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RTL-2-Format „Tatort Internet“ – moderner Pranger oder zeitgemäße Prävention?

Das RTL II-Format “ Tatort Internet“ sorgt derzeit für kritische Diskussionen.
RTL 2 dazu auf seiner Internetseite:

Mit der neuen Sendereihe „Tatort Internet – Schützt endlich unsere Kinder“ startet ab dem 7. Oktober ein investigatives und gesellschaftlich relevantes Format, das aufrüttelt, schockiert und alle betrifft. RTL II widmet zehn Folgen – Prime Time – in einem noch nie da gewesenem Rahmen dem Schutz von Kindern und Jugendlichen.“

Wieder einmal  nimmt sich der private Sender eines Formates an, welches bereits vor Beginn der Ausstrahlung kontrovers in der  Öffentlichkleit behandelt wurde. Die BILD jubelt zwar und macht sich, wie so oft bei RTL-Reality-Sendungen, zum Berichterstatter des Senders, andere Medien zeigen sich äusserst kritisch bis ablehnend dieser Form von Aufklärung gegenüber.  Vorbild ist das US-Format “To Catch a Predator”. Zu Recht gab es bereits bei dieser Sendung den Vorwurf, dass hier Gegebenheiten geschaffen werden, statt über diese zu berichten. Journalisten geben sich als Minderjährige aus und erfüllen den Pädophilen den Wunsch nach einem Treffen. Entsetzlicher Höhepunkt des US-Vorbilds war dann der Selbstmord eines “Treff-Interessierten(Predator)” im Jahre 2006.

Worum gehts? RTL2 will die Gefahren für die Kinder und Jugendlichen im Internet aufdecken. Bekannterweise tummeln sich dort vermehrt Pädophile in diversen Chats, die vornehmlich von Kindern und Jugendlichen besucht werden, um mit diesen Kontakt aufzunehmen. Immer wieder entstanden aus diesen Chats heraus reale Treffen zwischen Täter und kindlichem Opfer. Schon sehr früh haben Pädophile das Internet als vermeintlich anonymen Raum ausgemacht um mit Kindern in Kontakt zu treten. Obgleich es mittlerweile auch dem letzten Täter bekannt sein dürfte, das dem nicht mehr so ist, sind dennoch dort immer wieder Pädophile anzutreffen.

Das will RTL 2 mit Unterstützung der Ehefrau des Ministers Karl-Theodor zu Guttemberg anprangern und so die betroffenen Kinder, Jugendlichen und Eltern für dieses bekannte Phänomen sensibilisieren.

So weit-so gut! Aber der TV-Sender macht es auf seine altbekannte reisserische Weise. In verpixelter Form werden die angelockten Täter in vermeintlich echten Situationen dargestellt. Mit verfremdeter Stimme, oftmals ist die nähere Umgebung nicht zu erkennen, sitzen die so Enttarnten plötzlich einer Journalistin gegenüber, die unangenehme Fragen stellt. Aber genau hier beginnt ein rechtliches Problem zu greifen. Anhand verschiedenster Aussagen dieser Männer, ihrer Körperform, ihrer Gestik und anderer visueller Eindrücke, sind sie für ihr eigenes, privates Umfeld erkennbar. Mittlerweile wird berichtet, das zwei potentieller Täter mittels Google-Suche bereits im Internet enttarnt ist. Die eingeblendeten Chatprotokolle sollen die Absichten des Täters im Vorfeld belegen.

Die Chateinträge der Kinder/Jugendlichen werden durch RTL2-Leute geschrieben. So zum Beispiel der „Fall“ eines pädophilen Lehrers, der sich mit einem 13-jährigen(!) zum Fisten treffen wollte und eine Zusage seitens des Jugendlichen erhielt. Nun fragt man sich in der Tat, welcher 13-jährige Junge Spaß an dieser sehr speziellen Sexpraktik hat und sich dann dafür auch noch verabredet.

In unserem Rechtssystem gilt die Unschuldsvermutung. Auch und gerade bei so schwerwiegenden Verbrechen wie Kindesmissbrauch. Damit soll nichts relativiert werden. Aber die Aufklärungsarbeit solcher Taten kann nicht einem Sender wie RTL2 obliegen, der Sendungen wie Big Brother, Frauentausch und ähnliches Überflüssige auf den deutschen Fernsehmarkt gebracht hat. Die hehren Absichten, die der Privatsender mit dieser „Enthüllungssendung“ vermittelt, werden durch das eigentliche Format zunichte gemacht. Die gesamte Sendung ist auf typischem Niveau dieses Senders.

