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Kuhls Kolumne: FREUNDE DER REALITÄT

ob-kuhl-0206Diese Woche läuft am Dellplatz die 35.Duisburger Filmwoche, das „Festival des Deutschen Dokumentarfilms“. Die Filme gibt’s im „Filmforum“, Eingang durchs „Movies“. Anschließende Diskussionen im neueröffneten „Grammatikoff“, früher „Hundertmeister“. Der Saal des G liegt auf der gleichen Ebene wie das Kino F – durch eine Fluchttür nebenan. Diesmaliger Festivaltitel „Stoffe“, es geht um den oder das Glauben. Da sich an dem zu Kritisierenden nichts geändert hat, ziehe ich hier meine Festivalkritik von 2005 aus der Wiedervorlage. Es bleiben gemischte Gefühle und ein Lichtblick – am Ende des Tunnels. Lesen Sie über Wahrheit, Wirklichkeit und Verpeiltheit im Reich der visuellen Illusion: Willkommen in der Höhle!

Die 29. Duisburger Filmwoche stand unter dem hochtrabenden Titel ,,Freunde der Realität“ Das interessierte den Analytiker in mir. Ich wollte wissen, ob es sich bei dem, was das diesjährige Dokumentarfilmfestival sich auf die Fahnen geschrieben hat, um Realität oder um Satire handelt. Mit diesem göttlichen Ermittlungsauftrag zog ich, Sokrates, dann los zur Filmhöhle am Dellplatz.

Auf dem Wege ging ich noch mal die Stichworte durch, Schein und Sein aus Platons Höhlengleichnis, das Abbild, die bewegten Bilder, die traumanaloge Situation im dunklen Kino vor den Riesenbildern, die Axiome der Wahrnehmungspsychologie, Realität versus Wirklichkeit, Subjektivität, Dokumentarfilm, Festival, Akteure, Anspruch und Wirklichkeit.

Aber, wie kam ich auf Satire? Weiß ich doch, dass es Realsatire nicht gibt. Denn Satire ist Kunst – also immer eine Überhöhung der Realität, eine Etage drüber. Das könnte einen Faden ergeben. Fangen wir an. In der Höhle.

HÖHLE

Platon hatte – ohne jemals im Kino gewesen zu sein – mit seinem Höhlengleichnis die ewige Norm zwischen Schein und Sein eingängig formuliert. Man stelle sich vor, Menschen säßen gefesselt mit starrem Blick nach vorne. Hinter ihnen sei eine Mauer, die sie nicht sehen könnten. Hinter dieser Mauer wiederum zöge so eine Art Fackelzug herum. Die gefesselten Zuschauer sähen nur den Widerschein der Fackeln, den Fernseher oder die Kinoleinwand – und würden die Schatten und die diffuse Projektion von Licht für die wahren Dinge halten.

Ganz am Rande: Ich denke mir da noch Musikinstrumente, Trommeln, Saiten- wie Blasinstrumente – und natürlich Gesang. Die abgewandten Hörer hatten nur ein gebrochenes Echo, nur die noch hörbaren dumpfen Reste statt der ganzen Musik, nur noch Bass and Drum statt wirklich gespielter Instrumente, nur noch Rap statt Gesang. Dann würden sie – weil sie ja nicht wissen, was Musik ist, pseudomusikalische Hilfsarbeiter für Musiker halten.

Und den Versager, der solches in konservierter Form abspielt, den DJ, sie würden ihn für ein Orchester halten. Aber das sind die Tondummies, uns geht es ja um ,,Freunde der Realität“ und darum, ob in deren Bildern Realität ist. Und ob ihr Bewusstsein nicht so gefesselt ist, dass die künstlerische Überhöhung der Realität, die sie ,,Dokumentarfilm“ nennen, nicht – ungewollt – Satire ist.

