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Rechts, rechter, am rechtesten– oder: Linkssein nach Auschwitz

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Image by xtranews.de via Flickr

Das Simon-Wiesenthal-Center sei eine „Propagandaagentur der rechtesten und schäbigsten Regierung, die Israel je hatte“. Das jedenfalls findetHermann Dierkes, der Fraktionsvorsitzende der Linken im Duisburger Stadtrat. Dass er uns diese Einschätzung erst jetzt zukommen ließ, obgleich das Simon-Wiesenthal-Center jedes Jahr eine Liste mit auffällig gewordenen Antisemiten veröffentlicht, ist verständlich. Denn in diesem Jahr wurde Dierkes selbst auf dieser „Top-Ten-Liste“ berücksichtigt. Beschäftigen wir uns also in der Sache mit Dierkes´ Einschätzung! Zum einen behauptet er, die Koalition Netanjahu / Lieberman sei die „rechteste und schäbigste Regierung, die Israel je hatte“, und zum anderen, dass das Wiesenthalcenter eine Propagandaagentur ebendieser sei.

Mit letzterer Behauptung ist Dierkes stets schnell zur Hand, wenn ihm der Antisemitismus-Vorwurf gemacht wird. Eine „Agentur“ bzw. ein „Agent“ bietet ja seine Dienste nicht kostenfrei an; folglich argwöhnte Dierkes selbst in meinem Fall, dass sich der Staat Israel meine freundliche Kommentierung etwas kosten ließe. Dies ist zu meinem Bedauern (bislang) nicht der Fall, und falls es sich wider Erwarten ändern sollte, werde ich es weder Herrn Dierkes noch Sie wissen lassen. Schon allein deshalb, weil ich dies gar nicht tun müsste; ich will ja von niemandem gewählt werden. Wie auch immer: das Simon-Wiesenthal-Center sei eine Agentur, mithin böse, während Simon Wiesenthal selbst „Nazi-Massenmörder aufgespürt und ihrer gerechten Strafe zugeführt hat“, wie Dierkes zutreffender Weise anmerkt, irgendwie eher gut war.

Das Center habe folglich „den Namen von Simon Wiesenthal missbraucht“, findet Dierkes, der nur allzu gut weiß, dass Tote sich nicht dagegen wehren können, zu Opfern ihrer Interpreten zu werden. Der allerdings bei dieser Bezichtigung übersehen haben muss, dass das Wiesenthalcenter bereits 1997 seine Arbeit aufgenommen hatte, übrigens unter der gleichen Leitung wie heute, und dass Simon Wiesenthal sich erst im Jahr 2003 zur Ruhe gesetzt hatte, bevor er 2005 verstarb. Nein, der legendäre „Nazijäger“ hatte nicht einen „Missbrauch“ seines Namens gleichmütig hingenommen; im Gegenteil: Simon Wiesenthal empfand es als große Ehre, dass das Center nach ihm benannt wurde. Mit dessen – damaligem wie heutigem – Leiter Marvin Hier war Wiesenthal eng befreundet.

Die gegenwärtige Regierung sei die „rechteste und schäbigste Regierung, die Israel je hatte“, befindet Hermann Dierkes, und tatsächlich: die Koalition Netanjahu / Lieberman steht ziemlich weit rechts. Und, wie ich finde: gefährlich weit rechts. Freilich muss Dierkes uns nicht wissen lassen, welche der früheren israelischen Regierungen er, um nicht zu sagen „links“, sagen wir mal: nicht ganz so rechts gefunden hatte. Die Vorgängerregierung dürfte es wohl kaum gewesen sein; die war nämlich im Amt, als Dierkes Israel mit einem Kaufboykottaufruf belegt hatte. Dass ihm die – noch früheren – sozialdemokratischen Regierungen gefallen hätten, muss ebenfalls bezweifelt werden. Denn bekanntlich hatten erst rechte Regierungen damit begonnen, von Israel besetzte Gebiete zu räumen (Südlibanon, Gaza).

