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Deutsche – in diesem Fall: Duisburger Gepflogenheiten

Heute ist der Tag der Deutschen Einheit. Feiertag, super. „Für jeden von uns sollte der Tag der Deutschen Einheit ein Feiertag im Herzen sein“ – im Herzen auch, ja selbstverständlich! Ein Tag, „an dem wir uns an die Wiedervereinigung unseres Vaterlandes in Frieden und Freiheit am 3. Oktober 1990 zurückerinnern“. So ist das. Sie haben gewiss die Anführzeichen gesehen. Selbige habe ich hier zum Einsatz gebracht, weil – ich bin ja nicht der Guttenberg – dieser wunderschöne Satz leider, leider nicht meinem bescheidenen Geist entsprungen ist. Er / es ist also ein Zitat, und das bedeutet: man muss diese Gänsefüßchen setzen, sonst ist es gefudelt. Was in der Schule oder bei Freiherrens eine Gepflogenheit ist, nichtsdestotrotz aber bestraft werden kann. Sei´s drum…

Jetzt dürfen Sie dreimal raten, wessen Geist die ergreifenden Worte von der „Wiedervereinigung unseres Vaterlandes“ und von „Frieden und Freiheit“ wohl entsprungen sein könnten. Beziehungsweise wer behauptet, deren Autor zu sein; denn die Gepflogenheit – kleiner Tipp, Elaborate aus fremden Federn als eigene auszugeben, gibt es nicht nur in der Penne oder bei Hofe. Sie, also diese Gepflogenheit, ist dann nicht strafbar, wenn der wirkliche Schreiber damit einverstanden ist (etwa, weil er dafür bezahlt wird) und wenn der Abschreiber dafür keinen Doktortitel oder so verliehen haben möchte. Ich zitiere mal weiter; wir sind stehengeblieben beim 3. Oktober 1990. „Was war das für ein großer Tag für unser Land! Das Fahnenmeer bei der Einheitsfeier in Berlin ist unvergessen.“ Na, wer war´s wohl?

Okay, ich gebe zu: es ist nicht ganz einfach dahinterzukommen, wem wir dieses deutschnationale Jubilate verdanken. Das Fahnenmeer bei der Einheitsfeier in Berlin am 3. Oktober 1990 – also, ehrlich gesagt: ich kann mich eigentlich nicht mehr so recht daran erinnern. Gewiss werde ich das in der Tagesschau und in der Sondersendung danach gesehen haben, das Meer. Aber ich kann mich nun einmal nicht mehr daran erinnern – an den 3. Oktober 1990. Trotz des Fahnenmeeres. An den 9. November 1989, an den Tag, an dem „die Mauer fiel“… – ja, an den kann ich mich erinnern. Der war dramatisch. Ich bin trotzdem oder deshalb der damaligen Kohl-Regierung ziemlich dankbar, dass sie nicht ihn, also den 9. November, sondern den 3. Oktober zum Tag der Deutschen Einheit erklärt hatte.

Der 9. November… – wie soll ich sagen? Er ist nun einmal in Deutschland etwas vorbelastet. Aber der 3. Oktober… – im Grunde war da vorher nix. Und auch 1990… – Wikipedia schreibt vom „Wirksamwerden des Beitritts der Deutschen Demokratischen Republik zur Bundesrepublik Deutschland“ am 3. Oktober 1990. Ein Staatsvertrag ist in Kraft getreten. Tja,… – aber immerhin: „In der Nacht vom 2. auf den 3. Oktober 1990 wurde um Mitternacht die Fahne der Einheit an einem großen Fahnenmast vor dem Berliner Reichstag gehisst.“ Toll! Allein: ich konnte mich nicht mehr so ganz genau daran erinnern. Wie sieht es bei Ihnen aus? Haben Sie mittlerweile eine Idee, wer das mit dem Fahnenmeer bei der amtlichen Wiedervereinigung unseres Vaterlandes zum Besten gegeben haben könnte?

Nein?! Wie gesagt: es ist auch schwer. Ich zitiere mal weiter: „Die Fußball-WM 2006 mit ihrem Sommermärchen bot ein ähnliches Bild: Schwarz-Rot-Gold überall. Solche Bilder sind einmalig.“ Da hat er Recht. Huch, jetzt habe ich etwas ausgeplaudert: ja, es ist ein Mann! Logisch, dass der sich noch an die Fußball-WM 2006 erinnern kann. In diesem Fall kann ich das auch. Schwarz-Rot-Gold überall, wohl wahr. Ich gebe aber zu: eine wirkliche Hilfe beim Ermitteln des Autors ist es nicht. Also noch ein Tipp: gesucht wird ein Duisburger. Das Beste dürfte sein, ich zitiere mal ein bisschen mehr. Natürlich ohne Pause, ungekürzt… – na, was denken Sie denn?! So, jetzt mal aufgepasst: „Aber für unsere Stadt Duisburg wünsche ich mir mehr Deutschlandfahnen am Tag der Deutschen Einheit.“

