Ich fahre nach Walsum in dem Wissen, dass es nicht Xtranews sein wird, die endgültig Licht in dieses Drama und Intrigenspiele bringen wird. Dafür sind wir zu klein. Dafür gibt es den Spiegel, Focus und die öffentlich rechtlichen Sender mit einem großen Recherche-Teams.

Ich war verwundert, dass Adolf Sauerland Xtranews aus Duisburg genau dieses erste Interview nach 10 Jahren zusagt.  Genau der Xtranews, die vor fast 10 Jahren die internen Unterlagen aus dem Landtag veröffentlicht hat, die maßgeblich zu seiner Abwahl beitrugen.

Ich fahre von der A 59 in Walsum ab. Eigentlich sollte ein Anderer im Wagen sitzen und nach 10 Jahren das Interview führen, auf das er so lange gewartet hat. Ich weiß, dass er von irgendwo her jetzt dabei ist. Es ist sein Interview. Ich bin nur diejenige, die es für ihn führt.

XN: Herr Sauerland, vieles ist passiert, viel Zeit ist ins Land gezogen. Ich schlage vor, dass Sie erst einmal erzählen, was wie aus Ihrer Sicht passiert ist und wie Sie es bewerten.

AS: „Es gab eine Veranstaltung vor 10 Jahren in Duisburg, die von einem privaten Unternehmen durchgeführt wurde. Die Veranstaltung ist (weil Berlin sie nicht mehr wollte) über den Regionalverband Ruhr damals in einer 5-Jahres-Planung ins Ruhrgebiet geholt worden. Die Stadt Essen sollte als Erster diese Veranstaltung austragen, danach Dortmund. Laut Originalplan wäre 2009 Duisburg an der Reihe gewesen, 2010 Bochum und 2011 Gelsenkirchen. Weil der Deckel auf der Bahnhofsplatte noch nicht gesetzt war, konnten wir hier einen Tausch erzielen. So richtete 2009 die Stadt Bochum die Loveparade aus. 2010 sollte sie dann in Duisburg durchführbar sein.

IN der Stadt Duisburg und nicht DURCH die Stadt Duisburg

Wir haben die ersten beiden durchgeführten Loveparades in Essen und Dortmund gesehen. Als 2009 Bochum an der Reihe gewesen wäre, sagte man dort: „Nein, wir haben kein passendes Gelände, um eine solche Veranstaltung durchführen zu können“. 

In der Zeit liefen bereits die Planungen in Duisburg für 2010. 

Wichtig hierbei ist zu erwähnen, dass der Veranstalter derjenige war, der sich ein Grundstück für seine Veranstaltung aussuchen musste. Er war der, der zusehen musste, ob er die Rechte zu diesen Grundstücken erhielt, oder nicht. Für dieses Gelände musste er die entsprechenden Genehmigungen bei der Stadt beantragen. Dies erfolgte dann auch. 

Diese Planung war in Duisburg Ende 2009 schon durch. Daraufhin kam es zu zahlreichen Diskussionen, was bei Veranstaltungen einer solchen Größenordnung völlig normal ist. Was muss noch genehmigt werden? Wie wird es genehmigt? Ich denke, in der Beziehung ist die Stadt sehr hart geblieben und hat alles, was notwendig war auch verlangt. 

Am Ende dieses Prozesses kam es zu einer Genehmigung. An der Planung waren auch alle Sicherheitsbehörden mit beteiligt,-sogar die auf Landes- und Bundesebene.

Unter anderem wurde auch die Bundespolizei mit eingebunden, da dieses Gelände zur Bahnaufsicht gehörte.

Alle haben in diesem Planungsprozess ihre Vorstellungen, Bedenken und auch Vorschläge mit einbringen können. Dieses war Bestandteil des Prozesses und zum Schluss gab es dann ein Sicherheitskonzept. 

Ganz wichtig sei hierbei zu betonen, dass es das Konzept des Veranstalters war. Genehmigungsfähig! 

Der Veranstalter selbst hat die entsprechende Untersuchung durch veranstaltungserfahrene Personen durchführen lassen. Es waren alles Personen, die Ahnung von Großveranstaltungen hatten. Uns wurden entsprechende Zahlen vorgelegt, die dann von der Verwaltung gegen geprüft werden mussten. 

Quelle: Stadt Duisburg

Zum Schluss waren alle Beteiligten einverstanden und die Kollegen haben sogar noch ein zusätzliches Gutachten eingeholt. 

