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Song of the Week: Die Alten ehren

Quelle: pixabay.com/ pasja1000

In dieser Woche gedachten wir den Opfern der Pogrome und der darauf folgenden Massenvernichtung. Aus diesem Grunde habe ich für diese Woche einen Song für mich heraus gesucht, dem ich vor allem einem älteren Herren widmen mag, den meine Familie und ich lange Jahre versorgt haben. Einen Menschen, der im 2. Weltkrieg für Deutschland an der Front war. Auch wenn er überlebte, hatte er dennoch mit seinem Leben bezahlt. Ein Mensch, der besondere Fußspuren in meinem Leben hinterließ. Deshalb sage auch ich immer: Ehrt die Alten.

Albert Jäger hieß er. Er wohnte nur einige Straßen von uns entfernt auf der Kammerstraße in Neudorf. Kennengelernt haben wir ihn, weil er sehr guten Freunden unserer Familie gegenüber wohnte. Angehörige hatte er kaum. Sein Sohn wohnte in Köln, kümmerte sich nur spärlich um seinen Vater. Seine Schwester wohnte in Goch am Niederrhein. Sie kam so oft sie konnte um ihren Bruder zu besuchen. Mit einem offenen Bein war dies nicht all zu oft möglich. Dennoch war sie froh, das wir für ihn da waren. Meine Mutter kochte für ihn Mittags mit, meine Schwester und ich, wir brachten es ihm im Wechsel vorbei. Wir hatten einen Schlüssel zu seiner Wohnung. Er war mittlerweile durch sein Alter und das schwere Asthma kaum dazu in der Lage die Türe selbst zu öffnen. Zigaretten gegenüber an der Bude holen gehörte zu einer unserer Hauptaufgaben, wenn wir bei ihm waren. In den 90ern war das kein Problem. Das Restgeld durften wir immer behalten. Einmal die Woche kauften wir für ihn ein. Gemeinsam setzten wir den Einkaufszettel auf. Meine Brüder putzten wöchentlich für ihn die Wohnung. Mit der Zeit entwickelte sich aus einer Versorgung eine langjährige Freundschaft. Er interessierte sich durch meine Geschwister und mich für das Leben das außerhalb seiner Wohnungstür statt fand, vor die er nicht mehr kam. Jeden Freitag Abend trafen meine Schwester und ich uns mit ihm zum Rommé spielen. Im Gegenzug erzählte er uns Zeitgeschichte. Er fragte uns immer, welche Themen wir gerade im Geschichtsunterricht hatten.

Hatten wir das Thema 3. Reich, Hitler und seine Schergen, erzählte er uns ausführlich von seinen Erlebnissen. Von seinen Erinnerungen profitierten wir im Geschichtsunterricht. Denn er war nicht nur Mitarbeiter in der Verwaltung der Stadt Duisburg bis zu seiner Rente. Nein, er war für sein Land in Stalingrad an der Front. Hat nicht nur für sein Land gekämpft, Tod und Leid am eigenen Leib erfahren, sondern verlor dort fast sein eigenes Leben. Er erzählte mir, das er sich eine schlimme Rückenverletzung an einer Stalinorgel zuzog, versorgt wurde und noch bis zum Tod nicht nur unter den physischen Folgen zu leiden hatte. Man merkte ihm an, das das Thema ihm psychisch zu schaffen machte. Sobald Gedenktage aufkamen und Dokumentationen im TV flimmerten, war er einige Tage sehr in sich gekehrt, depressiv verstimmt. Ich bin nur froh, das es 1994 noch keine Doku-Sender im TV gab. Ich wusste damit umzugehen und brachte in diesen Zeiten sehr viel Verständnis für ihn auf. Bis zu meinem schlimmsten Tag im September 1998.

Als ich Mittags in die Wohnung kam, lag er auf dem Sofa, war kaum ansprechbar. Sonst saß er immer auf seinem Sessel wenn einer von uns kam. Nur an diesem Tag nicht. Alles war anders. Zunächst wusste ich nicht, wie ich reagieren sollte. Er hasste Ärzte. Ich erinnerte mich zurück, als er mal 2 Tage seine Türe verrammelte, weil seine Schwester seinen Hausarzt schickte. Man war er sauer auf seine Schwester in der Zeit. Doch ich wusste, wenn ich den Notarzt rufen würde, würde ich das einzig Richtige tun. Ich informierte seine Schwester und seine Nichte. Beide konnten aber nicht schnell vor Ort sein. Also baten sie den Notarzt mich mitzunehmen, damit Albert eine vertraute Person an seiner Seite habe, denn er musste ins Krankenhaus gebracht werden. Ich hielt solange ich konnte seine Hand. Die Ärzte sagten mir damals, er wäre etwas dehydriert und habe wohl auch einige Tage nicht wirklich gegessen. Man sagte mir, das er wieder auf die Beine käme. Doch das tat er nicht. Er starb in meinem Beisein.

Ich erinnere mich nur noch daran, das ich unter Tränen den Flur entlang ging, nachdem seine Schwester und seine Nichte endlich eintrafen. Zu Fuß verließ ich die Klinik und wurde am Stadion von einem guten Freund abgeholt. Für mich eine der schrecklichsten Erinnerungen meines Lebens, nach dem frühen Tod meines Vaters. Von ihm habe ich damals eine meiner ersten CD´s geschenkt bekommen. Diese habe ich heute noch. Und ihm widme ich diese Woche einen Song dieser Band. Und denkt dran: Ehrt die Alten. Man weiß nicht, was sie für uns in der Vergangenheit geleistet haben.

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