Das ist krass, nicht wahr? „Mehr Deutschlandfahnen am Tag der Deutschen Einheit“ – wie, das verstehen Sie nicht?! Hören Sie mal: da gibt es nichts zu verstehen! Der meint das genau so, wie er es sagt! Oder schreibt oder schreiben lässt. Hier: „Ob draußen am Haus, ob am Fahnenmast im Kleingarten oder am Autofenster – zeigen wir unsere Sympathie für unser Land in dem sicheren Bewusstsein, dass es den weitaus meisten von uns ein glückliches Leben in Wohlstand bietet. Ein Leben in Frieden und Freiheit.“ Wollen wir doch mal ehrlich sein! Uns geht es doch gut. Jedenfalls den weitaus meisten von uns – in Deutschland, in diesem Fall: gerade auch in Duisburg. Ein glückliches Leben im Wohlstand – tolle Sache. Recht hat er: verglichen mit den Verhältnissen in…

Ich will gar keine Namen nennen. Hauptsache ist: es geht uns gut. Das heißt: einen Namen will ich doch nennen. Sie kommen ja sowieso nicht dahinter, wessen Geistes diese Einschätzungen zur Lage der Nation – in diesem Fall: zur Lage der Stadt Duisburg – sind. Halten Sie sich fest, ich sage es Ihnen: es handelt sich um Geistesgegenwärtiges unseres neuen Oberbürgermeisters. Tatsache! Für all die Sätze, die ich hier in Anführzeichen und kursiv gebracht habe, liegt das Copyright bei Sören Link. Sie entstammen dem Grußwort von Oberbürgermeister Sören Link zum Tag der Deutschen Einheit 2012, das Sie hier auf duisburg.de finden. Und soll ich Ihnen etwas sagen? Es gehört zum Job des OBs, zum Nationalfeiertag derartigen Keu von sich zu geben. Okay, das mit dem Fahnenappell hätte Link auch lassen können.

Mir wird bei dem Gedanken, dass die Leute jetzt alle einen Fahnenmast in den Vorgarten rammen, um ihre Sympathie für unser Land zu bekunden, wahrlich nicht warm ums Herz. Aber sei´s drum: andere Nationen machen es ja auch, und diese dumme Sache von der 16. SS-Panzergrenadierdivision „Reichsführer SS“, deren Verfolgung die Staatsanwaltschaft Stuttgart vorgestern eingestellt hatte, … – mein Gott nochmal! Das ist doch jetzt bald 70 Jahre her; Krieg ist halt Krieg, da muss man die Männer jetzt auch mal in Ruhe lassen. Schließlich hat man sie damit mehr als 50 Jahre in Ruhe gelassen. Aber was die in den letzten zehn Jahren durchgemacht haben! Ständig diese Erinnerungen an diese schrecklichen Morde – furchtbar.

Egal, Sören Link erinnert daran, dass wir uns seit 2006 endlich auch wieder freuen dürfen. Sommermärchen, Fahnenmeer, Nationalgefühl – alles klar. Nicht ganz so gelungen finde ich, was unser Oberbürgermeister – ich überspringe jetzt mal einen Absatz mit schönen Worten zur „Integration“ – kurz darauf anmerkt. Aktuell zu dem, was „uns beschäftigt“: „Aktuell beschäftigen uns viele Zuwanderer aus Südosteuropa, Menschen und Europäer, die in der wohlhabenden Bundesrepublik ihr Glück suchen. Eins steht fest: Diese Menschen müssen sich ausnahmslos an unser Recht, unser Gesetz und unsere Gepflogenheiten halten.“ Im Ton hat der OB gewechselt von lieblich-kitschig – passend zum deutschnationalen Gesäusel – zu apodiktisch-autoritär: „Eins steht fest“.

In der Sache jedoch irrt der Herr Oberbürgermeister. „Diese Menschen“ – mein Gott, Sören! – müssen sich zwar an Recht und Gesetz halten, von mir aus: an unser Recht und an unser Gesetz. Und selbstverständlich ausnahmslos – das ist das Wesen von Gesetzen in einem Rechtsstaat. Aber an unsere Gepflogenheiten halten – das müssen sie sich nicht, und das muss ich nicht. Welche Gepflogenheiten eigentlich? Beflaggung am Nationalfeiertag? Luxusversorgung altgedienter Kader in städtischen Tochtergesellschaften? Etwa das maskierte Zusammenschlagen von Roma-Einwanderern wie kürzlich in Walsum geschehen. Oder sollen sich die Zuwanderer aus Südosteuropa der sympathischen deutschen – in diesem Fall: Duisburger – Gepflogenheit anschließen, und Unterschriften sammeln, welche ihrer Nachbarn „umgesiedelt“ werden sollten?

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