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Neue Heimat Duisburg – Versuch einer Gebrauchsanweisung

Von Jens Schmidt

Die Redewendung „den hat es ins Ruhrgebiet verschlagen“ ist zum Gemeinplatz der deutschen Sprache geworden, der von vornherein unterstellen soll, dass jemand eher unfreiwillig im Revier „hängen geblieben“ ist, des Berufes oder der Liebe wegen, aber sich in diesem vermutlich wie in der Verbannung fühlen wird und keine Heimatgefühle entwickeln soll. Während unterstellt wird, dass sich jemand

Die wenigsten bringen Duisburg mit Jugendstil in Verbindung. Dabei stehen aufgrund des entspannten Wohnungsmarkts in kaum in einer anderen Stadt die Chancen so günstig, in einen schmucken Altbau einzuziehen. – Foto: Privat

Hamburg, München oder Berlin aus freien Stücken ausgesucht hat, haftet nüchternen Geschäftsmetropolen wie Frankfurt am Main, Stuttgart oder Düsseldorf und Industriestädten wie Chemnitz, Völklingen oder eben Duisburg der Ruf an, dass man dorthin nur wegen des Jobs zieht, und dann auch immer mit dem Hintergedanken, hoffentlich bald wieder wegzukommen. (Die Frage, ob ich denn in meine Geburtsstadt Hamburg zurückzukehren gedenke, kann ich mittlerweile nicht mehr hören.) Dabei haben es die Handelsstädte immer noch etwas leichter; denn sie gelten zwar vielen als hässlich und brutal (Frankfurt), spießig (Stuttgart) oder versnobt (Düsseldorf). Die Lokalpolitik versucht oftmals wenig glaubwürdig und mit mäßigem Erfolg, durch betuliche Imagekampagnen glauben zu machen: „Eigentlich sind wir ganz anders, wir kommen nur so selten dazu.“ (Um es mit Ödön von Horváth zu halten.) Aber die Städte kommen mit ihren scheinbaren Defiziten verdammt gut durch. Die Jobmaschine boomt, die Verdienstmöglichkeiten sind attraktiv, dadurch ziehen sie „Besserverdienende“ geradezu an, die dann letztlich doch stolz auf die Frankfurter Edelclubs, auf ihr Häusle in Hanglage oder die modischsten Schuhe von der Königsallee sind.

 

Die Industriestädte hingegen befinden sich im Strukturwandel, was eine prosaische Metapher für nicht weniger als die Aufgabe ist, dass sie sich neu erfinden müssen. Dabei müssen sie mit den Wunden leben, die ihre schwerindustrielle Vergangenheit in ihre Landschaft und Architektur gerissen hat. Während die undemokratische Vorzeit in den alten Residenzstädten München und Dresden prunkvolle Aufmarschplätze geschaffen hat, während das Hamburger Großbürgertum mit prunkvollen Villen an der Außenalster und in den Elbvororten siedelte, sind Duisburg die Stahlkolosse und Schornsteine erhalten geblieben, die weite Teile des Rheinufers in Beschlag nehmen.

 

In den letzten Jahrzehnten schwankten die Ruhrgebietsstädte in ihrer Außendarstellung zwischen zwei gegenläufigen Wegen: Der eine Ansatz war der folkloristische, indem man stolz oder trotzig seine Industriegeschichte nach außen präsentierte. Guckt mal, was für ehrliche Kumpels wir doch sind. Rituale wie Currywurst rot-weiß essen oder jeden Samstag seinen traditionelle Fußballverein anfeuern sind

Ausblick Wasserturm Ausblick vom Wasserturm Hochfeld in den Osten der Stadt: die grünen Ausläufer des Bergischen Landes.

mehr als irgendwo anders Bestandteil der hiesigen Kultur. Eine ganze Werbeindustrie lebt davon, bei Schimanski-Führungen durch Duisburg-Ruhrort die Drehorte zu zeigen oder T-Shirts mit „Hömma!“ oder „A 40 – Woanders ist auch Scheiße“ zu verkaufen.

