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Liebesbekenntnisse und Bürgerbeteiligung eines Wahl-Duisburgers

Als ich vor zehn Jahren ins Ruhrgebiet zog, weil hier die Wartezeiten fürs Referendariat so konkurrenzlos kurz waren, fragte ich mich, der ich mein gesamtes Leben im Norden verbracht hatte, ob ich je wieder irgendwo so heimisch werden konnte wie in meiner Geburtsstadt Hamburg. Mich reizte allein die Aussicht, in den größten Ballungsraum von ganz Deutschland zu ziehen – hinaus in die große weite Welt! Ein Gastartikel von Jens Schmidt

 

Liebenswerter multikultureller Mix: die Wanheimer Straße in Hochfeld.

Nachdem ich mich die ersten Wochen im quirligen Essen fürs Erste eingelebt hatte, begann ich, einen Vorsatz die Tat umzusetzen: Mit dem DuMont-Kunstreiseführer in der Hand die Umgebung besuchen – damals allein, da ich hier noch keine Leute kannte, mit denen ich etwas hätte unternehmen können. Erstes Ziel an einem sonnigen Maitag 2004: Duisburg. Nachdem ich mit dem Zug durch die Ruhrauen gejagt war, wo Schafe an den Deichen grasten, empfing mich die Weite der Königstraße. Das Plätschern der Brunnen untermalte die Ruhe, die die Duisburger Fußgängerzone ausstrahlt. Hier konnte ich den Alltag abschütteln, umgeben von Marktständen – Urlaubsstimmung kehrte ein. (Kommt noch das niederrheinische Temperament hinzu? Ich habe immer den Eindruck, hier wird weniger Radau gemacht als in Essen oder Düsseldorf.) Verglichen mit vielen anderen Fußgängerzonen hat Duisburg es irgendwann verstanden, die funktionale Nachkriegsarchitektur durch ein städtebauliches Konzept mit Arkaden und Straßenkunst und anstelle einengender, spießiger Pavillons zu einer Flaniermeile mit echter Aufenthaltsqualität aufzuwerten, die mehr Genuss zu bieten hat, als nur von einem Geschäft zum nächsten zu eilen.

 

Am Innenhafen fand der urige Marinamarkt statt, vor dem Hafenforum sang ein Bergmannchor „Glückauf, der Steiger kommt“. Ich hatte meine neue Stadt am Wasser gefunden, und das ist als Fischkopp nicht der schlechteste Anknüpfungspunkt. Die maritime Farbe Blau dominiert die Stadt, vom Lifesaver bis zum MSV; auch die Hochhäuser schimmern bläulich, viele Sandstein-Fassaden sind hellblau getüncht.

 

Duisburg ist nah am Wasser gebaut: Rheinpanorama in Ruhrort.

Und so sollte dieser Kurztrip der Auftakt für meine Liebe zu dieser Stadt werden. Ich fuhr immer wieder mal nach Duisburg – häufiger als ins benachbarte Düsseldorf. Gerade die scheinbar im Dornröschenschlaf liegenden Kieze wie Dellviertel oder Hochfeld mit ihren verwinkelten Nebenstraßen eigneten sich perfekt, um zu flanieren und (damals hatte ich noch keinen Hausanschluss) in einem der zahlreichen günstigen Internetcafés einzukehren, wo die mit viel Herzblut und Witz betriebene, inzwischen leider eingestellte Stadtteilseite „Im Hochfeld“ zu meinen Lieblingsdomains gehörte. Mich faszinierte auch das Multikulturelle von Duisburg – daher war das damals frisch erschienene Buch der in Marxloh aufgewachsenen Journalistin Hatice Akyün „Einmal Hans mit scharfer Soße“ für mich Pflichtlektüre und besuchte ich auch eine Autorenlesung.

 

Schon damals kam mir immer wieder der Traum, wie schön es doch wäre, irgendwo hier zu wohnen. Wenn ich Besuch bekam, musste es ein Ausflug nach Duisburg sein. Mit dem damaligen Wiener Café „Past scho“ von Julius Meinl am Innenhafen oder dem legendären Fischrestaurant „Walsumer Hof“ war mir ein bleibender Eindruck sicher – solche individuellen Lokale gab’s in keiner anderen Stadt!

