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Alice Schwarzers „große Verschleierung“: eine notwendige Debatte

 

Alice Schwarzer hat vor gut einer Woche ein Buch veröffentlicht: „Die große Verschleierung. Für Integration, gegen Islamismus“ (Verlag Kiepenheuer & Witsch, Köln 2010, 9,95 Euro, ISBN 978-3-462-04263-4). Es ist ein Reader, also eine Aufsatzsammlung, eine Art „Best of Emma“ zu den Themen Islam und Islamismus. Ein Dutzend Artikel aus der Feder Schwarzers werden ergänzt durch Analysen einiger Expertinnen und Aussagen Betroffener.

Fast alle Beiträge sind in den Jahren und Jahrzehnten in der „Emma“ erschienen. Alice Schwarzer ist die Herausgeberin, Co-Autorinnen sind Djemila Benhabib, Elisabeth Badinter und Necla Kelek. Auf den 318 Seiten finden sich Beiträge u.a. von: Elisabeth Badinter, Djemila Benhabib, Rita Breuer, Cornelia Filter, Carola Hoffmeister, Necla Kelek, Chantal Louis, Khalida Messaouidi-Toumi, Katha Pollitt, Annette Ramelsberger, Gabriele Venzky, Martina Zimmermann.

Alle Texte illustrieren Schwarzers Hauptthese, dass jahrelang ein „falscher Dialog“ geführt und im Namen einer „falschen Toleranz“ eine zunehmende „Islamisierung Deutschlands“ nicht verhindert worden sei. Das Ergebnis sei, so die Botschaft des Buches, eine „systematische Unterwanderung unseres Bildungswesens und Rechtssystems“. Weil im Islam der Mann über der Frau und Gott über dem Staat stehe, sei die Verwirklichung von Menschenrechten und Demokratie „nach unseren Vorstellungen“ kaum mit dem zu vereinbaren, was in den Moscheen gepredigt wird. 

Dagegen „fordert Alice Schwarzer vehement die Verteidigung der Gleichberechtigung als Schlüssel zu einer erfolgreichen Integration“, wie Bettina Weber für den „Schweizer Tagesanzeiger“ schreibt. „Wehe, wenn das Kopftuch Feuer fängt“ ist allerdings die einzige von mir gelesene Rezension, die das Buch durchweg positiv bewertet.
Wilhelm Klümper, stellvertretender Chefredakteur der WAZ und nun wahrlich nicht als Multikulti-Illusionär bekannt, kommentiert „Alice Schwarzers Unbehagen über den Islam“ noch relativ wohlwollend. Vielleicht, weil er selbst in vielen Punkten mit Schwarzer d´accord geht, vielleicht weil er der einzige männliche Rezensent in einer ansonsten illustren Runde von Journalistinnen ist. Doch ein wenig Distanz ist auch bei Klümper unverkennbar, wenn er schreibt:

Das Kopftuch, für Schwarzer die „Flagge der Islamisten“, müsse an deutschen Schulen nicht nur für die Lehrerinnen, sondern auch für die Schülerinnen verboten werden. „Nur dieser konsequente Akt gäbe den kleinen Mädchen aus orthodoxen bis fundamentalistischen Familien endlich die Chance, sich wenigstens innerhalb der Schule frei und gleich bewegen zu können.“ Selbstredend, dass das „Stoffgefängnis Burka“ wie in Frankreich auch in Deutschland verboten gehört.

Birgit Tombor schreibt für den „Standard“ aus Wien und geht mit deutlich weniger Vorsicht ans Werk, wenn sie das Schwarz-Weiß-Denken des „Entweder – oder“, das das Buch durchzieht, kritisiert:

„Für Schwarzer stellt sich die Problematik klar dar – und auch die Entscheidung, wofür und wogegen es sich gehört, einzustehen: Entweder man ist für das Recht auf Religionsfreiheit oder das auf Gleichstellung. Beides sei nicht möglich. Damit packt sie die feministische Leserschaft am Kragen: Bist du gegen das Kopftuchverbot, bist du gegen die Gleichstellung der Geschlechter.“

Und, wie auch den anderen Rezensentinnen, fällt Tombor auf, dass konkrete politische Vorschläge entweder schamhaft verschwiegen oder tatsächlich nicht vorhanden sind. Jedenfalls kontrastiert die Schärfe der vermeintlichen Analyse mit der – abgesehen vom Kopftuchverbot – Unschärfe der Forderungen:

„Wehret endlich den Anfängen“, appelliert auch Schwarzer. Was impliziert diese Aufforderung? Sollen wir wie die marodierenden Islamisten in Afghanistan den Gesichtern Gesicht geben und die Schleier herunter reißen? Nulltoleranz signalisieren? Renitente Individuen ausweisen, Familienverbände zerschlagen? Zwang gegen Zwang? Verbote gegen Verbote? Der Tenor des Buches ist deutlich: Ja, es muss beginnen, mit einem umfassenden Kopftuchverbot an Schulen. Nicht nur für Lehrerinnen, auch für Schülerinnen. So könne man gleichsam ein neutrales Terrain inszenieren, in dem es nichts Trennendes gibt.

