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Oper Bonn: Premiere DER FERNE KLANG von Franz Schreker

Alle Bilder: Thilo Beu / Hochkreuzallee 104 / 53175 Bonn / Tel: 0228/778225

Alle Bilder: Thilo Beu / Hochkreuzallee 104 / 53175 Bonn / Tel: 0228/778225

„Schwelgende Musik, wenn das Grauen die Bühne beschleicht…“

Jahrhundertinszenierung in Bonn – Will Humburg Superstar!

Premiere in Bonn am 12. Dezember 2011

In den zwanziger Jahren des letzten Jahrhunderts gab es nur einen Namen, der die Opernhäuser weit und breit beherrschte, und der lautete Franz Schreker. Des Künstlers Opern waren die häufig gespieltesten und beliebtesten Werke; fast überall vertreten, und man hörte aus den Akklamationen quasi heraus: Vergesst Wagner, wir haben jetzt unseren Schreker! Der große Ruhm beförderte ihn schließlich zum Leiter der Berliner Akademischen Hochschule für Musik (1920-31). 1932 wurde er, trotz kontinuierlicher Anfeindung und Agitation wg. seines jüdischen Vaters durch die Nazis, noch Leiter der Meisterklasse für Komposition an der Preußischen Akademie der Künste. Dessen Direktor, der unselige Max von Schillings war ein übler Antisemit; er betrieb 1933 Schrekers erzwungene Demissionierung von allen Ämtern. Neben Franz Schreker fielen auch sein Freund und Kollege Arnold Schönberg, sowie solch bedeutenden Künstler wie Käthe KollwitzThomas MannAlfred DöblinFranz Werfel – um nur einige zu nennen – dem Rassenwahnsinn zum Opfer. Dermaßen als „entartet“ diffamiert, wurden seine Opern verboten. Seine Popularität verfiel so schnell, wie er  aufgestiegen war.

Künstlerisch einsam und menschlich verlassen verstarb Schreker am 21. März 1934  quasi an gebrochenem Herzen (Schlaganfall & später Herzinfarkt) wie der Held seiner ersten Oper „Der ferne Klang“ – UA Köln, 1912. Am Ende sind jener Fritz als Hauptdarsteller und Franz Schreker, der Komponist, im tragischen Tode vereint. Das macht den Schluß der Oper noch beklemmender, und der unendlich aufschreiende Akkord im Finale, verbunden mit dem verzweifelten „Nein“ seiner einst verlassenen und verstoßenen Geliebten, schneidet auch noch heute, tief in die Seele der Zuschauer. Schrekers Musik geriet leider nach 1945 nahezu völlig in Vergessenheit. Seine Musik verfiel dem Schicksal vieler ähnlich „verbrannter“ Noten, Dichter und Musiker, die durch solches Vergessen und modernistisch ignorante, teils böswillige Zeitströmungen jene „Verfemten“ und von den Nazischergen so übel verfolgten Künstler dadurch noch einmal bestraften – ein fürchterliches Unrecht!

Erst in den siebziger Jahren, ausgehend von Berlin (Der Schmied von Gent, 1971), gab es die ersten Anzeichen einer Schreker-Renaissance, die in der Kultaufführung von „Irrelohe“ (Regie: John Dew / 1986 in Bielefeld) ihren Höhepunkt fand. Dew brachte später noch andere Opern des Genius Schreker und anderer „Vergessener“ in Bielefeld zu Aufführung. Ein weiterer umjubelter Höhepunkt in den späten Achtzigern war eine Produktion der Düsseldorfer Rheinoper unter Intendant Kurt Horres von „Die Gezeichneten“ – mit der die Karriere des Regisseurs Günther Krämer begann. Interessant, daß im selben Jahr (1988) durch die kurzfristige Übernahme der Premiere von Schrekers „Der ferne Klang“ in Brüssel auch die große Karriere des Dirigenten Ingo Metzmacher startete.

Mit der gelungenen Wiederwieder-Entdeckung von „Irrelohe“ in Bonn (letztes Jahr) bringt das Bonner Opernhaus jetzt quasi eine zweite Schreker Renaissance ins Rollen, die mit dieser gestrigen grandiosen und bejubelten Produktion von „Der Ferne Klang“ durch Klaus Weise (Regie) & Will Humburg (Musikalische Leitung) nun ihre Fortsetzung fand. Die Bonner Oper wird zum Sammel- und Treffpunkt von Schreker-Fans aus aller Welt. Und diese traumhafte Inszenierung wird sicherlich ebenso Rezeptionsgeschichte schreiben, wie die von mir erwähnten großen Produktionen. Nicht zu vergessen auch die Opern-Städtenamen > Hagen. Stuttgart, Amsterdam, Zürich und Kiel < mit weiteren superben Schreker-Aufführungen in der Vergangenheit.