 

Unvergessen auch die Granatenstimmung auf den Innenhafenfesten – es waren heiße Sommer. Wozu ans Mittelmeer oder in die Karibik fahren, wenn man sich in Duisburg wie im Süden fühlen konnte? 2005 waren gerade zwei glanzvolle Bauten fertiggestellt, nämlich die „Five Boats“ von Nicholas Grimshaw und der erste Teil des „H2“ von Hadi Teherani. Der Innenhafen war architektonisch anspruchsvoller und weiter gediehen als die HafenCity in meiner Heimatstadt Hamburg. Duisburg war seit den Neuzigern die Stadt im Ruhrgebiet, in der am ehrgeizigsten und modernsten geplant und gebaut wurde. Natürlich ist mir auch bewusst, dass wir an manchen Prestigeprojekten, die früher sorglos beschlossen wurden, wie dem U-Bahn-Bau, heute finanziell schwer zu tragen haben.

 

Ende 2006 verließt ich berufsbedingt Nordrhein-Westfalen, lebte erst zwei Jahre in Frankfurt und dann zwei Jahre in Dresden – zwei auf sehr unterschiedliche Weise attraktive Städte, die ich in meinem Lebenslauf nicht müssen möchte. Duisburg verfolgte ich am Rande immer mit: das Forum, den Rheinpark und die Moschee, aber auch die Mafiamorde und die Rockerkriege. Nie werde ich vergessen, wie ich Samstag, den 24. Juli 2010 arglos vom Einkaufen aus der Stadt zurückkehrte und die Hiobsbotschaft von der Love-Parade-Tragödie im Internet vorfand. Diese war auf andere Art und Weise ähnlich einschneidend für die Stadt, wie es die Schließung des Stahlwerks in Rheinhausen gewesen sein muss. Trotz der Ereignisse machte ich wie geplant im August in einen Kulturhauptstadt-Essen-Urlaub. Auch ein kurzer Abstecher nach Duisburg war dabei. Allerdings war die allgemeine Stimmung noch derartig gedrückt, dass man es nicht lange hier aushalten konnte.

 

2011 ergab es sich dann, dass ich eine neue Arbeitsstelle in Wuppertal antrat. Obwohl der Wohnungsmarkt dort eigentlich als entspannt gilt, verzweifelte ich geradezu daran, eine akzeptable Bleibe zu finden. Schließlich kam mir eine Idee: Warum nicht vom Ruhrgebiet aus pendeln? Hatte ich nicht vor ein paar Jahren mal davon geträumt, in der Hafenstadt Duisburg zu wohnen, zumal die Mieten hier sehr günstig sind? Aber wollte ich wirklich in einer Stadt leben, die durch ein so großes Unglück noch immer traumatisiert war? Andererseits, warum sollte die Verantwortungslosigkeit bestimmter Akteure mich davon abhalten, hier herzuziehen? Gerade jetzt konnte Duisburg doch Fans gebrauchen, die unerschütterlich zu „ihrer“ Stadt hielten! Ich wagte einfach den Versuch und machte eines sonnigen Samstags eine Wohnungsbesichtigungstour. Es waren drei schöne Wohnungen und ein „Ausfall“ dabei – da kann man nicht klagen. Am Ende entschied ich mich wegen der günstigen Verkehrsanbindung für die Altstadt und wurde so zum Wahl-Duisburger.