Annemarie Rösch findet in der „Badischen Zeitung“, Schwarzers Reader sei „holzschnittartiger als gewollt“ – so der Titel ihres Kommentars – ausgefallen. Sie plädiert dafür, zwischen dem Islam und dem Islamismus, gemeint ist offenbar der Dschihadismus, stärker zu differenzieren:

Allzu oft gewinnt man den Eindruck, dass die islamische Religion mit dem Islamismus gleichgesetzt wird. Dabei gibt es viele Muslime, die ihre Religion friedlich interpretieren. Es gibt sogar solche, die aus dem Koran herauslesen, dass Frauen sich nicht verschleiern müssen. Doch selbst wenn Muslime in diesem Punkt zum gegenteiligen Ergebnis kommen, nicht jedes Kopftuch ist gleich ein Zeichen von Unterdrückung und Symbol des politischen Islam – wie Schwarzer behauptet.

Im Deutschlandradio fällt Sabine Pamperriens Kritik an Schwarzers Buch deutlich schärfer aus. In ihrem Beitrag „Islam und Feminismus“, der auch als Audio-Version im Netz steht, nimmt sie Anstoß an der Konformität sämtlicher Meinungsäußerungen im Reader sowie an der dürftigen Beweisführung der ständig wiederholten Thesen:

Doch für eine systematische Unterwanderung von Rechts- und Bildungssystem werden genauso wenig stichhaltige Beweise benannt wie für die These, alle Kopftuchträgerinnen zeigten durch ihre Haarbedeckung eine radikale politische Gesinnung. Fast alle Beiträge gleichen sich auffällig darin, Schwarzers Befunde zu wiederholen und als gesicherte Erkenntnis zu behandeln …
Wenige Einzelfälle offensichtlichen Rechtsmissbrauchs sollen reichen, Grundrechte von Muslimen zu beschränken. Ihnen sollen Klage- und Widerspruchsrechte beschnitten werden. Dass damit das Rechtsstaatsprinzip außer Kraft gesetzt würde, bleibt unerwähnt. Mehr noch: Es wird sogar insinuiert, das deutsche Rechtssystem sei partiell bereits zum Islam konvertiert. Als Beweis werden Rechtsgutachten genannt, die einzelne Regelungen der Scharia für vereinbar mit deutschem Recht halten. Der Kontext der juristischen Argumentation wird nicht referiert oder, im Falle der Polygamie, falsch dargestellt. Deutsche Gerichte haben die Polygamie nicht anerkannt!

Alice Schwarzer habe in ihrem bereits 2003 erschienen Band „Die Gotteskrieger“ eine intellektuell weitaus ansprechendere Arbeit zum Thema vorgelegt. Das jetzt erschienene Buch enthalte „lediglich noch auf Krawall getrimmte Kurzfassungen der Analyse von 2003“. Trotz der Schärfe von Pamperriens Kritik: so ganz daneben scheint Schwarzer ihr zufolge dennoch nicht zu liegen. Ein ähnlicher Widerspruch fällt auch bei der Buchbesprechung von Heide Ostreich für die „taz“ ins Auge. Die Überschrift „Der große Verschleierungspopanz“ gibt schon den Sound ihrer Kritik ganz gut vor, die sich dann aber doch im Grunde auf den ebenso scharfen Sound der Analyse von Schwarzer & Co. sowie den Mangel an politischen Alternativvorschlägen beschränkt. Ostreich beginnt damit, Schwarzer in die Sarrazin-Ecke zu stellen:

Alice Schwarzer und Thilo Sarrazin sind nicht ganz zu Unrecht in letzter Zeit öfter mal in einem Atemzug genannt worden. Zwar liegt ein himmelweiter Unterschied zwischen dem Genrassismus Sarrazins und der grundsätzlich zur Rettung der Frauen antretenden Schwarzer, dennoch verwundert es nicht, dass Schwarzer Sarrazins „Debattenanstoß“ grundsätzlich positiv vermerkte. Die Realität zugunsten der eigenen Position ein bisschen ausblenden oder zurechtbiegen, das ist beiden eigen. Und auch den Gestus des vermeintlichen Tabubrechens in Sachen Islam haben sie gemein.