Diese Gebiete wurden dann – gleichsam zum Dank – von den vom Iran finanzierten und von Dierkes geschätzten Terrororganisationen Hisbollah und Hamas unverzüglich in Raketenabschussbasen verwandelt. Nein, israelische Regierungen können für Dierkes qua definitione gar nicht links sein; sie sind für ihn entweder rechts oder noch rechter oder, wie in diesem Fall, am rechtesten. Oder, synonym: schäbig, schäbiger, am schäbigsten. Nur komisch, dass Simon Wiesenthal zu seinen Lebzeiten niemals als Kritiker des „Apartheidstaates“, wie Dierkes geschmackvollerweise zu sagen pflegt, in Erscheinung getreten ist. Tote können sich nicht gegen ihre Interpreten wehren; sie können nichts dagegen machen, wenn ihr Name von Feinden ihrer Ideen missbraucht wird.

„Jeder kann z.B. durch den Boykott von israelischen Waren dazu beitragen, dass der Druck für eine andere Politik verstärkt wird“, wusste Hermann Dierkes auf einer Parteiveranstaltung in Duisburg-Hamborn zu erzählen – bereits im Februar 2009, als die israelische Regierung noch nicht ganz so rechts und noch nicht ganz so schäbig war.Die Empörung nicht weniger, die sich an das unselige „Kauft nicht bei Juden!“ erinnert fühlten, konterte er mit dem aufklärerischen Hinweis: „Das hat mit Antisemitismus nichts zu tun.“ Denn Judenfeindlichkeit, das weiß ja jeder, ist rechts. Dierkes dagegen, das sagt ja schon der Name seiner Partei, ist links und als solches selbstverständlich gegen die israelische Regierung, weil die ja rechts ist. Jede israelische Regierung. Immer. Und deshalb sei auch – Dierkes besteht darauf – der „bewaffnete Kampf“ nicht nur zulässig, sondern geboten.

Der bewaffnete Kampf – logisch, das geht ja gar nicht anders – gegen Israel; denn wie bitteschön wollen Sie gegen eine Regierung bewaffnet kämpfen?! Nun gut, nicht Sie sollen gegen Israel in den Krieg ziehen, auch nicht Hermann Dierkes selbst, sondern die um ihre Befreiung kämpfenden Palästinenser. Also in erster Linie die den von Israel geräumten Gazastreifen beherrschende Hamas, „die den Staat Israel mit terroristischen Mitteln beseitigen und einen islamisch-theokratischen Staat in Palästina errichten will“ (Wikipedia). Denn die im Libanon operierendeHisbollah ist zwar die „Partei Gottes“, aber keine palästinensische Truppe. Und beide Vereine – Hamas wie Hisbollah – sind, was ihre programmatische Agenda betrifft, auch nicht politisch links im engeren Sinne, dafür aber ganz entschieden gegen Israel. Und Israel – so weit waren wir schon – ist rechts. Immer.

Wer oder was aber ist „links“? Was bedeutet Linkssein eigentlich? Sagen wir: in Hinblick auf das Judentum und im Hinblick auf den Staat Israel. Beide Aspekte lassen sich, auch wenn Herr Dierkes und Andere sich dies so wünschen, nicht so ganz voneinander trennen, weil Israel, der Judenstaat, nun einmal ganz überwiegend aus jüdischer Bevölkerung besteht, und weil darüber hinaus für Juden in aller Welt das Wissen um eine Heimstätte für den Fall, dass in ihrem Land der Antisemitismus mörderische Dimensionen annimmt, eine fundamentale Bedeutung hat. Antisemitische Exzesse durchziehen – nicht nur in Europa – die Weltgeschichte. Die fabrikmäßige Organisation des Holocausts als millionenfacher Massenmord stellt als Gipfel dieser Entwicklung eine historische Einmaligkeit dar.