 

Insgesamt finde ich den Duisburger Wohnungsmarkt sehr attraktiv, die Wohnungszuschnitte sind großzügig. Okay, bei der Ausstattung und bei der Wärmedämmung muss man ein paar Abstriche machen – aber dafür gibt es gerade rund um das Zentrum so schöne Quartiere. Man hat seine Ruhe, aber trotzdem findet ein Straßenleben statt, das ich authentischer finde, als wenn Touristenscharen oder aufgebrezelte Yuppies in den üblichen Schickimicki-Szenevierteln von einer In-Location zur nächsten ziehen. Neben der üblichen Nachkriegsarchitektur finden sich immer wieder echte Gründerzeit- und Jugendstil-Perlen. Wasserviertel, Dellviertel, Neudorf, Duissern, Ruhrort, Meiderich, Wedau – die Liste, wo man überall nett wohnen kann, ist doch wirklich lang! Ich verstehe gar nicht, warum so viele aus Duisburg wegziehen oder warum so wenige, die in Düsseldorf arbeiten, auf die Idee kommen, sich die teuren Mieten dort zu sparen und nach Duisburg zu ziehen. Ich glaube, wir müssen sehr viel selbstbewusster und nachhaltiger für die Reize unserer Stadt werben.

 

Von Anfang an führte kein Weg daran vorbei, sich intensiv mit der aufgeheizten Kommunalpolitik zu beschäftigen. Kam ich zu spät, um für die Abwahl von Adolf Sauerland mit zu unterschreiben, so konnte ich, gerade einmal drei Monate nach meinem Einzug, beim Bürgerentscheid mit abstimmen. Nachmittags nahm ich an einem kleinen Flashmob vor dem Rathaus teil. Am Abend ging ich das fulminante Wahlergebnis feiern, mit dem ich so nicht gerechnet hatte. Durch die dortigen Unterhaltungen wurde mir erstmals klar, welcher Parteienfilz unter der Oberfläche herrschte, die ich als Zugereister zunächst nur wahrnahm.

 

Als die Kandidaten gekürt waren, klebte ich einen Tag für den unabhängigen Bewerber Michael Rubinstein Plakate, der von den Piraten, der FDP, der liberalen Islamwissenschaftlerin Lamya Kaddor und Werner Hüsken vom Abwahlbündnis unterstützt wurde. Er war genau der Typ intellektuell-liberaler Großstadtbürger, den ich damals Duisburg wünschte, und versprach einen echten Neuanfang gegenüber den altgedienten Parteikadern. So sehr mich die Versuchung reizte, jetzt irgendwo „mitzumachen“, widerstand ich ihr. Da ich der FDP nun wirklich nicht nahe stand, hätte ich den Piraten beitreten können, die ich damals als Frischzellenkur für den Politikbetrieb empfand. Nach den internen Querelen gerade der Duisburger Piraten und dem Absacken in der Wählergunst hat es sich letztlich als richtig erwiesen, mich nicht derartig festzulegen.

 

Das Nächste, woran ich teilnahm, waren zwei städtische Veranstaltungen zu Duisburg2027. Außerdem schrieb ich regelmäßig Beiträge in der Facebook-Gruppe „Stadtpolitik Duisburg“, die leider zwischenzeitlich aufgelöst wurde. Ich mochte diese Community, in der das gesamte Spektrum von links bis konservativ vertreten war und an der neben interessierten Bürgern auch etliche aktive Duisburger Politiker teilnahmen.

 

Kunstausstellung zur Rettung der Bäume an der Mercatorstraße. 1. v.l.: Wolfgang Rovers, BUND, einer der drei Vertretungsberechtigten des Bürgerbegehrens. 2. v.l.: Harald Jochums, Architekt für ökologisches Bauen, Mitorganisator der Ausstellung. 5. v.l.: Baldur Airinger, Organisatorin der Kunstausstellung. 4.v.r.: Kerstin Ciesla (BUND), die starke Frau hinter der Bürgerinitiative. 1.v.r.: Jens Schmidt.

Im Sommer 2013 dann wurde ich ziemlich plötzlich Teil einer Bürgerinitiative. Anlass war, dass die Fällung der Alleebäume vor dem Hauptbahnhof zugunsten einer neuen Verkehrsführung an der Mercatorstraße anstand, die dem Projektentwickler Multi Development den Bau eines Bürogebäudes ermöglichen sollte. Als sich der Umweltverband BUND und die Grünen öffentlich dagegen aussprachen und eine entsprechende Unterschriftenaktion ins Leben riefen, hatte ich eine spontane Idee: Ich gründete eine Facebook-Seite namens „Occupy Mercator“, die ebenfalls dagegen protestierte. Den Namen führte ich auf die Anti-Erdogan-Proteste in der Türkei zurück, die sich gegen die Zerstörung des Gezi-Parks in Istanbul für ein Investorenprojekt richteten und damit gegen mangelnde Bürgerbeteiligung und die auf Twitter unter #occupygezi liefen.