FESTIVAL

Das ist das dritte Duisburger Dokufestival, an dem ich teilnehme. Das Haus, um das sich hier alles dreht, ist 200 Meter von meiner Wohnung entfernt. Früher kommunales Kino der Volkshochschule, (in grauer Vorzeit ein Pornokino – damals war das Dellplatzrevier die Puffecke der Stadt – bis die SPD die Sünder aus dem Sprengel der St.Josph’s-Kirche in Richtung Vulkanstrasse verbannte, um die „Kulturmeile“ hochzuziehen) damaliger wie jetziger Leiter Kai Gottlob, heute eine GmbH, die sich Premierenkino nennt, und außer Abspielen von Filmen, also banaler VJ-Arbeit, künstlerisch bloß Ablachabende mit Trepper, dem Kalauerkönig von Radio Duisburg, Debilitäten für Dummies, zustande bringt. Unten eine Kneipe, das Movies, teuer, blasiert, damalige wie heutige Inhaberin Monika Gottlob, seine Gattin. Viel Umsatz in Kino wie Kneipe – das ist gut für die Gottlobs – nicht für die Kultur.

Ausrichterin des Dokufestivals ist die Volkshochschule Duisburg. Als Sozialdemokraten noch etwas mit kleinen Leuten zu tun hatten, da gab es Arbeiter-Bildungsvereine – wie bei den Konservativen die Kolping-Bewegung. Die VHS ist aus dieser Idee entstanden. Heute geben sich die, die bei einer Uni niemals eine Stelle bekommen hätten, dort in Leitungsfunktionen als Akademiker. Man kann da Sprachen lernen, den Hauptschulabschluß nachholen, gescheiterten Studierten gegen Eintritt bei Vortragsversuchen zuhören, Feng Shui oder Dachbegrünung – und etliches mehr.

CHEF

In der Volkshilfsschule sitzt also das Doku-Festival mit seinem Chef, dem Werner Rudzicka, der selbst früher Dokufilme gemacht und an Unis gelehrt hat. Letztes Jahr habe ich kurz mit ihm gesprochen und wir haben uns, ich wollte einen Rat von ihm, verabredet. Er: „Klar, kein Problem, setzen wir uns morgen ins Movies und sprechen miteinander – bis dann!“ Am nächsten Tag war nichts.

Ich habe beinahe täglich versucht, ihn in der VHS, die 200 Meter gegenüber meiner damaligen Wohnung liegt, telephonisch zu erreichen. Schließlich nahm ich ihn noch ernst – und wollte mit ihm, mal kurz auf einen Kaffee, reden.

Entweder war er nicht da – Festival ist Saisonarbeit – oder er hat sich verleugnen lassen. Schon nach zwei Monaten hatte ich ihn dann an der Leitung. Es täte ihm sehr leid, sagte was von seiner Mutter und wie ich ihm jetzt noch damit kommen könne. Ich hab ihm gesagt, dass ich stinksauer sei, was er nicht verstanden hat.

Nun gut, ich bin jetzt im Movies angekommen, suche das Festivalbüro, um mir ein Programm zu holen. Da, wo das letztesmal war, ist es nicht, Hinweisschilder suche ich vergeblich, Festivalbesucher wissen es auch nicht, schließlich weiß ein Kellner, das müsse irgendwo im Hundertmeister sein, komme mir vor wie Kafka auf Schloßsuche.

Im Festivalbüro, Werner Rudzicka mit Helfern hinter der Theke. Er sieht mich, streckt seine Hand aus und sagt überschwenglich: „Willkommen in Duisburg!“ Ich antworte: „Ich wohne hier um die Ecke – und das weißt du!“

Entweder hat er was verdrängt, was ich nicht glaube – dann hätte er mich ja nicht erkannt. Oder er hat Schuldgefühle, was ich verstehe. Auf jeden Fall ist die überschwengliche Begrüßung Schauspielerei. Halten wir fest: Der Chef des Dokumentarfilmfestivals ,,Freunde der Realität“ verdrängt entweder die Realität aus auf der Hand liegenden Motiven – oder er fälscht sie durch eine realitätsferne Inszenierung.

