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Aus Respekt vor dem Amt: Wulff muss gehen, Wulff wird gehen

„Mal ehrlich, nimmt irgendwer der Bild-Zeitung ernsthaft ab“, fragt Hape Kerkeling in seinem – inzwischen nicht mehr öffentlich einsehbaren – Facebook-Posting vom Freitag, „sie sei an Wahrheit, Anstand und ehrlicher oder gar lupenreiner Aufklärung interessiert?“ Eine rhetorische Frage, nehme ich an. Ich jedenfalls käme nicht im Traum auf die Idee, der Bildzeitung irgendetwas zu unterstellen, was in meinem politischen Koordinatensystem halbwegs positiv besetzt wäre. Jetzt, wo der „Krieg“, wie Wulff es unklugerweise ausdrückte, tobt, „lautet die Frage nicht“, so Kerkeling, „Wulff oder ein Neuer, sondern vielmehr: Wulff oder Bild?“ Hätte er Recht, bereitete die Antwort keine großen Probleme. Lautete die Frage wirklich „Wulff oder Bild?“, wäre die Sache äußerst leicht. Für Kerkeling ist sie so leicht; daher seine Antwort: „Ich bin eindeutig für Wulff!“

Wenn die ganze Sache doch wirklich so eindeutig wäre! Alles könnte doch so schön sein. Man könnte weiterhin ganz locker – freilich bei deutlicher Markierung, dass sich die persönlichen Sympathien für Christian Wulff in engen Grenzen halten – den Bundespräsidenten gegen die von der Bildzeitung angeführte Kampagne in Schutz nehmen. Und wenn man sich schon aufführt wie der letzte – an sich völlig überflüssige – Wurmfortsatz* des Springerkonzerns, dann wäre es zumindest recht günstig, dem politischen Spektrum der bürgerlich konservativ-liberalen Seite zugerechnet zu werden. Dann lässt es sich munter losrocken wie bspw. Ulrich Reitzvon der WAZ oder alternativ Stefan Laurin von den Ruhrbaronen. Ist man dagegen bereits als Parteigänger der SPD entlarvt, darf man sich freilich nicht wundern, wenn die geäußerte Meinung als parteitaktisch motiviert erkannt wird.

Parteitaktik – das nervt! Zum Beispiel Silke Engel vom RBB, die in einem Kommentar für tagesschau.de schreibt: „Mich ärgert aber auch die Opposition, die täglich weiter stichelt. Größtenteils mit verdeckten Giftpfeilen. Nur um Wulffs Schwäche – die auch eine Schwäche der Kanzlerin ist – so lange wie möglich auszukosten. Mich nervt das.“ Offenbar ist Frau Engel entfallen, dass SPD-Chef Gabriel kurz vor Weihnachten – vielleicht eine Idee zu dramatisch – davor gewarnt hatte, ein Rücktritt Wulffs könne das Land „an den Rand einer Staatskrise“ bringen. Derlei Vergesslichkeit nervt mich nun wiederum; so kann´s gehen. Es kommt andererseits aber auch vor, dass ein und dieselbe Scheinheiligkeit sowohl Silke Engel als auch mich auf die Palme bringt. “Mich ärgert, dass ausgerechnet die `Bild´-Zeitung sich zum Opfer stilisieren kann. Ein Blatt, das es mit Persönlichkeitsrechten normalerweise gar nicht so genau nimmt,“

Ganz ähnlich ergeht es Ulrich Horn, der die vermeintliche “Wandlung“ des Bild-Chefredakteurs äußerst bemerkenswert findet. Diekmann habe „eine Wandlung vollzogen, die noch nicht hinreichend gewürdigt wurde: Diekmann hat die politische Hygiene entdeckt.“ Horn empört sich darüber, dass “fast alle Blätter und Sender auf Wulff draufhauen, was das Zeug hält, und permanent seinen Rücktritt fordern“. Da “der Mailbox-Text noch immer nicht veröffentlicht ist“, stützten sich die massiven Vorwürfe gegen Wulff auf eine dünne Quellenbasis: “Einzige Grundlage der Verurteilung: Die Behauptung von Bild.“ Neben der seines Erachtens unzureichenden Quellenlage beklagt Horn die vermeintliche Dürftigkeit der Vorwürfe. Und regt sich darüber auf, dass “sich hoch bezahlte Journalisten in diese Bagatelle (verbeißen).““

Ulrich Horn wird gemeinhin dem sozialdemokratischen Meinungsspektrum zugerechnet. Wie bereits erwähnt: unter diesen Umständen wirkt eine Pro-Wulff-Haltung emanzipierter, zumindest aber durchdachter als das Einstimmen in den vielstimmigen Chor derjenigen, die den Rücktritt des Bundespräsidenten fordern. Womit immerhin die Annahme unterstellt wird, dass eine kritische Position gegenüber Springer und der Bild in der SPD nicht gern gesehen wäre. Das ist mir bislang noch nie aufgefallen; wie auch immer: Horn schreibt ganz gewiss das, wovon er überzeugt ist. Er lässt jedoch die Frage offen, warum sich die übergroße Mehrheit der Kollegen so willfährig für Diekmanns Machenschaften einspannen lässt. „Alle doof außer ich“? Alle irgendwie der SPD verpflichtet, die „die Schwäche der Kanzlerin so lange wie möglich auszukosten“ (Engel) möchte?