 

Warum waren mir ein paar Alleebäume so wichtig geworden, dass ich ihre Fällung verhindern wollte? Für mich war die geplante Aktion ein Angriff auf das, was die Stadt Duisburg lebenswert macht. Ich mag das großzügige Straßenraster, aufgelockert durch weite Plätze. Die Aufenthaltsqualität als Fußgänger ist hoch, da die zentralen Wohnviertel durch keinerlei Gewerbegebiete abgeschnitten sind und man gerade das Bahnhofsumfeld anders als in vielen anderen Metropolen als weitgehend intakt bezeichnen darf. Unverbaute Sichtachsen wie die Königstraße, die Mülheimer Straße, der Sternbuschweg oder eben die Mercatorstraße sind eine Augenweide. Alleebäume werten das Ambiente auf, dadurch wirken selbst viel befahrene Ausfallstraßen weniger grau. Man nimmt diese Schönheiten allzu schnell für selbstverständlich – aber fehlen sie eines Tages, ist es zu spät und wird man sie schmerzlich vermissen.

 

Mit Hilfe von „Guerilla-Werbung“ auf unterschiedlichen Facebook-Seiten, die entweder einen Bezug zu Duisburg hatten oder politisch in eine ähnliche Richtung gingen (z.B. gegen Stuttgart21), stieg binnen kürzester Zeit stieg die Zahl der Fans, die die Seite mit „gefällt mir“ markierten und damit gleichzeitig die neuesten Mitteilungen abonnierten, rasant an. Auf dem Umweltmarkt nutzte ich die Gelegenheit, um mich mit den Aktivisten von BUND und Grünen persönlich zu vernetzen. An einer Mahnwache mit Kundgebung am Averdunkplatz, die der Unterschriftensammlung diente, beteiligte ich mich dann mit einer Rede. Meine Facebook-Seite nutzte ich für einen Mix aus aktuellen Informationen, Werbung für die Unterschriftenaktion und unterhaltsamen Statusmeldungen mit thematischem Bezug. Um die Aufmerksamkeit für ein politisches Thema im Internet aufrechtzuerhalten, muss man sich ja auch verkaufen.

 

Obwohl innerhalb über 3.000 Unterschriften zusammenkamen, stimmte eine Große Koalition innerhalb der Bezirksvertretung Mitte für den Fällbeschluss. Da die Unterschriftensammlung auf ein reges Interesse und große Zustimmung von Seiten der Duisburger schließen ließ, kamen Grüne und BUND schnell auf die Idee, ein Bürgerbegehren zur Rettung der Platanen zu starten. Bei der grünen Basis trat in diesem Falle eine strategische Erwägung hinzu, die ich nur gutheißen konnte: Sie wollte bei der Stadtplanung ein klares Signal für die Berücksichtigung ökologischer Belange und für stärkere Bürgerbeteiligung setzen, die auch vom eigenen Partei-Establishment rund um den Ex-Stadtdirektor Peter Greulich und den Fraktionschef Dieter Kantel nicht sonderlich ernst genommen wurde. Bei dem Bürgerbegehren wollte man mich gerne neben Gerhard Schwemm (Grüne/BUND) und Wolfgang Rovers (BUND) als einen der Vertretungsberechtigten dabei haben, damit durch einen Parteilosen auch diejenigen angesprochen werden konnten – und davon gab es meinem Eindruck nach einige -, die politisch nicht den Grünen nahe stehen, die aber ebenso gegen die Baumfällungen waren.

