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Gauck revisited – O-Töne eines neuen alten Kandidaten

Zu den vornehmsten Aufgaben eines Bundespräsidenten gehört, dem Land durch kluge Reden geistige Orientierung zu geben. Wie bedauerlich also, dass wir gegenwärtig gar keinen Bundespräsidenten haben. Sein derzeit amtierender Stellvertreter, Bundesratspräsident Seehofer, will nur das Nötigste tun, sprich: am liebsten überhaupt nicht reden. So überlässt er bei der Gedenkfeier für die Opfer der Neonazi-Mordserie der Bundeskanzlerin das Feld. Sogar seine Rede morgen beim politischen Aschermittwoch der CSU hat Seehofer kurzfristig abgesagt.

 

Bis zum 14. März, wenn die Bundesversammlung Joachim Gauck zum neuen Bundespräsidenten wählen wird, ist es aber noch etwas hin. Um Sie während dieser schweren drei Wochen zu Beginn der Fastenzeit nicht vollkommen orientierungslos dastehen zu lassen, um Ihnen die geistig-moralische Kraft in dieser Zeit des Verzichts zu geben, versorge ich Sie an dieser Stelle schon einmal mit dem Allernötigsten: den warmen Worten unseres kommenden „Präsidenten der Herzen“. Es folgt: Gauck im O-Ton. Zitate sind – dies kann ihrem Wesen nach gar nicht anders sein – aus dem Zusammenhang gerissen. Die folgenden Zitate sind allerdings weder ge- noch (sinn-) verfälscht. Sie sprechen für sich.

 

 

 

Gauck über den Hedonismus

 

„Die Leute müssen aus der Hängematte der Glückserwartung durch Genuss und Wohlstand aufstehen. Sie dürfen nicht erwarten, dass andere für sie agieren.“

 

„Es schwächt die Schwachen, wenn wir nichts mehr von ihnen erwarten.“

 

„Es liegt nicht nur an unserer Zeit – dass die Menschen schnellen Genuss wollen, um sich glücklich zu stellen, gehört zur dunklen Seite der menschlichen Existenz.“

 

„Verantwortung ist dem Untertan meistens fremd. Was er am besten kann, ist Angst haben.“

 

„Im Gegensatz zur linken Propaganda muss klar sein, dass wir den Menschen nichts Böses tun, wenn wir ihre Mitwirkung stimulieren und fordern. Darum bin ich für aktivierende Sozialpolitik. Man kann auch mit bester Absicht etwas Ungutes tun. Wenn ein Vater oder eine Mutter ihre Liebe allein dadurch ausdrücken, dass sie ihren Kindern alles erlauben und alles geben, ziehen sie den Nachwuchs zu Egoisten heran.“

 

 

Gauck über den Kapitalismus

 

Gauck beklagte sich über „eine vor 20 Jahren nicht vorstellbare antikapitalistische Welle in Deutschland“.

 

Als „unsäglich albern“ befand Gauck den Protest der Occupy-Bewegung gegen die Allmacht der Banken und prophezeite: „Das wird schnell verebben.“

 

Die Antikapitalismusdebatte sei „unsäglich albern“, sagte er, sprach von „Irrtum“ und „romantischen Vorstellungen“. „Wer ausgerechnet der Wirtschaft die Freiheit nehmen will, wird mehr verlieren als gewinnen.“

 

 

Gauck über die Linke

 

„Gauck ist kein Promoter für Rot-Rot-Grün.“ (Gauck über sich selbst in der 3. Person nach seiner Nominierung zum Bundespräsidenten-Kandidaten von SPD und Grünen im Jahr 2010)

 

 

„Wenn jetzt die verwöhnten Kinder der roten Bourgeoisie von einst so über mich urteilen, dann ist dies erbärmlich und hat mit politischer Aufklärung nichts zu tun.“

 

„Das zeigt mir, dass meine Gespräche mit der SPD auch etwas bewirkt haben könnten.“ (Über die Distanzierung der SPD von der Linkspartei, einige Tage nach seiner Niederlage bei der Bundespräsidentenwahl im Juni 2010 gegen Christian Wulff)

 

«Wenn ich nicht schon draußen wäre, wäre ich jetzt auch ausgetreten.» (Im Juni 2006 über den Austritt des ehemaligen Bürgerrechtlers Konrad Weiß aus der Partei der Grünen; Weiß war aus Protest gegen eine Zusammenarbeit mit der PDS ausgetreten.)

