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Loveparade: Im AK besteht Einigkeit darin, dass damit die Befürchtung einhergehen muss, dass mit „Kollateralschäden“ zu rechnen sei – Interview mit dem Katastrophenforscher Dirk Oberhagemann

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Interview mit Dr. Dirk Oberhagemann, Katastrophenforscher im Auftrage des Bundes, Verantwortlicher der Vereinigung zur Förderung des Deutschen Brandschutzes (VFDB) und tätig im Auftrag für das Bundesministerium für Bildung und Forschung (BMBF)
In dem Protokoll des AK Verkehr vom 20.10.2009 steht zum gewählten Zugang durch den Tunnel: Im AK besteht Einigkeit darin, dass damit die Befürchtung einhergehen muss, dass mit „Kollateralschäden“ zu rechnen sei.“

xn: Herr Dr. Oberhagemann, Sie sind derjenige, der in dem „sensiblen Bereich“ der Rampe zu Forschungszwecken nicht filmen durfte, weil der Veranstalter Lopavent über diesen Bereich sein Hausrecht ausgeübt und ihnen dies versagt hatte. Wie kam das bei Ihnen an?

Dr. Dirk Oberhagemann: Ich war überrascht, da mir das bisher auf zahlreichen anderen Veranstaltungen noch nie passiert war. Gleichzeitig bestätigte das meine Annahme, dass dieser Punkt das Nadelöhr der Veranstaltung war.

xn: Und somit von Lopavent als eine sensible Tabuzone erklärt worden war und von der Stadt Duisburg als ein „nicht existierender Bereich“.

xn: Sie erkannten vor allem den Tunnel wegen seiner Verengung am Ausgang und die Rampe wegen der Verdichtungssituation als Gefahrenzone. Haben Sie irgend jemanden im Vorfeld davor explizit gewarnt oder hatten Sie sich darüber vor Ort ausgetauscht, mit Polizisten oder Feuerwehrleuten etwa und wenn ja, mit welchem Ergebnis?

Dr. Dirk Oberhagemann:

xn: Warum sind so viele Menschen im Tunnel kollabiert, lt. Zeugen bereits am Vormittag, ist Ihnen das bekannt? Kann Sauerstoffmangel der Grund gewesen sein?

Dr. Dirk Oberhagemann: Sauerstoffmangel war nicht der Grund. Bei einer Veranstaltung geht man als Grundlast davon aus, dass von 100.000 Personen ca. 200 Personen behandelt werden müssen. Von diesen 200 Personen müssen ca. 40 Personen zur weiteren Behandlung durch einen Rettungswagen transportiert werden. Bei einer Love Parade müssen von 100.000 Personen ca. 1.800 Personen behandelt und 360 Personen transportiert werden. Dies ist die Grundbelastung der Veranstaltung ohne das es weitere Zwischenfälle gibt.

xn: Dies nur, vorausgesetzt, die Besucher können von sich behaupten, dass sie auf der Love Parade gewesen sind, was aber in Duisburg mehrheitlich nicht der Fall war.

xn: Hätte man den Tunnel als Zu- und Ausgang wählen dürfen?

Dr. Dirk Oberhagemann: Der Tunnel in der gegebenen Breite war nicht in der Lage die erwarteten Besucher ohne erhebliche Wartezeiten und Stausituationen durchzulassen.

xn: Und darüber hinaus war es nicht zu gewährleisten, dass die Menschen darin nicht eingequetscht werden, da dies die logische Konsequenz daraus ist.

xn: Hätte sich ein anderer Weg angeboten, den man ohne großen Aufwand und Kosten hätte nutzen können?

Dr. Dirk Oberhagemann: Durch zusätzliche Absicherungsmaßnahmen und mit zusätzlichem Personal hätte man auch den Weg zwischen Gelände und Bahngleis als Ausgang nutzen können.

xn: Hatten Sie diese alternative Lösung vorgeschlagen?

Dr. Dirk Oberhagemann:

xn: Sie sagen, dass ein sehr frühes Protokoll bereits belegt, dass das Risiko Tunnel und Rampe billigend in Kauf genommen wurde. Was steht in diesem Protokoll, wer war an der Sitzung beteiligt und von wann stammt es?

