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Wir brauchen Ermöglichungsräume statt des Jugendscheltens

„Die Jugendlichen haben heutzutage keine Geduld. Die können nichts mehr mit den Händen machen, die tippen heutzutage nur noch dauernd auf ihren Smartphones rum. Und früher, da gab es noch den Familienzusammenhalt – Butterbrote für die Schule! Gekocht wird heute auch nicht mehr und überhaupt, diese Jugendlichen sind abgeschmackt und dumm und sehen überhaupt nicht mehr ARD und ZDF sondern nur noch die Nachrichten bei RTL oder SAT1 oder gucken dieses Dschungelcamp-Zeugs. Außerdem macht Popmusik komplett kirre im Kopf.“

Gegen diese Argumentwand anzureden ist im persönlichen Gespräch verlorene Liebesmüh. Genauso wie man keinen PEGIDA-Anhänger der demonstriert davon überzeugen kann, dass es vielleicht doch eine andere Wirklichkeit gibt als die, die er sich konstruiert. Aber wer ist man auch seine Wirklichkeitskonstruktion anderen aufzuzwingen…

(c) Willy Horsch

Aber dennoch: Unwidersprochen hinnehmen sollte man so etwas nicht, zudem ist es auch immer zu einfach Dinge an nur einem Haken festzumachen wenn die Zustände komplexer sind. Wenn die Schule mehr und mehr bestrebt ist aus dem Menschen jemanden zu machen, der nicht mehr fit in Geisteskünsten ist sondern fix und fertig für die Wirtschaft ist – dann ist das eine Gegenbewegung zu den Dingen, die in den 70gern eine Rolle spielten. Die Neugründungen von Unis im Ruhrgebiet etwa standen ja nicht vereinzelt da sondern waren Teil eines Systems, das den Menschen aus den geringeren Schichten den Aufstieg ermöglichen sollte. Sicherlich gehört dazu auch die Befähigung zur Gedichtanalyse, zur Interpretation, zum Nachdenken über das Nachdenken. Rechnungswesen, Wirtschaft und Programmieren als Fächer – vielleicht das Programmieren noch ausgenommen, weil auch hier Kreativität erforderlich ist – ermöglichen den Menschen nun mal nicht sich Gedanken darüber zu machen wie denn etwa über Dinge berichtet wird. Mit G8 und Bologna können Jugendliche auch gar keine Geduld an sich entwickeln – sie werden eingezwängt in ein System des Lernens und Wiedergebens, das keinen Raum für die Freiheit lässt mal anderen Dingen im Leben nachzukommen. Dies zum Einen.

Zum Anderen: Dass Jugendlichen an sich die Geduld fehlt glaube ich nicht. Es ist nur so, dass es heute viel mehr Möglichkeiten gibt mit denen man sich beschäftigen kann – und ich glaube, wenn jemand nach dem Ganztag noch zum Turnverein geht und dann spätabends trotzdem noch Hausarbeiten machen muss, dass dann wohl gewisse Dinge verkümmern müssen. Was allerdings auch teilweise an den Eltern liegt, das muss man wohl einräumen. Allerdings hats immer Eltern gegeben welche ihre Pflichten ernster nahmen als als andere. Nur was neu ist in unserer Gesellschaft ist, dass es Eltern leichter gemacht wird ihre Verantwortung abzugeben – Ganztag sei Dank muss man sich dann mit den Kleinen nicht mehr komplett beschäftigen… Die Versuchung dann alles komplett an die Schule auszulagern liegt nahe – dennoch ist auch dies zu einfach. Wir steuern auf ein System hin, dass nicht mehr das Bildungsideal des humanistisch-kompetenten Menschen im Auge hat sondern welches den Menschen gerne als perfekten Homo Oeconomicus formen möchte. Reflektieren, Nachdenken und sich seine Meinung bilden – ist das in der Wirtschaft wirklich gefragt? Trotz “ethischem Management” und “verantwortlich nachhaltigem Konzernhandeln” – was auch immer für die Sprechblase “nachhaltig” eingefügt wird…