Hierfür gab es einen einfachen Grund: 

Die Duisburger Verwaltung konnte die Zahlen selbst nicht dahingehend bewerten und prüfen, ob diese realistisch für das Güterbahnhofsgelände sind. 

Die Verwaltung wollte ausschließen können, dass von diesem Gelände eine Gefahr ausgehen kann. 

Dies ist über einen der wenigen Experten erfolgt, der sich in diesem Bereich auskennt. Er hatte einen Lehrstuhl an der Universität Duisburg.  Von dort aus wurde der Verwaltung bestätigt, dass alles in Ordnung sei.  „So könne die Veranstaltung ausgetragen werden.“ wurde erklärt. Daraufhin hat es eine Genehmigung für den Veranstalter gegeben und es fand dann diese Veranstaltung mit dem schrecklichen Ende statt. Eine Veranstaltung, bei der man im Nachgang diskutieren kann: „Muss man sie unbedingt haben, oder nicht“. 

Damals, als der Vorschlag kam, die Loveparade ins Ruhrgebiet zu holen, war ich nicht begeistert von dieser Idee. Ich mochte ohnehin keine Veranstaltungen, die woanders abgesagt wurden.

Doch das Ruhrgebiet schrie: „Wir machen das!“ 

Wir als Stadt Duisburg wollten nach den World Games 2005 lieber die World Games innerhalb des Kulturjahres 2010  nochmal austragen.  Wir hatten damals die Zusage vom IWGA, aber leider ist es dann doch nicht mehr dazu gekommen. Die Haushaltssituation der Stadt Duisburg war damals kritisch. Die Kommunalaufsicht, die damals über den Haushalt  wachte (heute kaum noch wacht) hat es uns untersagt. Das Geld der Stadt Duisburg durfte damals nur für Pflichtausgaben ausgegeben werden. Somit mussten wir leider auf die World Games 2010 verzichten. 

Damit hatten wir dann die Loveparade. 

Hierbei sei zu erwähnen, dass Loveparade vom Rat der Stadt zweimal behandelt wurde. Beim ersten Mal ging es um die grundsätzliche Bewerbung der 5 Städte. 

Alle Fraktionen im Rat haben der Loveparade zugestimmt, bis auf Eine

Diese Fraktion merkte aber lediglich an, dass die Veranstaltung für die Stadt Duisburg zu teuer werden täte. Aus diesem Grunde war man dagegen. In der 2. Sitzung, kurz vor der Austragung wurde dann über alle Fraktionen hinweg einstimmig beschlossen, dass man sich freuen würde, dass die Loveparade nach Duisburg kommt. 

Im Nachgang wollte es keiner mehr wissen, als dieses Desaster dann sein Übriges tat.

XN: Die Loveparade-Katastrophe jährt sich nun zum 10. Mal. Der Prozess wurde vor einigen Monaten eingestellt. Was ging in diesem Moment in Ihnen vor?

AS: „Die Einstellung des Prozesses war ja in dem Sinne keine Einstellung des Richters. Und er sagte ja auch nicht, dass es keine Verurteilten gäbe. Er hat die Begründung zur Einstellung des Prozesses sehr dezidiert ausgeführt. Ich denke, die Darstellungen des Richters sollten für Alle ein wenig Pflichtlektüre sein, damit sie auch wirklich erkennen, wofür die Stadt Duisburg verantwortlich war und wofür die anderen Beteiligten verantwortlich waren.

Diese Menschen gehen heute noch fröhlich durchs Leben und das bereits seit 10 Jahren….häufig mit dem Argument, damit nichts mehr zu tun haben.

Es ist nicht meine Aufgabe die Erklärung zur Prozesseinstellung zu verbreiten, aber für diejenigen, die Interesse an Aufklärung haben, ist die entsprechende Verfügung des Landgerichtes schon sehr aufschlussreich.

XN: Wie sehen Sie die Aufarbeitung der aktuellen Stadtspitze zur Katastrophe?

AS: „Hierauf werde ich keinerlei Kommentar zu abgeben. Ich kann nur sagen, dass ich im 1. Jahr nach der Katastrophe bis hin zu meiner Abwahl vieles gehört habe. Viele Sachen habe ich nicht bestätigt bekommen, weil ich in dem Verfahren nicht mehr drin war. 

