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Zum 3. Jahrestag der Loveparade-Katastrophe: Der Tod und der Prozess, der Knast und die Revolution

loveparade-trauerfeier-0071Es ist ein Tabu. Eigentlich müsste das, denke ich mir so, doch gar nicht sein; schließlich war es früher auch nicht so. Die ganze Veranstaltung ist so eine Art Staffellauf; irgendwann ist es Zeit, den Stab abzugeben. Das ist alles. Für unsere Schwierigkeiten, darüber zu reden, gibt es eine ganze Reihe ganz verschiedener Ursachen. Ich bin sicher, dass die Art und Weise, wie heute viel zu oft gestorben wird, ein wesentlicher Grund für unsere verkrampfte Haltung zum Tod ist. Die Einsamkeit der Sterbenden in unseren Tagen* ist eine Tatsache, über die wir aus leicht nachvollziehbaren Motiven lieber nicht nachdenken.

 

Die Menschen, die am Samstag, den 24. Juli 2010, an der Karl-Lehr-Straße in Duisburg ihr Leben gelassen hatten, waren alles mögliche. Jung waren sie vor allem. Eins waren sie nicht: einsam. Die Art und Weise, wie sie gestorben sind, war gleichwohl unvorstellbar entsetzlich. Irgendwann ist es Zeit, den Stab abzugeben? Gewiss. Es war aber nicht ihre Zeit. Wer ist schuld daran, dass ihnen dennoch die Stunde geschlagen hatte? Wer ist schuld daran, dass Hunderte Andere schlimmste Verletzungen an Leib und Seele davontragen mussten?

 

Ich habe keine Angst vor dem Tod. Tote haben keine Probleme. Diese Gewissheit beruhigt mich ungemein. Angst vor dem Sterben? Nun ja, da ist nichts Neurotisches bei mir. Was soll es für einen Sinn geben, sich darüber Gedanken zu machen?! Es ist doch völlig klar: man kann sich einen schöneren Tod vorstellen als dieses elende Abkratzen im oder am Karl-Lehr-Tunnel, bei dessen Durchquerung einem schon vor der Loveparade nicht gerade warm ums Herz geworden ist. Im übrigen empfände ich es als recht entgegenkommend, wenn mir, sagen wir mal: noch ein Vierteljahrhundert eingeräumt werden könnte, bis ich den Stab weiterzureichen habe.

 

Nein, ich verhandele nicht. Ich will es auch gar nicht so genau wissen. Es war nur so eine Idee. Wenn nicht, leckt mich doch… – Tote haben keine Probleme. Ich bin da wirklich ganz entspannt. Eine andere Sache sehe ich dagegen enorm verkniffen. Da bin ich so etwas von unentspannt – unentspannter geht es schon gar nicht mehr. Es ist so: ich habe zwei Kinder. Und ich lege allergrößten Wert darauf, dass deren Ende frühestens nach meinem Staffelstab-Abgabetermin allenfalls in Betracht gezogen werden darf. In dieser Sache ist mit mir überhaupt kein halbwegs zivilisiertes Gespräch möglich. Ich denke nicht einmal daran, dafür um Verständnis zu bitten!

 

Aber ich denke hin und wieder daran, dass Eltern – und zwar nicht in einem Fall, sondern in vielen, wenn nicht allen Fällen -, die ihr Kind auf der Loveparade verloren hatten, tage- und wochenlang von der Stadt Duisburg nicht angemessen informiert, geschweige denn betreut wurden, dass sie anfangs nicht einmal ein Kondolenzschreiben erhielten, dafür aber die Kosten für die Überführung der sterblichen Überreste in Rechnung gestellt bekamen. Zwei oder drei Wochen nach der Loveparade hatte ich das Rathaus am Burgplatz betreten, um es ausländischen Gästen zu zeigen. Die Dame an der Pforte fragte mich, was ich denn hier wolle. Das sollte wohl eine Security-Maßnahme sein…