HEIMAT

Der erste Film hatte dann auch gleich einen Tonausfall. Übrigens ein riesig angekündigter ,,Heimatfilm“ über das Vorgebirge der Eifel, ein Landstreifen zwischen Köln und Bonn – also die Ecke, wo ich geboren und aufgewachsen bin. Die Hamburgerin Alexandra Seil hat mit ,,Durchfahrtsland“ die Gegend, durch die sie als Kölner Studentin gelegentlich fuhr, gemäß eines britischen Filmgenres thematisieren wollen.

Dazu nahm sie ausschließlich atypiscne Protagonisten (platonisch: ,,falsche Schatten“) und setzte dann eine kommentierde Stimme aus dem 0ff dagegen (platonisch: ,,Zerrbild vom falschen Schatten“). Halten wir fest: Nicht die Realität – aber deren Kontrapunkt, und dann das noch kontrapunktierend dokumentiert, worauf ich dann in der Diskussion zu sprechen kam.

Ich habe – um erst mal Bezüge zu setzen – von den napoleonischen Truppen in Endenich gesprochen, die hiesige heute noch wirksame Traditionen mitbrachten, vom Geist Adenauers, der in meiner Heimat heute noch Gesetz ist, von Heinrich Böll, der bei meinen Eltern eingekauft hat und den sonstigen Standards der Gegend, von der die Filmerin nichts versteht. Dann habe ich ihren totalen Realitätsverlust als Frage formuliert.

Worauf die Regisseurin antwortete, sie verstehe die Frage nicht. Nicht schlimm, sie versteht ja auch sonst nix. Und Kaiser Rudzicka , spricht mich mit ,,Kollege“ an, sagt auch, er habe die Frage nicht verstanden.

Wenn man nichts vom Thema versteht, versteht man auch nicht die Fragen dazu – ,,Freunde der Realität“.

JUROR

In selbiger Diskussion war mir ein Typ aufgefallen, der breitbeinig auf dem Protokollantentisch saß und permanent von der Rhön sprach. Rudzicka als Diskussionsleiter nahm dann ,,den Didi“ kollegial in Schutz, er könne – von Karlsruhe aus gesehen – schon mal Rhön und Vorgebirge verwechseln. Nach diesem Hinweis meldete der sich wieder und faselte wieder über die Rhön.

Da hat der Dokukaiser recht, den Dokujuroren für den „ARTE-Dokumentarfilmpreis“, Professor für Film in Karlsruhe, Didi Danquart, in Schutz zu nehmen. Wenn der dann aber nach dem Hinweis weiterhin nichts merkt, sieht man, dass er verpeilt ist.

Später in der Nacht ergab es sich, dass ich neben Didi Dummy an der Theke saß und wir ins Gespräch kamen. Er sagte, ich sei ,,ein echter Künstler“, was ich, wenn es aus dem Munde eines Traumtänzers kommt, für eine Beleidigung halte. Aber, sokratische Sau, die ich nun mal bin, habe ich ihm eine Realität um die Nase gehauen, nämlich die soziale. Habe ihm gesagt, dass mein Hartz4 und seine C4-Stelle inkompatibel seien, da ihm zum Leben ein mehrfaches von meinem Möglichen zur Verfügung stünde. Wir dürften diese soziale Realität nicht aus den Augen lassen.

Nun ist er tatsächlich ein Künstler – wenn Künstler meint, nichts zu merken. Sagt, er habe die Stelle nur für fünf Jahre, sei früher auch mal arm gewesen, habe auch ein schlechtes Gewissen – aber ließe sich von mir nicht anpöbeln. Dieser ,,Freund der Realität“ hat früher Dokufilme gemacht, die ich glücklicherweise nicht kenne. Heute urteilt er über Filme, die er – jedenfalls geographisch, sozial und kommunikativ – nicht verstehen kann.

PREISTRÄGER

Dann ein Film über eine One-Man-Band ,,Slide Guitar Ride“ von Bernd Schoch, einem Studenten von Didi Dummy über einen Typen, der mit Helm auftritt, kein Interesse am Megabusiness hat und mit drei Akkorden klarkommt. Dieser großartige Filmer dreht drei Jahre ohne Kohle, versucht mit drei Filmeinstellungen drei Akkorden zu entsprechen, sagt, er hätte lieber die halbe Zeit Musik gedreht. Aber das hätte doch ein Film werden sollen.

