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Leserbrief: Große Löwen brüllen oder die Angst um Privilegien

Seit dem Erscheinen des Zeit-Artikels “Stoppt die Banalisierung!“ (http://www.zeit.de/2015/13/kunst-vermittlung-museum) des Kunstwissenschaftlers Wolfgang Ullrich im März 2015, wurde viel diskutiert im Netz. Der Artikel löste eine große Kontroverse um die angebliche Banalisierung der Kunst durch Kunstvermittler*innen aus. Ich habe diese bisher nur verfolgt und mir “meinen Teil gedacht“. Nun aber, ein halbes Jahr nach Erscheinen des besagten Artikels, wird Anfang Oktober 2015 in der Bachtalo ein Interview mit Raimund Stecker abgedruckt, der bis 2013 Museumsdirektor des Lehmbruck-Museums war (http://www.xtranews.de/2015/10/03/das-wesen-eines-museums-ist-bestimmt-vom-menschenraimund-stecker-ueber-inklusion-und-die-aktuellen-fragestellungen-fuer-museen/). In dem Interview stimmt er Ullrichs Grundthesen nicht nur zu, sondern gibt den Tenor des Artikels auf seine Art und Weise wieder.

Das war der Punkt, an dem ich anfing diesen Text zu schreiben… Die beiden Herren sind anscheinend nicht nur derselben Meinung; sie haben noch eine weitere Gemeinsamkeit: Sie sind Teil des Problems! Denn es sind genau diese Männer, die in den Führungsebenen deutscher öffentlich-geförderter Kulturinstitutionen arbeiten und Mitarbeiter*innen einstellen. Mitarbeiter*innen, welche ihnen selbst ähneln und damit selten von der Norm abweichen. Die Berliner Studie „Be Berlin – be divers“ (Freudenberg 2009) zählt dazu die Merkmale auf, die diese Männer häufig aufweisen: weiß, heterosexuell, zwischen 40-55 Jahren und ohne sichtbare Behinderung.

Es liegt mir fern, alle diese sichtbaren und unsichtbaren Merkmale auch Herrn Ullrich und Herrn Stecker zuzuschreiben, aber zumindest Wikipedia gibt in diese Richtung Auskunft. Gäbe es jedoch verschiedenste Museumsmitarbeiter*innen, müssten wir gar nicht so viel über Inklusion im Museum und “die Ansprache neuer Zielgruppen“ sprechen; die Museen wären von innen heraus angehalten sich mit Barrieren für Kunsthistoriker*innen “im Rollstuhl“ und Perspektiven von Wissenschaftler*innen “mit Migrationshintergrund“ auseinander zu setzen. Nun ist die Personalsituation in Museen wie sie ist: Homogen. Da mutet der Satz Herrn Steckers über das Wesen eines Museums, welches von Menschen bestimmt ist „…und zwar nicht in erster Linie vom gesunden, wohlgebauten, intellektuell geschulten und kanonhaft gebildeten, sondern vom Menschen mit all seinen Handikaps, Splins, Verrücktheiten, Abnormitäten, Absonderlichkeiten und, und, und!“ doch etwas weltfremd an.

Die Mehrheit des Museumspersonals ist eben gesund, wohlgebaut, intellektuell geschult und kanonhaft gebildet. Jedoch hat Herr Stecker Recht wenn er über das Museum spricht, welches von Menschen gemacht und bestimmt wird; Partizipation am und im Museum sind die Stichworte für diese jüngste Entwicklung. Ich teile eine weitere Meinung mit Herrn Stecker. Ich bin ebenfalls der festen Überzeugung, dass “Kunst Sinn ins Leben bringen“ kann. Ich (und im übrigen auch die ICOM und UN-Behindertenkonvention als geltendes Recht) denke jedoch, dass diese Erfahrung nicht nur manchen vorbehalten sein darf, sondern allen Menschen ermöglicht werden muss. Damit meine ich nicht, dass jedem*jeder Kunst gefallen oder sie*ihn bereichern muss; es geht lediglich um die Chance für alle, herausfinden zu können ob Kunst, ob das Museum eine Bereicherung für das Leben sein kann – oder eben nicht. Dass unterschiedliche Besucher*innen Kunst im Museum dann auch auf verschiedene Art und Weise rezipieren, vielleicht auch fernab kunsthistorisch wasserdichter Interpretationen, liegt in der Natur der Sache.

