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Loveparade: „Längst nicht alle wissen, dass Veranstaltungen sowohl anmelde-, als auch genehmigungspflichtig sind.“

Interview mit Oliver Arning, Presseverantwortlicher beim Bundesverband Deutscher Wach- und Sicherheitsunternehmen e.V (BDWS) in Bad Homburg

xn: Herr Arning, sucht man im Internet Informationen zum Thema Großveranstaltung, stößt man, abgesehen vom Verband der Berufsfeuerwehren, auf den BDWS. Eine telefonische Anfrage, ab wann man eigentlich von einer Großveranstaltung spricht, hatte nach einem ersten vereinsinternen Austausch ergeben, dass das immer „im Auge des Betrachters“ läge, was folgendermaßen erklärt wurde: Lässt man eine Veranstaltung behördlich genehmigen ist es eine Großveranstaltung, geschieht dies nicht, ist es keine. Gibt es wirklich keinerlei Auflagen ab wie viel Besuchern man von einer Großveranstaltung ausgehen kann und muss?

Oliver Arning: Eigentlich müsste man davon ausgehen können, dass Genehmigungsbehörden, Polizei oder andere Sicherheitsbehörden etwas dazu sagen könnten. Meines Erachtens sind Veranstaltungen zunächst einmal kommunal auf Behördenebene geregelt. Dennoch scheint dies in einem föderalen Staat von Bundesland zu Bundesland durchaus unterschiedlich geregelt zu werden. Und längst nicht alle wissen (z.B. die meisten Vereine), dass Veranstaltungen anmeldepflichtig sind. Auch ist die Genehmigungspflicht nicht allen bekannt. Und das, obwohl einige Kommunen Rahmenlagen in Formularen abfragen, die zum Download bereit stehen, andere machen die entsprechenden Auflagen möglicherweise persönlich. Mir liegen aber keine allgemeinverbindlichen Zahlenwerte vor, ab wann man von einer Großveranstaltung sprechen könnte. Grundsätzlich hat sich gezeigt, dass eine frühzeitige und enge Verzahnung zwischen der Polizei und den privaten Sicherheitsdienstleistern förderlich für eine sichere und erfolgreiche Veranstaltungsdurchführung ist.

xn: Dies widerspricht dem, was Michael Öhlhorn von der Vabeg Eventsafety Deutschland GmbH meint. Er gibt zu bedenken, dass das je nach Land unterschiedlich geregelt ist, dass es Länder gibt, in denen eine Anmeldung, also eine s. g. „Anzeige“ der Veranstaltung ausreicht. (s. das Interview mit ihm: http://xtranews.de/2011/03/10/loveparade-katastrophe-in-duisburg-was-sagen-veranstaltungssicherer/)

Oliver Arning: Ich kann den Widerspruch zu Herrn Öhlhorn nicht erkennen. Auch er geht von unterschiedlichen Regelungen in den Bundesländern aus. Und als ausgewiesener Experte für Veranstaltungssicherheit hat er tiefgründigere Kenntnisse, als ich.

xn: Bei der Ruhr.2010 GmbH verhielt es sich dahingehend ja auch schon mal so: Entweder man verdreifachte die offizielle Besucherzahl und tut dies auf der eigenen Homepage kund (wie im Falle Love Parade), oder man behauptet es kämen 500-800 Gäste (wie im Falle der Duisburger Ruhr.2010-Abschlussveranstaltung), lässt allerdings gleichzeitig in der Presse verlauten, dass man hofft, dass es viel mehr sein werden, die kommen. (Somit also auch bei Sturmtiefs, wie bei der Eröffnung, da war es Daisy gewesen mit Temperaturen um den Gefrierpunkt, oder wie Mitte Dezember als das das Tief Petra hieß) Genehmigt wird das Alles allerdings nicht, da es sich ja um keine Großveranstaltung handelte. So die offizielle Auskunft.