Es ist ganz offenkundig Unsinn, davon auszugehen, dass die deutsche Journalistenlandschaft ausschließlich aus Dummerles und / oder SPD-Agenten besteht. Vielmehr wird Wulff nicht nachgesehen, dass er versucht hat, kritische Berichterstattung durch Einschüchterung oder gar Erpressung zu unterdrücken. Dafür ist Bild die ursprüngliche, aber keineswegs – wie Horn suggerieren will – die einzige Quelle. Dass Zitate aus dem Zusammenhang gerissen sind, ist schon allein deshalb unerheblich, weil Zitate immer aus dem Zusammenhang gerissen sind. Der Hinweis, dass Wulffs Versuch geradezu an Lächerlichkeit kaum zu überbieten ist, es also Unsinn wäre, von einem „Bundesdiktator Wulff“ (Kerkeling) zu sprechen, ist zwar berechtigt, tut aber nichts zur Sache.

Er belegt allein, dass der Bundespräsident, wenn er unter starken Druck gerät, unter partiellen Realitätsverlust geraten kann. „Der Bundespräsident ist auf dem Weg zum Emir“, so eröffnete Wulff seine unsägliche Mailbox-Durchsage. Mal ehrlich, würde irgendwer Herrn Wulff ernsthaft abnehmen, wenn er behauptete, dass es sich hierbei um Selbstironie gehandelt haben sollte?! Wenn es aber keine Selbstironie war – und ich bin da fast sicher: wie würden Sie das dann bezeichnen, wenn jemand einem ehemaligen Freund und immer noch bestens Bekannten solch einen Satz auf die Mailbox textet. Stellen Sie sich bitte nur einmal vor, Sie hören morgen Ihren Anrufbeantworter ab, und eine Durchsage beginnt mit den Worten: „Der stellvertretende Abteilungsleiter ist auf dem Weg zum Dezernenten.“ Wie gesagt: ohne Flapsigkeit, keine Selbstironie.

Sie halten dies (noch?) für eine Formfrage. Nun gut, ich schon nicht mehr; aber sei´s drum. Keine Frage: Wulffs „Ansinnen“ war lächerlich. Ich musste vorgestern bei der Lektüre des satirischen Postillon unweigerlich an die Wulff-Durchsage denken: “Obamas Militärkürzungen lassen San Marino und Liechtenstein Angriff auf USA erwägen.“ Was aber, wenn der Bundespräsident nicht so ein – wie die Titanic schreibt – “Bürschchen“ wäre? Wenn ein Bundespräsident vom Format eines Heinemann oder Weizsäcker, eines Rau oder Herzog sich eine wesentlich kleinere Zeitung (oder gar einen Blog) für seine „Kriegserklärung“ auswählte und nicht dieser “Milchbubi“? Ich verzichte aus Respekt vor dem Amt auf fiktive Beispiele; Sie können sich ja selbst welche ausdenken. Wie bitte?! Dem ist aber nicht so. Alles hätte, wäre, könnte – also belanglos?! Sie plädieren also bei Wulff auf verminderte Schuldfähigkeit?

Das allerdings hätte Christian Wulff nicht verdient. Nicht als Mensch, nicht als Bundespräsident, und vor allem: eine solche Sichtweise vertrüge sich nicht mit dem Respekt vor dem Amt. Wulff muss gehen, Wulff wird gehen, spätestens bis zum nächsten Wochenende. All diejenigen, die ein Verbleiben Wulffs im Amt wünschen, seien daran erinnert: niemand aus der „politischen Klasse“ hatte und hat sich eine Demission Wulffs und eine erneute Bundespräsidentenwahl gewünscht. Niemand! Die Bildzeitung mag sich dies seit einiger Zeit gewünscht haben. Dies ist nicht abzustreiten. Wulff hatte ihr den „Krieg“ erklärt, eine Dummheit, wie er einräumt. Doch die Bildzeitung mag „angefangen“ haben, und “spielt“ offensichtlich mit Wulff. Vielleicht will der Springerkonzern gar ein Exempel statuieren und gleichsam direkt in die Auswahl des Führungspersonals eingreifen.

Wenn dem so sein sollte, ergäbe sich – der Logik folgend – irgendwann die Gelegenheit, dem Haus Springer zu zeigen, was geht und was nicht geht. Sollte jedoch Springer nur dann führende Politiker sozusagen zum Abschuss freigeben, wenn dies auch geboten ist, käme Springer tatsächlich seiner Kontrollfunktion im Rahmen der sog. „Vierten Gewalt“ nach. Dass Bild dies nicht tut, hat der Fall Guttenberg in aller Deutlichkeit gezeigt. Wenn Bild Leute, flapsig formuliert, kaputtschreiben will, ist Solidarität – auch über weltanschauliche und Parteigrenzen hinweg – geboten. Der Fall Wulff eignet sich dafür nicht. Wulff muss gehen, Wulff wird gehen.

* Im Übrigen ist der Wurmfortsatz (Appendix vermiformis) nicht so überflüssig wie gemeinhin angenommen, sondern erfüllt Funktionen bei der Immunabwehr.

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