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Loveparade Ombudsmann Wolfgang Riotte im Interview

Herr Riotte, Sie sind Ombudsmann für die NRW Landesregierung, um die Soforthilfe von einer Millionen Euro für die Opfer und Hinterbliebenen der Loveparade zu koordinieren.

80 % sind bereits aufgebraucht, doch nur 54 Opfer haben sich bei Ihnen gemeldet. Warum nur so wenige ? Es gab doch, abgesehen von den mehr als 21 hinterbliebenen Eltern, Ehegatten, Kindern, Geschwistern etc. mehr als 500 Verletzte! Wieso machen nicht mehr ihr Recht auf Entschädigung geltend?

Wolfgang Riotte: Der NRW-Hilfsfond wendet sich an die Hinterbliebenen der einundzwanzig Todesopfer und an Menschen, die wegen der körperlichen oder psychischen Verletzungen, die sie durch die Ereignisse während der Loveparade erlitten haben, stationäre Behandlung (Tagesklinik eingeschlossen) in Anspruch nehmen mussten. Diese Leistungen für etwa 65 besonders schwer Verletzte (die noch laufenden Anträge mitgezählt) gibt es zusätzlich zur Übernahme der Behandlungskosten durch die Krankenkassen. Inzwischen werden alle, die stationär behandelt wurden oder werden, den Hilfsfond des Landes kennen.

Die Menschen, die nicht stationär, aber ambulant behandelt wurden oder werden, und das sind die meisten der von Ihnen genannten 500 Verletzten, nehmen Leistungen ihrer Krankenkassen in Anspruch. Außerdem können sie sich, wenn es nicht um finanzielle Fragen geht, an die Notfallseelsorge der Evangelischen Kirche im Rheinland wenden, die gemeinsam mit der katholischen Notfallseelsorge im Auftrag der Landesregierung Opfer betreut, auch durch Treffen der Hinterbliebenen und durch Treffen der Verletzten. Die Notfallseelsorge betreibt mit der Landesregierung auch eine Hotline (Tel. 0800 24 7 2010, www.hilfe-loveparade.de)

Schadensersatz- und Schmerzensgeldansprüche muss man an anderer Stelle geltend machen, aber dazu sollte man vorher anwaltlichen Rat einholen.

Was, wenn die 1 Millionen Euro restlos aufgebraucht sind?

Wolfgang Riotte: Das wird die Landesregierung zu entscheiden haben. Für die bisher vorliegenden Anträge wird der Fond aber wohl ausreichen.

Sind Sie als Ombudsmann eine Mischung aus unparteiischem Schiedsmann und einem Bevollmächtigten im Ehrenamt? Wikipedia spricht von einer Person, die in einer Organisation oder in der Öffentlichkeit bei bestimmten Themen eine ungerechte Behandlung von Personengruppen zu verhindern versucht unter Berücksichtigung deren Interessen und Belangen als Gruppe infolge eines fehlenden Sprachrohrs (z.B. Krankenhauspatienten oder Kinder) ansonsten wenig beachtet würden.

Wolfgang Riotte: In der Kurzfassung wird „Ombudsmann“ wohl mit „Treuhänder“ übersetzt. Das ist nicht juristisch gemeint, es geht nicht um Rechtsberatung. Ich sehe meine Aufgabe darin, Loveparade-Verletzten, die nach Hilfe suchen, dabei zu helfen. Das kann die Suche nach der richtigen medizinischen Behandlung sein, nach niedergelassenen Spezialisten oder Spezialkliniken, die Suche nach anwaltlicher Beratung oder nach Gruppen von Leidensgenossinnen und –genossen. Manche haben Probleme mit der Übernahme von Therapie-Kosten durch ihre Krankenkasse, obwohl ich den Eindruck habe, dass auch die Krankenkassen zu helfen versuchen. Es gibt auch Fragen zum NRW-Fonds, zu anderen Hilfsfonds, oder zu Umschulungsproblemen, wenn man meint, den bisherigen Beruf wegen der Verletzungen nicht mehr ausüben zu können.

Zum Teil herrscht Verwirrung darüber, dass es parallel zu Ihrer Tätigkeit noch Stiftungen gibt, die ebenfalls eine Opfer-Soforthilfe anbieten. Was raten Sie Betroffenen, wie sie vorzugehen haben? Bin ich besser bestellt, wenn ich mich zunächst an Sie wende oder arbeiten Sie und die Stiftungen gleichberechtigt?

