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DUISBURG 2027: Unsozialer Wohnungsbau in Duisburg – ein Konjunkturprogramm für Investoren

Seit Jahren verschärft sich die Wohnungsnot in den Ballungsräumen, die Mieten in boomenden Städten werden für Menschen mit geringem bis mittlerem Einkommen immer schwerer erschwinglich. Der Zustrom vieler Flüchtlinge macht es erforderlich, dass in kurzer Zeit viel Wohnraum bereitgestellt wird. Doch während im Duisburger Süden Grünflächen im großen Maßstab neuen Einfamilienhäusern für Besserverdienende weichen sollen, lässt man im Norden der Stadt die wertvolle Bausubstanz der Kaiserzeit verfallen, um sie schließlich als „Schrottimmobilien“ zu deklarieren und abzureißen. Von Katrin Gems und Jens Schmidt

 

 

Ausgerechnet in dieser Zeit, in der eine „Mietpreisbremse“ eingeführt wurde, um Wohnen in der Großstadt endlich wieder bezahlbar zu machen – ein Instrument, dessen Wirkung leider weitgehend verpufft ist -, in der Asylunterkünfte unter dem Druck des akuten Bedarfs im Hauruck-Verfahren gebaut werden, mischte ein Buch des Autors mit dem provokanten Titel „Verbietet das Bauen!“ die politische Diskussion gründlich auf. Deutschland braucht dringender denn je Wohnraum – und ausgerechnet jetzt soll weniger neu gebaut werden? Dabei hat der Autor keineswegs die Absicht, den Wohnraum zu verknappen. Worum es ihm geht, ist vielmehr ein Ende der Ex- und Hopp-Mentalität – Schluss mit der Verschwendung von Geld, Energie und Bausubstanz durch leichtfertiges Abreißen und Neubauen. Die Stadtplaner von Duisburg sollten sich in besonderem Maße von der Kritik an einer einseitigen Baupolitik angesprochen fühlen, von der nur die Investoren profitieren, nicht aber die Bewohner.

 

Denn gerade die anstehenden Planungen für „Duisburg 2027“ bilden ein Musterbeispiel dafür, wie vorhandene bauliche und soziale Strukturen für eine kurzsichtige Planung systematisch zerstört und durch neue ersetzt werden

Prächtige Gründerzeitfassaden künden noch vom langjährigen Wohlstand des Duisburger Nordens – beispielsweise in der Jägerstraße, der Fußgängerzone von Alt-Hamborn.
(Foto: Jens Schmidt)

sollen – und das leider nicht zum ersten Mal in der Stadtgeschichte. Denn bereits in den Jahrzehnten nach dem Zweiten Weltkrieg und dann noch einmal nach der Verabschiedung des Städtebauförderungsgesetzes 1972, dieses Geschenks der Politik an die Baulobby, war man nicht zimperlich mit der „zweiten Zerstörung“ dessen, was die alliierten Bomber von der Duisburger und Ruhrorter Altstadt, die praktisch unzerstört war, von Alsum und Neumühl übrig gelassen hatten. Die Rheinpreußensiedlung in Homberg-Hochheide wurde teilweise für die „Weißen Riesen“ in Homberg planiert, die heute ihrerseits zum „Abschuss“ freigegeben sind – der massive politische Druck einer Bürgerinitiative konnte damals wenigstens die Rettung eines Teils der Rheinpreußensiedlung erreichen. Die Duisburger Altstadt wurde der „autogerechten Stadt“ geopfert, mit dem Abriss der Ruhrorter Altstadt sollten in erster Linie die dort ansässigen Rotlichtbetriebe beseitigt werden. Beide Abrisse haben der Stadt schweren Schaden zugefügt und stadtbildprägende und identitätsstiftende Viertel beseitigt.

