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Adolf Sauerland im Focus: Mogelpackung moralische Verantwortung

Adolf Sauerland hat die Weihnachtstage genutzt, um dem Focus ein Interview zu geben. Freilich in eigener Sache, der noch amtierende Duisburger Oberbürgermeister befindet sich bekanntlich in einem Abwahlverfahren. Am 12. Februar werden die Duisburger über seinen Verbleib im Amt abstimmen. Über das Interview wird allerorten berichtet – in der lokalen, regionalen wie überregionalen Presse. Das Interview selbst steht (noch) nicht im Netz; jedoch berichtetFocus Online recht ausführlich über das Gespräch. Allein: man erfährt nichts Neues; Sauerland hat der bundesweit interessierten Öffentlichkeit nichts von Belang mitzuteilen. Ein für ihn nicht ganz untypisches Verhalten: immer wieder kündigt er mal eine Erklärung an, schriftlich oder mündlich, also eine Pressekonferenz. Oder er gibt ein (Fernseh-) Interview. Um den so geweckten Erwartungsdruck regelmäßig zu enttäuschen. Es müsste ja nicht gleich sein Rücktritt sein (der selbstredend seit dem 25. Juli 2010 überfällig ist); doch stets dieses beredsame Nichts – angehäuft mit reichlich Selbstmitleid und einer kräftigen Portion Sturheit – … eine etwas eigentümliche PR-Strategie.

Kleine Korrektur: es gibt eine, aber wirklich nur diese eine, Ausnahme in dieser Kette ansonsten vollkommen substanzloser Bekundungen. Am 11. Juni 2011, also knapp zwei Wochen vor dem ersten Jahrestag der Loveparade, übernahm Adolf Sauerland die moralische Verantwortungfür diese Katastrophe (Wortlaut hier bei den Ruhrbaronen). Nachdem fast ein Jahr lang über politische und juristische Verantwortung und vor allem über deren Unterschied geredet und geschrieben worden war, führte Sauerland das Wort von der moralischen Verantwortung in die Debatte ein. Diese Kategorie bot und bietet den unübersehbaren Vorteil, dass sie weder eine Bestrafung noch einen Rücktritt nach sich zieht. Sie besticht schlichtweg durch die ihr innewohnende Konsequenzlosigkeit. Jens Matheuszik vom viel gelesenen Pottblog hat sich offenbar die Printausgabe des aktuellen Focus gekauft und darüber berichtet, dass folgendes drinsteht: „Die FOCUS-Frage, was für ihn moralische Verantwortung bedeutet, beantwortete Sauerland nicht.” Die genaue Frage und die (nicht-)Antwort sind nicht abgedruckt worden. „Wäre schön“ gewesen, findet Jens Matheuszik, ist aber nicht.

Tja, moralische Verantwortung – was mag das sein? Gibt man beiWikipedia Verantwortung ein, erhält man zunächst eine Definition. Sie ist notwendig sehr allgemein gehalten, aber immerhin: „Verantwortung bedeutet die Möglichkeit, für die Folgen eigener oder fremder Handlungen Rechenschaft abzulegen. Sie drückt sich darin aus, bereit und fähig zu sein, später Antwort auf mögliche Fragen zu deren Folgen zu geben.“ Wissen muss man es schon! Dann finden wir unter den Sphären der Verantwortung – Sie werden staunen! – derer zwei: erstens die juristische Verantwortung und zweitens die politische Verantwortung. Mithin die beiden Sphären, innerhalb derer Sauerland seine Verantwortung nicht angesiedelt wissen will. Es folgen kurze Hinweise auf ein Philosophielexikon und auf Max Webers Unterscheidung von Gesinnungs- und Verantwortungsethik. Moralische Verantwortung – Fehlanzeige. Schauen wir also mal, was Wikipedia zum Begriff Schuld schreibt. Wir sehen nach bei Schuld (Ethik); ansonsten wären wir wieder beim Recht, Strafrecht oder Privatrecht, bei der Psychologie oder in der Religion im ganz engen Sinne.

Also Schuld (Ethik); Punkt 1: „Schuld als Verantwortlichkeit“. Da steht: „Der Zustand der Schuld entsteht, wenn jemand für einen Verstoß gegenüber einer sittlichen, ethisch-moralischen oder gesetzlichen Wertvorstellung verantwortlich ist.“ Das scheint nicht ganz zu passen. Oder doch; weiter im Text: „Beispielsweise kann dies ein bewusster Verstoß gegen ein Verbot sein (zum Beispiel Diebstahl) oder auch der fahrlässige Verstoß gegen ein Verbot (zum Beispiel Fahrlässige Tötung).“ Aha! Nun ja, Fahrlässige Tötung ist jedoch bekanntlich auch ein Begriff aus dem Strafrecht. Deshalb, weiter im Text: „In der Regel wird davon ausgegangen, dass nur eine einzelne Person für ihre Schuld einzustehen hat und ihr die Schuld anderer nicht zurechenbar ist.“ Na selbstverständlich. Und jetzt? So kommen wir nicht weiter; sie können den gesamten Wikipedia-Artikel lesen. Das einzige, was sie feststellen werden, ist, dass dessen Autor sich sehr weiträumig mit dem facettenreichen Begriff Schuld befasst hat. Moralische Verantwortung – der Begriff hört sich blitzgescheit an. Ihn in die Debatte einzuführen, war vermutlich auch nicht ganz dumm von Sauerland. Doch wenn der Focus nachfragt, was er denn darunter versteht, verweigert er die Antwort.

