Website-Icon xtranews – das Newsportal aus Duisburg

„Saufen, Drogen und Sex, so verkommen ist die Loveparade in Herrn Schallers Händen“ – Interview mit Dr. Motte

Dr. Motte (Matthias Roeingh), Sie haben das Produkt Loveparade im Jahr 2006 verkauft. Da standen Sie und Ihre Mitstreiter kurz vor der Insolvenz. Der Geschäftsführer des Großkonzerns McFit, Rainer Schaller, war der Käufer. Dieser Verkauf war Ihnen und Ihren Teilhabern finanziell von Nutzen, bewahrte Sie vor dem finanziellen Ruin. Dennoch macht es den Anschein, als bereuten Sie diesen Geschäftsabschluss. Stimmt der Eindruck?

Dr. Motte: Die Loveparade Berlin GmbH hat sich mehrheitlich für einen Verkauf der Marke „Loveparade“ entschieden. Ich wollte das nicht. Ich habe sofort gesehen: Herr Schaller will nicht die Loveparade zurückbringen, Herr Schaller will nur seine eigene Marke aufwerten. Ich wollte zwar die Loveparade wieder zurückbringen aber nicht als Werbeevent. Ich habe diese Entscheidung schnell bereut und 2006 öffentlich bekundet: Nicht mit Herrn Schaller!

Sie sagen, dass Sie Herrn Schaller zwar die Loveparade verkauft hätten, nicht aber den Spirit der Loveparade, der sich nach wie vor in Berlin befände. Haben Sie ihm Ihre, in all den Jahren, die die Loveparade in Berlin stattfand, gesammelten Erfahrungen nicht weitergeben wollen? Hatten Sie ihm „ihr Baby Jahrgang 1989“ vielleicht nicht gegönnt, tat es gar weh es abzugeben? U.U. dachten Sie ja, der Schaller hätte es nicht ausreichend lieb.

Dr. Motte: Herr Schaller ist ein Szene fremder, der nur den medialen Wert der Marke „Loveparade“ sah und damit seine Fitnesskette pushen wollte. Ich habe Herrn Schaller als berechnenden und eiskalten Geschäftsmann kennengelernt.

Waren Sie nicht der Meinung, dass die Loveparade nach Berlin gehört, dass sie nur da und nirgendwo sonst funktionieren könne? Gab es dort keine Kaufinteressenten oder wollte die Stadt Berlin diese nicht länger beheimaten?

Dr. Motte: Der Stadt Berlin war die Loveparade egal. Die öffentliche Meinung in Berlin war immer nur schlecht wegen des vorgeschobenen Mülls, dem Urin im Tiergarten usw. Die Umsatzzahlen hat niemand erkannt. Nur die Berlin Tourismus Marketing GmbH haben die internationale Werbewirksamkeit der Loveparade für Berlin erkannt. Die Loveparade hat 50 Millionen Mark Umsätze in der Stadt erzielt und der Stadt Berlin Steuereinnahmen sowie kostenlose weltweite Werbung ermöglicht. Ganz Deutschland bescherte die Loveparade einen weltweiten Imagewandel. Keiner sprach mehr über die bösen

Weltkriegsdeutschen, alle sprachen nur noch von der tollen Loveparade in Berlin, und sogar der ehemalige neoliberale Bundeskanzler a.D. Herr Schröder erwähnte sie in seiner ersten Regierungserklärung…

Was dachten Sie, als Sie hörten, die Loveparade geht ins Ruhrgebiet ?

Dr. Motte: Herr Schaller bekam 2007 keinen Vertrag mit Berlin. Er konnte nur deshalb die Loveparade in Berlin durchführen, weil er alte Verträge von uns ausnutzte, die die Loveparade Berlin GmbH mit der Stadt Berlin noch hatte.

Hatten Sie Herrn Schaller und seiner Eventfirma Lopavent überhaupt die Durchführung eines solchen Megaevents zugetraut? Haben sie ihn ihm nur einen Unternehmer gesehen, nur daran interessiert Ihre Marke auszuschlachten?

Dr. Motte: Ich habe Herrn Schaller nichts zugetraut. Er hatte noch nie eine solche

Veranstaltung durchgeführt, und wie ich schon sagte, Herr Schaller ist ein Machtmensch. Ich war sehr überrascht, dass er vor der Pressekonferenz in Berlin 2006 zu einem

Medientraining ging. Allein. Das war mir schon verdächtig. Ich frage mich immer noch, wer ist das da im Hintergrund und trainiert den Schaller für die Medien?

