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Duisburg-Bergheim: Die Anwohner, das sind wir!

bannerPunkt 1: Morgen ist es so weit. Die „Bürgerbewegung“ pro NRW wird unseren Stadtteil heimsuchen, um gegen Armutseinwanderer in der Nähe ihrer Wohnungen zu hetzen. Über den Charakter dieser Splitterpartei – nicht „Bürgerbewegung“ – kann es keinen Zweifel geben. Ein Klick zu Wikipedia genügt zur groben Einordnung: „Pro NRW gibt sich zwar basisdemokratisch und bürgerlich, jedoch wird ein Großteil der Entscheidungen von einem relativ kleinen Teil von Funktionären getroffen, welche überwiegend in der rechtsextremen Szene aktiv sind oder waren.“ Weiter ist zu lesen, dass als „inhaltliche Zuordnungskriterien“ ausgemacht werden:  „völkisch-nationalistische, rassistische sowie antisemitische Ausprägungen, autoritäre Politikvorstellungen, die Ablehnung des gesellschaftlichen Gleichheitsprinzips, die Diskriminierung von Minderheiten sowie die Ethnisierung bzw. Nationalisierung sozialer und ökonomischer Problemlagen.“ Die Unterschiede zwischen pro NRW und der NPD sind nicht prinzipieller Natur, sondern vornehmlich taktischen Erwägungen geschuldet. All dies ist im Internet ohne großen Rechercheaufwand innerhalb von Minuten herauszufinden. Wer dennoch meint, pro NRW als „fragwürdige politische Gruppierung“ bezeichnen zu müssen, verhält sich seinerseits mindestens mal fragwürdig.

 

Punkt 2: Es war in den 1980er Jahren, als Heiner Geissler – damals noch kein Polit-Heiliger, sondern als Generalsekretär Frontmann der Abteilung Attacke – eine „Semantik-Kommission“ in der CDU installierte. „Wer die Begriffe besetzt, besetzt die Köpfe“, lautete die damalige Einsicht, und so machte sich Geissler mit anderen „Vordenkern“ wie etwa Biedenkopf ans Werk, die CDU jedenfalls in semantischer Hinsicht an die Anforderungen der Zeit anzupassen. Freilich war schon zuvor „Begriffsbesetzung“ der Dreh- und Angelpunkt jeglicher politischer Propaganda. Nun aber war erkannt, dass der Kampf um die Semantik ins Zentrum der politischen Auseinandersetzung gehört, und dass folglich die „Verschleierung der Wirklichkeit“ in die Hände von Profis gehört. „Politische Semantik ist alles andere als harmlos, auch wenn (sie) einem wie heiße Luft vorkommen mag“, schreibt die Journalistin Cora Stephan zur Frage, “wie Sprachpolitik Begriffe besetzt“. In der Politik wechseln sich, wie im Sport, Siege und Niederlagen munter miteinander ab. Dagegen kommt Punktgewinnen bzw. -verlusten auf dem Feld der Semantik eine äußerst nachhaltige Wirkung zu. Dies ist bspw. der damaligen israelischen Ministerpräsidentin Golda Meir Ende der 1960er Jahre aufgefallen, als scheinbar plötzlich der Begriff „Palästinenser“ die politische Bühne betrat. „Palästinenser, das sind doch wir!“, empörte sich Meir – doch da war es längst zu spät.

 

Punkt 3: Vor einigen Wochen setzte ein scheinbar harmloser Begriff aus dem Straßenverkehr zu einer ebenso unglaublichen wie bislang ungebrochenen Karriere an. „Anwohner“ heißt er. Er kommt zwar in der Straßenverkehrsordnung gar nicht vor; dort ist aus guten Gründen vom „Bewohner“ bzw. von „den Bewohnern“ die Rede. Doch der Begriff des Bewohners taugt nicht für das, wofür das unschuldige Wörtchen vom „Anwohner“ herhalten muss. „Bewohner“ Sein kann nämlich im Grunde genommen jeder. So, wie auch Wohnen keinerlei besonderer Qualifikation bedarf. Der Bewohner kann also alles Mögliche sein – gut, schlecht oder sonstwas. Ganz anders der Anwohner. Wir sehen ins Wiktionary und finden dort für den Begriff Anwohner die Bedeutung: „jemand, der unmittelbar neben etwas wohnt, dessen Grundstück an etwas angrenzt“. Tja, Pech gehabt: während der Bewohner ganz einfach nur ungestört vor sich hin wohnen kann, bekommt der Anwohner quasi schon qua definitione seine Rolle zugewiesen. Nämlich die Rolle des Opfers. Er muss nämlich „neben etwas wohnen“; sein „Grundstück grenzt an etwas an“. Das Wiktionary präsentiert, damit man sich dieses Dilemma besser vorstellen kann, dafür auch ein Beispiel: „Es haben sich bereits mehrere Anwohner darüber beschwert, dass die Kirchenglocken jeden Sonntag um sieben Uhr morgens läuten.“

 

