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Lance Armstrong: Wettrennen der Heuchler

Lance Armstrong in the prologue of the Tour de...

Lance Armstrong in the prologue of the Tour de France in July 2004 in Liege, Belgium (Photo credit: Wikipedia) Fotograf: Denkfabrikant

Ein Witz – erstens ist er nicht von mir, zweitens ziemlich alt, und drittens geht er so: Was steht im Lehrerzimmer in der Ecke und hat einen IQ von 180? – Antwort: drei Sportlehrer. Witzig, lachen! Ich bitte um Verständnis dafür, dass ich auf diese alte Schote zurückgreifen musste; denn: ich kenne keinen Witz über Sportredakteure. Über Fußballreporter wird gern gescherzt, das weiß ich. Das sieht dann schlicht so aus, dass aus den 90 Minuten Live-Reportage irgendein besonders grober Unfug zitiert wird, den die armen Kerle von sich gegeben haben, die ja irgendetwas in das Mikrofon brabbeln müssen. Das ist zwar mitunter urkomisch, aber nicht besonders fair. Und vor allem: es ist nicht mein Thema.

Ich möchte vielmehr eine kleine Anmerkung zu den Sportredakteuren machen. Zugegeben: „die“ Sportredakteure – das sind mehrere, und bekanntlich soll man sich vor Pauschalurteilen hüten. Und tatsächlich: sie schreiben auch nicht alle total das Gleiche, diese Sportredakteure. Ihre Kommentare – und ich habe eine ganze Reihe gelesen – unterscheiden sich durchaus in Nuancen. Darüber hinaus ist zu berücksichtigen, dass sie – wie das im Mediengeschäft so ist – unter einem enormen Zeitdruck arbeiten. Morgens kommt die Meldung zu Lance Armstrong raus; am Nachmittag, spätestens am Abend hat der Kommentar fertig zu sein. Gewiss, das ist nicht solch ein Stress wie in einer Live-Fußballreportage…

…aber auch Stress. Nur ein paar Stunden Zeit, dann muss der Kommentar stehen. Wohlbemerkt: wir reden über Sportredakteure. Und noch einmal: nicht alle Sportredakteure sind gleich. Nicht alle Kommentare sind gleich ausgefallen. Allerdings: ähnlich. Warum auch nicht?! Vielleicht haben die Herren – ich habe nur Kommentare von Männern gefunden – ja Recht, und ich liege falsch. Es wäre schon äußerst arrogant, wenn ich dies ausschließen wollte. Zumal: die Herren sind vom Fach, ich nicht. Andererseits: dass Lance Armstrong, der erfolgreichste Radrennfahrer aller Zeiten, „gedopt“, also verbotene Substanzen zu sich genommen hatte, war gestern ja doch, obwohl es immer wieder Gerüchte gegeben hatte, ein ganz schöner Schock.

Doch jetzt ist, wie Sie gewiss gelesen haben, die Sache klar: Armstrong hatte gedopt. Also betrogen (wen auch immer). Das ist seit gestern unzweifelhaft; er ist überführt. Der Missetäter will nicht einmal mehr gegen das Urteil des UCI angehen. Mit UCI ist nicht etwa die Kinokette, sondern der Radsport-Weltverband gemeint. Zur Strafe ist er lebenslänglich gesperrt, und es werden ihm alle sieben Tour-de-France-Titel aberkannt. Das hat er jetzt davon! Und die Sportredakteure kommentieren diesen „einmaligen Vorgang“ dieser „schockierenden Doping-Enthüllungen“. Die Anführzeichen habe ich gesetzt, weil es sich um Zitate handelt. Ich verzichte aber darauf, die Quellen anzugeben. Ich schreibe doch keine Doktorarbeit.

Ich setze auch keine Links; denn ich gehe davon aus, dass Sie in der Lage sind, sich nach Belieben die Sportkommentare der deutschen Presse zum Lance-Armstrong-„Skandal“ anzusehen. Und, zum dritten Male: mir liegt fern, alle Sportkommentatoren über einen Kamm zu scheren. Im Fernsehen behauptet bspw. so ein Grinsekönig, Lance Armstrong habe „Verbrechen“ begangen. Ich vermute, diese Einschätzung ist – jedenfalls bezogen auf einige rechtsstaatlich verfasste Länder – durchaus zutreffend. Dieser Narr, der während der Olympischen Spiele in London vor Stolz und Freude fast platzte, wenn er einen oder eine dieser Olympiastars interviewen durfte, bezeichnet jetzt einen Ausnahmesportler als Verbrecher!