Was? Der Filmer verbirgt sich hinter einem Film, der Rocker hinter einem Helm. Beide haben ANGST! Oder die Vorstellung von einem Medium unterm Helm oder einem Film im 0ff. Nun wird der Musiker an die Megacompany ,,Epitaph“ verhökert und der Filmer an den Duisburger Doku-Strich. Jaja…

Schoch auf meine Frage, ob er sich den Schwanz habe abkaufen lassen von der sogenannten Realität, dem, was Verursacher oder Urheber gerne glauben möchten: Er sagt nichts, kann nicht antworten. Aber Didi Dummy macht ihm den Daddy, nimmt ihn falsch in Schutz, von wegen drei Jahre, keine Kohle, aber Freunde, bla bla – und Schoch lässt sich das gefallen.

Ein sensibler Typ hat einen Film über einen Adrenaliniker gedreht – unter Bedingungen von Pariarchat und Kapitalismus – ob das jetzt Rudzicka oder Danquart heißt. Versagerväter oder Epitaph und Filmwoche – eben doch bloß Markt – armer Junge. Ein klasse Film – auch ohne 50%Mucke – zwei falsche Väter – Kulturwichserei. Soviel Gute hat Deutschland nicht. Auch dieser wird untergehn – egal bei welchem Sender.

FAZIT

Die meisten Festivalbesucher sind jung und arm. Nach dreißig Jahren denkt man noch immer nicht an Mitschlafgelegenheiten, weshalb viele – auch frühere Preisträger – nicht kommen können. Das muß gewollt sein. Ein Festival? Nein, bloß eine Filmwoche. Die Protokolle der Diskussionen sprechen eine deutliche Sprache, eine autoritäre: Rudzicka, der Louis XIV des Als-Ob-Festivals, weiß alles, sieht alles voraus, versteht alles, kommt auf alles.

Nur Alte – oder Arrivierte – und junge – noch nicht positionierte, keine Mitte.

Duisburg merkt das nicht, quält mit Honoratiorenreden, nur chronische Dellplatzgeher tauchen auf, die auch sonst nicht wissen, wohin, Kulturglotzer eben.

Niemand – außer mir – thematisiert, was hier notorisch in die Hose geht – und deshalb bleibt die Doku-Filmwoche das welt-, realitäts- und stadtferne Traumschiff, das sie immer war.

Die Dokuwoche – inzwischen gibt es sogar eine Doku über die Dokuwoche – da kann man sich die Drogen sparen. So zu wie die sind.

Rudzicka und Co sind Täter hinsichtlich der Verschüttung von Dokufilmoptionen.

Die Realität bleibt auf der Strecke…

UND DOCH

würde ich an Ihrer Stelle hingehn. Eine Menge gute Filme, viele interessante Leute, mal was los in Duisburg. Auch wenn die Koprolalie eines Rudzicka und die Unterwürfigkeit seines Anhangs stört, die Diskussionen sind oft aufschlussreich.

Diese Woche werden die Kneipen um den Dellplatz mal ne andere Publikumsmischung erleben. Das Programm im Netz unter „Duisburger Filmwoche“.

BERND SCHOCH

ist wieder da. Meine deprimierende Prognose von 2005 trifft glücklicherweise doch nicht. Donnerstagabend 22Uhr30 wird sein Film über das Alexander von Schlippenbach-Trio „Aber das Wort Hund bellt ja nicht“ im Filmforum uraufgeführt.

Viel Zeit, das Werk anschließend im Grammatikoff zu diskutieren, wird sich allerdings nicht ergeben können. Denn eine gute halbe Stunde später, um 0Uhr wird Alexander von Schlippenbach höchstderoselbst in der neueröffneten Ex-Kulturzentrale in die Tasten greifen.

Hingehn!

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