Website-Icon xtranews – das Newsportal aus Duisburg

Nochmal Olympia: Die Sippenhaft ist abgeschafft!

Die Nation diskutiert an diesem Wochenende den „Fall“ der Ruderin Nadja Drygalla. Dabei gibt es über diesen „Fall“ eigentlich gar nichts zu diskutieren. Frau Drygalla ist ihre private Liebesbeziehung zu einem Neonazi vorgeworfen worden. Dadurch entsteht zwingend der Eindruck, die Sportlerin sei in Sippenhaft genommen worden. Die Sippenhaft jedoch ist abgeschafft.

Die Sachlage ist mittlerweile hinlänglich bekannt. Die deutsche Olympia-Ruderin Nadja Drygalla ist privat liiert mit Michael Fischer, dem Chef der Kameradschaft „Nationaler Sozialisten Rostock“ (NSR), eine gewaltbereite und vermutlich auch gewalttätige Neonazi-Truppe, die all den anderen rechtsradikalen Schlägertrupps, die Mecklenburg-Vorpommern zu einem Bundesland voller „national befreiten Zonen gemacht haben, als Vorbild dient. Die Kontakte zwischen dem NSR und der NPD sind äußerst eng, was sich bspw. auch darin zeigt, dass Fischer letztes Jahr Landtagskandidat der NPD gewesen ist.

Von alledem wollen DOSB-Chef Thomas Bach und Olympia-Teamchef Michael Vesper nichts gewusst haben. Mit dieser Einlassung stehen die beiden Funktionäre freilich ziemlich dumm da. So dumm, dass sie auf ihre Trainingsanzüge auf der Pressekonferenz durchaus auch hätten verzichten können. Man kann sich nämlich auch im zivilen Jackett – ob mit oder ohne Schlips – zum Kasper machen; doch warum auch immer: die Herren wollten auf ihr Clownskostüm nicht verzichten. „Wichtig ist für mich, wie sie denkt und handelt“, sprach Michael Vesper, der schon als grüner NRW-Politiker wie die Karikatur eines Altherren-Apparatschiks wirkte.

Nach dem anderthalbstündigen Gespräch sei Frau Drygalla dann „freiwillig“ aus dem olympischen Dorf in London abgereist. Nun, ich war nicht bei dem Gespräch dabei; doch das Gesprächsergebnis erscheint in sich nicht schlüssig. Einerseits berichtet Vesper von einem Bekenntnis der Sportlerin zur – unmissverständlich antirassistischen – olympischen Charta; andererseits reist Drygalla nach dem Gespräch fluchtartig ohne eine Erklärung ab. Das passt offensichtlich nicht zusammen. Entweder ist die Athletin auch selbst doch eine Rassistin oder ihre Abreise geschah nicht ganz so „freiwillig“, sondern unter Druck. Oder beides.

Inzwischen suchen die Medien nach Belegen für die naheliegende Vermutung, dass Drygalla selbst mit dem olympischen Gedanken unvereinbare Auffassungen vertritt. Der Inhalt des besagten Vier-Augen-Gesprächs lässt sich zurzeit wohl nicht recherchieren; doch der gesunde Menschenverstand besagt, dass Vespers Begriff der Freiwilligkeit einer speziellen Definition unterliegen muss. Vesper hat damit ein Kommunikationsdesaster angerichtet. Der Sportlerin faktisch zu bescheinigen, nicht gegen die olympische Charta verstoßen, aber nichts zum Schutz der Athletin unternommen zu haben, wird sich als Wasser auf die Mühlen der Nazipropaganda erweisen.

„Wichtig ist für mich, wie sie denkt und handelt“ – bei Vesper selbst gehen Reden, Denken und Handeln offensichtlich nicht in eins. Sippenhaft zu verurteilen, gleichzeitig jedoch faktisch auszuüben – wie will man noch einen verheerenderen Eindruck hinterlassen?! Was reitet Thomas Bach, der zum Gegenangriff bläst, wenn ihn Journalisten mit der Tatsache konfrontieren, dass Drygallas „problematische Beziehung“ seit langem und vor allem auch in großen Teilen der Olympiamannschaft bekannt ist? Warum hat das klärende Vier-Augen-Gespräch erst jetzt, nachdem eine breitere Öffentlichkeit aufmerksam geworden ist, stattgefunden und nicht vorher?

Es ist schon ganz erstaunlich, wer so Alles jetzt von nichts gewusst haben will, obwohl sich Drygalla und ihr Nazi-Freund Fischer sogar in der olympischen Rudermannschaft kennengelernt hatten. Obwohl diese Beziehung auch dazu geführt hatte, dass sie ihre Ausbildung zur Polizistin „freiwillig“ abbrechen musste. All diese Geschichten werden in den nächsten Tagen und Wochen aufgeklärt werden. Keine Frage. Ob der DOSB daraus organisatorische und personelle Konsequenzen ziehen wird, ist eher unwahrscheinlich. Man wird wohl weiterhin solche Spaßvögel wie Bach und Vesper in die Trainingsanzüge stecken.

Das ist nicht schön, aber es gibt Schlimmeres. Zum Beispiel die Art und Weise, wie jetzt über den „Fall“ Drygalla diskutiert wird. Eine Sache muss völlig klar sein! „In einem Rechtsstaat kommt es darauf an, was jeder einzelne tut – da gibt es keine Sippenhaft.“ So hat es Mecklenburg-Vorpommerns Ministerpräsident Sellering gesagt. Eine pure Selbstverständlichkeit. Sollte man meinen. Doch warum ist dann so oft der (zutreffende) Hinweis zu lesen, Nadja Drygalla sei doch eine erwachsene Frau. Da werde sie doch wissen, mit wem sie zusammen ist. Wie infam und wie offen hier der Sippenhaft das Wort geredet wird!

Die Sippenhaft ist abgeschafft. „Das ist, was uns von den Nazis unterscheidet“, sagt Sellering. Schlimm genug, dass so etwas überhaupt noch gesagt werden muss. Frau Drygalla wird sich gefallen lassen müssen, dass sehr genau recherchiert werden wird, ob sie sich nicht doch einige der grauenhaften Ansichten ihres Freundes zu Eigen gemacht hat. Sie ist eine Prominente. Sie hat den Preis dafür zu zahlen, einen Menschen zu lieben, der für andere Menschen nichts als Verachtung, Hass und Gewalt übrig hat. Sie muss sich aber darauf verlassen können, ausschließlich für Sachen haftbar gemacht zu werden, die sie selbst zu verantworten hat.

Die mobile Version verlassen