 

Heute wird das als Fehler erkannt, und der Oberbürgermeister propagiert den Bau eines „Mercatorhauses“ am alten Platz, während gleichzeitig in Bruckhausen die alten Fehler wiederholt wurden.   „Vorbild“ für den Grüngürtel von Bruckhausen dürfte indes der Grünstreifen in Hochfeld gewesen sein, dem Anfang der 80er Jahre die nahe dem Rhein gelegene Kupferhüttensiedlung geopfert wurde. Damals wie heute mussten als Vorwand ein schlechter Bauzustand und eine schrumpfende Bevölkerung herhalten – ein Vorwand zum Abreißen ließ sich immer, in den Fachwerkstädten wie Essen-Steele war es stattdessen das viel zitierte „Außenklo“. Nachdem die Internationale Bauausstellung Emscherpark für einige Jahre Hoffnungen auf ein Umdenken geweckt hatte, scheint man nunmehr in die alten Sünden zurückzufallen.

 

Die Stadt bezeichnet „Duisburg 2027“ als „Stadtentwicklungsstrategie“ bzw. als „informelles städtebauliches Entwicklungskonzept“. Es soll die städtebaulichen Ziele der Stadt Duisburg bis zum Jahr 2027 festlegen. „Die Neuplanung der Stadt“ nennt den Plan kurzerhand die WAZ in dem Artikel „Duisburg zieht nach Süden“ vom 14.04.2013. Denn dort, im Duisburger Süden liege der Schwerpunkt für neue Wohnflächen, im Süden sollen sich „junge Familien“ und „gut verdienende Zuzügler“, vor allem aus Düsseldorf, ansiedeln. Als Stadtteile, die „Sorgen machen“, werden die nördlichen Stadtteile benannt, besonders „Bruckhausen, Marxloh, Laar, auch Beeck“. Dort seien Modernisierungen vorgesehen, aber weiterhin auch Abrisse. Die Abrisse seien notwendig, da Duisburg immer weiter schrumpfe, so die Argumentation der Stadt. So verstieg sich der 2011 in Ruhestand gegangene Planungsdezernent Jürgen Dressler zu der Aussage, man müsse nicht nur wegen des Leerstands „rückbauen“, sondern auch um zu hohe Infrastrukturkosten zu verhindern, die Duisburger zahlten längst für ein zu großes Kanalnetz. (WAZ, 24.02.2012). Auch Peter Greulich, nach der Abwahl Sauerlands für einige Zeit Stadtdirektor und Leiter des Planungsdezernats, begründete den Abriss in Bruckhausen mit den hohen Leerstandszahlen: „Rund 14 000 Wohnungen sind aktuell ohne Bewohner.“ Worauf die Strategie der Stadt tatsächlich abzielt, wird in einer weiteren Aussage Dresslers deutlich: Man müsse sich von „unattraktiven Wohnlagen“ trennen. Denn trotzdem die Einwohnerzahlen Duisburgs lange Zeit rückläufig waren, will die Stadt massiv neu bauen. Das verrät auch Duisburg 2027:

 

„Die Etablierung des Wohnstandorts Duisburg für einkommensstarke und vermögende Haushalte ist für die Einwohnergewinnung, für die Stabilisierung sozialer Strukturen in den Quartieren wie auch für das Steueraufkommen der Stadt von besonderer Bedeutung. Um diese Haushalte in Duisburg zu halten und neue hinzuzugewinnen muss das stadtweite Wohnungsangebot um hochwertige Objekte ergänzt werden. Wohnkonzepte für diese Zielgruppe sollten sich an dem Trend hin zu mehr Komfort und Hightech ausrichten. Profitieren kann Duisburg von seinen moderaten Immobilienpreisen in Verbindung mit der unmittelbaren Nachbarschaft zur Wachstumsregion Düsseldorf, die nur noch geringe Wohnbaureserveflächen besitzt.“

 