Dr. Dirk Oberhagemann: In dem Protokoll des AK Verkehr vom 20.10.2009 steht zum gewählten Zugang durch den Tunnel: „Im AK besteht Einigkeit darin, dass damit die Befürchtung einhergehen muss, dass mit „Kollateralschäden“ zu rechnen sei.“

xn: Dies findet man in der Anlage 6, Seite 3c) des Abschlussberichtes der Kanzlei Heuking & Co. Von Frau Dr. Jaspers, ebenso die beteiligten Institutionen und Stellen.

xn: Was wird man mit „Kollateralschäden’“ gemeint haben? Dies meint ja eigentlich Tote und schwer Verletzte im Krieg! Ist so eine Begriffsverwendung normal, begegnet diese Ihnen hin und wieder auch anderswo?

Dr. Dirk Oberhagemann:

xn: Wissen Sie, wer den Arbeitskreis leitete?

Dr. Dirk Oberhagemann: Zum Teilnehmerkreis habe ich keine Angaben.

xn: Darf man Menschen durch eine Stadt schleusen wie wilde Tiere? Wo bleibt da die Würde des Menschen?

Dr. Dirk Oberhagemann:

xn: Wie schaut’s im restlichen Deutschland aus? Sie kommen doch im Auftrag des BMBF zu Forschungszwecken viel herum?

Dr. Dirk Oberhagemann: Die Veranstaltungslandschaft in Deutschland ist sehr bunt. Da ist es schwierig, allgemeine Aussagen zu machen. Man kann jedoch sagen, dass in die Planung von Veranstaltungen häufig viel Arbeit gesteckt wird. Wenn jedoch die Besucher anreisen und auf einem Gelände sind, werden die Möglichkeiten zur aktiven Besuchersteuerung und Überwachung nicht mit betrachtet.

xn: Was hielten Sie von dem Partygelände an sich? Wie viele Personen hätte es fassen können?

Dr. Dirk Oberhagemann: Die genehmigte Anzahl von 250.000 Personen halte ich für vertretbar. Das Partygelände an sich war durch seine Bodenbeschaffenheit nicht optimal. Abgesehen von dem Schotter, sah man in Windrichtung, also auf der Ostseite des Geländes ständig eine riesige Staubwolke über den Besuchern, die sicherlich das Wohlbefinden nicht gefördert hat.

xn: Ihre Aufnahmen machten Sie dann im Lagezentrum (Hoist-Hochhaus). Anhand der Kamerabilder dort errechneten Sie die Personenströme. Welchen Bereich sahen Sie und wie viele Besucher schätzten Sie?

Dr. Dirk Oberhagemann: Ausgewertet wurde der Personenstrom vom Westausgang des Bahnhofs zum Gelände, also die Besucher, die aus der Rheinschiene angereist waren. Angenommen haben wir, dass der Anreiseverkehr aus der Ruhrgebietsrichtung und der Rheinschiene in etwa gleich groß waren. Bis 17:00 Uhr sind dann über den Zugverkehr ca. 160.000 bis 170.000 Personen angereist.

xn: Lt. Zeugenberichten kamen von allen Seiten Menschen, sehr viele vor allem aus dem Stadionbereich, wo sie ihre Autos parkten oder wohin sie mit öffentlichen Verkehrsmitteln (Haltestelle Grunewald) fuhren, viele andere kamen zu Fuß oder mit dem Fahrrad aus allen möglichen anderen Richtungen. Wenn alle Zufahrtsstraßen, die zur Karl-Lehr-Str. führen, dicht waren, kommt man mit Sicherheit auf einige Hunderttausend mehr. Schließen Sie das gänzlich aus?

Dr. Dirk Oberhagemann: Grundsätzlich überschätzen Personen, die in einer Menschenmenge gehen die Gesamtzahl der Personen. Für eine genaue Bewertung benötigt man die Vogelperspektive. Man kann jedoch ungefähre Vergleichswerte aus Essen und Dortmund zu Hilfe nehmen. Danach kann man sagen, dass sich die anreisenden Besucher ungefähr zu 50% auf den Bahnverkehr, zu 25% auf den Individualverkehr und zu weiteren 25% auf den städtischen Bereich verteilen. Demnach wäre über die beschriebenen Wege ebenfalls ca. 160.000 Personen angereist.

xn: Womit also in etwa 500.000 Menschen in der Stadt gewesen sein müssten, von denen etwa 110.000 auf dem eigentlichen Partygelände waren, richtig?