Oliver Arning: Die genaue Entscheidungsgrundlage in diesem Fall ist mir nicht bekannt. Wie bereits erwähnt, scheint es hier bundesweit sehr unterschiedliche und gesetzmäßige Verfahrensweisen zu geben. Wenn es die Art der Veranstaltung allerdings erfordert, dann ist meines Erachtens die Genehmigungspflicht nicht an die Anzahl der Teilnehmer gekoppelt. Der Anknüpfungspunkt für diese konkrete Veranstaltung wäre demnach die Genehmigungsbehörde. Man müsste diese also fragen, wie sie dazu kommt, solche Grenzen festzusetzen. Eventuell reicht in Duisburg die Meldepflicht aus, dann aber muss sie trotzdem noch kontrollieren, wofür es gute Gründe gibt.

xn: Die Stadt Duisburg behauptet einfach durch ihr „Sprachrohr“ Ordnungsamt, die Planung dieser Abschlussveranstaltung mache die Gesellschaft Duisburg Marketing GmbH, tut so, als sei diese nicht städtisch (die dann halt nicht auskunftspflichtig nach dem IFG = (Informationsfreiheitsgesetz sind, Anm. A.T.), die (die DMG, Anm. A.T.) es sich sogar herausnahmen, Bürgeranfragen dahingehend einfach komplett zu ignorieren! Wo also gänzlich verschwiegen wird, wie viel die Veranstaltung die Steuerzahler diesmal kostet, wie viele Gäste offiziell und inoffiziell erwartet werden, wie das Sicherheits- sowie das Zu- und Abwegekonzept aussieht, wie man sich eine Evakuierung im Notfall vorstellt (z.B. bei einem Orkan, einem Schneesturm, einem Feuer, einem Attentat etc.) und selbstverständlich auch die Frage nach den nunmehr planenden Personen – denn, wir wissen es – personelle Veränderungen hat es seit dem 24.7.2010 immer noch nicht gegeben! Was soll und muss man davon halten?

Oliver Arning: Erst mal gar nichts. Es ist aber immer schwierig, im laufenden Verfahren irgendwelche Konsequenzen vor dem Abschluss der Untersuchungen zu ziehen.

xn: Dort unter der Brücke im Innenhafen existiert, anders als im Falle Zeche Zollverein, keine Halle, in die man hätte fliehen können. Was aber eh vielleicht völlig auszuschließen gewesen wäre, da der ehemalige Vorsitzende Geschäftsführer der Ruhr.2010 GmbH, Dr. h.c. Fritz Pleitgen es ja „feige“ gefunden hätte vor einem Sturmtief o. ä. in ein Gebäude zu fliehen (so seine Äußerung nach der Eröffnungsfeier in Essen bei derwesten.de, Anm. A.T.) Ist so etwas zulässig?

Oliver Arning: Sofern es genehmigt ist, ja.

xn: Die Ruhr.2010 GmbH machte es sich einfach. Sie nannten das Ganze ihre Abschlussveranstaltung, erklärten allerdings die Stadt Duisburg als Veranstalterin. Und schon hatten sie mit nichts mehr „was am Hut“. Man sah und sieht das dort auch dann so, wenn Furchtbares passiert, denn die offizielle Version lautete hinterher, man sei nur der „Schirmherr“ gewesen und inzwischen war es sogar nur das Logo, das man zur Verfügung gestellt haben will. (Wie gönnerhaft!) Ist das „clever“, sich so aus der Affäre zu ziehen, sind das Ergebnisse von Rechtsberatungen?

Oliver Arning: Aus meiner Sicht ist es zum jetzigen Zeitpunkt sehr schwierig eine rechtliche Bewertung der tragischen Zwischenfälle während der Love Parade abzugeben. Die Frage der Verantwortlichkeit steht ebenso im Raum wie die sich anschließende Haftungsfrage. Daher scheint es mir nur natürlich, dass sich Betroffene rechtliche Beratung einholen, auch um sich abzusichern.

xn: Was, wenn Veranstalter, egal ob privat oder städtisch, sich in der Besucherzahl verschätzen, wenn es deutlich mehr als geplant sind – die nächste Katastrophe?

