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Die Welt restlos erklärt – Massive Attack V Adam Curtis bei der Ruhrtriennale

Ein normales Konzert sollte es nicht werden, das war schon mal klar. Dennoch gab es das Versprechen, Massive Attack als tragende Säule des Abends das einzige Mal bei einem Auftritt hierzulande in diesem Jahr zu erleben. Der britische Dokumentarfilmer Adam Curtis sollte seinen Teil ebenfalls dazu beitragen. Wie genau, das blieb in den Ankündigungen etwas vage. In der diesjährigen Spielzeit der Ruhrtriennale gehörten die Abende in der Duisburger Kraftzentrale mit zu den herausragend vorgestellten Programmpunkten.

Vielleicht lässt sich die Atmosphäre in der Duisburger Kraftzentrale vor einer Woche so beschreiben? Ihr kommt auf eine Party, ein paar von euch sind sogar auf Tanzen eingestellt. In dem Stimmengewirr überall hört man zwar noch Musik, doch in einer Ecke hat jemand hat das Wort ergriffen. Er spricht etwas lauter und hört nicht mehr auf zu reden. Denn er erklärt dem Kreis um ihn herum, wo es in der Gesellschaft, der Politik oder bei einem Problem lang geht. Schnell hören fast alle Anwesenden ihm zu. Er ist ein interessanter Mensch. Immer stiller wird es im Raum und nur noch selten schiebt sich die Musik in das ununterbrochene Erklären hinein. Später bleibt ihr zwar noch neugierig, was er zu sagen hat, doch sein ausführliches und sich in Teilen wiederholendes Monologisieren ist auch ermüdend. Ihr denkt, mehr Musik wäre vielleicht auch nicht schlecht. Doch seine Worte enden nicht, er erklärt die Wirklichkeit, und wirklich gut sieht es mit der seit Jahren nicht aus. Als er schließlich schweigt, ist in euren Köpfen erst einmal kein Platz für eigene Gedanken. Es dauert einige Zeit, bis andere Gespräche wieder in Gang kommen. Zumal es längst zu spät für die Musik geworden ist. Die Party ist ganz plötzlich schon wieder vorbei.

Die Bühne verdeckte eine transparente Leinwand. An den Seiten rahmten weitere Leinwandflächen den Platz für das Publikum ein. Der Raum war in einem Drittel der Duisburger Krafzentrale geschaffen worden, ein Raum, in dem Adam Curtis bei seinem Projekt mit Massive Attack die Wirklichkeit seit den 1950er Jahren bis in die Gegenwart hinein erklärte.  Im Unterschied zum monologisierenden Partygast gab er seinen Erklärungen auch noch einen Bilderstrom mit, der neben der Chronologie von Weltereignissen wie Tschernobyl, dem Mauerfall und 11. September zudem von zwei biografischen Erzähllinien in Russland und im Westen bestimmt wurde. Der Werdegang eines russischen Jugendlichen vom Punk zum rechtsradikalen Nationalisten gegenüber dem Lebensweg der Tochter einer Künstlerin, geboren im Swinging London der Sixties.

Dieser Bilderstrom stand zunächst im Zeichen einer experimentell wirkenden Dokumentation, um sich gegen Ende in das Bilderstakato eines Videokunstprojekts zu verwandeln. Ironie und  Witz gab es durch die Montage von Bilderwelt des Ostens mit der des Westens. Folkloregruppe dort, Aerobic mit Jane Fonda hier. Gewaltvolle Sequenzen waren zu sehen. Die Exekution des rumänischen Diktatoren-Ehepaares dort, Verbrechen auf Straßen hier. Das zentrale Thema für Adam Curtis war bei all dem zunächst, welche Folgen hat das Versprechen von Herrschenden, von dem System, das Leben und die Wirklichkeit vorhersehbar und risikolos zu machen. In der Gegenwart mit seinem Bilderstrom angekommen rückt diese Frage allerdings in den Hntergrund. Nun stehen wir nach Adam Curtis vor dem grundsätzlichen Problem, die Wirklichkeit überhaupt noch zu erkennen. Bilder suggerieren etwas, was es oft nicht gibt.

Doch es mochten noch so viele Bilder gegeneinander geschnitten sein. Es mochte die Musik sich hin und wieder bemerkbar machen. Die Botschaften von Adam Curtis überlagerten alles. Sie wurden klar und deutlich durch einen Sprecher erzählt oder durch Schrift über Bild lesbar gemacht. Es ist sehr unwahrscheinlich, dass irgendjemanden am Ende nicht klar war, wie Adam Curtis die Wirklichkeit deutet. Das waren durchaus schlüssige Deutungen der Wirklichkeit. Unbekannt waren sie nicht. Für jede Ideologie der Nachkriegszeit bildete die ewige Sehnsucht der Menschen nach sicherem Leben die Grundlage. Menschen versprachen diese Sicherheit, nutzten die Angst vor Unsicherheit für ihre eigenen Interessen und scheiterten letztlich an dem immer vorhandenen Rest Unwägbarkeit, den manche Schicksal nennen, andere Zufall.

Die als Ciné-Konzert angekündigte Veranstaltung wurde so durch einen intellektuelle Zugang zur Welt bestimmt, der das sinnliche Erlebnis zum Verschwinden brachte. Vor allem die Erklärungen in Text und Ton und weniger die  Bilderflut rückte die Musik von Massive Attack in den Hintergrund. Erst in der zweiten Hälfte des Abend beanspruchte sie um so mächtiger Aufmerksamkeit mit der schieren Überwältigungskraft von Bässen, deren Schalldruck die stehende Luft der Halle in eine leichte Brise verwandelte. Fast geriet man ins Taumeln. Erst  zum Ende dieser als Ciné-Konzert angekündigten Veranstaltung vereinigten sich so die unterschiedlichen Elemente in einem Gleichgewicht des künstlerischen Erlebens. Erst zum Ende hin entstand jene versprochene halluzinatorische Kraft des Gesamtkunstwerks aus Bildern, Texten und Musik.

Mit einem Klick weiter findet ihr auf der Seite der Ruhrtriennale einen Trailer zum Abend samt einiger  Szenenfotos aus dem Clipzusammenschnitt.

In der Rheinischen Post findet ihr eine Besprechung von der Ruhrtriennale-Premiere. Weitere Besprechungen des Abends findet ihr mit einem Klick bei der schon vorgenommenen Google-Newssuche.

Der folgende Clip gibt euch einen Eindruck aus einem ruhigeren Teil des Abends

http://www.youtube.com/watch?v=3FZLt5Auy_E

Weitere Clips, zum Teil mit Bildern aus Manchester, zwei Monate zuvor, findet ihr bei youtube mit einem Klick weiter.

Original von Ralf Koss http://stadionbus.wordpress.com/

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