Dass die Stadt sich bemüht, neue Einwohner zu gewinnen, ist sicher nicht zu verurteilen. Fraglich ist aber, ob man dafür die ganze Stadt umbauen und im großen Stil neu bauen muss. Denn betrachtet man die geplanten neuen Wohngebiete in Summe, ist es nicht übertrieben, von einer „Neuplanung“ der Stadt zu sprechen, wie es die WAZ in dem oben zitierten Artikel tut. Zudem auch weiter abgerissen werden soll. 450-500 Häuser empfiehlt das „Städtebauliche Entwicklungskonzept“ für Marxloh, im Stadtteil bis 2027 abzureißen, gerade die gründerzeitliche Substanz, noch reichlich vorhanden, soll dem zum Opfer fallen. In Laar wird zur Zeit bereits abgerissen.

 

Dass der karge Grüngürtel durch eine Mauer von Bruckhausen getrennt ist, verrät seinen eigentlichen Zweck: ThyssenKrupp musste durch den Abriss der Häuser nicht, wie ursprünglich vorgesehen, einen Schutzwall auf eigenem Grund und Boden bauen.
(Foto: Katrin Gems)

Dabei sind es eben nicht die Stadtteile wie Hochfeld, Marxloh und Bruckhausen, die Einwohner verlieren. Auch vor der Zuwanderung von Bulgaren und Rumänen gehörten diese Stadtteile zu denjenigen mit der jüngsten Bevölkerung in Duisburg. Das „städtebauliche Gutachten“ der Innova zur Sanierung in Bruckhausen riet sogar von einem großen, flächenhaften Abriss ab. Die künftige, allein aus dem Stadtteil durch die hohe Geburtenrate hervorgehende Bevölkerung könne in einem solchen Fall nicht mehr im Ortsteil mit Wohnraum versorgt werden. Dennoch entschied die Stadt sich für Kahlschlag.

 

Abgerissen werden soll also vor allem dort, wo ärmere Bevölkerungsschichten und „Menschen mit Zuwanderungsgeschichte“ wohnen, während andererseits für Menschen mit gutem Einkommen gebaut werden soll. Mit anderen Worten: Preiswerter Wohnraum wird verknappt. Erklärtermaßen will die Stadt mit den Abrissen auch höhere Quadratmeterpreise erreichen. Arme Menschen werden es also in Zukunft deutlich schwerer haben, in Duisburg eine Wohnung zu finden. Die gewünschten „vermögenden Neubürger“ möchte die Stadt vor allem aus Düsseldorf gewinnen.

 

Dieses Modell, mit einer sinkenden Einwohnerzahl umzugehen, wurde unter dem Namen „Stadtumbau Ost“ in den neuen Bundesländern getestet, bevor die Welle nun auch in den Westen herübergeschwappt ist. Dabei geht nicht einmal die Milchmädchenrechnung auf, den Stadthaushalt durch eine Senkung der Sozialausgaben zu sanieren. Beispiel Dresden: Seit dort Plattenbauten rückgebaut wurden, aber die Bevölkerung plötzlich wieder wuchs, ist das Mietniveau gestiegen und finden Arbeitslosengeld-II-Empfänger schwerer eine günstige Wohnung. Dies führt im Endeffekt dazu, dass die Stadt höhere Unterkunftskosten übernehmen muss, kann aber auch zur Verdrängung wirtschaftlich Schwacher führen.