Wir haben nach der Katastrophe mit dem Land mehr oder weniger ein Agreement gehabt, das die Betreuung der Angehörigen und aller anderen in Mitleidenschaft gezogenen Menschen vom Land NRW übernommen wird. 

Das war für uns damals schon eine enorme Erleichterung. Wir als Haushaltssicherungskommune hätten dazu gar nicht die finanziellen Mittel gehabt. Das Land hatte sich dazu bereit erklärt diese Kosten  gänzlich zu übernehmen und hat auch entsprechende Institutionen damit beauftragt. Somit waren wir als Stadt Duisburg eigentlich außen vor. Wir haben gelegentlich versucht anzufragen, um Informationen zu erhalten. Die erhaltenen Informationen waren sehr spärlich. Eine direkte Kontaktaufnahme hat man immer wieder negiert, weil die Angehörigen und Betroffenen in Anführungszeichen keinen Kontakt zur Stadt wollten. 

Heute weiß ich mehr, aber heute ist es für die Aufarbeitung völlig irrelevant

Ich habe nach meiner Abwahl zu einigen dieser Menschen Kontakt aufgebaut. Die Kontaktaufnahme ging aber von den Betroffenen aus. Ich denke, wir haben uns weitestgehend über Dinge geeinigt. Wir haben ein vertrauensvolles und freundschaftliches Verhältnis über die Jahre aufbauen können. Wir reden miteinander und sehen zu, dass wir das, was wir gemeinsam regeln können, auch gemeinsam geregelt bekommen. Die heutigen Situationen der Betroffenen sind mit bekannt. 

Ich bin der Meinung, es ist authentischer, wenn man mit den Menschen persönlich spricht. 

Sie können Anderen besser vermitteln, was bei dem Unglück abgelaufen ist – vor allem was und wie sie es persönlich erlebt haben. 

Ich möchte keine neuen Halbsätze erzeugen, die dann dazu führen, dass der Eine oder Andere in dieser Republik meint, er müsse wieder los peitschen und neue Geschichten erfinden. Davon hatte ich genug. Genau das habe ich ein Jahr lang mitgemacht. 

Es gab aber auch Resonanzen, die mir zugetragen wurden, die lauteten, dass man das Prozedere gegen mich damals nicht prickelnd fand und der Umgang mit mir nicht ganz fair gewesen sei. 

Doch nicht wenige Leute waren der Meinung, genau dieses Vorgehen wäre der richtige Weg der politischen Auseinandersetzung gewesen.“

XN: Wie haben Sie die Katastrophe erlebt? Wie war das für Sie persönlich?

AS: „Ich war damals im Urlaub. Ich wollte gar nicht zur Loveparade zurückkommen. Meine Aufgabe bestand damals darin, die Geldflüsse mit dem Land zu koordinieren. Mehr auch nicht. 

Es war auch nicht meine Veranstaltung. Man hatte mich dann dazu überredet, nicht wie geplant das Jubiläum der Schutzhütte der Stadt Duisburg zu besuchen, sondern zurück zu kommen, um die Teilnehmeranzahlen zu veröffentlichen, auf die man sich geeinigt hatte.

Als ich beim Genehmigungsprozess hörte, dass diese Veranstaltung überall mit 1,5 Mio. Besuchern verkauft wurde, obwohl jeder wusste, dass es nie zu Besuchern in dieser Größenordnung kommen würde, war das damals für mich der Punkt, warum ich damit nichts zu tun haben wollte.

Solche verlogenen Klamotten wollte ich dort nicht verkaufen

Deshalb habe ich auch auf der Pressekonferenz gesagt, dass diese Anzahl, die man immer wieder vor Augen hatte,

Photo: Stephan Meiners | Xtranews-Pool

– diese 1,5 Mio. Menschen in Duisburg, anlässlich der Loveparade – eine Verdoppelung der offiziell angegebenen Anzahl sei. Die damals berichtete Verzehnfachung war einfach falsch. Die Zahlen aus Dortmund entsprachen auch nicht der Wahrheit und die Zahlen aus Essen waren ebenfalls falsch. Ob die Zahlen aus Berlin stimmten, weiß ich nicht. Im Nachgang kann man nur sagen, diese Veranstaltung guten Glaubens ins Ruhrgebiet geholt wurde. Vielleicht hätte man damals etwas genauer hingucken sollen. Diese Veranstaltung hatte, als sie ins Ruhrgebiet kam, nicht mehr den gleichen Glamour wir in Berlin.“

XN: Was ging in Ihnen vor, als man Ihre Abwahl forderte?