 

 

Gauck über die Angst

 

„Ich bin unglaublich allergisch gegenüber einer Politik, die maßgeblich auf Angstreflexe setzt. Das gilt auch bei anderen Themen, etwa wenn es um die Nutzung der Atomenergie geht. Wir sollen auf Aktionsformen verzichten, die auf die Angst von Menschen setzen und daraus eine Dynamik ableiten.“

 

Den Ausstieg aus der Atomkraft nach Fukushima sah Gauck kritisch. Solche Entscheidungen dürfe man nicht von der „Gefühlslage der Nation“ abhängig machen. Die deutsche Neigung zu Hysterie und Angst sei „abscheulich“.

 

 

Gauck über Sarrazin

 

„Intellektuellen fällt es schwer, zu akzeptieren, dass mit dem Element des Tabubruchs Politik gemacht wird. Mein Eindruck ist, dass der Herr Sarrazin nicht ein Problem erfunden hat.“

 

„Zu solchen Debatten gehört die Zuspitzung und auch die populistische Übertreibung. Daran krepiert das Land nicht gleich. Darum schaue ich etwas ängstlich auf eine Entwicklung, die Peer Steinbrück jüngst als `Kultur der Wohlfahrtsausschüsse´ umschrieben hat: Da fällen die Weisen ihr Verdikt, eines Anathemas des Papstes gleich: Verschwinde aus meiner Partei, du bist der Teufel! Nein, wir sollen ihn kritisieren, wo es nötig ist, und seine Anregungen aufnehmen.“

 

„Es gibt Viertel mit allzu vielen Zuwanderern und allzu wenigen Altdeutschen“.

 

 

Gauck über deutschen Stolz

 

„Stolz ist ein natürliches Gefühl. Wir dürfen uns mögen, für das, was wir können. Auch dieses Land. Aber wir brauchen dafür die jüngere Generation. Meine Generation kann das nicht, weil wir sofort in den Verdacht geraten, Kryptofaschisten zu sein.“

 

Gauck über das Deutschlandfahnenschwenken bei der Fußball-WM:

„Viele meiner intellektuellen Gesprächspartner, die mit einem ähnlichen negativen Nationalgefühl aufgewachsen sind wie ich, waren entsetzt. Sie haben das als einen nationalistischen Rausch empfunden. Aber es waren am Ende nur Patrioten.“

 

 

Gauck über den Holocaust

 

„Unübersehbar gibt es eine Tendenz der Entweltlichung des Holocaust. Das geschieht dann, wenn das Geschehen des deutschen Judenmordes in eine Einzigartigkeit überhöht wird, die letztlich dem Verstehen und der Analyse entzogen ist. Offensichtlich suchen bestimmte Milieus postreligiöser Gesellschaften nach der Dimension der Absolutheit, nach dem Element des Erschauerns vor dem Unsagbaren. Da dem Nichtreligiösen das Summum Bonum – Gott – fehlt, tritt an dessen Stelle das absolute Böse.“

 

„In den letzten Jahren ist in Deutschland ein lange vernachlässigtes Erinnerungsgut wieder aufgetaucht: Deutsche als Opfer. Nach jahrzehntelanger Bearbeitung der deutschen Schuld in vielen Facetten tauchten Bombenkriegsopfer, Flüchtlinge und Vertriebene wieder auf. Reflexartig wurde auch bei dieser Entwicklung die Warnung vor einer Relativierung der deutschen Schuld vorgebracht, für mich eine überflüssige Sorge.“

 

„Wie für uns in Deutschland der Judenmord das Schwarze Loch der Geschichte ist, so ist es für die Ex-Sowjetunion deren einst real existierendes Unrechtssystem.“

 

 

 

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