Wolfgang Riotte: Stiftungen im rechtlichen Sinne, die speziell wegen der Loveparade gegründet sind und jetzt schon Hilfe leisten, sind mir nicht bekannt.

Es gibt einen Hilfsfond, den ein Düsseldorfer Unternehmer gleich nach der Loveparade gegründet hat und der mir hilft, das eine oder andere finanzielle Problem Verletzter zu lösen, wenn z.B. die Krankenkassen im Hinblick auf ihre Regelungen Behandlungskosten nicht übernehmen können oder wenn trotz der Zahlungen aus dem NRW-Fond besondere Belastungen bleiben. Daneben gibt es ein Spendenkonto, das die Arbeitsgemeinschaft der Freien Wohlfahrtsverbände auf Bitten der Landesregierung eingerichtet hat.

Unabhängig vom NRW-Fond haben der Loveparade-Veranstalter und seine Haftpflichtversicherung (AXA) 1 Millionen Euro für Menschen zur Verfügung gestellt, die durch die Ereignisse auf der Loveparade in eine Notlage geraten sind. Diese Leistungen sind unabhängig vom NRW-Fond, werden also auch zusätzlich gezahlt.

Haben Stiftungen nicht den Nachteil, dass man nicht genau wissen kann, was mit deren Spendengeldern geschieht? Wie kann ich z.B. als Spender wissen, ob mein Geld wirklich zu 100% in die Opferhilfe fließt?

Wolfgang Riotte: Die 100-%-Forderung wird keine Stiftung erfüllen können, weil sie aus dem Spendenaufkommen ja auch die Kosten für die Verwaltung der Spenden bezahlen muss. Wenn eine Stiftung nicht offen legt, wie hoch ihre Verwaltungskosten sind, sollte man seine Spende an eine andere Stiftung richten. Unabhängig davon gibt es eine staatliche Stiftungsaufsicht, die prüft, dass der Stiftungszweck auch erreicht wird.

Was raten Sie jenen, die sich (noch) nicht in einer Klinik oder in ärztlicher Behandlung begaben?

Wolfgang Riotte: Die Verletzten werden selbst spüren, ob sie professionelle Hilfe brauchen, um wieder ein normales Leben führen zu können. Man sollte dabei aber kein Risiko eingehen. Ob aus einer Traumatisierung ein „posttraumatisches Belastungssyndrom“ zu werden droht oder geworden ist, sollte man nicht ohne medizinische Hilfe beantworten.

Es sind ja nicht nur Personen Schadenersatzanspruch berechtigt, die auf dem Rampenbereich verletzt wurden, sondern auch jene, die sich z.B. in einem der Tunnel aufhielten und dort aufgrund von Sauerstoffmangel kollabierten oder sich die Arme an den Wänden auf Grund der Enge blutig schrammten als sie dort lang gingen, nicht da weg kamen. Es reichte aus, einfach nur in der Enge gestanden zu haben, wo auch immer, z.B. im Stadtgebiet, wo es ebenfalls sehr gefährliche Situationen gab. Kommen auch diese Menschen zu Ihnen?

Wolfgang Riotte: Für den NRW-Fond kommt es nur darauf an, dass es sich bei den Schäden, die die stationär Behandelten erlitten haben, um Gesundheitsschäden handelt und dass diese Schäden im Zusammenhang mit der Loveparade stehen.

Man hört, dass die Versicherung des Veranstalters, die AXA, die die Loveparade mit 7,5 Millionen Euro versichert hat sich mehr und mehr zahlungsunwillig zeigt und es zunehmend Streitereien zwischen der AXA und der Stadt Duisburg gibt. Was bedeutet das für die Opfer? Stimmt es, dass nur 1 Millionen Euro Versicherungsgelder den Opfern zur Verfügung stehen?

