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Duisburg: Ein Jahr danach – Jahrestag der Loveparade-Katastrophe

Als 21 junge Menschen am 24.7.2010 in Duisburg auf der Loveparade den Tod fanden, strahlte der Himmel, es war ein warmer Sommertag. Ein Jahr danach war der Himmel wolkenverhangen, es war kühl und es regnete unaufhörlich. Für manche Menschen, die bei der Gedenkfeier gestern im MSV-Stadion anwesend waren, wurde der Song „Tears in Heaven“ fast körperlich fühlbar, so sehr fiel der Regen über Duisburg herab.

Knapp 7000 Menschen fanden sich zur offiziellen Gedenkfeier des ersten Jahrestages der Loveparadekatastrophe ein. Und doch war es zeitweise so still im Stadion des Duisburger MSV, dass man annehmen konnte, nur wenige Menschen hätten den Weg zu dieser Veranstaltung gefunden.

Ich machte mich um 8 Uhr mit der Bahn auf den Weg nach Duisburg. Schon im Zug fielen mir einige Jugendliche auf, die still und dunkel gekleidet im selben Wagen saßen wie ich. Eigentlich waren sie zu still. Denn wenn sich mehrere junge Menschen auf eine Zugfahrt begeben, war ich bisher eine ganz andere Geräuschkulisse gewohnt. Am Duisburger Hauptbahnhof angekommen, sah ich die kleine Gruppe wieder. Sie hatten, wie ich, den gleichen Zug aus dem offensichtlich selben Grund benutzt. Mir wurde klar, dass diese  Jugendlichen, die wie ich aus dem Münsterland angereist waren, wie tausende anderer Menschen auch, dem Jahrestag der Loveparadetragödie beiwohnen wollten.
Mir wurde aber auch damit bewusst, dass es sich nicht nur um ein lokales Duisburger Drama handelt. Sondern um eines, dass weit, sehr weit, über Duisburgs Stadtgrenzen hinaus die Menschen bedrückt und teilweise daran hindert, ihr Leben wie sie es vor dem 24.7.2010 geführt haben, unbeschwert weiter zu führen. Denn in Duisburg starben an diesem schwarzen Tag nicht nur 21 Menschen, sondern für ganz viele Betroffene starb auch die Fähigkeit ein altersgemäßes unbeschwertes junges Leben zu führen.

Vom Bahnhof führte mich mein Weg zum Ort des Geschehens. Der Tunnel und die Rampe, die Duisburger Symbole für den dunkelsten Tag in der Nachkriegsgeschichte dieser Stadt am Rhein. Der Fussweg durch den abgesperrten Tunnel, hin zur Rampe an der 21 Menschen den Tod fanden, war bedrückend. Schon um diese Uhrzeit, es war so gegen 11 Uhr, fielen mir viele junge Menschen auf, die sich teilweise in den Armen lagen oder einfach nur still zusammen standen. Überhaupt habe ich viele junge Menschen gesehen und mir wurde das Ausmass dieser Tragödie dadurch wieder sehr bewusst. Denn ein Jahr zuvor war der Ort auch von eben diesen jungen Menschen übersät, die damals allerdings voller Spaß und Fröhlichkeit den gleichen Weg nahmen, durch den Tunnel in Richtung Rampe und in Erwartung eines tollen Loveparade-Tages. Das für 21 von ihnen der Weg und das Leben ein paar Meter weiter endete, konnten sie nicht ahnen. Und für viele andere, die diese Massenpanik überlebten, endete auch ein großes Stück ihrer jugendlichen Unbekümmertheit. Viele der überlebenden Opfer wollen heute, am Jahrestag des Dramas, mit dem Erlebten abschliessen. Sie nehmen es sich vor, irgendwie. Das Jahr, was hinter ihnen liegt, war oftmals geprägt von Traurigkeit, Ängsten und auch Selbstvorwürfen anderen Betroffenen nicht genug helfen zu können, da sie selber kaum in der Lage waren, sich selbst aus dieser Situation zu befreien. Für viele Menschen begann vor einem Jahr ein Trauma, dass noch lange in ihnen nachwirken wird.