Die Gründung des Staates Israel ist auch eine Antwort auf Auschwitz. Und Linkssein bedeutet nach Auschwitz, zumal in Deutschland, dass die Bekämpfung der Judenfeindlichkeit und die Solidarität mit dem Judentum irreversibel an erster Stelle jeglichen Engagements für Humanität und Emanzipation stehen muss. Der „Sozialismus der dummen Kerls“, wieBebel, der Begründer der organisierten sozialdemokratischen Arbeiterbewegung in Deutschland, den Antisemitismus bezeichnet haben soll, hatte die Umrisse einer Ideologie angenommen; in Auschwitz bewahrheiteten sich die Befürchtungen Bebels (vgl. taz – aktuell in Hinblick auf Osteuropa). Dass sich nach Auschwitz die „dummen Kerls“ gleichsam in Luft aufgelöst hätten, wird niemand ernsthaft behaupten wollen.

Dabei gilt es „dem jedoch immer noch verbreiteten Irrglauben, `Linkssein´ verleihe Immunität gegen antisemitische Einstellungen, … entgegenzutreten“, schrieb Katharina König, Landtagsabgeordnete der Linken in Thüringen, gestern bei den Ruhrbaronen aus Anlass der jüngsten Äußerungen ihres Genossen Dierkes. Oder, um die ehemalige Juso-Chefin Franziska Drohsel zu zitieren: „Auch hier gilt es ohne Scheuklappen auch im eigenen politischen Lager kritikwürdige Denkmuster anzugreifen und für progressive Politikansätze zu streiten. Antisemitismus ist ein Übel, das bekämpft werden muss – egal wer es artikuliert und vertritt.“ Und zum Verhältnis der deutschen Linken zu Israel schreibt Drohsel: „Auch die Betrachtung des Nahostkonfliktes von links ist oft mit Vorsicht zu genießen.“

Als „völlig irrwitzig“ bezeichnet die damalige Juso-Vorsitzende „die Argumentation, wenn Israel `kolonialistische´ Bestrebungen oder der – sicher zum Teil kritisierbaren – israelischen Sicherheitspolitik Verbrechen vorgeworfen werden, die mit denen der nationalsozialistischen Kriegs- und Besatzungspolitik vergleichbar seien.“ Dierkes vergleicht, achtet aber sorgsam darauf, nicht völlig gleichzusetzen. Israels „Mittel und Methoden gegen die Palästinenser“ seien, so Dierkes, „verdammt nahe dran an dem, was die Nazis in den dreißiger Jahren getrieben haben“. Ganz schön clever, fast schon gerissen, sollte man meinen; dennoch konnte die Bauernschläue des Duisburger Kommunalpolitikers die Parteifreundin aus Thüringen nicht blenden.

„Die Geschichtslosigkeit von Teilen der deutschen Linken nach Auschwitz“, schreibt Katharina König, „ist beschämend und verachtenswert. Der Vergleich aktueller israelischer Politik mit der Politik des Nationalsozialismus ist nicht zuletzt aufgrund der EU-Arbeitsdefinition zu Antisemitismus als solches zu benennen. Allein diese eine Äußerung entlarvt Dierkes als das, was er ist: ein Antisemit.“ Wer, wie Katharina König, von Neonazis aus dem Erzgebirge bedrängt wird, fällt nicht auf das Gefasel eines Revoluzzers herein, der in der Lokalpolitik mit dem Landesinnenminister koaliert, sich aber auf der Straße beim Predigen des bewaffneten Kampfes selbst in Ekstase redet. Linkssein in Thüringen härtet ab, macht aber auch ziemlich hart.

Katharina König, gestern bei den Ruhrbaronen, eindeutig gemünzt auf Hermann Dierkes: „Wir als Partei `Die Linke´ erheben namentlich und programmatisch den Anspruch, uns gegen Rassismus, Neonazismus und Antisemitismus zu stellen … Die Argumentationsgrundlage ist eindeutig. Lassen wir ihr die entsprechenden Handlungen folgen. Setzen wir dem Pluralismus die Grenzen, welche der Name `Die Linke´ implizit beinhaltet: Verweisen wir Antisemiten auch aus der Partei `Die Linke´.“ Eine Angelegenheit der Linkspartei, und wer wäre ich, mich einzumischen in innere Angelegenheiten?! Aber zum Thema „Linkssein nach Auschwitz“ werde ich so viel sagen dürfen: Wer an der Seite Israels steht, muss nicht links sein. Wer nicht an der Seite Israels steht, kann nicht links sein.

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