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Strategie der Zwangsräumungen in Duisburg Marxloh: Die Roma sollen weg!

Seit gut einer Woche lässt die Stadt Duisburg sog. „Schrottimmobilien“ vor allem im Stadtteil Marxloh, aber nicht nur dort, räumen. Die Wohnungen in diesen Häusern sind in einem verheerenden Zustand und in aller Regel mit Zuwanderern aus Südosteuropa, zumeist Roma, überbelegt. „Dass die Stadt solche Häuser räumen lässt“, schreibt völlig zurecht Willi Mohrs in der WAZ, „ist wegen der offensichtlichen Gefahrenlage ohne Alternative“. So weit ich es sehe, wird die Notwendigkeit dieser Zwangsräumungen von niemandem ernsthaft bestritten. Allerdings wird die Art sibiu-unterstadt-kleinund Weise, wie die Stadtverwaltung bei diesen Räumungen vorgeht, heftig kritisiert. Ich wohne nicht in Marxloh, habe auch nicht in Marxloh recherchiert, kann also auch nicht sagen, wie die Zwangsräumungen abgelaufen sind. Die Stadt begründet die Räumungswelle damit, die Mieter schützen zu wollen. Doch die vorliegenden Berichte wollen so gar nicht nach Mieterschutz klingen. Um von Willkommenskultur erst gar nicht zu reden.

 

Der Bundestagsabgeordnete Volker Mosblech beklagt sich darüber, dass „Vergleiche mit Ereignissen aus unserer dunkelsten Geschichte gezogen“ worden seien. Völlig klar, solche Vergleiche sind „unhaltbar und skandalös“; da ist dem rechten Flügelmann der Duisburger CDU nicht zu widersprechen. Ich selbst habe zuletzt zur Unzulässigkeit von Nazi-Vergleichen im allgemeinen alles gesagt. Allerdings: wem erst dann unwohl wird, wenn er sich tatsächlich und mit Fug und Recht an den Holocaust erinnert fühlt, dem geht menschliches Leid unterhalb der Schwelle von Auschwitz oder Srebrenica offenbar nicht sehr nah. Ihm sollte jedenfalls keine Verantwortung für Menschen übertragen werden. Willi Mohrs schreibt in der WAZ: „So notwendig diese Häuser-Räumungen sind, so wichtig ist es, dabei die Würde der Menschen nicht zu vergessen, die in diesen Häusern leben oder leben müssen.“ Oder, um Artikel 1, Absatz 1 des Grundgesetzes zu zitieren: „Sie (die Menschenwürde) zu achten und zu schützen ist Verpflichtung aller staatlichen Gewalt.“

 

Christian Balke, WAZ-Redakteur für den Duisburger Norden, berichtet, „wie Lucia und ihre Kinder in der vergangenen Woche gegen 23 Uhr von Ordnungshütern aus ihrer Wohnung an der Henriettenstraße befördert wurden. `Gezerrt und getragen wurden wir´, sagt die Mutter. Ohne die Chance, Wertsachen oder Ausweispapiere einzupacken. Nicht einmal etwas Warmes anziehen hätte sie ihren Kindern anziehen können. Ihr Sohn, dreimal am Fuß operiert, wurde von der Couch gehoben und in Socken auf die Straße gestellt.“ Tags darauf kann Balke ergänzen: „Augenzeugen bestätigten gegenüber unserer Redaktion, dass Frau und Kinder ohne Jacken, Decken und Schuhe vor die Türe gesetzt wurden.“ Gestern schrieb Ruhrbarone-Chef Stefan Laurin in der Welt am Sonntag über „die skrupellosen Methoden Duisburgs gegen Roma“. Darin zitiert er Pater Oliver Potschien, der vor einem Jahr den „Preis gegen Fremdenfeindlichkeit und Rassismus“ erhalten hatte, mit den Worten: „Mir haben die bulgarischen Familien erzählt, sie seien abends geräumt worden und hätten nicht gewusst, wohin.“

 

Wie gesagt, ich weiß nicht, wie die Zwangsräumungen abgelaufen sind. Aber die Berichte vermitteln einen Eindruck. Und sie verwenden eine klare Sprache: „ruppig“, „rabiat“, einmal sogar „gewaltsam“. Die Aussagen stammen von Leuten, denen ich ein gewisses Maß an Vertrauen entgegenbringe. Das gilt für den WAZ-Redakteur Christian Balke, über den und von dem bislang nur Gutes zu lesen ist. Das gilt ebenso für Karl-August Schwarthans, dem Geschäftsführer der Awo-Integrations gGmbH. Wenn diesen beiden in Anbetracht ihrer Empörung über das Vorgehen der Stadt Worte in die Tasten oder über die Lippen rutschen, die einer Prüfung für den diplomatischen Dienst nicht standhalten, ist dies zwar falsch, aber menschlich nachvollziehbar. Pater Oliver ist verbal nicht übergetreten, sondern hat nüchtern berichtet, was vorgefallen ist. Doch darüber kann sich der christlich-demokratische Abgeordnete nicht aufregen. Mosblechs Empörung gilt nicht den Zwangsräumungen, sondern denjenigen, die sich darüber erregen.