Viele Kränze schmücken den Ort an der Treppe. Alles wirkt aufgeräumt, ruhig und doch surreal in dieser eigentlich nicht wirklich schönen Umgebung. Immer wieder legen Menschen Blumen dort ab, zünden Kerzen an und knien eine Zeitlang davor, viele weinen. Viele beschriften bereitgelegte Steine mit Sprüchen und legen sie auf einem immer größer werdenden Steinhügel der Erinnerung ab. Die Pressefotografen schiessen Fotos, nehmen aber Rücksicht und halten sich zurück. Einige Besucher geben Interviews an dem Ort, der für sie schicksalshafte Bedeutung hat. Und ich frage mich: Was sollen diese vornehmlich, jungen Menschen noch sagen? Ist nicht bereits alles gesagt, beschrieben und gezeigt worden? Vermutlich nicht. Denn die wahren Konsequenzen wurden, nach einem Jahr, immer noch nicht gezogen. Noch immer gibt es zu viele offene Fragen, mit denen die Betroffenen alleingelassen umgehen müssen. Und noch immer ist das Gezerre um die Verantwortung groß und noch immer wird die Stadt Duisburg von einem Mann vertreten, den sehr viele nicht mehr wollen. Und dieser Mann muss auch damit leben, an diesem Tag keine Rolle zu spielen. Die Angehörigen und Betroffenen wollten ihn nicht dabei haben. Ihn, den Oberbürgermeister, der am gestrigen Tage traurigsten Stadt Deutschlands.

Gegen 14 Uhr fanden wir uns auf der Pressetribüne der MSV-Arena ein. Auch hier, wie am Tunnel, auffällig viel Sicherheitspersonal. Denn heute sollte nichts passieren. Alles scheint minutiös durch die Düsseldorfer Staatskanzlei geplant. Nur auf das Wetter hatten sie keinen Einfluss. Denn der Regen fiel ohne Pause weiter. Kurz vor Beginn der offiziellen Feierlichkeiten wurde mit den Besuchern ein Lied eingeübt, welches im Programmablauf von allen, die sich im Stadion befanden, gemeinsam und im Stehen gesungen werden soll.

Die Hinterbliebenen und Betroffenen der Loveparade-Katastrophe wurden durch einen separaten Eingang ins Stadion geführt. Sie sollten unter Ausschluss der Öffentlichkeit diesen Gedenktag begehen können. Bei ihnen saßen auch Politiker der Landesregierung und des Landesparlamentes NRW, allen voran die Ministerpräsidentin Hannelore Kraft, die auch eine der christlichen Fürbitten vortrug, aber auf eine eigene Rede verzichtete. Sie, die für die meisten der Hinterbliebenen und Opfer eine sehr wichtige und zentrale Rolle spielt. Und das auch deshalb, weil sie vieles in aller Stille und Diskretion geregelt hatte und sich damit von einigen anderen wohltuend abhob, die augenscheinlich immer noch meinen, selbsterwählte Sprachrohre der Angehörigen und Opfer zu sein. Denn manche Stimme war im letzten Jahr zu laut, nahm sich selbst zu wichtig oder liess die gebotene Sensibilität vermissen. Zu viele taten ihre eigenen Ansichten und Erkenntnisse kund, wo Zurückhaltung der bessere Weg gewesen wäre.

Gestern war es aber der Tag für die Menschen, die unter den Ereignissen des 24.7.2010 besonders leiden müssen. Die Eltern der verstorbenen jungen Menschen, die Angehörigen, die stark Traumatisierten, die Verletzten. Deren Gefühle standen im Programm der Gedenkfeier im Mittelpunkt. Das Verlesen der einzelnen Namen der Toten der Loveparade muss für die Hinterbliebenen eine Qual gewesen sein. Den Namen eines geliebten und nun toten Menschen in einem so großen Rahmen zu hören, und schmerzhaft realisieren zu müssen, dass man ohne diesen Menschen weiterleben muss, erscheint unerträglich und grausam. Aber es ist zur traurigen Realität geworden. Gerade die Eltern, die über den Verlust ihres Kindes trauern, haben gestern einen schweren Gang gehabt. Aber sie dürfen auch die Gewissheit aus Duisburg mitnehmen, dass nicht nur die 7000 Besucher der Gedenkfeier, mit ihren Gedanken bei ihnen waren. Auch wenn dies nur ein geringer Trost für diese Menschen ist.

Die würdige und streckenweise hochemotionale Gedenkfeier endete gegen 17 Uhr. Zu diesem Zeitpunkt läuteten alle Duisburger Kirchenglocken. Bereits eine halbe Stunde zuvor verliessen die Angehörigen und Opfer das Stadion und wurden in bereit gestellte Busse, wieder abgeschirmt von Presse und Öffentlichkeit, an den Ort gefahren, der ihr Leben jäh verändert hatte.

Auch wir verliessen die Arena. Die Pressearbeit war getan. Der erste Bericht fertig. Wir waren nun mit einigen betroffenen Menschen der Tragödie verabredet, wollten den Tag in kleiner Runde ausklingen lassen. Und wieder sah ich sehr viele junge Menschen, weinend, einige verzweifelt wie der junge Mann, der bevor er den Bus der Angehörigen betrat, noch zwei Frauen weinend in den Armen lag. Sein Gesicht kannte ich aus einer TV-Dokumentation. Dort wirkte er sehr ruhig und gefasst. Am gestrigen Tage aber brachen auch bei ihm die seelischen Dämme. Ein Bild, dass sich mir einprägte. Wenig später sah ich Gesichter, die mir bekannt vorkamen. Es war die Gruppe Jugendlicher, die am Morgen den gleichen Zug wie ich benutzte. Wer sie waren und warum sie kamen, weis ich nicht. Aber auch sie werden ihre eigene Loveparade-Geschichte haben und ich wünschte ihnen innerlich, dass ihnen der gestrige Tag ein wenig geholfen hat.

