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„Wenn gegen den Duisburger OB Sauerland kein strafrechtlicher Verdacht besteht, entlastet ihn das aber nicht von der politischen Verantwortung für diese Veranstaltung und ihren tragischen Verlauf.“

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Duisburger OB Adolf Sauerland auf der
Pressekonferenz am 25.07
 
Image by xtranews.de via Flickr

2. und letzter Teil des Interviews mit Prof. Dr. Henning Ernst Müller, Lehrstuhl für Strafrecht, Kriminologie, Jugendstrafrecht und Strafvollzug an der Universität Regensburg, bloggt als Experte im juristischen beck-blog (http://community.beck.de/blogs/henning-ernst-mueller)

xn: In Duisburg kennt man den Todestunnel (der vorher „Gelber Bogen“) hieß wegen seines diffusen, gelben Neonlichtes nicht erst seit der Love Parade. Wenn es nun heißt, man habe diesen nicht „geprüft“ so stellt das eine grobe Falschaussage dar, da jede/r ihn kennt. Man weiß, wie breit bzw. wie schmal er ist, man weiß auch, wie lang und wie hoch. Genauso wie bekannt ist, dass dieser über keinerlei Notausgänge und Rettungswege verfügt. Schon einmal sind dort massenweise Menschen erbärmlich gestorben beim vergeblichen Versuch die darin vorhandenen Bunkeranlagen durch die Türen in den Tunnelwänden rechtzeitig zu erreichen, was Duisburger Geschichte ist.


Prof. Dr. Henning Ernst Müller:
Da ich kein Duisburger bin, kann ich mich nicht zum Bekanntheitsgrad äußern. Sicherlich ist der Tunnel bislang niemals als einziger Ein- und Ausgang für eine Massenveranstaltung benutzt worden. Und deshalb hätte man diese „Idee“ auch besonders kritisch prüfen müssen.


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Meiner Meinung nach hatte man sich mit voller Absicht bewusst genau für den Tunnel entschieden. Eben weil er so viele Menschen fassen kann! Auch das ein „cleverer Trick“ unserer Verantwortlichen vielleicht, die den Tunnel gerade wegen seines Fassungsvermögens auserkoren hatten?


Prof. Dr. Henning Ernst Müller:
Ob das ein „cleverer Trick“ war, möchte ich bezweifeln. Für eine so große Veranstaltung mit (erwartet) 500.000 und mehr Menschen war die Flaschenhalssituation und der gemeinsame Ein- und Ausgang sicherlich keine gute Idee.


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Vielleicht wurde dieser Bereich absichtlich zur „Planungslücke“ erklärt. Um sich von vorne herein vor etwaiger Strafverfolgung zu schützen falls etwas „schief geht“. Was man definitiv einkalkuliert hatte?


Prof. Dr. Henning Ernst Müller:
Das ist eine Spekulation, die im Strafprozess sicherlich nicht bewiesen werden kann und darum kaum nützlich ist.


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Fakt müsste aber doch sein, dass, unabhängig davon, ob dieser Todestunnel vorab nun inspiziert worden war oder nicht, man von fahrlässiger Tötung sprechen kann und muss! Sagen Sie bitte nicht, dass das im deutschen Strafrecht so aber mitnichten ist! Wie unterschiedlich könnten die Strafmaße ausfallen bezogen auf diese beiden Sachverhalte: 1. der Tunnel wurde geprüft, 2. der Tunnel wurde nicht geprüft? Sind diese Fragen relevant?


Prof. Dr. Henning Ernst Müller:
Wie schon gesagt, es geht nicht (allein) um den Tunnel. Als einer von mehreren Zugangswegen wären Tunnel/Rampe kaum problematisch gewesen. Es geht vielmehr um die Frage, ob man nur einen Ein- und Ausgang planen durfte, obwohl man davon ausging, dass während des Nachmittags eine weit höhere Zahl von Menschen in beiden Richtungen diesen Weg passieren sollten, als dort maximal hindurch passten.


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Wer hätte den Tunnel denn prüfen müssen und/oder können? Hätte Lopavent dies in Auftrag geben müssen? Hätte das Ordnungsamt das tun müssen? Die Polizei? Die Feuerwehr? Bitte wer?


Prof. Dr. Henning Ernst Müller:
Nochmals: Der Tunnel als solcher ist nicht allein ausschlaggebend. Das vorgeschriebene, vom Veranstalter eingereichte Sicherheitskonzept war hinsichtlich der Ein-/Ausgangssituation lückenhaft und die Verwaltung hat dies akzeptiert. Zudem wurde offenbar vor der Veranstaltung nicht sichergestellt, ob alle offenen Gullys und sonstigen Gefahrenstellen beseitigt waren. Veranstalter und sogar die Polizei haben die Rampe zusätzlich mit Zäunen, Brezel-Ständen und Fahrzeugen blockiert, statt diesen Weg freizuhalten. Die zur Abgrenzung verwendeten Bauzäune waren außerdem völlig ungeeignet und wurden selbst zu Gefahrenquellen.