 

Der andere Ansatz, zu Zeiten der Ministerpräsidenten Wolfgang Clement und Jürgen Rüttgers von einer technokratischen Politikergeneration praktiziert, bestand darin, das Vergangene wegwischen zu wollen – „eigentlich bin ich ganz anders“, siehe oben. Stärke demonstrieren, bloß nicht rumjammern, immerhin positiver Aspekt dieser Ära. Die Akteure waren Getriebene des immer härter ausgetragenen überregionalen Standortwettbewerbs und wollten mithalten. So entstanden die ebenso teuren wie glänzenden „Leuchtturmprojekte“, die sich aufgrund von Leichtgläubigkeit und Größenwahn, Filz und kaufmännischem Dilettantismus seitens der Politik unterm Strich nicht „rechneten“ und nicht immer von den seriösesten Investoren ausgeführt wurden. Die neuen Glaspaläste hellten das Stadtbild auf, erreichten aber nicht unbedingt das Ziel, den Städten eine neue Identität zu verleihen, die die Bevölkerung gerne annehmen wollte.

 

Die traurige Variante dieses Ansatzes können wir in den letzten Jahren verstärkt beobachten: Aus Mutlosigkeit werden ganze Stadtteile abgerissen, um sich dem Bevölkerungsschwund anzupassen. Es werden händeringend Projektentwickler gesucht, nur um Grundstücke in Bestlage für ein Linsengericht zu verscherbeln. Und wenn diese dann ihre Pläne doch nicht in die Tat umsetzen, künden Stadtbrachen jahrelang wie schwärende Wunden vom Misserfolg.

 

Ausblick vom Hochhofen: Der Kontrast zwischen gigantischer Industriearchitektur und Natur ist typisch für Duisburg und insbesondere für den Landschaftspark Nord. Foto: Privat

Eine Sternstunde muss nach allem, was ich hierüber gelesen habe und was ich an Bauwerken bewundern durfte, die Ära der Internationalen Bauausstellung (IBA) Emscher Park gewesen sein. Der Stadtentwicklungsminister des Landes NRW, Christoph Zöpel und der IBA-Geschäftsführer, Karl Ganser setzten auf die sanfte Erneuerung, auf die Renaturierung und Aufwertung, auf die Verbindung von Industriekultur und Landschaft. Hieraus entstanden in Duisburg Highlights wie der Landschaftspark Nord oder der Innenhafen. Dabei war die IBA nur als Anfang einer neuen, menschenfreundlichen Ära gedacht – was leider nicht aufging, da schon sehr bald nach Ende der Ausstellung wieder alte schlechte Gewohnheiten und neue kurzlebige Moden die Politik beherrschten. Ein kleines Revival, auch wenn mich persönlich der Jahrmarktcharakter der Events nicht immer ansprach, kann man vielleicht in den Festivitäten des Kulturhauptstadtjahrs 2010 sehen. Auch hier wurde Stolz auf die Historie demonstriert, wurde die Welt eingeladen, diese ganz andere Metropole zu besuchen.

 

Ist also Duisburg auf den Hund gekommen, hat es sich zu einem Ort entwickelt, vor dem man nur die Flucht ergreifen sollte? Die rückläufige Bevölkerungsentwicklung und das schlechte Abschneiden in Rankings könnten diese Schlussfolgerung nahelegen. Aber wir wissen ja, was die Millionen Fliegen fressen, die angeblich nicht irren können… In einem Souvenirladen gibt es jetzt den Spruch zu kaufen „Berlin kann jeder. Duisburg muss man wollen.“ Darin steckt viel Wahrheit: Duisburg ist eine Stadt, zu der man selbst ein persönliches Verhältnis entwickeln muss. Es ist keine käufliche Stadt, in der man als Neureicher das schnell erworbene Geld ebenso schnell „auf die Sahne haut“ und dafür eine merkantile Gegenleistung zum schnellen Konsum erhält. Man muss Neugier, Lebensfreude und Individualismus selbst mitbringen, damit die Stadt einem zum Dank tiefe Erfüllung zurückgibt.

