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The Krach: Artists Against Hi-Fi

Der österreichische Physiker Heinz von Foerster, vielen gewiss als Schöpfer solcher Begriffe wie Kybernetik zweiter Ordnung, „Neugierologie“, „KybernEthik“ bekannt, war auch, was leider nur wenige wissen, auch Jazzmusiker und, was immerhin das FAZ-Magazin wusste, Wahrnehmungstheoretiker. Und deshalb konfrontierte es ihn bereits am 20.12.1988 mit der Frage aller Fragen, nämlich dieser: „Können Sie als Wahrnehmungstheoretiker ein Unterscheidungskriterium dafür nennen, was Musik und was Krach ist?“

Tja, wie unterscheidet man zwischen Musik und Krach? Wird doch Musik als störend oft empfunden, weil sie mit Geräusch verbunden. So soll es Wilhelm Busch gesagt haben. So oder so ähnlich. Mein Opa sagte immer: „Mach jetzt sofort den Krach aus!“ Damit bat er mich freundlich, die schöne Musik von den Beatles, den Rolling Stones und all den anderen Langhaarigen auszuschalten. Musik, Krach? Au weia, verdammt schwere Frage.

Aber Heinz von Foerster – ich kann Ihnen sagen; der war schwer auf Zack. Und hier ist seine Antwort: „: Man kann es nicht wahrnehmungstheoretisch unterscheiden, sondern nur metaphysisch. Man muss einen Entschluss fassen, anfangen zu integrieren, zu hören, zu fragen: Verstehe ich das?“ – Verstehen Sie das? Entschluss fassen, anfangen zu integrieren, zu hören, zu fragen: Verstehe ich das? – Verstehen Sie das? Entschluss fassen, anfangen zu integrieren, zu hören, zu fragen: Verstehe ich das? – Verstehen Sie das? Entschluss …

Sprung in der Platte. Na klar: Ende 1988 gab es auch schon CDs; aber meistens liefen halt noch die guten alten Vinyl-Platten. Heute dagegen gibt es eigentlich fast nur noch CDs. Und, was man leider auch sagen muss, viel Krach. Und das Allerschlimmste: jetzt gibt es sogar eine CD von „The Krach“. Sie heißt „Artists Against Hi-Fi“. Muss man noch mehr sagen? – Man muss nicht; aber man kann. Man könnte …

Man könnte beispielsweise darauf hinweisen, dass man sich jeden einzelnen der fünfzehn wunderschönen, meist in unserer Landessprache gedichteten, Songs, äh: Lieder gern auch schon einmal – wenn auch nur für eine Minute – anhören kann. Hier. Lieder mit so herrlichen Titeln wie „Winnetou”, „Teer und Federn für Mrs. Ellie“, „Elektrische Affen“, „Gaspistolenkind“ oder „Familienrettungshubschrauber“.

Oder man könnte darauf hinweisen, dass dieses Erstlingswerk seine Entstehung nicht zuletzt dem Umstand verdankt, dass der von uns geschätzte Bernhard Becker, ein Mitbürger aus Duisburg-Neudorf, endlich seine Rente durch hat und, anstatt mal den ein oder anderen gescheiten Beitrag für xtranews zu verfassen, lieber seine überschüssige Zeit damit totschlägt, „The Krach“ zu machen.

„Ich denke, für uns“, hat mir Bernhard Becker geschrieben, „für unsere meist spontan entstandene Musik, die Liedtexte und unsere Zeit gilt, was Raymond Chandler über Literatur gesagt hat: es ist unmöglich, die Ilias oder Romeo und Julia zu übertreffen – aber bessere Krimis zu schreiben als z.B. Agatha Christie, das ist allemal erreichbar.“

Heinz von Foerster über KybernEthik, Raymond Chandler über Agatha Christie, und Bernhard Becker macht „The Krach“. Meine Fresse! Okay, das war bestimmt auch eine Menge Arbeit, bis es fertig war. Dieses “Artists Against Hi-Fi”; das verrät schon der Blick ins “Produktinfo“:

Ich schalte die Rhythmusmaschine ein; der Sänger fängt an zu brabbeln, und der Keyboarder greift zu meiner Gitarre: das einzige Instrument im Raum, das ich spielen konnte. Außer dem Refrain versteht niemand ein Wort. Ich gehe zum Korg, wähle »Strings« & »Portamento« und mache den Joystick zum Bottleneck. In einem Take wird die Ballade aufgenommen, besser gesagt, in diesen sechs Minuten ist sie entstanden. Danach aufgeregtes Gefrage, Bandstop.
10 Minuten später läuft es weiter: Die gleiche Geschichte, diesmal aber als dramatische Inszenierung aus der Perspektive des trunkenen Doktors, untermalt vom Radioempfang eines defekten Mikrofons. An diesem Tage begriff der Sänger, dass er erzählen kann, Geschichten entwickeln, Reime einflechten usw. und das alles aus dem Stegreif, ohne selbst die geringste Ahnung zu haben, was als nächstes kommt. Wir hatten unsere eigene Sprache entdeckt und zugleich ein Idiom, mit dem man sich auch auf Feuerland oder Mu hätte verständigen können.

Sie hatten ihre eigene Sprache entdeckt und – vielleicht, wer weiß? – einen Entschluss gefasst und angefangen zu integrieren, zu hören. Und bestimmt haben sie sich dann gefragt, jeder sich selbst, logisch: denn sie konnten ja ihr eigenes Idiom nicht mehr verstehen – bei all dem „The Krach“. Zum Abschluss der aktuelle Kultur-Tip: Kaufen Sie diese CD jetzt! Nochmal: jetzt kaufen!

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