In einer urigen Duisburger Kneipe saßen wir mit einigen mittlerweile liebgewonnenen Duisburger Opfern zusammen. Unter ihnen war der 17-jährige Dennis, der sich zusammen mit seiner Mutter und seiner Oma uns angeschlossen hatte. Ein hübscher freundlicher Junge auf den ersten Blick. Ich kannte ihn nicht und auch nicht seine eigene Loveparade-Geschichte. Vor einem Jahr genau war auch er unter Menschen begraben, als er versuchte, sich aus der Massenpanik zu befreien. Die Flucht aus dieser gefährlichen Situation gelang ihm letztendlich, in dem er sich seine Hose auszog und sich so retten konnte. Seine Familie holte ihn Stunden später ab. Äusserlich relativ unversehrt und scheinbar innerlich gefasst war der Zustand, in dem ihn seine Mutter in die Arme nahm. Doch der damals 16-jährige hatte ein schweres Trauma erlitten. Für einen so jungen Menschen hatte er Eindrücke erleben müssen, die allein für ihn nicht zu bewältigen gewesen wären. Seine Unbeschwertheit endete, wie bei so vielen anderen auch, an diesem Tag. Aber er sagte uns, dass für ihn jetzt am Jahrestag ein neues Leben anfangen soll. Ein Satz, den ich gestern mehrfach gehört habe und der voller Hoffnung beschreibt, dass diese jungen Menschen ein schweres Jahr hinter sich hatten dass nun endlich enden soll. Seine Oma, die neben ihm saß, hatte ihn immer liebevoll im Blick. Ja, auch sie mache sich seither immer Sorgen wie es dem Enkel geht, sagte sie. Und es war schön zu sehen, welch inniges Verhältnis Enkel und Oma haben. Dennis hat nun einen Weg vor sich, mit diesen Schatten der Loveparade, die er erleben musste, umzugehen. Dass er dabei seine Mutter und seine Oma an seiner Seite hat, erscheint mir als Glücksfall für den Jungen.

Am gestrigen Tag endete das erste Trauerjahr eines Unglücks, dass zu den schwersten und tragischsten der deutschen Nachkriegsgeschichte gehört. Die Wunden, die es bei vielen Menschen gerissen hat, sind aber nicht verschlossen, bestenfalls nur vernarbt. „Die Narben brennen unaufhörlich“, sagte einer der Geistlichen während der Trauerfeier. Und er meint auch damit, dass der seelische Schmerz oft unerträglicher als der körperliche ist. Hier helfen keine Tabletten, hier können aber andere Mitmenschen helfen. Das Zuhören oder das einfach „dabei sein“ ist oftmals eine Therapie die helfen kann, dass solch betroffene Menschen an ihrem Schicksal und Verlust nicht zerbrechen.

Gegen 20.30 Uhr verlasse ich Duisburg. Mich hat der Tag nachdenklich gemacht. Oft habe ich im vergangenen Jahr über das traurige Ereignis geschrieben, habe dabei Menschen kennenlernen dürfen, die hautnah betroffen waren. Einige zähle ich mittlerweile zu meinen Freunden. Und ich denke: wenn in all dem Traurigen überhaupt etwas Gutes liegen kann, dann vielleicht, dass sich Menschen durch ein gemeinsames Schicksal gefunden haben, die sich vermutlich sonst nie begegnet wären und Freunde wurden.  Ich glaube, das ist das, was man eine Schicksalsgemeinschaft nennt. Und eine solche Gemeinschaft habe ich kennen gelernt. Eine Erfahrung, die ich heute nicht mehr missen möchte.

Duisburg, ein Jahr danach, ist eine andere Stadt geworden. Neben der Kälte, die oft aus dem politischen Duisburg strömt, ist aber auch eine neue Wärme spürbar geworden. Die Duisburger selber strömen sie aus. Das Drama der Loveparade hat eine neue Menschlichkeit spürbar werden lassen, die anhalten wird. Vielleicht nur ein kleiner Trost für diese geschundene Stadt, aber ganz bestimmt ein wichtiger für viele Menschen, die in ihr leben.

Fotos finden sie unter http://xtranews.de/imagedesk/index.php/Duisburg/Lopa-Trauerfeier

*gewidmet einer tollen Oma, der Rosi aus Duisburg-Neudorf

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