Die “findigen Kunstvermittlerinnen“, von denen Herr Ullrich so abwertend schrieb, sind mit ihrer flexiblen Methodenvielfalt in der Lage sich auf verschiedene Besucher*innen einzustellen und vielfältige Kunst-Zugänge anzubieten. Sie holen die Besucher*innen da ab, wo sie stehen – das ist moderne Kunstvermittlung. Hier ist also keine Unterhaltungs- oder Missionskritik angebracht, sondern Applaus! Die hier vielfach kritisierte Personale Vermittlung, die Kunst angeblich banalisiert, ist oftmals nämlich die einzige Möglichkeit den Besucher*innen überhaupt einen Zugang zur ausgestellten Kunst zu ermöglichen. Dies liegt an der Gestaltung vieler Ausstellungen, die häufig wenig oder gar nicht auf die Bedürfnisse von Besucher*innen eingeht und sie mit vielen Fragen zurücklässt. Fragen, die die Kunstvermittler*innen in einer Dialogischen Führung beantworten können. Es ist also an der Zeit denjenigen Mitarbeiter*innen im Museum zuzuhören, die den meisten Kontakt zu den Besucher*innen haben und somit die Visitenkarte jedes Museums sind: Den Kunstvermittler*innen und dem Service- und Aufsichtspersonal. Jedoch scheinen Herr Ullrich und Herr Stecker weit entfernt von der Realität im und außerhalb des Museums des 21. Jahrhunderts zu leben. Wie sonst kommt es zu Aussagen wie etwa der von Herrn Ullrich, dass nun auch “unterprivilegierte Minderheiten“ von Museen angesprochen werden sollen?

Die Menschengruppen, die weiter in Ullrichs Artikel erwähnt werden (Blinde, Menschen mit Migrationshintergrund, ältere Menschen und Erwachsene mit Babys) sind nun wirklich keine Minderheiten. Wieder an der Realität vorbei. Einschätzungen aus einer Blase heraus, einem Milieu, in dem nur bestimmte Menschen verkehren!? Reflektion scheint hier jedenfalls keine gegenwärtige Praxis. Und warum auch? Es lebt sich meistens bequem und gut als weißer, heterosexueller und damit privilegierter Mann in Deutschland. Das merkt Mann jedoch häufig gar nicht; ein Phänomen, welches dem Wesen von Privilegien entspricht: Menschen nehmen diese kaum wahr, wenn sie sie haben, sondern erst wenn sie ihnen verwehrt bleiben. Es scheint jedoch etwas wahrgenommen worden zu sein, denn das Brüllen der Löwen war eindeutig zu hören. Ihr kleiner, exklusiver Raum im Museum, indem sie bisher herrschen konnten und Interpretationsmacht hatten, wurde angegriffen. Langsam aber sicher wird die Exklusivität des Raumes “Museum“ beschädigt, werden herrschende Privilegien in Frage gestellt, Mitbestimmungsrecht eingefordert. Und dabei geht es nicht nur um moderne Kunstvermittlung für alle, sondern um die Frage wer (und wer nicht?) in unseren Museen eigentlich repräsentiert wird!? Gute Frage; weiter so!

 

Stefanie Wiens (*1986) MA in Museumsmanagement und -kommunikation, ist Projektassistentin bei „Neue Perspektiven gewinnen!“ (www.neue-perspektiven-gewinnen.de) und zuständig für die Öffentlichkeitsarbeit. Das Projekt schafft seit April 2015 Raum für Begegnung und Dialog auf Augenhöhe zwischen Menschen mit Behinderungen und Museumsmitarbeiter*innen. Ziel ist die Öffnung der Museen für die heterogene Zielgruppe der „Menschen mit Behinderung“.

Der Projektträger FÖRDERBAND e.V. – Kulturinitiative Berlin startete dieses wegweisende Projekt zur Inklusion gemeinsam mit den Berliner Museen (u.a. Staatliche Museen zu Berlin und die Berlinisch Galerie) und vielen anderen Kooperationspartnern. Stefanie Wiens beendete ihr Masterstudium mit einer Abschlussarbeit zum Thema “Zielgruppe der Menschen mit Behinderung in Museen“. Die Arbeit schloss inhaltlich an ihre Bachelorarbeit “Kultur für Alle – Museum für Alle“ an und ist nominiert für mehrere Preise (u.a. Für den Tiburtius-Preis der Freien Universität Berlin). Bereits während des Grundstudiums arbeitete sie als Museumspädagogin und studierte ein Semester an der Jagiellonen Universität in Kraków. Detailliertere Informationen zu Stefanie Wiens finden Sie auf XING.

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