Was macht Schrekers Musik für uns heute immer noch so spannend, trotz stellenweise doch recht schlimm freudianisch verquaster und teilweise übertrieben bis unerträglich psychologisierter Handlung?

Da ist einmal seine spätromantische, fast filmmusikalische Instrumentierung irisierend schöner Klangwelten in vielfach gefächertem expressionistischem Duktus. Sein Hauptakteur ist das Orchester, über das er einst schrieb:

„Das Orchester aber ist die klingende Luft, in der die Oper atmet. Das Orchester ist das Schicksal, irgendwie höhere Gewalt, die das Spiel lenkt, eine Macht, die sich Vor- und Zwischenspielen (und seien es gelegentlich auch nur zwei Takte!) emporreckt, droht, höhnt, lockt, beschwingt, tröstet, lacht, tanzt, klappert und – schwelgt, wenn das Grauen die Bühne beschleicht, oder der Tod, und wenn wir der hehrsten Musik lauschen, die kein Instrument verwirklichen kann, jener Musik des letzten Sich-Besinnens in uns selbst – der musikalischen Stille.“

Bei Will Humburg blüht das Orchester auf, wie selten so gehört. Jenes vibrierende Klangspektrum, das dem Zuhörer fast unter die Haut geht (ähnlich wie bei Gustav Mahler), realisieren die Musiker des Beethoven-Orchesters aufs Brillanteste. Das Orchester klingt eben genau wie es Schreker wollte „luftig“ und nicht schwülstig.

Die Musik erzeugt ein vibrierendes Klangspektrum, von dem sich immer wieder einzelne Akzente, wie Farbtupfer auf einem pointillistischen Gemälde, abheben. Melos, Rhythmus, Harmonik und Periodizität erscheinen suspendiert. Diese wunderbare Beschreibung ist leider nicht von mir, sondern so definiert Ulrike Kienzle sehr treffend Schrekers Musik. Und es sind die Bonner Musici, welche solche Beschreibung auch tatsächlich gelungen in Form und Farbe gießen. Traumverloren die Chöre, welche im zweiten Akt aus fast allen Ecken des Hauses tönen. Für die Bühnenmusik (2.Akt) bietet die Regie gleich drei Orchester auf, die wie in einer großen musikalischen Hollywood-Revue auftauchen und wieder versinken. Das Opernhaus wird zum impressionistischen Feuerwerk, wenn sich die gesamte Deckenbeleuchtung beim Wettstreit der Sänger plötzlich selbstständig macht und die Zuschauer zu erdrücken scheint. Selten wurde das Auditorium so packend, spannend und überraschend ins Geschehen mit einbezogen. Der Klangraum öffnet sich weit hinein ins Theater – Stimmen ertönen aus unendlichen vielen Lautsprechern, als wenn die Seelen der Verdorbenen (2.Akt) uns etwas ins Ohr flüstern wollten.

Ich habe schon viel gesehen und erlebt auf dem Theater, aber so etwas noch nie. Alle werden miteinbezogen auf der Suche nach diesem „rätselhaften weltfernen Klang.“ Perspektiven verschieben sich allerorten, klaustrophobe Leitern werden erklettert, Schaukeln fallen aus dem Schnürboden, und dem Auf- und Ab der musikalischen Charakterisierung entsprechen die Wellenbewegungen der Unterbühne, die immer wieder Menschengruppen freigibt oder verschwinden läßt. Ein herrlicher Alptraum! Und endlich zeigt sich die große Opernbühne seit langen Jahren einmal wieder als das, wofür sie mit Milliongelder einst gebaut wurde, was wir aber in den Produktionen des Mikrokosmos der tristen Einheitsausstattung fester Räume oder leergeräumter Bühnen der letzten Jahre so schmerzlich vermissten:

Opernbühne als ein wunderbarer gigantischer Zauberkasten überwältigender Illusionen und Bilder

Eine Inszenierung setzt Maßstäbe.

Es gibt viele Filmzitate – kongenial gesetzt. Klaus Weise und sein Team (Bühne: Martin Kukulies / Kostüme: Dorothea Wimmer / Dramaturgie: Janine Ortiz) zeigen paradigmatisch, was heutiges Musiktheater nicht nur technisch, sondern auch optisch, choreographisch und psychologisch feinfühlig leisten kann. Es wird schwer, so etwas demnächst noch zu toppen – zu groß scheinen die Maßstäbe, die Weise hiermit  gesetzt hat. Hoffentlich setzt so etwas Akzente in die Opernwelt heutiger Tage, wo mittlerweile fast überall die schmutzige, inhaltsleere und proletenhafte Alltagswelt des Hässlichen auf den Allgemeinplätzen sinnloser Bühnenkaspereien dominiert. Wo die Kunst auf der Bühne nur noch die Farben der Lieblosigkeit, der Emotionskälte, Trostlosig- und Gleichgültigkeit, sowie Deprimiertheit ausstilisiert und alles Schöne gezielt ausgespart wird.