Besorgt-ernst dreinblickende Moderatoren, wie der ehemalige Hamburger Innensenator Udo Nagel schildern zwischen den Filmbeiträgen die Maschen der pädophilen Internettäter und suggerieren somit eine gewisse Seriösität dieser Sendung. In den dann eingespielten Filmfällen übernehmen jugendlich aussehende SchauspielerInnen die Rolle des vermeintlichen Opfers, bevor dann das gesamte Kamerateam und die Journalistin Beate Krafft-Schöning aus ihren Deckungen hervorkommen und den Mann konfrontieren.

Immer unterstellt, das nichts gefaket ist, beginnt nun das eigentliche rechtliche Problem. Denn nun müsste die Justiz tätig werden und nicht eine Interviewerin von RTL 2. In den nun folgenden Sequenzen lässt sich der Täter für andere, die ihm nahe stehen, oder ihn beruflich oder aus der Nachbarschaft kennen, durchaus identifizieren. Nicht nur der pädophil veranlagte Mann, auch sein direktes Umfeld stehen somit am öffentlichen Pranger.

Das große weltweite Problem des Kindesmissbrauchs  muss mit allen rechtlich legitimen Mitteln bekämpft werden. Hier ist auch die Politik weiterhin gefordert. Auch Aufklärungsarbeit in Fernsehsendungen ist richtig und nötig. Ebenso, besonders wichtig, der Einfluss der Eltern und der Schulen auf die Kinder. Denn den Kindern muss bewusst gemacht werden, das es durchaus diese Gefahren im Internet gibt. Eltern sollten vermehrt mit ihren Kindern offen über deren Surfverhalten im Internet sprechen. Ob allerdings ein solches Reality-Format, wie „Tatort Internet“ zur Prävention taugt, mag bezweifelt werden. Und nicht vergessen werden darf, das die weitaus höhere Dunkelziffer an Übergriffen von Erwachsenen an Kindern innerhalb von Familien stattfindet. Ohne Internet und ohne Lockvögel. Jeden Tag an vielen Orten und oftmals nie bekannt werdend.

Stefan Niggemeier, der renommierte  Medienjournalist, schrieb u.a. in einem Gastbeitrag für Heise-Online zu dieser Sendung:

„Die Vorbereitungen von Krafft-Schöning und dem Fernsehteam von RTL 2 sind wie ein klassischer Krimi inszeniert: Wir sehen das Kamerateam und die selbsternannten Ermittler im Haus, in das der potentielle Kinderschänder gelockt werden soll. Es ist unsicher, ob er wirklich erscheinen wird. Hat er etwas bemerkt? Wird er überhaupt erscheinen? Und wenn ja, wie groß ist das Risiko für die junge Schauspielerin, die das Kind darstellt, mit dem er sich zu treffen glaubt?“moderner Pranger

„…….Sicherheitshalber, damit die Spannung in keiner Sekunde nachlässt, ist alles absurd schnell geschnitten und ununterbrochen mit dramatischster Filmmusik unterlegt. Doch die Elemente der Ermittlung und Fahndung sind nicht das zentrale, das einzigartige Element von „Tatort Internet“, der neuen zehnteiligen Doku-Reihe von RTL 2. Es ist das, was die klassische Stelle des Verhörs einnimmt. Als überführt gilt der Täter ohnehin — die Chats sind alle dokumentiert, Fotos von sich selbst hat er meist irgendwann gemailt, und davon, dass er seine sexuellen Absichten auch in die Tat umsetzen würde, gehen alle mal aus. ……“

„Diese Szenen, in denen Krafft-Schöning triumphiert vor den Männern sitzt, die möglicherweise gerade noch kurz davor waren, sich an einem 13-jährigen Mädchen zu vergehen, und nun wimmern und stammeln, diese Szenen machen einen großen und den entscheidenden Teil von „Tatort Internet“ aus. Sie dienen nicht der Aufklärung, sie bieten keinerlei Einblick in das, was in so einem Menschen vorgeht. …..“Tatort Internet“ vermied jede Möglichkeit, die Zuschauer jenseits der Panikmache klüger zu machen. „Pädophile Täter lauern überall“, lautete einer der Merksätze der Sendung…..Aufgrund der kurzfristigen Programmänderung musste übrigens die Wiederholung der RTL-2-Reportage „Grenzenlos geil – Deutschlands Sexsüchtige packen aus“ gestern leider entfallen.“

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