 

Zum dritten Male jährt sich heute das Sterben auf der Loveparade. Die Hauptverhandlung des Strafprozesses hat immer noch nicht begonnen. Doch sie wird im Herbst beginnen, und ich will diesen Prozess! Dabei: nichts wird die Toten wieder lebendig machen können. Verantwortliche werden ins Gefängnis müssen, die Toten bleiben tot. Für die Traumatisierten sei die strafrechtliche Aufarbeitung wichtig, lesen wir. Es steht mir nicht zu, dies zu bezweifeln. Ich weiß aber: Traumatherapie geht anders. Das Leid der Hinterbliebenen werde anerkannt, wenn Schuldige in den Knast gehen, lesen wir. Das mag sein. Den Schmerz lindern wird es nicht.

 

Schon jetzt ist recht deutlich erkennbar, dass am Ende des Prozesses Haftstrafen verhängt werden. Es zeichnet sich ab, dass auch Mitarbeiter der Stadt Duisburg eingesperrt werden. Überlegungen zum Sinn oder Unsinn von Haftstrafen tun nichts zur Sache. Ohnehin in den Sphären des Unpolitischen zu Hause, also müßig, könnten sie hier allenfalls den Blick darauf verstellen, was der vor der Tür stehende Prozess in und für Duisburg bedeuten wird. Wir müssen sehen, dass der Prozess Monate, wenn nicht Jahre dauern, und dass er ein riesiges Medienecho finden wird. Das gesamte politische Leben dieser Stadt wird sich nach seiner Taktgebung richten.

 

Rache ist süß, nehmen diejenigen an, die noch niemals Rache genommen hatten. Rache ist aber nicht süß, sondern günstigenfalls doof, in aller Regel jedoch von gegenteiligem Geschmack, nämlich bitter. Süß sind die Rachephantasien, die unserem Belohnungszentrum im Gehirn einen ähnlich direkten Kick verschaffen wie… (suchen Sie sich etwas Schönes aus!). Dass aber sämtliche (!) – man muss sich das nur einmal vorstellen: bis auf einen Fall von Alterspensionierung wirklich alle! – Verantwortlichen bei der Stadt Duisburg immer noch auf ihren Positionen vom 27. Juli 2010 tätig sind, lässt sich nicht mit Bedenken gegen den Sühnegedanken erklären.

 

Stopp! Es gab über den angesprochenen Fall von Alterspensionierung hinaus doch eine Neubesetzung an verantwortlicher Position. Sie ist jedoch nicht aus dem System, wie sich der städtische Apparat gern selbst mit gewissem Stolz bezeichnet, erfolgt, sondern wurde von den Duisburger Bürgern angeordnet: sie haben den damaligen Oberbürgermeister Adolf Sauerland seines Amtes enthoben. Abgewählt. Sören Link steht jetzt vor der Aufgabe, einen Neuanfang, wie in Duisburg gern gesagt wird, zu organisieren. So weit ich sehe, hat er voller Fleiß und Eifer mit dem Nötigsten begonnen.

 

Doch in aller Klarheit und Deutlichkeit gerät hier in den Blick, was der vor der Tür stehende Strafprozess in und für Duisburg bedeutet. Es geht hier eben nicht nur um Sühne, Rechtsfrieden oder wie auch immer man die Ausgeburten des neurologischen Belohnungszentrums bezeichnen mag. Es geht vielmehr um einen Neuanfang, den Duisburg institutionell aus sich selbst heraus nicht zu stemmen vermag. Der Strafprozess als Galaveranstaltung der Revolution. An und für sich nichts Neues, nur eben für Duisburg. Keine Revolution ohne Knast. Unterliegen frei werdende Stellen eigentlich der Haushaltssicherung?

 

 

 

* Norbert Elias: Über die Einsamkeit der Sterbenden in unseren Tagen.
Bibliothek Suhrkamp. Frankfurt am Main, 1982.

 

 

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