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Initiative Gesundgewicht: Wenn die Adipositas zum Geschäftsmodell gehört

Wer steckt eigentlich hinter der aktuellen Plakatkampagne, die übergewichtige Menschen zeigt und deren Text einen eher aufklärerischen Ansatz verfolgt? Das ist keine Frage, die nicht schnell gelöst werden könnte, denn auf den Plakaten steht ja die Initiative Gesundgewicht drauf. Hurra, könnten jetzt all Diejenigen rufen, die bisher in Deutschland für Konzepte wie Health At Every Size, Intuitives Essverhalten, Wohlfühlen im eigenen Körper streiten: Endlich ein Verein, der für all diese Ziele streitet. Doch schaut man genauer hin, kommen mir Zweifel. Große – Zweifel.

Was will dieser Verein eigentlich?

Jetzt ist es so, dass dieser Verein sich laut Webseite noch in der Gründung befindet und man nicht viele Informationen bekommt. Steuert man die Webseite direkt an, kommt man auf das Manifest, die Agenda, die Grundhaltung dieses Vereins. Und da klingt zumindest der erste Absatz ganz vernünftig und im Sinne von IE, HAES und anderen diätfreien Ernährungskonzepten: Wir wollen die Diskussion um das Gewicht eines Menschen von der Diskussion um Ästhetik und Schönheit entkoppeln. Und man wolle Menschen auch keine Vorschriften machen. Das klingt super. Aber … dann folgt sowas:

<<Wir wollen eine klare und einfach zu verstehende Messgröße etablieren, bei der jeder Mensch sofort erkennen kann, ob und wie gesund sein persönliches Gewicht ist. … Den Menschen die Hilfe suchen, ihr persönliches Gesundgewicht zu erreichen wollen wir fundierte und wissenschaftlich bestätigten Rat geben. Wir unterstützen alle Maßnahmen und Therapieformen, die nachweislich durch die Wissenschaft Erfolge liefern.>>
 
Um es mal kurz zu erklären: Dieser Verein möchte wohl anstelle des BMIs irgendwie eine andere Messgröße einführen, anhand derer man dann einsortiert wird. Zwar wird betont, man wolle die Diskussion ums Gewicht von der Ästhetik abkoppeln, aber wenn man dann im zweiten Absatz des Manifestes wieder mit Sortierungsregeln anfängt und sagt: <<Das Gewicht ist gut>>, <<Das Gewicht ist schlecht>> – dann sind wir wieder genau in der Diätkultur-Falle gelandet. Wenn man dann Menschen ein schlechtes Gewissen gemacht hat, hat man auch sofort die Lösung: total fundiertes und wissenschaftliches Wissen. Das kennt man: Schaffe ein Problem und biete die Lösung an, dann hast du ein tolles Geschäftsmodell. Das funktioniert ja bei der Höhle der Löwen genauso wie in anderen Bereichen. Hier ist es so, dass das Problem Gewicht schon besteht, aber man definitiv Lösungen für Abnehmwillige bereithält.

Wer steckt dahinter?