Oliver Arning: Die Frage ist, wann und ob es überhaupt bekannt wird, wenn sich Veranstalter verschätzt haben. Verständlich dürfte sein, dass bei Überfüllung einer Veranstaltung niemand mehr hineingelassen werden sollte. Wobei es in Abhängigkeit von Art und Ort der Veranstaltung schwierig sein kann, eine genaue Zahl zu erhalten. Es sei denn, es gibt Auflagen beziehungsweise technische Hilfsmittel. Da fehlen mir allerdings Kenntnisse. Meinem Wissen nach haben sich bei Veranstaltungen mit vielen Teilnehmern, wie zum Beispiel den Weltjugendtagen in Köln (2005), vorgeplante freie Flächen für Ausweichbewegungen bewährt. Diese können je nach Besucheranzahl und -andrang geöffnet werden, sodass Platz für die Nachfolgenden entstehen kann. Ob es solche Flächen bei der Love Parade gab, ist mir nicht bekannt.

xn: Wie will man im Vorfeld einer Veranstaltung denn überhaupt Besucherzahlen schätzen? Vertrauen Städte darauf, z.B. im Falle der Abschlussveranstaltung am 18.12. im Duisburger Innenhafen, was die Polizei oder der Veranstalter Duisburg Marketing vorher „schätzten“, oder misst man das gewählte Gelände in Quadratmeter aus und multipliziert dann mit 2 (zwei Personen pro qm sind gesetzlich maximal zulässig, Anm. A.T.), wie vielleicht im Falle der Love Parade im letzten Jahr?

Oliver Arning: Sofern es keine räumlichen Begrenzungen für eine Veranstaltung gibt, könnte man im besten Fall auf eine Veranstaltungshistorie und somit Erfahrungswerte zurückgreifen. Findet eine Veranstaltung im Freien statt, spielt die Wetterprognose für die Teilnahmefreude natürlich auch eine wichtige Rolle. Es gibt also unterschiedliche und unkalkulierbare Rahmenbedingungen, die sich auf die Teilnehmeranzahl auswirken können.

xn: Kennen Sie ein Beispiel aus der Veranstaltungspraxis mit mehr als einer Millionen Besucher?

Oliver Arning: Nehmen wir den Weltjugendtag 2005 in Köln. Da hatten sich alle Sicherheitsakteure frühzeitig an einen Tisch gesetzt und sich natürlich auch die Frage gestellt, was man macht, wenn eine Panik ausbricht und die Menschen nicht mehr rational, sondern nur noch instinktmäßig agieren können. So wie möglicherweise auf der Love Parade, als es darum ging Leib und Leben zu retten. Daher entschied man sich gegen das Rheinufergelände mit Blick auf den Dom und für ein freies Feld außerhalb von Köln, um die Zu- und Abströme und die damit verbundenen Bewegungen von sehr großen Menschenmengen frühzeitig zu kanalisieren. Allein bei dieser Veranstaltung waren knapp 1.800 Mitarbeiter privater Sicherheitsdienstleister im Einsatz. Mit dem Ergebnis, dass niemand verletzt wurde.

xn: Allerdings, das muss man auch sagen, gestaltete sich die Abreise als äußerst problematisch bzw. versagte vollends. Vielfach hatten die Menschen bei 8 Grad Celsius die Nacht über in viel zu dünner Kleidung zusammengekauert dort verbringen müssen. Die Verhältnisse, auch die hygienischen, waren katastrophal, vermutlich gab es auch nicht genügend zu essen und zu trinken. Die Busse schafften es einfach nicht diese Menge zu transportieren, was, wie ich finde, gänzlich gegen Massenevents dieser Größenordnung spricht. Denn was wäre geschehen, wenn es ein Unwetter oder ein Attentat gegeben hätte? Bei letzterem Szenario reicht eine Drohung ja schon aus! Und in Duisburg hatte man sogar daran gedacht und sich trotzdem nicht gegen den Tunnel entschieden!

Oliver Arning: Es ist gutes journalistisches Brauchtum, kritische Fragen und natürlich auch Großveranstaltungen grundsätzlich in Frage zu stellen. Die erfolgreiche Durchführung der Weltjugendtage mit über 1 Millionen Tagesbesuchern, selbst wenn es zu widrigen Umständen gekommen sein sollte, zeigt jedoch, dass bei frühzeitiger Einbindung aller Akteure Gefahren für Leib und Leben der Teilnehmer minimiert werden können. Die Forderung nach 100-prozentiger Sicherheit ist nachvollziehbar und wünschenswert, aber leider nicht realisierbar!

xn: Müssen die Sicherheitskräfte zwingend von privaten Unternehmen stammen?