 

Diesen Gedanken fand ich gut. In Duisburg kochen etliche Interessengruppen meiner Meinung nach – ich möchte an dieser Stelle keine Namen nennen, aber ich habe leider mehrere Beispiele erlebt – zu sehr ihr eigenes Süppchen. Aus lauter Angst, zu viele Köche könnten den Brei verderben, wird man, wenn man mitmachen will, auf Abstand gehalten. Die „Pioniere“ können sich offenbar nicht damit anfreunden, dass andere, die später gekommen sind, auch mitreden wollen. Also finden Entscheidungen und Gespräche im kleinen Zirkel statt; man macht es selbst im Kleinen nicht besser als die großen Ratsparteien, bei denen man dies kritisiert. Eine Kerstin Ciesla vom BUND und ein Matthias Schneider von den Grünen machen es genau umgekehrt und meiner Meinung nach richtig: Sie wollen Mitstreiter einbinden und arbeiten konstruktiv im Team zusammen. Aufgrund dieser positiven Erfahrungen entschied ich mich also – obwohl ich wusste, dass es viel Arbeit werden würde und auch scheitern könnte – dafür.

 

Der prächtige Stadtpark in Meiderich mit seinem alten Baumbestand ist eine der gar nicht so wenigen grünen Lungen in Duisburg.

Ich hätte nicht gedacht, wie sehr sich sich bei der Durchführung eines Bürgerbegehrens letztlich alles um Details dreht. Die notwendige Einhaltung der Formalien zwang uns, viel Zeit in die mehrfache Überarbeitung des Entwurfs zu investieren. Regelmäßige Informationsveranstaltungen fanden statt, denn wir wollten nach außen transparent sein und den aktuellen Sachstand mitteilen. Die Stadtverwaltung war naturgemäß daran interessiert, dass der Fällbeschluss umgesetzt wird, und versuchte, mit Hilfe formaler Einwendungen das Bürgerbegehren ins Leere laufen zu lassen. So mussten wir peinlich darauf achten, dass sich unser Bürgerbegehren nur auf den Erhalt der Bäume gerichtet war, nicht aber auf die Verhinderung des neuen Gebäudes. Ironischerweise häuften sich gerade in diesen Monaten immer mehr Schlagzeilen aus Fachkreisen betreffend MD und Absagen anderer Projekte rund um den Hauptbahnhof, die bezweifeln ließen, dass das Gebäude je entstehen wird.

 

Auch wenn Kerstin Ciesla an dem Bürgerbegehren selbst nicht unmittelbar teilnehmen konnte, da sie nicht im Bezirk Mitte wohnt, war sie es doch, die aufgrund ihrer Erfahrung in der Beschaffung der notwendigen Unterlagen und in der Öffentlichkeitsarbeit einen großen Anteil stemmte. Das war auch in meinem Sinne, da ich mich mehr als der formulierungsstarke, ideenreiche Online-Aktivist sah, aber nicht über Presseerfahrung und über das zusammenhängende Wissen verfügte, mit dem ich in vergleichbarer Qualität zur Entwicklung der Planungen hätte referieren können. Hier schwingt von meiner Seite eine gehörige Portion Respekt mit, da ich kaum jemanden kenne, der so viel Energie in ehrenamtliches politisches Engagement investiert und trockene Fakten so verständlich an ein breiteres Publikum vermitteln kann.

 

Nach einiger Zeit trat noch der parteilose Architekt Harald Jochums, der schon einer der drei Vertretungsberechtigten bei der Sauerland-Abwahl gewesen war, mit einer Kunstausstellung im Café Museum und einem Alternativvorschlag zur Neugestaltung des Bahnhofsplatzes hinzu. Hieraus ist ein persönlicher Kontakt erwachsen, den ich nur als menschlichen Gewinn bezeichnen kann – ich erlebte Herrn Jochums, der in seinem Habitus etwas von einem Bildungsbürger und etwas von einem Anarcho hat, als äußerst loyal – er ist jemand, der sehr offen seine Überzeugung vertritt, aber sich genau so zuverlässig an Absprachen hält. Architekten, wie auch Dietmar Beckmann (Grüne/BUND), der an der Ausarbeitung der Planskizze für das Bürgerbegehren maßgebend beteiligt war, haben einfach einen besonderen fachlichen Hintergrund, was die städtebauliche und die funktionale Komponente betrifft – sie müssen ihn nur im Dienste der umwelt- und menschenfreundlichen Stadtplanung einsetzen, was nicht jeder tut.