 

Pater Oliver weist darauf hin, dass den Roma angeboten worden ist, für zwei Nächte in eine Turnhalle zu ziehen, was sie nicht taten. Die Stadtverwaltung hat also niemanden unmittelbar in die Obdachlosigkeit geräumt. Wobei ich mich schon frage, was für die dritte Nacht angedacht war. Wie dem auch sei, auf Google News erscheint Laurins WamS-Artikel mit der Überschrift: „Sinti und Roma: Obdachlose Menschen? Sind der Stadt Duisburg egal“. Für die Stadt Duisburg bleibt zu hoffen, dass der Google-Algorithmus nicht auch noch die Wörter „Sinti und Roma“ rausschmeißt. Denn dann bliebe nur übrig: „Obdachlose Menschen? Sind der Stadt Duisburg egal“. Eine Imagekampagne nach dem Motto Life is bitter. Nur für den Fall, dass sich irgendein politisch Verantwortlicher das harte Vorgehen gegen die Roma in der Absicht ausgedacht hat, eine potentielle Abwanderung der einheimischen Wähler zur AfD zu verhindern. Ganz abgesehen davon, dass die Hälfte der Einheimischen türkischer Abstammung sind: mit rechter Politik lässt sich nicht gegen Rechts kämpfen.

 

Meine sozialdemokratischen Freunde beten unverdrossen die Leier herunter, dass die Zwangsräumungen dazu dienten, den ausbeuterischen und menschenverachtenden Vermietern ihr übles Geschäft zu vermiesen. In der Tat: das ist das Gute an den Räumungen; auch deshalb ist niemand dagegen, dass geräumt wird. Strittig ist allein, wie geräumt wird. Die Stadt will mit ihrem Vorgehen Roma vom Zuzug nach Duisburg abschrecken. Das Haus auf dem Artikelbild steht (so weit sich das so sagen lässt) – nein, nicht in Marxloh, sondern in Rumänien. Genauer gesagt in Hermannstadt, rumänisch Sibiu. Fünf Minuten zu Fuß bis zur historischen Altstadt, wo sich die Schickimickis treffen, weil die Normalsterblichen sich nicht leisten können, dort zu essen. Es ist alles sündhaft teuer; das Preisniveau ist mittlerweile etwa halb so hoch wie in Duisburg. Die westlich-orientierten Studenten leisten sich ein – aber nur eins! – Bier, an dem sie sich stundenlang festhalten. Die Kellnerinnen haben große Routine darin, gleichsam im Vorbeigehen die bettelnden Zigeunerkinder zu verscheuchen.

 

Zurück zu dem Haus auf dem Artikelbild. Es ist wirklich wahr: ich bin im September dort täglich vorbeigekommen, weil es zwischen „meinem“ Hotel und den Plätzen der Altstadt „steht“ (so weit sich das so sagen lässt). In dem Haus leben Menschen, allerdings Rumänen, also ethnische Rumänen („românii“), und keine Roma („romii“). Die Roma werden in Rumänien diskriminiert – nicht so stark wie in Ungarn, aber schlimmer als in Deutschland. Das ist nun einmal so. Es stört die Romakinder nicht sonderlich, wenn sie von den attraktiven jungen Kellnerinnen verscheucht werden wie Mücken oder Fliegen. So ist das Leben. Roma können es sich selbstverständlich nicht leisten, in der Innenstadt zu wohnen. Und dann auch noch in einem Steinhaus. In aller Regel wohnen sie abseits, in „eigenen“ Dörfern – ohne Elektrizität und Kanalisation. Die Regierungen hegen auch nicht die Absicht, die entsprechenden EU-Gelder zweckkonform einzusetzen. Die Roma sollen verschwinden. Politik und Verhältnisse sind in Bulgarien noch wesentlich übler als in Rumänien.

 

Und die Stadt Duisburg will mit ihrem Vorgehen die Roma vom Zuzug nach Duisburg abschrecken. Drollig. Wenn eine Kellnerin ein Romakind verscheucht hat, ist es erst einmal weg. Die Kellnerin allerdings auch. Nun raten Sie mal, wer schneller wieder zurück ist! Die Kellnerin oder das Romakind?

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