 

Der König-Heinrich-Platz bildet den städtebaulichen Höhepunkt der Sichtachse Königstraße.
Foto: Privat

Duisburg wird immer wieder von der Melancholie eingeholt. Wenn durch Planungsversagen über 20 Menschen auf der Love Parade sterben. Wenn laut Arbeitsmarktstatistik der Wirtschaftsaufschwung wieder mal an Duisburg vorbeigeht. Wenn wieder mal ein Traditionsladen in der Altstadt sich nicht halten konnte. Wenn Alltours und Peek & Cloppenburg uns mit einem ebenso dürren wie knallharten

Statement aus der Presseabteilung den Rücken kehren. Wenn der eigene Fußballverein aufgrund maroder Finanzen aus der zweiten Bundesliga absteigt: Diese Tage sind schwer zu ertragen, auch oder vielmehr gerade für einen Lokalpatrioten wie mich. Dann wird die Spreu vom Weizen getrennt. Der Pessimist jammert zum x-ten Male, dass er nun endlich Duisburg den Rücken kehren will – „wir können alles außer richtig“. Der Optimist denkt vermutlich nicht an die wechselhafte Stadthistorie, hat sie aber in seinem Lebensgefühl verinnerlicht. Duisburg wurde schon vom Rhein abgeschnitten, es hat seine altehrwürdige Universität an Bonn verloren, es wurde im Zweiten Weltkrieg weitaus schwerer zerstört als Dresden. Immer wieder hat es sich von seinen Niederlagen erholt und wurde stärker als zuvor.

 

Was macht nun die Stadt einzigartig? Es sind nicht die landläufigen Attraktionen wie ein kurfürstliches Schloss, eine Fachwerk-Altstadt, ein unversehrtes Landschaftsidyll oder ein überlaufenes Szeneviertel. Es ist gerade das Unperfekte, es sind die Brüche, beziehungsweise das, was letztlich aus den Brüchen entstanden ist. Die graue Funktionsarchitektur der Königstraße wurde in einen Fußgängerboulevard mit Arkaden und künstlerisch gestalteten Brunnen umgewandelt, der König-Heinrich-Platz wurde freigelassen – Ergebnis ist ein großzügiger Fußgängerboulevard mit hoher Aufenthaltsqualität, der regelmäßig als Bühne für Freilichtveranstaltungen dient und den man so in keiner anderen deutschen Großstadt findet. Am Innenhafen ist zwischen einem Mix aus alten Speicherhäusern, modernen Büropalästen und Wasser, aus Essen, Trinken, Flanieren, Arbeiten und Wohnen mediterranes Flair entstanden. In Ruhrort schlängelt sich die Straßenbahn zwischen klassizistischen Häusern durch verwunschene Gassen. Auf der Weseler Straße, der romantischsten Shoppingmeile Europas, stolpert man von einem türkischen Brautmodenladen zum nächsten. In

Die Sonnenuntergänge am Innenhafen sind so imposant, dass man hier regelmäßig Hobbyfotografen mit Spiegelreflexkamera und Stativ antrifft. – Foto: Privat

ethnischen Restaurants und Supermärkten, die in sozialen Brennpunkten liegen, bekommt man die himmlischsten Köstlichkeiten unterschiedlicher Landesküchen authentisch und ohne Schickimicki serviert. Auf den 28 über das ganze Stadtgebiet verteilten Kiez-Wochenmärkten bleibt scheinbar die Zeit stehen, während deutsche neben türkischen Händlern frisches niederrheinisches Obst und Gemüse feilbieten.

 

Auf dem Kaiserberg wechselt der Anblick zwischen dicht bewaldeten Pfaden, Tümpeln, Lichtungen und einem Panorama von Duisburg. An der Sechs-Seen-Platte denkst du, jetzt bist du aber wirklich im Wald, wenn schon der nächste See vor deinen Augen erscheint. In der unendlich weiten niederrheinischen Idylle von Laar erhebt sich hinter dem Deich wie auf einem flämischen Gemälde eine alte Häuserzeile, während in der Ferne die Skyline von Duisburg und die sanften Hügel des auslaufenden Bergischen Landes aufscheinen. Im Rheinpark Hochfeld zaubert die langsam untergehende Sonne die prächtigsten Farbenspiele hinter einer Kulisse der Industriearchitektur.