 

Anfang Dezember schlug eine Pressemitteilung der Stadt ein wie eine Bombe: Nach einem fruchtlos verstrichenen Ultimatum gegenüber Multi Development, mit dem diese aufgefordert wurden, sich zur Verwirklichung ihres Projekts zu erklären, trat die Stadt vom Kaufvertrag zurück. Damit erledigte sich unser Bürgerbegehren auf einvernehmlichem Wege, und uns blieben Wochenenden erspart, die wir sonst im Winter zur Unterschriftensammlung draußen hätten verbringen müssen. Kurz darauf wurde wie vorgesehen der Fällbeschluss zurückgenommen. Wie die Fläche genutzt wird, steht bis heute nicht fest – jedenfalls kann die Baubehörde nun unter ganz neuen Vorgaben planen. Wir werden die weitere Entwicklung verfolgen, gehen aber davon aus, dass aufgrund des breiten Widerstandes nicht noch einmal versucht wird, die Allee zu zerstören. Wir haben den Erfolg nicht als persönlichen Triumph über jemanden gefeiert – darum ging es mir nie -, sondern als guten Tag für das Stadtbild und für die Bürgerbeteiligung.

 

In diesem Moment lag die Entscheidung nahe, wie vielleicht nie wieder, ob ich mich nicht doch in meiner Freizeit parteipolitisch in der Kommunalpolitik engagieren sollte. Besonders bei den Grünen entwickelten sich die Dinge zum Guten: Im Wege der Kampfkandidatur fand eine Rundumerneuerung der Kandidatenliste für die Kommunalwahl 2014 statt. Drei Gründe gaben für mich den Ausschlag dagegen: Erstens bin ich beruflich zur Zeit so gefordert, dass ich mir nicht vorstellen kann, regelmäßig viel Zeit in Gremienarbeit zu investieren. Zweitens arbeite ich den ganzen Tag mit Akten, so dass ich in meiner Freizeit einen Ausgleich benötige. Drittens ist es auch nicht so mein Ding, mich in die Parteidisziplin einzufügen und damit auch viele Positionen nach außen mit vertreten zu müssen, von denen ich persönlich nicht überzeugt bin – wenn ich in solche inneren Konflikte gerate, will ich mich aber auch nicht auf Kosten anderer profilieren. Ich weiß, das sind die Standardausreden – und weil die meisten in meiner Generation ebenso denken, sind junge Menschen kaum in Parteien repräsentiert und wird über ihre Interessen hinweg regiert.

 

Aber es kommt noch ein anderer Punkt hinzu, und damit schließt sich der Kreis: Wenn man sich ständig damit befasst, welche Machtüberlegungen und Lobbyinteressen politischen Entscheidungen oft zu Grunde liegen, und kein ganz dickes Fell hat, wird man komplett desillusioniert und verliert man den Blick für das Schöne, ja Magische in der eigenen Stadt, sieht nur noch die Fehler. Das will ich nicht. Trotz der Bauskandale um Küppersmühle und Landesarchiv will ich den Innenhafen genießen. Hochfeld hat keine befriedigende Lösung zur Integration der eingewanderten Roma gefunden – trotzdem blende ich das aus, wenn ich den Rheinpark, den Wochenmarkt, auf dem es wie auf einem orientalischen Basar zugeht, oder das neue türkische Fischrestaurant „Bizim Balikci“ besuche. Für den Grüngürtel werden auch Häuser in Marxloh zerstört, trotzdem ist die Weseler Straße mit ihren Brautmodenläden ein wunderbares Ausflugsziel. Wer weiß, welche Gifte unter Tiger & Turtle schlummern, trotzdem ist der Ausblick über Duisburg und Düsseldorf einfach einmalig. Von den Industrieabgasen lasse ich mir nicht den prächtigen Meidericher Stadtpark verleiden. Den geplanten Autohof verdränge ich, wenn ich den Kaiserberg besteige. Wenn ich „Jazz auf’m Plazz“ oder die Freilichtkonzerte der Duisburger Philharmoniker mit ihrem hellen Orchesterklang auf dem prächtigen König-Heinrich-Platz besuche, den ich eher in einer Residenzstadt erwartet hätte, vergesse ich einfach die Finanznot, unter der der Kulturbetrieb leidet.