 

Aber nicht nur die offenbar unerwünschte Bevölkerungsstruktur beflügelt die Lust der Stadt Duisburg am Abriss. Zu „Duisburg 2027“ meldet sich auch die lokale Metallindustrie zu Wort. Firmen wie ArcelorMittal, ThyssenKrupp und Grillo fordern in einem gemeinsamen Schreiben die „planerische Sicherung der bestehenden Industriestandorte als „uneingeschränkte Industriegebiete“, und darüber hinaus „erwarten wir einen ausreichende Vorratshaltung von GI-Gebieten (Gewerbegebieten) für die Realisierung von Erweiterungsinvestitionen. Das bedeutet, dass Flächen, ausreichender Größe und Lage vorhanden sein müssen, um es auch unseren Lieferanten oder Kunden zu ermöglichen, sich in Duisburg anzusiedeln.“

 

Die Beteiligung der Firma ThyssenKrupp am Flächenabriss in Bruckhausen ist inzwischen weithin bekannt. Das Unternehmen spendete für die Anlage des „Grüngürtels“, dem allein in Bruckhausen 120 Häuser weichen mussten, über 35 Millionen Euro, die der Stadt Duisburg schon vor dem Ratsbeschluss zur „Sanierung“, sprich – dem Abriss – in Bruckhausen überwiesen wurden. Dem Flächenabriss wurde ein großer Teil des Stadtteils geopfert, den das Rheinische Amt für Denkmalpflege schon seit mehr  als 20 Jahren geschlossen unter Denkmalschutz stellen wollte, weil er exemplarisch die Entwicklung des  Ruhrgebiets aufzeigt und veranschaulicht.

 

Ursprünglich war vorgesehen, dass ThyssenKrupp auf eigenem Grund und Boden einen Emissionsschutzwall für die Bruckhausener Wohnbevölkerung errichten sollte; insofern darf man schon behaupten, dass sich der Konzern hier zu Lasten der Allgemeinheit schadlos gehalten hat, indem auf öffentlichem Grund und staatlich subventioniert eine entsprechende Mauer errichtet wurde, die die Immissionen allerdings in keiner Weise mindert. Der Stadtteil wäre bei nach diesem Plan, für den 2003/4 ein Konzept erstellt worden war, das schließlich in der Schublade verschwand, tatsächlich saniert worden und hätte als lebendiges Denkmal weiterexistieren können. Ein weiteres relativ aktuelles Beispiel, wie historisch gewachsene Wohnbebauung rücksichtslos der Schwerindustrie geopfert wurde, war der Abriss des Oberdorfs in Alt-Walsum für den neuen Block des Kohlekraftwerks von Hitachi – nur das bekannte Fischrestaurant „Walsumer Hof“ wurde isoliert stehen gelassen.

 

In Laar scheint die Stadt ein ähnliches Szenario zu planen. Hier will die Firma ArcelorMittal nach Verlegung des Drahtwalzwerks von Hochfeld nach Laar/ Ruhrort das Hochplateau oberhalb der Thomasstraße, zur Ansiedlung von Zulieferbetrieben nutzen. Diese rücken der Wohnbebauung nahe, die deshalb weichen und durch „öffentliche Freiflächen und Grün“ als Abstandszone zwischen der Industrie und der übrigen Wohnbebauung“ ersetzt werden soll. Obwohl ein großer Teil der dort stehenden Häuser noch vor wenigen Jahren von der Firma Immeo saniert worden sind, habe das Viertel daher perspektivisch keine Zukunft mehr, so das „Integrierte Handlungskonzept“ für Laar.

 

Neben zwei Blocks, die inzwischen nicht mehr Immeo, sondern einer anderen Wohnungsgesellschaft gehören, sind wieder, wie in Bruckhausen, private Hauseigentümer betroffen. Um diese zum Verkauf ihrer Häuser zu bewegen, verfügt die Stadt dank der Baugesetzgebung über Mittel, die zum Teil  schon bei den „Sanierungen“ der 70er Jahre ihre Wirkung nicht verfehlt haben. In Bruckhausen hat sie zum Mittel der „Sanierung“ gegriffen, in Laar sind „Stadtumbaugebiete“  ausgewiesen worden, in denen viele Bestimmungen analog zur Sanierungsgesetzgebung angewendet werden können.