Dafür hat Sauerland zur – möglicherweise ihm nicht einmal gestellten – Frage, wie man denn so schläft, wenn man sich moralisch verantwortlich fühlt für den Tod von 21 Menschen und die Traumatisierung von Hunderten, nochmal dies zu Protokoll gegeben: „Es gibt keinen Tag, an dem ich nicht an die Katastrophe denke, keine Nacht, in der ich nicht aufwache“, sagte Sauerland. Eine Schuld an der Tragödie trage er aber nicht. „Es gab für mich keinen Hinweis darauf, dass irgendetwas nicht genehmigt werden sollte.“ Unschuldig, aber Durchschlafschwierigkeiten – so etwas kommt vor. Übrigens insbesondere dann, wenn jemanden ein schwerer Schicksalsschlag getroffen hat. Wie dem auch sei, interessanter ist, dass wir an dieser Stelle ein wenig über Sauerlands Definition von moralischer Verantwortung erfahren. Um was auch immer es sich bei ihr handeln könnte, mit Schuld hat sie jedenfalls nichts zu tun. Eigentlich logisch; sonst hätte Sauerland diese Kategorie ja gar nicht erst erwähnen, um nicht zu sagen: erfinden müssen. Und dass es für ihn keinen Hinweis darauf (gab), dass irgendetwas nicht genehmigt werden sollte, wird sich m.E. in den weiteren Ermittlungen, spätestens aber im Strafprozess, als unzutreffend herausstellen.

„Es ist noch niemandem eine Schuld nachgewiesen worden. Und solange das kein Gericht getan hat, bleibe ich im Amt“, tönt Sauerland im Focus-Interview. Wenn er die Abstimmung am 12. Februar übersteht, wäre zu ergänzen. Nun gut, Angriff ist die beste Verteidigung. Sauerland im Abwahlkampf, wie nicht nur die Initiative, sondern auch er selbst das unwürdige Treiben bezeichnet, das nach dem Ende der Weihnachtsferien mit voller Wucht über Duisburg kommen wird. „Das Ganze ist eine Mogelpackung, eine Initiative von SPD und Linken“, sagte Adolf Sauerland im Focus-Interview. Wahlkampf as usual. In dieser Sache jedoch eine kleine Modifizierung: der Vorsitzende seines CDU-Kreisverbandes hatte sich auf dem Parteitag vor drei Wochen noch zu der Behauptung verstiegen, die Initiative sei von SPD und Linkenunterwandert. Dies war insofern noch nicht so ganz ausgeklügelt, weil der Terminus Unterwanderung doch eine dem Ziel und Zweck fremde Absicht vorausgesetzt hätte. Einmal freundlich erklärt, sofort begriffen, Begriff Unterwanderung gestrichen, stattdessen jetzt: Mogelpackung. Schon besser; denn was ist eine Mogelpackung?

Mogelpackung, heißt es bei Wikipedia, nennt man eine Verpackung, die über die wirkliche Menge oder Beschaffenheit des Inhalts hinwegtäuscht. In diesem Fall: auf der Packung steht Bürgerinitiative, drin sind aber Leute von der SPD und von den Linken. Also keine Bürger, sondern Rote. Allerdings auch noch Grüne und Liberale. Vielleicht auch keine Bürger, aber immerhin schon einmal bürgerlich. Und dann auch noch Parteilose, die im Grunde ganz bestimmt Bürger wären, wenn sie in Wahrheit nicht – und da haben wir es wieder – Unterwanderer wären. Also so Kryptoleute. Tun nach außen hin so, als seien sie unschuldige Bürger, denken in ihrem Innern aber – nur mal als Beispiel: – links. Oder sozialdemokratisch. Oder beides in einem. Ganz egal, alles Mogelpackungen. Genug gekalauert: es ist eine Unverschämtheit! Da wird Menschen, die sich in anderen Parteien als in der Sauerlands für diese Gesellschaft engagieren, unterschwellig das Bürgersein abgesprochen. Da wird – dreister noch – der Initiative, wider besseres Wissen übrigens, unterstellt, sie werde von „feindlichen“ Parteibüros fremdgesteuert. Da wird so getan, als ginge es gar nicht um die Loveparade-Katastrophe und um Sauerlands Verhalten, sondern um parteitaktisches Machtkalkül.

Ich selbst gehöre der Bürgerinitiative nicht an, kann und darf folglich, auch wenn ich sie selbstverständlich auf meine Weise unterstütze, nicht für sie sprechen. Also spreche ich für mich selbst. Ich hatte bereits am Tag nach der Loveparade, unmittelbar nach der – im Fernsehen übertragenen – unsäglichen Pressekonferenz den Rücktritt Sauerlands gefordert. Ohne mit einem Sozialdemokraten oder irgendeiner anderen vermeintlich unehrenhaften Gestalt gesprochen zu haben, schrieb ich am 25. Juli 2010: „Ich war nicht der einzige, der auf die daraus resultierende Gefahr hingewiesen hat. Sollte man mir dennoch vorwerfen, die Toten und Verletzten für meine persönliche Rechthaberei instrumentalisieren zu wollen, werde ich mich dagegen genauso wenig wehren können wie gegen den etwaigen Vorwurf, auf dieser Katastrophe ein parteipolitisches Süppchen kochen zu wollen. Ich weise rein prophylaktisch derartige Anwürfe zurück; das muss reichen. Sollten sie erhoben werden, gedenke ich nicht, auf sie zu antworten. Sie wären absurd und geschmacklos.“ Das ist nach wie vor bindend für mich. Es gibt Vorhaltungen, die sind so primitiv, dass sie einer Antwort nicht würdig sind. Ich pflege sie zu überhören und kann allen anderen nur empfehlen, es auch so zu handhaben.

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