 

Eine Großstadt ist immer auch schmuddelig und unperfekt. Aber wäre sie sonst nicht auch langweilig? Am Ruhrgebiet mochte ich gerade immer auch das Chaotische, Durchwachsene, dafür aber auch Lebendige. Das soll keinen einzigen Planungsfehler entschuldigen. Wenn mir wieder etwas am Herzen liegt und ich nicht der einzige bin, werde ich mich jederzeit wieder im Wege der Bürgerbeteiligung dafür einsetzen. Auch wünsche ich mir, dass wieder so ehrgeizig geplant wird wie vor 10 oder 20 Jahren – der Geist eines Christoph Zöbel oder Karl Ganser ist wieder weit weggeweht. In letzter Zeit ist einige hässliche und auch letztlich kommerziell erfolglose Investorenarchitektur entstanden, Baugruben liegen brach, Bauzäune fliegen unmotiviert durch die Gegend, in der Altstadt und am Innenhafen mussten Geschäfte und Lokale aufgeben, im Norden werden Architekturdenkmäler mit der Abrissbirne saniert – es gibt viel zu verbessern. Aber das müssen gute Planer und Architekten leisten – als Einzelner kann ich mich nur einbringen, soweit mir entweder die Gelegenheit eingeräumt wird oder sich eine starke Bürgerinitiative formiert. Und wir sollten uns vor dem Kleinmut hüten, Duisburg müsse nehmen, was es kriegen kann – mangelndes Selbstbewusstsein legt den Grundstein für schlechte Verhandlungen mit Investoren und damit unbefriedigende Ergebnisse. Krisenmanagement ist notwendig, aber man sollte dabei immer eine positive Vision von Duisburg im Kopf behalten.

 

Als Reaktion auf den Bevölkerungsschwund werden Gründerzeit-Häuser in Bruckhausen, die noch gerettet werden könnten, für einen Grünstreifen abgerissen.

Da ich keine Kinder habe und hier nur meine Freizeit verbringe, betreffen mich Alltagsprobleme wie der angespannte Arbeitsmarkt oder der Schließung sozialer Einrichtungen zum Glück nicht direkt. Aber „meine“ Perspektive ist auch wichtig – denn was liegt näher, als angesichts der rasant steigenden Düsseldorfer Mieten auch Pendler nach Duisburg zu locken? Und ist es nicht ein schönes Kompliment an Duisburg, dass man hier nie verlegen wird, was man am Wochenende unternehmen soll? Auch meine Eltern kommen mich gerade hier immer wieder gerne besuchen. Gerade neulich habe ich Duisburg auf einem englischsprachigen Touristik-Portal als eine von 15 interessanten deutschen Städten entdeckt – das hat mich sehr gefreut, Duisburg hat es wirklich verdient. Andere Städte, die ich gesehen habe, kochen auch nur mit Wasser und haben ihre Planungsfehler – gerade als Zugereister habe ich realistische Erwartungen an eine Stadt, weil ich diesen Vergleichsmaßstab habe, und sehe die Defizite etwas lockerer. Von allen Missständen – die Überschuldung des Stadthaushalts halte ich mittlerweile für das drängendste Problem, weil sie zu politischem Stillstand, zum Abbau von Infrastruktur, zur Festsetzung hoher Grund- und Gewerbesteuern und zum schnellen Grundstücksverkauf an meistbietende Investoren führt – lasse ich mich nicht abhalten: Ich lebe gerne in Duisburg, an vielen Stellen ist es wirklich schön (schäbige Ecken hat jede Großstadt), und ich würde jederzeit wieder hier herziehen.

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