 

Wen diese Impressionen immer noch nicht überzeugen können, dem sei das profanste Argument für Duisburg ans Herz gelegt: die niedrigen Mieten. „Geiz ist geil?“ Nicht nur, obwohl es ja schon ein gewichtiges Argument ist, ob man für die gleiche Lebensqualität pro Monat ein paar hundert Euro mehr oder weniger abdrücken muss. Aber wo der Mieter sich die Wohnung frei aussucht, statt nach dem zehnten Casting dankbar den Krümel annehmen zu müssen, der für ihn abgefallen ist, da regieren noch Freiheit und Authentizität statt austauschbarer Schickimicki-Locations. Und schöne Jugendstil-Altbauten gibt es hier zum Spottpreis – insbesondere in den alten Industriequartieren wie Meiderich, Hamborn oder Hochfeld (rund um die Heerstraße), in

Rheinpanorama, die Duisburger Silhouette und die Häuser der Deichstraße: Die Rheinpromenade in Laar ist vielleicht die schönste in ganz Duisburg. Foto: Privat

denen es sich teilweise erstaunlich ruhig zwischen Alleebäumen und hübschen Plätzen und Parkanlagen leben lässt.

 

Etwas zu einfach macht es sich auch, wer nicht wahrhaben möchte, dass Duisburg Teil einer großen Agglomeration ist, welche in einer Liga mit der deutschen Hauptstadt Berlin spielt. Die Frage stellt sich nicht, ob man Homberger, Duisburger, Ruhri oder Niederrheiner ist – man ist von allem ein wenig. Nicht Duisburg ist der Maßstab – da wir das Privileg genießen, an der Schnittstelle von Rhein und Ruhr zu leben, sind wir sowohl Teil des Rheinlandes als auch des Reviers, können das Beste aus beidem miteinander verbinden. Ich kann ja die Rheinhausener und die Homberger verstehen, die sich tief gekränkt fühlen, weil das große Duisburg sie geschluckt hat, um dann letztlich doch keine gescheite ÖPNV-Verbindung in den Westen der Stadt zu Stande zu bringen. Aber da sollte doch man den Lokalpolitikern vorhalten, warum sie sich nicht um die linksrheinischen Stadtteile kümmern, und nicht, warum sie diese überhaupt haben wollten. Kein Duisburg ist auch keine Lösung.

 

Wer über Duisburg als Ganzes schimpfen will, macht es sich einfach, und dem kann ich wohl seine schlechte Laune nicht nehmen. Es ist auch für andere Städte geradezu typisch, dass der Einheimische eine Hassliebe entwickelt, während der Zugereiste ins Schwärmen kommt. Georg Kreisler sinnierte: „Wie schön wäre Wien ohne Wiener?“ Karl Kraus

Der gründerzeitliche Hamborner Altmarkt wird von stattlichen Altbauten gesäumt. Türkische Händler verkaufen niederrheinisches Obst und Gemüse. Ein echter „Hingucker“ ist der Dönerstand im Jugendstil – Foto: Privat

hingegen brachte es auf den Punkt:  „Ich verlange von einer Stadt, in der ich leben soll: Asphalt, Straßenspülung, Haustorschlüssel, Luftheizung, Warmwasserleitung. Gemütlich bin ich selbst.“ Und ist nicht Duisburg auch ein bisschen Wien? Wir haben zwar kein Dreimäderlhaus, aber immerhin ein Dreigiebelhaus. Und das Meinl-Kaffeehaus „Past scho“ am Innenhafen wiederzueröffnen, das ich an langen Winterabenden schmerzlich vermisse, wäre immerhin ein Anfang.

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