Punkt 4: Der Anwohner ist seinem Wesen nach ein Betroffener, in der Regel betroffen von etwas, das Anlass zur Beschwerde gibt. Das muss keine Kirche sein, kann es aber. Der Bewohner dagegen hat schon qua definitione keinen Anlass zur Beschwerde; hätte er einen, wäre er ja Anwohner. Als Synonyme für den Begriff Anwohner gibt das Wiktionary an: „Anlieger“ und „Nachbar“. Das ist nun aber wirklich komisch; denn Synonyme sind Ausdrücke oder Zeichen, “die den gleichen oder einen sehr ähnlichen Bedeutungsumfang haben“. Anlieger ist tatsächlich ein juristischer Begriff aus der Straßenverkehrsordnung, und Nachbar… – ja, das ist natürlich synonym mit Anwohner. Nachbar würde auch insofern passen, als dass Nachbarschaftskonflikte den größten Teil der Prozesse ausmachen, die unsere Amtsgerichte überlasten. Und doch klebt dem Wort „Nachbar“ so etwas Freundschaftliches, gar Romantisches an, dass unsere lieben Nachbarn, an die wir hier denken, im Traum nicht auf die Idee kämen, sich selbst, geschweige denn die Neuen mit diesem schönen deutschen Begriff zu bezeichnen. – Sie halten diese ganze semantische Untersuchung für eine an den Haaren herbeigezogene, im Grunde unpolitische Wortklauberei? Nun gut, dann schlage ich Ihnen ein Experiment vor.

 

Das Experiment: Beteiligen Sie sich an einer der vielen Gespräche und Diskussionen über die „neue“ Einwanderung aus Südosteuropa – möglichst mit vielen Teilnehmern! Vertauschen Sie konsequent die Begrifflichkeiten! Nennen Sie also die Einwanderer durchweg Anwohner, also auch die Roma, und bezeichnen Sie die aus Funk und Fernsehen bekannten deutschstämmigen Nachbarn stets als Bewohner! Ich freue mich auf Ihren Bericht. Ich bin fast sicher, dass Sie eine interessante Erfahrung machen und den Vorwurf der Belanglosigkeit gegen mich fallenlassen werden. Die Bedeutung der politischen Semantik sollte nicht unterschätzt werden.

 

Punkt 5: Es bleibt noch die Frage zu beantworten, wie groß der Kreis der Anwohner ist, also: wie weit man „neben etwas wohnen“ darf, um diesen Status für sich beanspruchen zu dürfen. Das Wiktionary ist, wie bereits zitiert, da eindeutig: „unmittelbar“. Und auch der Duden scheint keinerlei Zweifel aufkommen zu lassen: Anwohner ist „jemand, der in unmittelbarer Nähe von etwas wohnt“. Das ist ja auch logisch. Sehen Sie: ich z.B. wohne anderthalb Kilometer vom sog. „Problemhaus“ entfernt – 1,7 km nach Routenplaner, Luftlinie etwa 1,5 km. Da stört es mich wenig, wenn in den Peschen irgendwelcher Müll herumfliegen sollte. Oder wenn in der wärmeren Jahreszeit diese Südländer bis mitten in der Nacht Spektakel veranstalten. Die höre ich doch gar nicht; die kann ich auch gar nicht hören bei dem Krach, den die jungen Menschen im Sommer bei mir vor der Haustüre machen. Und was da so an Pizzaschachteln, Süßigkeitentüten und Getränkeverpackungen bei mir im Vorgarten und auf der Straße liegt – am helllichten Tag, auch jetzt im Winter. Ich bin halt Anwohner – hier am Toeppersee, nicht in der Beguinenstraße. Ich möchte nicht wissen, wie diese Medien-Anwohner aufheulen würden, wenn es bei denen so aussähe bzw. wenn bei denen im Sommer so ein Radau wäre wie bei mir. Zwei kleine Ergänzungen: 1. die schlimmsten Vorfälle hier lasse ich weg. 2. der immer wieder gezeigte Müllberg in den Peschen ist a) lang schon weg und entstammt b) der Wohnungsauflösung eines Ethno-Deutschen.

 

Punkt 6: Zum Schluss noch die Frage, wie sich eigentlich das Wort „unmittelbar“ definiert. Sie erinnern sich: Anwohner ist „jemand, der in unmittelbarer Nähe von etwas wohnt“. Nur: was bedeutet „unmittelbar“? Klar: geht es um Krach oder Dreck oder so, dann reden wir über 50 Meter. Oder 100, höchstens 200 Meter. Was aber, wenn wir – sagen wir mal – über ein Atomkraftwerk reden? Wie weit darf man dann weg wohnen, um sich noch mit Fug und Recht Anwohner schimpfen zu dürfen. Wie groß ist der Anwohner-Radius rund um ein Atomkraftwerk? Richtig: der Anwohner-Radius ist keine konstante Größe, vielmehr hängt er ab von der (potenziellen) Betroffenheit. Bei einem AKW sind es, wenn wir die Praxis der japanischen Behörden zugrunde legen, 30 Kilometer (nach anfänglichen 20 Kilometern). Wie sieht es aber bei Naziaufmärschen aus? Sind Nazis eigentlich weniger oder mehr gefährlich als AKWs? Ist nicht die Reichweite hier entscheidender als das Ausmaß der Gefahr? Selbst unterstellt, die japanischen Behörden hätten die Reichweite der radioaktiven Verseuchung unterschätzt – wie groß ist eigentlich die Reichweite von Nazis? Ich meine: im Falle des größten anzunehmenden Unfalls (GAU)? Oder im Falle eines Nazi-Super-GAUs? Fragen über Fragen. Egal, man kann mir viel erzählen: wenn die Braunen in meinen Stadtteil kommen, bin ich Anwohner! Und wenn sie in unsere Stadt kommen, sind wir die Anwohner. Lasst sie alle reden, Schluss mit allem semantischen Gedöns: Die Anwohner, das sind wir!

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