AS: „Das steigerte sich ja von Mal zu Mal. Es steigerte sich, indem man nicht mehr differenzierte. Die heimische Presse ging hin und stellte alles, was falsch gemacht wurde, als Fehler der Stadt Duisburg hin, obwohl diese nachweislich nicht dafür verantwortlich war. Es gab immer wieder Leute, die sagten: „Du musst zurücktreten!“ – Dies war für mich nie ein Thema. In einer solchen kritischen Situation verlässt der Kapitän die Brücke nicht. Man hält durch und versucht die Wahrheit heraus zu finden.

Genau das war aber nicht möglich. Es gab nur noch Geschichten. Jeden Tag eine Neue, die an den Haaren herbeigezogen wurde. Man kann in einer solchen Situation nur seinen Job fortsetzen und hoffen, dass die Menschen diesen Geschichten keinen Glauben schenken. Es hatte aber letztendlich für genug Stimmen gegen mich und einer Abwahl ausgereicht. Damit war das Thema dann auch für mich beendet. Ich meine jetzt nicht das Thema Loveparade, sondern das Thema Oberbürgermeister.

Adolf Sauerland während der Pressekonferenz

Das Thema Loveparade ist durch die Traumatisierten zum Thema für mich geworden. In den letzten Jahren hat sich das Verhältnis zwischen den Menschen und mir geändert. Viele von ihnen haben mittlerweile eine differenzierte Meinung zu dem, was damals abgelaufen ist.“

XN: Viele Freunden entpuppen sich im Nachgang als Feinde. Was war für Sie das Schlimmste Erlebnis in der Zeit nach der Katastrophe? Wer hat Sie menschlich am meisten enttäuscht?

AS: „Da will ich nicht bewerten. Es war schon eine Erfahrung, die man nicht unbedingt im Leben machen muss. Aber man hat auch wirklich Menschen kennen gelernt, die wissen, wie man handelt, die wissen, wie man denkt, die wissen wie man lebt und gehen in die Öffentlichkeit und behaupten genau das Gegenteil. Für mich war am 1. Tag nach der Loveparade schon schockierend zu sehen, wer sich alles zu Wort gemeldet hat. 

Zum Teil waren es Leute, die während meines Österreich-Aufenthaltes in meinem Büro alles daran setzten um noch an VIP-Karten vom Veranstalter zu kommen. Genau diese Personen blähten sich tags darauf in den Medien gegen mich auf, erzählten dann, was ich alles verkehrt gemacht hätte. 

Das war harter Tobak für mich. 

Wenn man diesen Personen heute begegnet, kostet es mich schon Überwindung zu sagen:  „Vergessen wir mal, was damals war und sehen es heute mal anders. – Einfach nur politisch. Jetzt hast du mit Politik nichts mehr zu tun und kannst alles normal sehen.“ – Es klappt nicht immer,aber meistens schon.“

XN: Inwieweit haben Sie es in Betracht gezogen, dass die Loveparade-Katastrophe von Anfang an als Anlass genommen wurde die Machtverhältnisse in Duisburg zu ändern?

AS: „Zu Anfangs habe ich es nicht glauben wollen, mittlerweile schon. Es gab so viele Hinweise darauf, wer welche Rolle gespielt hat. Spätestens nach dem Film, den der WDR dazu gedreht hatte,kam auch mir diese Erkenntnis. In dieser Dokumentation wurden auch damalige Wahlkämpfer der SPD interviewt.

Spätestens hier erkannte ich an den Aussagen, das man von Seiten der SPD schon in der Nacht der Katastrophe zum Angriff geblasen hatte.

Es wurde koordiniert das zurück zu erlangen, was man einst 2004 verloren hatte und 2009 nicht wiedergewinnen konnte. (Das Amt des Oberbürgermeisters und die Ratsmehrheit-Anm. d. Red.)

Man hat die Katastrophe mit 21 toten Menschen sofort als Anlass ausgenutzt, um Politik zu machen.“

XN: Was würden Sie in der Kommunikation mit Ihren ausführenden Stellen heute anders machen?

AS: „Das sind so Fragen, die kann man sich stellen. Das wäre genau so, als würde sich ein Historiker fragen: Was wäre gewesen, wenn jemand anderes die Schlacht gewonnen hätte? Was wäre aus dem Staat geworden? 