Stimmt es, dass Herr Schaller und Sie einen „Privatkrieg“ führen und wenn ja, weshalb eigentlich ? Haben Sie ihm etwa den Kauf der Loveparade übel genommen?

Dr. Motte: Ich führe keinen Krieg. Mit niemanden. Das ist doch lächerlich. Ich werde aber nie die vielen Toten, Verletzten und Traumatisierten von der Duisburger Loveparade vergessen, die Herr Schaller mit zu verantworten hat! Wenn man das als Krieg bezeichnet, bitte schön.

Herr Schaller behauptet, die gefälschten Besucherzahlen bereits von Ihnen übernommen zu haben. Sie hätten demnach auch schon die Zahlen verdreifacht, so wie in Dortmund, Essen und Duisburg geschehen. Stimmt das?

Dr. Motte: Bezüglich Besucherzahlen haben wir uns immer mit der Berliner Polizei abgestimmt. Wer so denkt ist ein Lügner…

Angeblich wurden für Duisburg 485.000 Gäste veranschlagt (eingerechnet für das Veranstaltungsgelände), bestehend aus Tunnelzugangswege ab Einlasschleusen, Tunneln, Rampenvorbereich, Rampe und Rampenkopf. Glauben Sie, dass diese Zahlen stimmen, oder könnte es gar möglich sein, dass sich doch mehr als 485.000 in der Stadt aufgehalten hatten, zumal ein Jahr zuvor die Loveparade in Bochum ausgefallen war? Sie haben ja sicherlich Luftaufnahmen gesehen.

Dr. Motte: In dem Interview mit dem WDR eine Viertelstunde vor der Katastrophe sagte Herr Schaller: „…dass wieder so viele Menschen kommen, damit konnte wieder niemand rechnen“. Das ist eindeutig falsch, weil Herr Schaller als verantwortlicher Veranstalter sehr wohl mit dem Schlimmsten rechnen muss und das bedeutet mehr als eine Millionen Menschen. Und dafür ist der Tunnel und das Gelände zu klein. Deswegen die Katastrophe, weil er sich nicht gekümmert hat. Ihm war Marketing immer wichtiger. Er hat 21 Tote, über 500 Verletzte und viele Tausend Traumatisierte zu verantworten.

Wie sehen Sie in diesem Zusammenhang die Rolle von RUHR.2010? „Mit dem Schlimmsten rechnen“ mussten doch auch die, die bis zuletzt und immer dabei mitgemacht haben zu pushen, ohne sich zu kümmern.

Dr. Motte: Herr Pleitgen hat ja schon moralische Verantwortung übernommen. Ob das reicht, wird sich zeigen. Wir werden mit der Lovestiftung da überall ganz genau hinschauen und eigene Ermittlungen starten und alle möglichen Daten zur Katastrophe sammeln und eine Datenbank anlegen. Jede Information ist dabei wichtig. Also immer her damit! Kontakt unter www.lovestiftung.de

Es geht das Gerücht um, Sie wollten die Loveparade (mit) zurück nach Berlin holen, um sie zu retten und nicht, vor allem SO nicht, sterben zu lassen. Was ist da dran?

Dr. Motte: Es ist ein Gerücht. Ich engagiere mich für die Opfer der Loveparade mit Hilfe der neu gegründeten Lovestiftung. An eine Parade in Berlin ist jetzt nicht zu denken. Es geht doch hier um die vielen Tausenden einzelnen Tragödien. Da muss doch geholfen werden.

Vor dem Zaun an der Rampe haben Sie sich hingelegt. Dabei wurden sie von der BILD fotografiert. War das wirklich ein „Zusammenbruch“, wie die BILD schrieb, oder doch eher eine buddhistische Niederwerfung?

Dr. Motte: Ich kam eine Woche nach der Katastrophe Sonntags nach Duisburg, um mir die Unglücksstelle anzuschauen. Ich war schockiert und konnte das mitfühlen, in dem Tunnel stundenlang eingesperrt zu sein. Ich habe mit der Niederwerfung mein Mitgefühl für alle Menschen, die dort eine Woche vorher zu Tode gekommen, verletzt und traumatisiert worden sind, ausdrücken wollen.