Dr. Dirk Oberhagemann: Also waren in der Summe 320.000 bis 350.000 Besucher anwesend, von denen um 17:00 Uhr ca. 120.000 bis 130.000 Personen auf dem Gelände waren.

xn: Was ist Ihr Forschungsergebnis, dass Sie aus Duisburg mitgenommen haben, was haben Sie dem Bundesforschungsministerium gemeldet, welches Fazit haben Sie gezogen?

Dr. Dirk Oberhagemann: Es ist deutlich geworden, dass für eine Ablaufplanung und für

Was-wäre-wenn“ Analysen zu wenig Erkenntnisse vorliegen.

xn: Was wird, was muss sich zukünftig ändern? Ist es richtig, ab einer Veranstaltungsgröße von 5.000 Personen ein Sicherheitskonzept zu fordern, werden nun Veranstaltungen übertrieben schnell abgesagt, herrscht Panik pur in Deutschland?

Dr. Dirk Oberhagemann: Eine generelle Forderung ab 5.000 Personen halte ich für falsch. Wenn sich z.B. 5.000 Läufer auf eine Strecke von 20 km verteilen, sehe ich keine Gefährdung. Hier müsste nur der Start- und Zielbereich betrachtet werden. Es muss eine Risikobetrachtung erfolgen und abhängig vom Ergebnis ein entsprechendes Sicherheitskonzept erstellt werden. Auf keinen Fall darf es dazu kommen, dass jedes Bundesland seine eigenen Regelungen erlässt. Ein bundeseinheitliches Konzept ist unbedingt erforderlich.

xn: Ist einer der Gründe für die Katastrophe von Duisburg mangelnde Kontrollen auf Länder- oder eher fehlende Gesetze auf Bundesebene, oder gar beides?

Dr. Dirk Oberhagemann: Die Kontrolle und Genehmigung von Großveranstaltungen ist grundsätzlich auch ein Problem der fachlich kompetenten Ansprechpartner. Bezirksregierungen werden z.B. berechtigterweise sagen, dass sie hierfür kein Personal haben und keine Mittel bekommen um entsprechendes Personal einzustellen. Jeder sagt zurzeit, dass Sicherheit auch Geld kostet. Die Bereitschaft der öffentlichen Hand, Geld auszugeben, sehe ich eher gering.

xn: War diese Veranstaltung genehmigungsfähig? Muss man sie nicht illegal nennen, da Gesetze außer Kraft gesetzt wurden oder reichen die vorhandenen Gesetze und Bestimmungen nicht aus, eben weil sie so leicht außer Kraft gesetzt werden konnten?

Dr. Dirk Oberhagemann:

xn: Wie finden Sie das: Der Duisburger Dezernent für Sicherheit und Recht war bis vor einiger Zeit noch der Leiter des Ordnungsamtes, er ist studierter Jurist, hat über Feuerwehr- und Zivilschutzamt das Sagen und bei Veranstaltungen auch die Hoheit über die Polizei? Zumindest, wenn man voraussetzt, dass es „enge Absprachen“ zwischen ihm und deren Einsatzleiter gegeben hatte, wovon ich einfach mal ausgehe.

Dr. Dirk Oberhagemann:

xn: Herr Prof. Wolf Rüdiger Dombrowsky, einer Ihrer Kollegen, der ebenfalls im Auftrage des Bundes forscht, spricht von einem Eindämmungsprinzip. Vom Bahnhof angefangen, mit Beginn des Partyareals am Rampenkopf endend, um die Massen zu verdichten und letztlich zu kontrollieren. Denken Sie das auch?

Dr. Dirk Oberhagemann:

xn: Hatten Sie auch die Kamerabilder der beiden Einlassschleusen?
Dr. Dirk Oberhagemann: Kamerabilder direkt von den Eingangsschleusen standen mir leider nicht zur Verfügung.

xn: Herr Dr. Oberhagemann teilt zudem mit, dass er über die Zusammensetzung und die Arbeit des Lagezentrums keine Informationen habe.

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