Das sind hypothetische Fragen. Es ist schwierig in einer solchen Situation, auf die wirklich keiner in der Stadt Duisburg und in der Verwaltung vorbereitet war, adäquat reagieren zu können. Man muss sich das mal vor Augen halten. Zunächst ging man an die Öffentlichkeit um zu verkünden, wie viele Menschen in der Stadt zugegen sind. Als man zum Pressezentrum zurückkam, teilte man mit, dass es bereits 10 Tote gab. So viele waren es anfangs. Die Anzahl stieg an. 

Die Mitarbeiter vor Ort hatten die Aufgabe alles mehr oder weniger menschlich zusammen zu halten, damit die Veranstaltung ohne weitere Katastrophen zu Ende geführt werden konnte. Man war völlig ausgebrannt und man sollte sofort am nächsten Tag reagieren. 

Ich würde sagen, dass man nach einer solchen Katastrophe niemals eine Pressekonferenz tags darauf geben sollte. 

Rückblickend auf die gestellten Fragen, kannte man die politische Intention, die dahintersteckte, ohne dass Diejenigen überhaupt wussten, was dort vor Ort wirklich abgelaufen ist. Das ging dann auch so weiter und ich kam eigentlich erst zur Ruhe, nachdem ich keine Politik mehr hatte. So konnte ich wirklich wieder zu mir finden.“

XN: Was haben Sie in den letzten 10 Jahre verbracht?

AS: „Gearbeitet,mein Leben umgestellt und es auf neue Schwerpunkte ausgerichtet.“

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In Kürze werden alle Taten verjähren. Niemand kann mehr belangt werden, selbst wenn er ein offizielles Geständnis ablegt.

Seit 10 Jahren warten die Familien der Toten auf eine Erklärung, eventuell auf eine Bitte um Entschuldigung derer, die sich bisher vor Strafen fürchteten und schwiegen.

Adolf Sauerland hat einen ersten Schritt zu einer weiteren Aufarbeitung der Katastrophe gemacht.

Der Richter hat bei der Einstellung des Verfahrens dezidiert ausgeführt, wie die verschiedenen Verantwortlichkeiten ausgesehen haben.

Viele der Verantwortlichen gehen weiter fröhlich durchs Leben hat Adolf Sauerland erklärt.

Wir wissen, dass viele von den Verantwortlichen, die nie rechtlich belangt werden konnten diesen Xtranews-Bericht lesen oder untereinander weiter leiten.

Der Schluss dieses Artikels ist speziell für sie. Es sind Ausschnitte der Funksprüche zum Zeitpunkt der Katastrophe…… Aber damit haben sie ja nichts zu tun….

17.01 Uhr, Handyanruf bei der Polizei: (Geschrei im Hintergrund) „Hallo S. hier. Wir haben hier eine tote Person. Eine Person ist ex. Direkt am Ausgang. Am Ausgang, am Eingang zur Loveparade. Am Eingang zur Loveparade. Eine tote Person, vielleicht auch zwei. Vielleicht auch zwei. Bitte, Notarzt. Wir brauchen Notarzt.“

17.03 Uhr „Wir müssen diesen Tunnel leerkriegen, die Leute kippen uns da um.“

17.06 Uhr „Auf der östlichen Seite der Rampe dringend Kräfte, dringend Kräfte, dort liegen auch schon mehrere Bewusstlose, wir brauchen dringend weitere Kräfte östliche Seite Rampe.“

17.29 Uhr: „Jetzt durch unsere Kräfte gemeldet: 15 bis 20 Tote!“

17.36 Uhr Der Hundertschaftsführer will die Veranstaltung beenden. „Wir haben hier erhebliche Tote an der Rampe liegen. Und als Zweites bitte brauchen wir Notfallseelsorger.“

17.48 Uhr „Wir haben hier Kollegen, die bräuchten psychologische Betreuung. Die haben die Toten herausgezogen. Es muss da aussehen wie auf dem Schlachtfeld. Wann wird hier endlich die Musik ausgemacht? Das ist eine ernst gemeinte Frage. Es soll eine Loveparade sein und keine Tottretparade.“

Das Gerlach-Gutachten, welches für den Prozess angefertigt wurde, steht für Interessierte unter folgenden Link zur Verfügung:

https://www.svpt.uni-wuppertal.de/fileadmin/bauing/svpt/Loveparade_2010/Loveparade_Aufarbeitung_Gerlach_vorl_Fassung.pdf

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