Wolfgang Riotte: Ich kann weder für die AXA noch für die Stadt Duisburg sprechen und habe dazu auch keine entsprechenden Informationen. Die AXA hat kurz nach der Loveparade eine Pressemeldung herausgegeben, in der sie von dem 1-Millionen-Fond berichtet und mitgeteilt hat, an wen sie leisten wird. Als Haftpflicht-Versicherung des Veranstalters muss sie Schäden bis zum Gesamtbetrag von 7 Millionen € übernehmen, wenn festgestellt werden sollte, dass der Veranstalter haftet. Aber auch dazu fragt man besser die AXA selbst.

Herr Riotte, Sie waren 15 Jahre lang Staatssekretär im NRW Innenministerium, in der Behörde, die der gesamten Polizei in NRW vorsteht. Es ist bekannt, dass der ehemalige Ministerpräsident Rüttgers, der ehemalige Kulturstaatssekretär Grosse-Brockhoff sowie der ehemalige Regierungspräsident Büssow die Loveparade finanziell ermöglichten, indem sie der Stadt Duisburg eine größere Summe in Form einer Stundung liehen, was weder die Bürger NRWs noch die Bürger Duisburgs erfahren sollten, da 1. bekannt ist, dass über Duisburg der Deckel der Haushaltssicherungssperre liegt und 2. weil eine Stundung ja bedeutet, dass dieser Betrag letztendlich von den Steuer zahlenden Bürgern der Stadt und des Landes NRW refinanziert werden muss. Ist das gängige Praxis? Ist das nicht ein verdammt illegales, korruptes Geschäft?

Wolfgang Riotte: Es liegt im Interesse der Menschen, denen ich helfen möchte, wenn ich mich in die Auseinandersetzungen um Verantwortlichkeit und Schuld nicht einmische.

Wie bewerten Sie das Involviert sein des Innenministeriums in alles, was die Kommune Duisburg plante und umsetzte? Es zeigt ja immerhin in aller Deutlichkeit, dass das Land NRW gar nicht bis zu wenig kontrolliert hat. Fehlen Kontrollen auf Länderebene? Ist es Standard in Deutschland, dass Städte tun und lassen können, was sie wollen und bestehende Gesetze und Verordnungen einfach nicht beachtet und umgangen werden können?

Wolfgang Riotte: s.o.

Bei n-tv.de sagen Sie, das Sie sich bestens mit den Abläufen in Behörden auskennen. Wie läuft es denn da so ab? Auf der Homepage der NRW Landesregierung heißt es, Sie seien ein erfahrener Verwaltungsexperte. Können Sie in Anbetracht dieser Tatsache wirklich ein, wie es heißt, neutraler Ansprechpartner sein? Sie arbeiten ja nach wie vor für das Land NRW, wenn auch ehrenamtlich, aber ist Ihnen die nötige Unabhängigkeit denn möglich?

Wolfgang Riotte: Ich arbeite nicht für das Land, sondern für die Verletzten der Loveparade. Das ist auch die Bitte der Landesregierung.

Ob der NRW Landesregierung Einzelheiten der Planung im Hinblick auf Finanzierung, Genehmigung, Zu- und Abwegekonzept, Polizeieinsatz und Geländeauswahl bekannt gewesen ist? Wörtlich sagen Sie in einem WDR-Interview: „Wenn ich noch im Dienst gewesen wäre als Staatssekretär im Innenministerium, wäre ich sehr stark involviert gewesen in alles, was damit zusammenhing.“ Können Sie das bitte näher erklären.

Wolfgang Riotte: Die Nachrichten über die Ereignisse auf der Loveparade wären auch über meinen Schreibtisch gelaufen, ich wäre an Beratungen über den Einsatz von Polizei und Hilfsorganisationen beteiligt gewesen.

Wie viel wusste Ihrer Meinung und Ihrer Erfahrung nach die Geschäftsleitung von Ruhr.2010? Man sieht sich dort ja nur als Schirmherr.

Wolfgang Riotte: Zur Ruhr.2010 gibt es keine Erfahrungen, Kulturhauptstadt wird man nur einmal. Die Geschäftsführung der Ruhr.2010 hat sich meines Wissens schon dazu geäußert, in welcher Weise sie in die Vorbereitung der Loveparade einbezogen war. Im Übrigen s.o.: Es liegt im Interesse der Menschen, denen ich helfen möchte, wenn ich mich in die Auseinandersetzungen um Verantwortlichkeit und Schuld nicht einmische.