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Ihr Kollege meint im Übrigen auch, „dass man prüfen müsse, inwieweit Personen gegen Ordnungsmaßnahmen verstoßen hatten und etwa durch Wegschieben von Barrieren oder massives Drängen von hinten zu dem Unglück beigetragen hätten.“ Könnten lebensrettende Maßnahmen tatsächlich so gewertet werden? Wir wissen ja längst, dass und auch warum dies geschah.


Prof. Dr. Henning Ernst Müller:
Die Äußerung stammt ja vom 26.07., als man über die Vorgänge konkret noch nicht viel wusste. Klar mag es an der einen oder anderen Stelle auch Fehlverhalten von Besuchern gegeben haben. Aber wenn jemand von hinten gepresst wird und sich dadurch Luft verschafft, dass er eine Barriere übersteigt oder wegschiebt, kann man ihm dies nicht vorwerfen. Es ist hingegen mangelhafte Planung, wenn man meint, man könne hunderttausende Menschen stundenlang durch Barrieren aufhalten – noch dazu, wenn man auf die notwendige Information dieser Menschen völlig verzichtet.


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Der Konzertveranstalter Marek Lieberberg spricht von einem Verbrechen. Was halten Sie von dieser Aussage? Er muss ja nicht zwingend Mord damit meinen, dem zu Folge man auch nicht von einer vorsätzlichen Tötung zu sprechen braucht. Allerdings geht aus einem relativ frühen Protokoll hervor, dass die Verantwortlichen „Kollateralschäden“ wohl weislich ganz bewusst in Kauf genommen hatten! Wie wird das gewertet, wenn nicht als (groben) Vorsatz?


Prof. Dr. Henning Ernst Müller:
Das Wort Verbrechen ist von Lieberberg sicherlich nicht im streng juristischen Sinne verwendet worden. Man wird bei einer so großen Veranstaltung, selbst wenn sie optimal geplant ist, immer mit einem gewissen Verletzungspotential rechnen müssen – weshalb ja auch schon bei jedem Stadtmarathon Sanis bereitstehen. Vielleicht ist der Gebrauch des Begriffs Kollateralschaden dafür unangebracht, aber das begründet noch keinen strafrechtlichen Vorwurf. Nicht wie man etwas nennt, ist eine Straftat, sondern was man tut!


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Der Begriff Kollateralschaden ist ein militärischer, der nicht nur Verletzte, sondern auch Tote im Kriegsfall meint, etwa durch Bombenangriffe. Vorsätzliche Tötung wird wie folgt definiert: Ein Verantwortungsträger hat den Tod des Opfers als möglich und nicht ganz fern liegend erkannt ("in Kauf genommen"). Genau das hätten ja dann zumindest all jene getan, die an dieser u.a. Besprechungen teilgenommen hatten, nicht wahr?


Prof. Dr. Henning Ernst Müller:
Nein. So ist es nicht. Ich sehe keinen Anhaltspunkt dafür, dass man Tote in Kauf genommen hat. Die Beteiligung an einer Besprechung allein kann außerdem kaum strafbar sein, sondern allenfalls, was man dort beschlossen oder nicht beschlossen hat, und auch nur dann, wenn dies vorhersehbar die eingetretenen Folgen (mit-)verursachte.


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Nach dem derzeitigen staatsanwaltlichen Ermittlungsstand sind angeblich Rainer Schaller und Adolf Sauerland (vorläufig?) aus der Schusslinie raus. Wie kann man sich das erklären? War es clever von Herrn Sauerland eine Woche vor dem 24. Juli 2010 im Urlaub zu sein und erst am selben Tag zurück zu kommen, um nichts unterschreiben zu können/brauchen/müssen? Auch das eventuell ein clever konzipierter (juristischer) Kniff?


Prof. Dr. Henning Ernst Müller:
Das ist reine Spekulation, an der ich mich nicht beteilige. Wenn gegen Herrn OB Sauerland kein strafrechtlicher Verdacht besteht, entlastet ihn das m. E. aber nicht von der politischen Verantwortung für diese Veranstaltung und ihren tragischen Verlauf.


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Und was schützt Herrn Schaller? Die Tatsache, dass er für alle relevant-brisant-sensiblen Bereiche seine Leute hatte?


Prof. Dr. Henning Ernst Müller:
Ich weiß nicht, was die Überlegungen der Staatsanwaltschaft dazu sind, weshalb ich sie auch nicht kommentieren kann. Offenbar kann man bei Herrn Schaller (derzeit) keine persönliche Fahrlässigkeit erkennen.


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Wissen Sie, weshalb seitens Polizei es nur einen gibt (Stand 17.01.2011), gegen den ermittelt wird und zwar gegen den Einsatzleiter Gefahrenabwehr Kuno Simon? Was ist mit allen anderen: mit den Bereichs- und Abschnittsleitern, Gruppenführern und mit all jenen Polizisten, die es unterließen akute Hilfe zu leisten (festgehalten auf zahlreichen Foto- und Videodokumenten)?