Dies ist wirklich eine Operninszenierung, die den Titel „Jahrhundertproduktion“ verdienen würde und die hoffentlich, hoffentlich (!) eine DVD-Produktion noch nach sich ziehen wird, nach sich ziehen muß. Solch ein tolles Gesamtkunstwerk darf schon allein aufgrund der wohl gigantischen Produktionskosten nach 5 Vorstellungen nicht in der Versenkung des Stagione verschwinden, sondern gehört für die Nachwelt und auch die vielen Schrekerfreunde unbedingt konserviert!

Besonders, weil auch die sängerischen Leistungen mehr als adäquat präsentiert werden. Die fabelhafte Leitung und Koordination der verschiedenen Chöre lag bei der stets auch auf der Bühne präsenten Sibylle Wagner in goldenen Händen. Zurecht wurde sie am Ende vom beglückten Dirigenten auch dankbar geherzt.

Die hochschwierige und in der Dramatik sowie den Leistungsanforderungen einer schweren Wagnerpartie entsprechende Rolle der Grete lag bei der fabelhaften Ingeborg Greiner, welche auch schon mit der Hauptpartie der Eva in der letztjährigen bemerkenswerten Irrelohe-Produktion voll zu überzeugen wusste. Hier ergeht ein großes herzliches „brava“ für diese mächtige Leistung – sowohl sängerisch, als auch schauspielerisch und sprachlich gibt es 5 Opernfreund-Sterne!

Michael Putsch konnte indisponiert den Fritz leider nicht singend, sonder nur mimen, während man den in der Augsburger Fernen-Klang-Produktion (2010) umjubelten Mathias Schulz (Bravo – bravissimo!) gewinnen konnte, der die Partie prachtvoll von der Seite sang – ein Extrastern für diese Leistung! Das Zusammenspiel von Darsteller & Sänger – anfangs etwas gewöhnungsbedürftig – verschmolz am Ende zu einer beglückenden Einheit und so konnten beide die zurecht überschwängliche Ovationen im großen Zuschauerjubel genießen.

Daß man mehr oder weniger die übrigen Rollen, wenn auch manchmal von kleinem Format, aber hochschwierigem Anspruch bravourös fast alle aus dem hauseigenen Team besetzen konnte, spricht für das gute Ensemble und das fabelhafte Händchen der Intendanz in der Sängerwahl. Beeindruckend präsentierte sich der stets sichere Mark Rosenthal (Chevalier/Individuum), wie immer im stimmlichen Glanze und hochüberzeugend Giorgos Kanaris (Schmierenschauspieler) eine feste Burg im Ensemble, der auch heuer wieder phantastische Renatus Mészár (Dr. Vigelius/Graf) ist ein von mir stets aufs Neue bewunderter überragender Bass, und selbst die kleineren Rollen der Mutter und Mizziwurden von Ausnahmesängerinnen, wie Suzanne McLeod bzw. Julia Kamenik unvergleichlich repräsentiert. Was ist das für ein Haus, welches mit solch einer eigenen hochqualitativen Besetzung bei solch einer schwierigen Oper aufwarten kann?

Nicht zu vergessen die beeindruckende Anjara I. Bartz (Altes Weib/Spanierin/Kellnerin), souverän Egbert Herold (Graumann), imponierend die Leistung von Frank van Hove (Wirt/Baron/Rudolf), sowieKathrin Mary (Milli) und Emiliya Ivanova (Mary). Last but not least muß ich noch auf die imponierende Lichtregie von Thomas Roscher und die unvergleichlich vielfältigen Kostümphantasien von Adelheid Pohlmann & ihrem Ausstattungteam hinweisen – für letzterer gibt es ebenfalls 5 Sterne!

DER OPERNFREUND vergibt insgesamt 6 Sterne von 5 möglichen und setzt die Bonner Oper auf Platz eins seiner internen Hitparade „Bestes Opernhaus“. Mein übliche Aufforderung „Hinfahren!“ kann ich mir ersparen, denn die europäischen Opern/Schreker-Fans sind schon praktisch alle in Bonn eingebucht. Der 6. Stern gebührt alleine dem genialen Dirigenten Will Humburg – dem wahren Superstar dieser Produktion. Die Opernfreund-Redaktion ist sich einig in der Verleihung des Titels „Dirigent des Jahres„.

Peter Bilsing - Der Opernfreund

*Vielen Dank an Peter Bilsing von DER OPERNFREUND für diese Kritik, die wir gern übernehmen!

*alle Fotos mit freundlicher Genehmigung unseres Kooperationspartners DER OPERNFREUND

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