In Zeiten, in denen es schwierig geworden ist den eigenen Weg zu finden – weil es nicht nur vielerlei Angebote gibt sondern weil auch heute nicht gesichert ist dass man im Beruf selbst bis zur Pension bleibt, ist die Unsicherheit die einzige Konstante. Das ist wiederum etwas was frühere Generationen nicht in dem Maße kennen: Krisen gab es sicherlich auch in der Vergangenheit, aber die stete Verunsicherung in einem Zeitalter, in dem seit 9/11 Katastrophe auf Katastrophe zu folgen scheint hinterlässt sicherlich ihre Spuren. Die kommende Generation wird etliche Seiten im Lebenslauf haben die das dokumentieren werden; in solchen Zeiten ist die Einfachheit der Komplexität gewichen. Die Reduzierung der Komplexität nun aber auf ein einfaches und simples “Die Werte von Gestern waren immer noch richtig” greif zu kurz. Denn diese Werte halten dem neuen Gesellschaftsmodell nicht mehr Stand. Dass die Großfamilie an sich nicht mehr existiert mag bedauerlich sein – aber sie ist ein Modell, dass nicht mehr in die Zeit passt. Das Sich-Kümmern verschwindet jedoch nicht vollständig, es wandelt sich nur um in andere Modelle. Das Generationenhaus. Das betreute Wohnen. Das Nachbarschaftliche Gemeinsame. In den Zeiten der Sharing-Kultur kommen solche Initiativen zwar etwas zu kurz, hier geht es weithin nur um das Teilen von Ideen und Dingen, aber sicherlich werden wir nach und nach vermehrt Initiativen für diesen Bereich erleben. Dazu sind wir zu sozial als dass dies vollständig verschwinden würde. Es mag weniger werden, ja. Keine Frage.

In Zeiten des Neo-Biedermeiers in dem der Mensch seine Ohnmacht gegenüber der Politik erlebt – selbst wenn man sein Kreuz an der “richtigen” Stelle setzt kann man nicht sicher sein, dass auch die Politik gemacht wird für die die Partei steht –  und in denen er die Orientierung verloren hat; in der Komplexität sind BILD, RTL2-Nachrichten und Dschungelcamp die Dreifaltigkeit des Einfachdummen. Das Nachdenken strengt an und wenn der Schultag sich derartig bis in den Abend verlängert wird Ablenkung gesucht. Wem kann man es verdenken: “Fernseher an, Füße hoch, Arschlecken”. Dass gute Dokumentationen dann auch erst spät am Abend laufen nachdem im ZDF Pilcher und Co. versendet wurden – wen interessierts. Hauptsache der nächste Krimi kommt am Anschluss und wenn man sich nicht aufregen will schaut man Jauch und Co. Denn auch hier muss man nicht nachdenken sondern bekommt die Meinungen präsentiert, die man eh schon hat. Bis zur nächsten Woche hat man die Statements der Gäste eh schon wieder vergessen: Neuer Sonntag, neues Abschalten.

Wer nun aber über die Jugend jammert und diese schilt, der sollte sich andererseits auch fragen lassen: Bietet man genügend Ermöglichungsräume? Bietet man genügend Förderungen im Alltag? Steht man mit Rat und Tat beiseite oder ist das nur so, dass man in Sonntagsreden das Schwinden der Gesellschaft beklagt und dann am Montag sich keinen Deut um den Nachbarn schert? Beklagt man den Balken im Auge der Anderen und sieht den eigenen Splitter nicht?

Dies sind Fragen, die hier nicht beantwortet werden können und allgemeingültige Lösungen a la “Wer die XYZ wählt, der wählt richtig” reduzieren wiederum die Komplexität unserer heutigen Welt. Wer all zu einfache Formeln für den Weltfrieden hat sollte mal überprüfen ob diese nicht eine Spur zu fundamental sind. Generell gilt: Die Herausforderungen einer komplexen Gesellschaft wird man nicht dadurch begegnen, dass man sich in die Vergangenheit zurückräsonniert – sondern in dem man Modelle und Vorgehensweisen entwickelt um wenn nicht die Gesellschaft an sich so dann doch die eigene Nachbarschaft in die Richtung zu bringen, die jenseits des Homo Oeconomicus liegt. Steuererklärungen machen lernen ist das Eine, aber Orchideen zu züchten das Andere. Und beides kann von Nutzen sein. Entweder und oder.

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