Fühlen Sie sich mitschuldig oder mitverantwortlich an der Katastrophe und wenn ja inwiefern?

Dr. Motte: Ich hätte den Verkauf der Loveparade mit einem Veto verhindern können… Dann hätte es die Katastrophe nicht gegeben. Deshalb auch mein Engagement bei der Lovestiftung

Wie definieren Sie das, was geschehen ist? Als Katastrophe, als Unglück, als ein dilletantisches Desaster, oder, wie der Veranstalter Marek Lieberberg (u.a. Rock am Ring seit über 20 Jahren) als ein Verbrechen, oder gar Mord?

Dr.. Motte: In Berlin spricht man von Mord. Ich sehe hier menschliches Versagen auf Seiten des Veranstalters und auf Seiten der Stadt Duisburg, die es nicht geschafft haben, Sicherheit auf den Zufahrtswegen und dem Gelände zu sichern. Es gab bis zum Tag der Loveparade kein abgestimmtes Sicherheitskonzept. Hätte es für den alten Güterbahnhof auch nicht geben dürfen, denn alle Beteiligten wussten, dass es zu einer Katastrophe kommen wird! Zu kleine Fläche, zu viele Menschen! Der Stauforscher Dr. Hubert Klüpfel hatte ja bereits gesagt, durch den Tunnel passen nur 25.000 Menschen pro Stunde. Hat da keiner zugehört? Jetzt will dort „Möbel Krieger“ aus Berlin bauen… das finde ich mehr als respektlos. Der alte Güterbahnhof verkommt zur Immobilienspekulation.

Wer genau kann das Ihrer Ansicht nach gewusst haben? Adolf Sauerland, der Sicherheitsdezernent Wolfgang Rabe, die Konzeptersteller und -überprüfer Dr. Hubert Klüpfel und Prof. Dr. Michael Schreckenberg, der Brandschutzexperte Dr. Rainer Jaspers von der Firma Ökotec, und so weiter und so fort? Und wieso meinen Sie, wussten alle Beteiligten, dass es zu einer Katastrophe kommen wird? Und wenn nein, wieso glauben Sie, wussten sie es nicht? Wo ist die Grenze zum „Unbeteiligt- sein“?

Dr. Motte: Wer ist für das Sicherheitskonzept verantwortlich? Der Veranstalter Herr Schaller, die Stadtverwaltung von Duisburg, die Polizei, die Feuerwehr und die Rettungsdienste. Die hätten alle eingeweiht werden müssen! Was da genau passiert ist, wird hoffentlich die Staatsanwaltschaft herausfinden. Ich hatte Frau Merkel auch schon eine Email geschrieben, in der ich den Verdacht der Befangenheit aller Beteiligten, die den Fall untersuchen, geäußert habe.

Sie sind einer der Mitgründer einer neuen Stiftung, der Lovestiftung, die sich um die Interessen der Opfer kümmern will, um diese gebündelt vor den Verantwortlichen besser geltend machen zu können. Glauben Sie, dass die Tätigkeit des Ombudsmannes, oder aber die ihm zur Verfügung stehenden Gelder nicht ausreichen?

Dr. Motte: Wir müssen fragen, was ist ein Menschenleben, ein Verletzter oder traumatisierter Mensch wert? Da muss jeder Einzelfall genau betrachtet werden. Wie steht es um die Familienangehörigen? Was wird benötigt, neben Geld und psychologischer Betreuung… Die Lovestiftung bietet allen Opfern der Loveparade unbürokratische Hilfe an. Wir werden es auch nicht hinnehmen, dass die Öffentlichkeit nicht mehr über die Opfer oder die Verantwortlichen erfährt. Im Interesse aller Opfer empfinde ich es als eine Beleidigung, dass Herr Sauerland noch im Amt ist, denn er trägt mindestens eine politische Verantwortung.