Was raten Sie Menschen, die zornig auf die Stadt Duisburg, das Land NRW, die Polizei oder auf die zwei Duisburger Stauforscher/Physiker sind? Versuchen Sie deren Emotionen zu bremsen, oder motivieren Sie diese sich zu wehren bzw. Ihren Unmut kund zu tun und ihre Rechte geltend zu machen?

Wolfgang Riotte: Ich höre zu. Wenn mich das, was ich höre, betroffen macht, und das war nicht selten, sage ich das auch. Und ich versuche meine Aufgabe zu erklären. Wenn die Angaben genau genug sind, gehört es zu meiner Aufgabe, diesen Menschen zu sagen, wie man seine Erlebnisse in die laufenden strafrechtlichen Ermittlungen einbringen und wie man zivilrechtliche Ansprüche geltend machen kann oder wen man sonst von dem Erlebten informieren sollte.

Es sind viele Wertgegenstände verloren gegangen: Geldbörsen, Mobiltelefone, Uhren, Schmuck, loses Geld, Brillen… Ein paar Tage danach sah ich in der Dunkelheit einen Mann mit einer Riesentasche vom Partygelände kommen, ein Polizist jagte ihn fort. Ich fand das extrem mies, aber vielleicht ist es verständlich im Falle großer Armut.

Wolfgang Riotte: Einige Anrufer haben mich gefragt, wo man nach verlorenen Gegenständen suchen und ob und wie man Schadensersatz geltend machen kann. Zu dem Fall, den Sie erlebt haben: So extrem, dass man plündern müsste, kann Armut in Deutschland nicht sein.

Wie finden sie heraus, was die geeignete Hilfe ist?

Wolfgang Riotte: Durch Fragen an die Menschen, die mich ansprechen, durch Nachfrage bei Ministerien, medizinischen Fachkräften, der Notfallseelsorge und anderen. Wenn das Risiko, dass ich einen falschen Rat geben könnte, zu groß ist, vermittele ich Gespräch mit Fachleuten.

Welche Schicksale berühren Sie ganz besonders?

Wolfgang Riotte: Besonders schlimme psychische Verletzungen sind wohl bei Menschen entstanden, die sich unmittelbar bei den Todesopfern oder im nahen Umfeld aufgehalten haben, die versucht haben, Freundin oder Freund zu retten und das nicht mehr geschafft haben, die von der nachdrängenden Menge über am Boden liegende Ohnmächtige und Verletzte hinweggeschoben wurden, die selbst lange in der Gefahr waren zu ersticken.

Raten Sie den Opfern und Hinterbliebenen Strafanzeige zu stellen und zu klagen und wenn ja, gegen wen? „Gegen unbekannt“, „gegen die Stadt“, „gegen den Veranstalter“, „gegen die Polizei“ bringt ja nichts. Da muss man ja konkret Personen benennen.

Wolfgang Riotte: Wenn die Angaben genau genug sind, gehört es zu meiner Aufgabe, diesen Menschen zu sagen, wie man seine Erlebnisse in die laufenden strafrechtlichen Ermittlungen einbringen und wie man zivilrechtliche Ansprüche geltend machen kann oder wen man sonst von dem Erlebten informieren sollte. Zeugenaussagen kann man auch in Ermittlungsverfahren gegen Unbekannt machen, und Zivilklagen sind auch gegen Organisationen möglich, seien es Behörden oder Firmen. Bevor man klagt, sollte man sich aber anwaltlichen Rat holen.

Es befinden sich noch immer über zehn Menschen in stationärer Behandlung. Was fehlt ihnen? Stehen Sie bereits in Kontakt mit diesen Menschen?

Wolfgang Riotte: Das ärztliche Berufsgeheimnis gilt auch mir gegenüber. Einige dieser Menschen haben mich von sich aus angerufen, bei einigen davon habe ich darauf hingewirkt, dass sie sich in eine ärztliche Behandlung begeben, an die sich dann die Aufnahme in eine Klinik anschloss. Für Ansprüche an den NRW-Fond reichen aber die Bescheinigung der Klinik, dass und seit wann man stationär behandelt wird bzw. worden ist und die ärztliche Bescheinigung aus, dass die Behandlung im Zusammenhang mit der Loveparade steht.

Herr Riotte, wir bedanken und für dieses Interview.

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