 

Immer weiter frisst sich der Abrisswahn durch den Duisburger Norden: Hier werden als „Schrottimmobilien“ deklarierte Häuser in Laar kurzerhand „rückgebaut“, wie es beschönigend heißt – so dass sich ArcelorMittal ausbreiten kann.
(Foto: Katrin Gems)

Beliebt sind u.a. Veränderungssperren, die die wertsteigernde Renovierung von Immobilien verbieten. Über Jahre über einen Straßenzug verhängt, garantiert sie geradezu den Renovierungsstau und führt zur schlechteren Vermietbarkeit und Leerstand. Treten weitere Maßnahmen hinzu, kann das für Hauseigentümer  katastrophale Auswirkungen haben.  Mittels  einer „Umzugspauschale“  die als freiwillige Leistung der Stadt auch Mietern privater Eigentümer gewährt wurde, zog die Stadt den Bruckhausener Eigentümern Wohnungen leer. Mit Rechtskraft der Sanierungssatzung war sie auch in der Lage, eine weitere Vermietung der Wohnungen nicht zu genehmigen und die Beleihung der Häuser durch ihre Eigentümer zu verhindern. Im Ergebnis konnten viele Eigentümer die Kredite, die sie zum Kauf ihrer Häuser aufgenommen hatten, nicht mehr bedienen und waren gezwungen, zu verkaufen; nicht wenige Häuser wurden zwangsversteigert. Sanierungen und ähnliche baurechtliche Verfahren können also durchaus Eigentümern wirtschaftlich erheblichen Schaden zufügen.

 

Es sind also offenbar unterschiedliche  Motive, die die Stadt Duisburg dazu bringen, größere Teile der oft historischen Bebauung abzureißen. Dass es nicht die Schrumpfung allein sein kann, wie über Jahre von der Stadt behauptet, zeigt auch ein bloßer Blick auf die Zahl der geplanten neuen Siedlungen bis hin zu ganzen Vierteln, die neu entstehen sollen, wie z.B. das „Mercatorquartier“ „Ruhrort Waterfront“ und „Rheinpark Hochfeld“, der Stadtteil, den die Stadt zusammen mit der ArcelorMittal Grundstückentwicklungsgesellschaft nach der Verlegung des Drahtwalzwerks nach Laar am alten Standort in Hochfeld plant. Offenbar will die Stadt Ernst damit machen, die Stadt neu zu planen, Bedenken, der Schrumpfung nichts entgegensetzen zu können, scheint es nicht mehr zu geben. Das Stadtbild wird sich, sollten die Pläne der Stadt Wirklichkeit werden, stark verändern.

 

Wie die Entwicklung von Bruckhausen zeigt, kann von einem Gesundschrumpfen, von einer Aufwertung durch das neue Grün nicht die Rede sein – wenn man bei der von einer hohen Betonmauer und einer großen Rasenfläche mit kleinen Bäumen überhaupt von neuem Grün sprechen kann, denn für den Grüngürtel wurden ca. 120 alte Bäume, darunter viele Obstgehölze, gefällt. Vielmehr wurde der Stadtteil systematisch stigmatisiert – „da wohnt man nicht“. Eine solche Entwicklung führt zu einer weiteren Spaltung der Stadt in einen armen, ausblutenden Norden und einen privilegierten Süden, den sich – politisch gewollt – nicht jeder leisten kann. Während nämlich im Duisburger Norden systematisch Wohnraum vernichtet wird, kann der Maßstab für die geplanten Neubaugebiete gar nicht groß genug sein. Der Stadtrat hat der Planungsverwaltung einen Auftrag erteilt, Flächen von insgesamt 70 Hektar, entsprechend etwa 100 Fußballfeldern, als Neubaugebiete vorzubereiten. Absurderweise sind auch im angeblich aussterbenden Duisburger Norden Neubaugebiete ausgewiesen, und auch hier sollen Grünflächen und Naherholungsgebiete dafür herhalten.