Auch der in Münster lebende Duisburger Dezernent für Jugend, Bildung und Kultur, gleichzeitig Geschäftsführer der Duisburg Marketing GmbH, Karl Janssen, sah keine Parallele zwischen Kultur und der Loveparade. 2009 sagte er öffentlich, dass doch nur das zähle: Saufen, Sex und Drogen. Am Tag der Veranstaltung, so Janssen, sei er ins Lagezentrum (also ins Hoist-Hochhaus) gekommen und hätte weder gewusst, dass offenbar weniger als 1,4 Millionen Gäste kommen, noch wie diese eigentlich auf das Gelände gelangen ! (Hätte er sich im Vorfeld erkundigt, hätte man es ihm aber wohl gesagt, so Janssen.) Kann man hier von Verantwortungslosigkeit sprechen? Ist so was in Berlin denkbar?

Dr. Motte: Die Stadt Duisburg wollte mit dem einmaligen Event der „Loveparade“ die Stadt für Jugendliche attraktiv machen. Haben die wirklich im Ernst geglaubt, dass mit einem einzigen Event alles besser wird? Dazu gehört nun wirklich mehr als eine Kampagne! Herr Janssen hat ja Recht, wenn er sagt, es geht nur um saufen Drogen und Sex, so verkommen ist die „Loveparade“ in Herrn Schallers Händen. So wie es sich für mich darstellt, wollte Herr Schaller aus der Loveparade ein Festival machen. Dadurch erklärt sich die Abzäunung und die Eingangssituation zu dem viel zu kleinen Gelände. In Berlin gibt es seit 1996 Erfahrungen mit Großveranstaltungen im Bezirk Tiergarten. Schauen Sie sich die Organisation aller Fan-Meilen an – da steht Sicherheit an erster Stelle. Das ist vorbildlich und kompetent.

Auch viele Duisburger waren gegen die Loveparade, vor allem die Anwohner, aber auch viele Stadtbewohner, die schließlich ebenfalls eingezäunt wurden und zum Teil nicht mehr in ihre Häuser oder an ihre Autos herankamen. Wie wirkt diese großflächige Einzäunung auf Sie?

Dr. Motte: Die ganze Art und Weise wie die „Loveparade“ vorbereitet, durchgeführt und nachbereitet wurde ist schon sehr zynisch gegenüber all derer, die bei der Katastrophe zu Schaden gekommenen sind. Sich nicht mit den Anwohnern zu verständigen, die Besucher durch einen Tunnel auf das Gelände zu schleusen spricht von Ignoranz, Desinteresse und Unerfahrenheit. Und von einem falschen Menschenbild der Verantwortlichen.

Passt die Loveparade Ihrer Meinung nach überhaupt ins Ruhrgebiet? An Bochum sieht man ja deutlich, nein, das passte nicht. Auch in Dortmund gab es bei plötzlich einsetzen- dem Regen immense Probleme, als nämlich auf einmal sehr viele Menschen zum Bahnhof strömten, um sich dort unterzustellen. In Essen gab es sogar beinahe zwei Massenpaniken, einmal im Stadtgebiet im Bereich der sehr eng bebauten Einkaufszone, ein anderes Mal im viel zu engen Bahnhofsbereich, als sehr viele auf einmal weg wollten. Wie denken Sie über die Äußerungen der Herren Pleitgen, Scheytt und Gorny von Ruhr.2010, die das Ruhrgebiet eine Metropole nennen und angeblich überzeugt davon waren, dies könne hier ganz locker gestemmt werden? Und wie beurteilen Sie, dass Herr Pleitgen darauf bestand, dass die Loveparade unbedingt in Duisburg stattfinden müsse?

Dr. Motte: Ich habe gehört, die „Loveparade“ war in Dortmund schon schlecht organisiert. Wenn der Polizeipräsident in Bochum, der ja danach auch sein Amt verloren hat, nicht ein Veto gegen die „Loveparade“ in Bochum eingelegt hätte, hätte es auch eine schlimme Katastrophe in Bochum gegeben. Wenn man schon die „Loveparade“ im Ruhrgebiet veranstalten will, dann immer wieder am gleichen und dem am besten geeigneten Ort. Herr Pleitgen, Herr Rechtsanwalt Härting, die Bildzeitung, Herr Schaller, der neue Besitzer des Güterbahnhofs stehen alle unter Verdacht Druck ausgeübt zu haben. Was bleibt dabei auf der Strecke? Die Sorgfaltspflicht und die Übernahme der Verantwortung. Viele von denen gehören doch zu dem „Lügenpack“ in Deutschland…

Dr. Motte (Matthias Roeingh), wir bedanken uns für dieses Interview.

Die mobile Version verlassen