Heide Ostreich fährt dann aber mit der besagten Eingrenzung ihrer Kritik fort:

Die darin beschriebenen Schwierigkeiten mit fundamentalistischem Islam, Islamismus und Integration liegen schon seit Jahren auf dem Tisch. Nun geht es darum, praktische Lösungen und Umgangsweisen zu finden. Zu diesen aber hat Schwarzer in ihrem Buch so gut wie nichts beizutragen. Stattdessen: allgemeiner Alarm. So verkündet sie, dass etwa die eher fundamentalistischen muslimischen Organisationen in Deutschland nur maximal 20 Prozent aller Muslime vertreten. Das aber ist sogar dem Innenministerium schon vor geraumer Zeit aufgefallen, weshalb es zu seinen Islamkonferenzen auch Nichtorganisierte einlädt. Das aber kommt bei Schwarzers historischem „Best of“ nicht vor.

100 Marxloher Bräute beim "Still-Leben"

Nun ja, aber das allein kann kein Grund sein, jemanden aus einer ernst zu nehmenden Debatte auszugrenzen. Und Ostreich ist gewiss auch der Auffassung, dass jemand wie Sarrazin da nichts zu suchen hat („Genrassismus“). Wenn sie jedoch Schwarzer einen „himmelweiten Unterschied“ dazu konzediert und ihren Vorwurf darauf beschränkt, zur Lösung real existierender Probleme „so gut wie nichts beizutragen“, dann wirkt die Schärfe ihrer Kritik etwas irritierend.

Marie Kretzschmar geht im sozialdemokratischen „Vorwärts“ versöhnlicher, ich würde fast sagen: umgekehrt vor. Auch sie stört sich an Schwarzers islamkritischem Rigorismus, hält aber die im Buch aufgeworfenen Fragen für hilfreich, wenn es um das Gespräch mit Muslimen, insbesondere demokratisch eingestellten Muslimas geht:

Schwarzer polemisiert: mit dramatischer Rhetorik, eurozentrischer Perspektive und teils einseitiger Argumentation. Doch gerade deshalb ist dieses Buch sehr lesenswert, denn die Analysen und Berichte sind durchaus informativ, schärfen den Blick und provozieren die persönliche und öffentliche Auseinandersetzung mit dem „steigenden Unbehagen“ in Sachen islamistischer Fundamentalismus. Den offenen Dialog im Namen einer realitätsfernen Multi-Kulti-Romantik zu unterdrücken, schadet letztlich auch den vielen demokratisch gesinnten Muslimen selbst – nicht nur, aber gerade den Frauen unter ihnen.

Alice Schwarzers Buch ist nun schon gut eine Woche „draußen“. Dass drumherum – jedenfalls bislang noch – kein Hype entstanden ist wie um das Sarrazin-Machwerk, werte ich als einen Hinweis darauf, dass man (oder auch frau) es nicht schlicht als „rechtspopulistisch“ abtun kann. Das tun die Rezensentinnen ja auch nicht; doch sie tun sich schwer. Teilweise zu Recht, teilweise aber auch, weil sie selbst entweder Probleme mit dem Abschied von Multikulti oder aber Angst vor einer zu großen Nähe zur rechten Ecke haben.

Das ist keine Abgrenzungsneurose; es ist eine begründete Vorsicht in diesen Zeiten, in denen das gesunde deutsche Volksempfinden hinter der Maske der „christlich-jüdischen Kultur“ (Unwort des Jahres?) in ungesundem Ausmaß bereit ist, Hemmungen abzulegen. Dass Frau Schwarzer diese eigenartige Integrationsdebatte nutzt, um ihre Thesen marktgerecht unter die Leute zu bringen, ist allerdings auch verständlich.
Mehr als das: wer zu dem Unrecht, was sich vor unser aller Augen abspielt, schweigt oder gar noch gute Miene zum bösen Spiel macht, könnte den Titel „Frauenrechtlerin“ oder „Feministin“ wieder abgeben. Mehr als 600 „arrangierte Ehen“ Jahr für Jahr in Duisburg sind 600 Zwangsehen, nichts Anderes als das. xtranews kann hingehen und die 100 Marxloher Bräute knipsen, weil Ruhr2010 und der Fritz Pleitgen so toll sind. Alice Schwarzer kann es nicht. Sie ist Feministin.

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