Liebe und Hass sind halt sehr nah beieinander liegende Gefühle. Etwas kritischere Kollegen als dieser Fernsehkönig merken anklagend die bigotte Haltung des UCI an: für den Radsportverband sei es (es folgt ein relativierendes, aber juristisch sattelfestes Adverb) keine Überraschung gewesen, dass Armstrong regelwidrige leistungssteigernde Substanzen benutzt habe. Manche Sportjournalisten gehen so weit, dem UCI als Motiv für seine scheinheiligen Erklärungen geschäftliche Interessen zu unterstellen. Die Moral von der G´schicht: der Meinungspluralismus ist voll intakt, die Pressefreiheit funktioniert. Selbstverständlich auf einer, sagen wir mal: wertegebunden Basis, und die lautet: Betrug, Doping und all diese Sachen gehen natürlich nicht!

Einigen ganz kritischen Zeitgenossen dieser Zunft fällt sogar auf, dass seit Jahrzehnten zumindest die besten Fünf der Tour de France nachweislich oder mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit „gedopt“ waren. Die Sache ist belegt; blöde Sache! Es folgen die beinharten Kommentare dieser besonders Kritischen. Muster: der Radsport ist durch und durch verdorben, der Verband ist durch und durch verlogen, es muss jetzt unbedingt durch und durch aufgeräumt werden. Wir, die wir nicht minder kritisch sind, kommen auf die Sprünge und sehen ein: nicht nur Lance Armstrong, den wir so bewundert hatten, und Jan Ullrich, der jetzt, obwohl ein Deutscher, auf gar keinen Fall „vom Armstrong-Desaster profitieren“ darf, sind böse, sondern auch der Verband.

Wieder etwas gelernt. Was wir sowieso wissen: kein Mensch ist in der Lage, tagelang von morgens bis abends in der prallen Sonne mit dem Fahrrad und mit einem Affenzahn die Alpen und die Pyrenäen immer wieder rauf und runter zu fahren. Jedenfalls nicht ohne massive medizinische Hilfe. Heute nicht, und vor hundert Jahren auch nicht. Diese massiven medizinischen Interventionen werden Doping genannt und haben selbstverständlich ihre Risiken und Nebenwirkungen. Die offizielle Lesart, erst 1967 habe es den ersten Drogentoten der Tour de France gegeben, ist zu bezweifeln. Wie auch immer: es ist unmöglich, diese Tour wie auch andere „große Radrennen“ ohne leistungssteigernde Substanzen erfolgversprechend mitzufahren.

Jeder weiß das. Nicht nur jeder Radsportler und Radsportfunktionär, sondern auch jeder damit befasste Sportjournalist. Dass die Journalisten jetzt die Funktionäre der Heuchelei bezichtigen, ist der Gipfel der Scheinheiligkeit. Der UCI ist doch nichts Anderes als eine operative Abteilung der Unterhaltungsindustrie mit der Aufgabe, die Medien mit dem Radrennspektakel zu versorgen. Die – über diese Machenschaften ebenso kundigen – Medien sind die Hauptquartiere der Unterhaltungsindustrie, die dem willigen Volk diese Qualen der leistungsbereiten Übermenschen vorsetzen. Und die Fans sehen sich die Inszenierungen mit Freuden an – ahnend, dass sie eine Leistungsschau der Pharmaindustrie vorgesetzt bekommen.

Es ist eine Sauerei, wie jetzt ein Wohltäter wie Armstrong der Meute zum Fraß vorgeworfen wird. Wie ein Jüngelchen wie Ullrich von der Justiz und den Medien fertig gemacht wird. Sei´s drum: die Männer sind reich geworden. Neben den gesundheitlichen Schäden gehört wohl auch das kollektive Mobbing zum Preis, den sie dafür zu zahlen haben. Und überhaupt: Radsport… – hierzulande auch nicht mehr als eine Randsportart, die nur dann wirklich von Interesse ist, wenn ein Deutscher vorn mit dabei ist. Im Grunde noch hinter Tennis. Richtig interessant wird das Thema Doping erst dann, wenn der Fußball in den Fokus des Interesses rückt. Ja selbstverständlich sorgen dort die großen medizinischen Abteilungen für Topleistungen.

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