 

Wie der Umweltaktivist Johannes Meßer vom BUND Duisburg durch eigene Recherche herausfinden musste, da die Stadtplaner leider die Offenheit gegenüber dem Bürger vermissen ließen, hat sich die Verwaltung nicht lumpen lassen und überprüft über den demokratisch gefassten Ratsbeschluss hinaus Bebauungsflächen von insgesamt 120 Hektar, also 170 Fußballfeldern. Dafür sollen Landschaftsgebiete wie der Angerbogen versiegelt und wertvolle Waldflächen im Baerler Busch, im Neudorfer Stadtwald, in Obermeiderich und in Beeck gerodet werden. Etwas überspitzt formuliert: Es werden Grünflächen vernichtet, damit man dort endlich im Grünen wohnen kann. Diese exzessive Ausweisung von Neubaugebieten auf Flächen am Stadtrand, die verkehrstechnisch und infrastrukturell nicht erschlossen sind, war typisch für die Nachkriegszeit, gilt aber inzwischen eher als veraltetes Konzept. Gerade einer hoch verschuldeten Stadt wie Duisburg, die ohnehin den öffentlichen Personennahverkehr kaputtspart, dürfte es kaum gelingen, eine gute Verkehrsanbindung zu schaffen. Die jetzt schon absehbare Folge wird sein, dass die Bewohner dieser Viertel aufs Auto angewiesen sind, um zur Arbeit zu kommen – und eine neue Blechlawine durch die Stadt rollt, die Staus, Lärm und Abgase produziert.

 

Und ob das Mammut-Bauprogramm auf die entsprechende Nachfrage stoßen wird, ist reine Spekulation. Schon Düsseldorf hatte sich unter den CDU-Oberbürgermeistern Joachim Erwin und Dirk Elbers vertan, indem es mehr Luxuswohnungen pro Einwohner baute als jede andere Stadt. Diese gingen keineswegs weg wie geschnitten Brot – stattdessen blühte hier der Leerstand wie in keiner anderen Metropole. Woher nimmt man also den Optimismus, dass die Düsseldorfer Schlange stehen werden, um in Duisburg zu bauen? Ganze 9.000 Wohneinheiten sind nach Angaben des Oberbürgermeisters Sören Link (SPD) geplant – ein sportliches Ziel, wenn gleichzeitig Essen, Leverkusen, Krefeld, Wuppertal und Mönchengladbach sowie die Kreise Mettmann und Neuss um Düsseldorf-Pendler werben. Und so gar nicht passend zu der Behauptung, Duisburg sei auf Schrumpfkurs. Frankfurt am Main baute in den Glanzzeiten des Investment Banking wie im Goldrausch Büroimmobilien – um irgendwann auf dem mit Abstand größten Büroleerstand der Republik zu sitzen und nun an die aufwändige Umwandlung von Büros in Wohnungen herangehen zu müssen. Es ist immer sehr riskant, mit einer allzu einseitigen Baupolitik alles „auf eine Karte“ zu setzen, denn nicht jede Marktentwicklung lässt sich vorhersagen.

 

Brauchen wir also stattdessen sozialen Wohnbau im großen Maßstab? Und ist der Bau großer Flüchtlingsunterkünfte im Vergleich zur Unterbringung in Wohnungen eine kostengünstige und soziale Lösung? Der Städtebauminister von Nordrhein-Westfalen, Michael Groschek (SPD), ein Mann, der aus der Immobilienwirtschaft kommt, hat sich jedenfalls zur Unterbringung der Flüchtlinge das Ziel gesetzt, landesweit eine Fläche von über 2.500 Fußballfeldern zu bebauen. Aber führen wir uns mal vor Augen, was sozialer Wohnungsbau eigentlich bedeutet. In Deutschland ist es nämlich nicht die Regel, dass die Städte eigene Wohnungsbestände bauen, sondern wir haben die Objektförderung. Hier werden Bau und Vermietung von Sozialwohnungen durch private Investoren staatlich gefördert, und die Sozialbindung besteht auch nur über einen gewissen Zeitraum (meistens 15 Jahre). Danach darf eine private Wohnungsgesellschaft die Immobilien, in die der Staat und damit der Steuerzahler viel Geld hineingesteckt hat, auf eigene Rechnung vermieten und maximalen Profit herausschlagen. Wahrscheinlich war es ein Fehler, dass hier wie in anderen deutschen Städten die alten Bestände an Sozialwohnungen im großen Stil privatisiert wurden. Aber diese Fehlentwicklung kann man nicht ungeschehen machen, indem im großen Stil neu gebaut wird, und das für die gleichen Mieter, die ebenso gut, teilweise mit Hilfe von Wohngeld, in ihren relativ bezahlbaren Wohnungen im Duisburger Norden bleiben können.