Oliver Arning: Nein, der Veranstalter hätte seine eigenen Leute einsetzen können. Vorausgesetzt er verfügt über eine den Anforderungen der Art und des Sicherheitskonzeptes der Veranstaltung entsprechende Anzahl. Das wäre dann Teil des Genehmigungsprozesses. Und wie schon dargestellt, existieren bundesweit unterschiedliche Verfahren.

Für den Einsatz privater Sicherheitsdienstleister durch den Veranstalter gilt, dass die Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter über eine 40stündige IHK-Ausbildung und eine Zuverlässigkeitsprüfung verfügen müssen. Man lernt, was man rechtlich darf und was nicht, was z.B. die Jedermannrechte nach §127 Strafgesetzbuch sind und zulassen. Zusätzliche Qualifikationen der Mitarbeiter sind abhängig von den Forderungen der Ausschreibung und der Zahlungsbereitschaft des Auftraggebers.

xn: Aber Sie sagen, dass es auch Ausbildungsberufe in diesem Bereich gibt und dass Sie einen bundesweiten Standard fordern. Würden Sie das bitte erläutern.

Oliver Arning: Der Bundesverband Deutscher Wach- und Sicherheitsunternehmen (BDWS) hat getragen von seinen Mitgliedern zwei Ausbildungsberufe eingeführt. Mit der Fachkraft für Schutz und Sicherheit verfügt das Gewerbe über einen dreijährigen Ausbildungsberuf. Die Servicekraft für Schutz und Sicherheit beinhaltet eine zweijährige Ausbildung, die im Vergleich zur Fachkraft um den kaufmännischen Ausbildungsanteil reduziert ist. Zurzeit befinden sich jährlich über 3.000 junge Männer und Frauen in einem der beiden Ausbildungsberufe. Wobei der zahlenmäßige Schwerpunkt auf der Fachkraft für Schutz und Sicherheit liegt. Ferner haben sich in den zurückliegenden Jahren unter anderem an der Hochschule der Polizei in Hamburg Studiengänge Sicherheitsmanagement etabliert, die den Akademisierungsgrad im Management privater Sicherheitsdienste weiter ausbaut. Daneben wurden Qualifizierungsmaßnahmen für Seiteneinsteiger und Sicherheitskooperationen mit Polizeien der Länder entwickelt und abgeschlossen. Diese Anstrengungen und der fortschreitende Einsatz modernster Sicherheitstechnik haben dazu geführt, dass heutige Sicherheitsdienstleistungen deutlich qualifiziertere Mitarbeiter fordern. Auch die von der Innenministerkonferenz geforderte Zertifizierung privater Sicherheitsdienste, unterstützt die Qualifizierungsmaßnahmen des BDWS und seiner Mitglieder.

xn: Dass man in der heutigen Zeit, bei angeblich permanenter Bedrohungslage, es nicht nur auf Stadt-, Landes- und folglich ja auch auf Bundesebene überhaupt zulässt, dies ohne jegliches Notfall-Evakuierungskonzept durchzuziehen, kann eigentlich doch nicht rechtens sein. Wie beurteilt man das bei Ihnen?

Oliver Arning: Das setzt ja voraus, dass wir gewusst hätten, dass es keines gegeben hätte. Ich weiß nicht, was dort als Sicherheitskonzept vorgelegen hatte. Experten des Weltjugendtages sehen die Gesamtsituation kritisch. Wir als Branche werden in ein Licht gerückt, wo wir unmittelbar keinerlei Verantwortung tragen. Der Veranstalter hatte ein Sicherheitskonzept, welches meines Erachtens durch die Genehmigungsbehörde freigegeben worden war. Danach sind Sicherheitsheitsdienstleistungen ausgeschrieben und eingekauft worden.

xn: Einer dieser Experten ist Dr. Hubert Klüpfel und Kollegen von der TraffGo HAT GmbH, der auch dort die Entfluchtungsanalyse fertigte, die zumindest auf Duisburg bezogen ganz klar fehlerhaft ist, was die Personenstromberechnung angeht.

Oliver Arning: Dazu kann ich nichts sagen.

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