Prof. Dr. Henning Ernst Müller:
Wichtig ist: Es geht hier erst einmal um die schweren Folgen, die das Gedränge auf der Rampe hatte. Nur wessen Handlungen/Unterlassungen kausal damit zusammenhängen, dürfte als Beschuldigter in Betracht kommen. Nicht jedes dokumentierte Fehlverhalten einzelner Beamter steht aber mit den Toten und Verletzten in einem nachweisbaren Zusammenhang.


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Wie beurteilen Sie die Rolle des ehemaligen stellvertretenden Polizeipräsidenten (Duisburg hatte circa vier Monate lang keinen gehabt, Anm.d.Red.), Detlef von Schmelings? Hatte der denn nicht das Oberkommando und den direkten Draht zum Oberverantwortlichen der Loveparade Wolfgang Rabe und trug somit die Hauptverantwortung und gab folglich allen anderen Weisungen?


Prof. Dr. Henning Ernst Müller:
Strafrechtlich ist nicht notwendig der Oberste in der Hierarchie auch der Hauptverantwortliche. Da man immer eine persönliche Verantwortlichkeit braucht, ist es manchmal schwierig, in solchen Behördenhierarchien die strafrechtlich Verantwortlichen zu finden. Ein Polizeipräsident ist Behördenleiter und hat oft mit konkreten Entscheidungen vor Ort nichts zu tun.


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Wie sieht’s mit den Duisburger Ratsleuten aus, die anscheinend sowohl auf ihr Informationsrecht verzichteten als auch auf ihre Kontrollpflichten? Die sich nicht wehrten gegen die ultimative Ratssitzung an einem Samstag Morgen um 8 Uhr! Die anscheinend ihrem Verwaltungschef, gleichzeitig Ratsvorsitzender und Oberbürgermeister willen- und widerstandslos ausgeliefert sind. Die vor allem in ihrer Haupteigenschaft als Kontrollorgane im Sinne der Bürgerschaft und zum Wohle ihrer Stadt versagten. Abgesehen von der Tatsache, dass dieser (der Rat, Anm.d.Red.) kollektiv vom Landtag abberufen werden kann, droht ihm (dem Rat) etwas in strafrechtlicher Hinsicht? Wird dessen Rolle gesondert überprüft?


Prof. Dr. Henning Ernst Müller:
Wie schon oben gesagt: es gibt keine kollektive strafrechtliche Verantwortlichkeit. Der Weg von einer Ratssitzung und –entscheidung bis zu den tödlichen Folgen ist zudem zu weit, um hier eine zurechenbare fahrlässige Handlung erkennen zu können. Politisch wird man ihnen sicherlich den einen oder anderen Vorwurf machen können. Darüber entscheiden dann die Wähler.


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Ist es legitim, wenn vereinzelte Ratsmitglieder mit Aufsichtsratsposten „ruhig gestellt“ und eventuell dadurch willfährig gemacht werden und auf diese Art und Weise – noch viel wohl möglicher – ein Anreiz geschafft wird ein/e Ratsmann/-frau zu werden? Aufsichtsratstantiemen sind doch bestimmt nicht ohne. Ein „Trick“ der Duisburger Großkonzernchefs (DVV) die Ratsleute mit Aufsichtsratsposten zu ködern?


Prof. Dr. Henning Ernst Müller:
Darüber weiß ich nichts; das hat auch nichts mit Strafrecht im Fall LoPa zu tun.


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Wie ist der Stand der „Ermittlungen“ in Ihrem Beck-Rechtsblog-Beitrag zum Thema? Es heißt, der Fall sei weitestgehend aufgeklärt.


Prof. Dr. Henning-Ernst Müller:
„Weitgehend“ – so habe ich das formuliert, und zwar mit Bezug auf das Internet insgesamt, speziell meinte ich mehrere Websites und Foren, wovon der Beck-Blog mit seiner juristischen Diskussion nur eine Seite ist, wo auch für mich überraschend eine sehr umfangreiche Debatte (mit insgesamt weit über tausend zum Teil sehr informativen Kommentaren) entstanden ist. Ihre Leser können dort gern weiterlesen (inzwischen drei Seiten, Anm.d.Red.: http://blog.beck.de/2010/09/23/love-parade-unglueck-zwei-monate-nach-den-tragischen-ereignissen-im-internet-weitgehend-aufgeklaert?page=2). Allerdings ist bei uns die Frage der persönlichen Verantwortlichkeit bisher ausgespart geblieben. Dazu, was die Staatsanwaltschaft jetzt hinsichtlich einzelner Verdächtiger ermittelt, können wir nicht viel beitragen.

xn: Wer sind all die eifrigen Aufklärer in Ihrem sowie in einigen anderen Blogs und Foren?


Prof. Dr. Henning-Ernst Müller: I
ch weiß es nicht. Ich kenne sie nur aus ihren Beiträgen, zum Teil schreiben sie auch unter Pseudonym und haben sich nicht einmal im Blog registriert. Es geht diesen Leuten also nicht um persönlichen Ruhm oder Anerkennung, sondern, soweit ich das den Kommentaren entnehmen kann, um die Sache selbst.

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