 

Eine solche Konkurrenz führt zu unnötigen Leerständen im vorhandenen Wohnungsbestand und verschlechtert damit die Entwicklungschancen für die bestehenden Quartiere im Duisburger Norden. Ähnlich sieht es bei den Flüchtlingsunterkünften aus: Verlässt sich der Staat auf die private Bauindustrie, nutzt diese die Not der Stunde aus und macht bei der Miethöhe ihren Schnitt. Im Gegensatz zu Duisburg achten andere Städte wie Hamburg und Düsseldorf wenigstens auf eine gesunde soziale Mischung, indem sie auch in „schickere“ Neubauviertel öfters eine gewisse Anzahl Sozialwohnungen integrieren. Wie blanker Zynismus mutet es dem gegenüber an, wenn in Duisburg-Neumühl eine Sozialsiedlung entlang des Bahndamms geplant wird und die erste Häuserreihe wegen des Bahnlärms nicht über Fenster, sondern nur künstlich belüftet werden kann. Die Proteste der Nachbarschaft gegen die „bewohnte Lärmschutzwand“ verhallten im Rathaus bislang ungehört – offenbar hat der soziale Wohnungsbau hier nur Alibifunktion. Es ist erschreckend, wie wenig man aus dem Bau unattraktiver Trabantenstädte gelernt hat, indem man das Bedürfnis nach gewissen Mindeststandards bei der Wohnqualität derartig missachtet.

 

Die besseren Lösungen für Duisburg wären in jedem Falle die organisierte Flüchtlingsunterbringung in Wohnungen und im sozialen Wohnungsbau die Subjektförderung – der Kauf von Belegungsrechten für bereits bestehende Immobilien. So könnten Leerstand und Verfall verhindert und damit der Niedergang von Stadtvierteln gestoppt werden, und es müssten keine neuen tristen Vorstädte entstehen. Dies setzt voraus, dass endlich ein politisches Umdenken stattfindet, dass man den Wert der Häuser wiederentdeckt, die bislang achtlos als „Schrottimmobilien“ deklariert und abgerissen wurden. Dass man endlich die Schätze des Duisburger Nordens wiederentdeckt, Gründerzeit und Jugendstil vom Feinsten, oft verkehrsgünstig gelegen – Altbauten, nach denen man sich in jeder anderen Stadt die Finger lecken würde. Noch ist es nicht zu spät! Die Entdeckung der eigenen Struktur der Stadt könnte wertvolle Impulse zur Imagefrage, die die Stadt gerade öffentlich stellt, beitragen. Das Duisburger Stadtbild ist weitgehend von der Epoche der Industrialisierung geprägt. Statt das als Belastung zu empfinden, könnte man es, wie die IBA Emscherpark es einst angefangen hatte, auch als Reichtum sehen und der Außenwelt vermitteln, dass auch Industriestädte attraktiv und durchaus grün sein können. Schließlich wäre es auch im Sinne der Duisburger Bevölkerung, für sie zu planen und  nicht für bisher nur in der Phantasie existierende Neubürger.

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