Da wir in Deutschland sind, hat die Webseite auch ein Impressum und heutzutage kann man ja leicht nachsehen, wer dahinter steckt. Vor allem auf der medizinischen Seite, denn wenn man wissenschaftlich fundierten Rat gibt, möchte ich schon wissen wer genau da mich im Ernstfall beraten wird. Interessant: Dr. med. Christine Stier wird im Impressum aufgeführt. Aha. Was macht die so? Sie ist bei den SANA-Kliniken. Und zwar laut Linked-In in der <<Sektionsleitung Chirurgische Endoskopie der Sana Kliniken NordRhein bei Adipositaszentrum NRW>>. Ach.
Dann ist es natürlich kein Wunder, dass der Verin dafür streitet, dass Adipositas als Krankheit anerkannt wird und die Krankenkassen die Behandlung übernehmen sollen: Das ist für ein Adipositaszentrum natürlich eine wunderbar Einnahmequelle. Und eine sichere dazu, denn der allgemeine Druck der Gesellschaft auf Menschen, die nicht das Normgewicht erfüllen ist sehr hoch. Vor allem auf junge Leute durch die sozialen Medien – Instagram hat eine Menge dazu beigetragen, dass junge Mädchen in Ernährungskrankheiten reinschlittern und auch junge Männer sind nicht davor gefeit, falschen Körperidealen hinterher zu jagen.
In Verbindung mit der eigenen Messgröße ist das schon ein geschicktes Geschäftsmodell: Jage den Menschen genügend Angst ein – denn die meisten werden nicht hinterfragen, wie die Messgröße zu stande kommt, die meisten Menschen verstehen ja noch nichtmal, wie der BMI berechnet wird und warum eigentlich – und biete dann sofort die rettenden Maßnahmen zur Gewichtsreduktion an. Und wenn man zu viel Gewicht auf den Rippen hat, dann kommt man natürlich für eine Magenverkleinerung in Frage …
Und die Kooperationspartner?
All zu viele Kooperationspartner sind es nicht – dass aber eine Allianz-Geschäftsstelle und eine AXA-Geschäftsstelle als Partner aufgelistet sind,  veranlasst schon zum Grübeln. Ebenfalls Johnson und Johnson. Was machen die? Laut Aussage auf der Webseite: Johnson & Johnson Medical stellt Technologien für anspruchsvolle medizinische Verfahren her. So zum Beispiel zur Blutzuckermessung. Wie praktisch: Übergewicht wird ja meistens mit Diabetes in Zusammenhang gebracht. Bestimmt weiß Johnson und Jonson auch alles über die Magenverkleinerung. Es ist also die Möglichkeit gegeben, dass bei einer Beratung eines Arztes des Vereins irgendwie rein zufällig Jonson und Jonson erwähnt wird, falls es um die besten Blutzuckermessgeräte gehen sollte oder eventuell sogar um eine Magenverkleinerung. Das muss nun nicht so vorkommen, es kann auch eine unabhängige Beratung erfolgen, jedoch – da ist mehr als ein Geschmäckle.
Und das ist auch bei den anderen Partner irgendwie nicht aus dem Mund zu bekommen: DEHAG Fitnesswelten ist kein Fitness-Studio sondern ein Sportfachgeschäft, dass sich auf Artikel für den Wassersport spezialisiert hat. Natürlich freut es, wenn eine Internet-Fullservice-Agentur wie greenants aufgelistet ist – in derem Portfolio sich dann Chicco D’oro, ein Kaffeeunternehmen befindet. Was wiederum als Kooperationspartnern des Vereins auf der Liste eingetragen ist. Nennt man sowas Kreislaufwirtschaft? Und Dr. Juchheim ist zwar auch ein Beauty-Laden, bietet aber auch Nahrungsergänzungsmittel an …
Skepsisreiches Fazit
Es ist nicht verboten in diesem Land Geld mit cleveren Ideen zu machen. Ohne clevere Ideen käme das Land nicht voran und ohne all die kleinen Unternehmer*innen hätten wir auch weniger Steuereinnahmen. Bei diesem Verein aber drängt sich ein unguter Eindruck auf. Wenn eine Ärztin, die mit den SANA-Kliniken und dem Adipositaszentrum NRW verbandelt ist zudem noch eine Fachkraft für Magenverkleinerungen ist, wenn die Kooperationspartner Unternehmen sind, die Nahrungsergänzungsmittel im Programm haben, wenn darüberhinaus eine Firma Kooperationspartner ist, die gleichzeitig Kundin eines anderen Kooperationspartners ist – dann ist das im höchsten Maße fragwürdig.
Im allerhöchsten Maße.
Um es nochmal klar zu stellen: Hier geht es nicht um den Kampf gegen die Abwertung von dicken Menschen in der Gesellschaft – auch wenn es suggeriert wird. Intuitives Essverhalten, HEAS – zu diesen Anti-Diät-Methoden gibt es wissenschaftliche Studien, die zeigen, dass diese Ansätze auch funktionieren. Hier aber geht es darum, Menschen, denen Angst und Bange gemacht worden ist mit einer neuen Messgröße, die auf der Webseite auch nicht weiter erklärt wird übrigens, Lösungen für das Problem Adipositas zu bieten. Lösungen, die vermutlich genau in die Richtung dessen gehen, was das Adipositaszentrum jetzt schon anbietet. Und wenn dann eine Magenverkleinerung auf den Plan gerufen wird, hat man ja schon die notwendigen Fachkräfte dazu. Kann man machen. Finde ich aber dennoch höchst unmoralisch.
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