„Dass sie ihn nicht ganz freiwillig hergibt,“ erklärt Hartz4-Plattform-Sprecherin Brigitte Vallenthingegenüber dem Sozialticker, „den Dreh- und Angelpunkt ihrer Folterwerkzeuge, könnte man aus ihrer Sicht ja noch fast „verstehen“. Dass sie den Sanktions-§ 31 mit ihrem neuen Gesetzes-Vorschlag auch noch verschärfen will ist Sarraz(i)ynismus ohne Rücksicht auf Menschen- und Grundrechte. Dabei wissen die juristischen Berater von Arbeitsministerin von der Leyen ganz genau, dass mindestens seit dem Bundesverfassungsgerichts-Urteil vom 9. Februar diesen Jahres die Vollstreckung des § 31 SGB II massenhaft angeordneter Verfassungsbruch ist. Damit stellt die Ministerin – mit lautem Ablenkungsgetöse über die Regelsatzhöhe – schon jetzt alle Ampeln nach Karlsruhe auf grün,“ so Brigitte Vallenthin. „Die Hartz4-Plattform bereitet schon jetzt eine Verfassungsbeschwerde gegen den Sanktionsparagrafen vor, den sie dem Bundesverfassungsgericht unmittelbar nach Verabschiedung des neuen Gesetzes auf den Tischlegen wird.“ Als beim Bundesverfassungsgericht am 20. Oktober 2009 Hartz IV verhandelt wurde, war viel vom„lernenden Gesetzgeber“ die Rede. Und tatsächlich hat die Bundesregierung viel gelernt, wie der neue Gesetzentwurf offenbart.
Wer aber glaubte, die von den Verfassungsrichtern gerügten Politiker würden nun in sich gehen und sich auf ihre Pflichten gegenüber den Bürgern, ihren Wählern besinnen, der irrte gewaltig. Nach Auswertung der höchstrichterlichen Rechtsprechung zum Schutze der massenhaft klagenden Betroffenen, lässt der Gesetzesvorschlag nur einen einzigen Lernerfolg erkennen – und zwar den: Wie ziehe ich die Hartz IV-Daumenschrauben so fest, dass den Klägern keinerlei Aussicht auf Erfolg bei den Sozialgerichten bleibt. Das wird überdeutlich am Sanktions-§ 31. Den hatte dem Grunde nach zwar das Bundesverfassungsgericht bereits am 9. Februar für verfassungswidrig erklärt, indem es ein„unverfügbares“ Grundrecht auf „menschenwürdiges Existenzminimum“ verkündete. Umsounbegreiflicher erscheint es der Hartz4-Plattform, dass sich seit dem Ausweichmanöver in Richtung Rechtsfolgenbelehrung durch das Bundessozialgerichts am 18. Februar kein Gericht zu dem Aus des§ 31 SGB II bekannt hat. Und so „verfügen“ die Verwaltungen weiterhin ungeniert über dieses Grundrecht, obwohl es Kläger dagegen wahrlich genug gibt. Ermutigung für die Bundesregierung, das Gesetz auch noch mit weiteren Verschärfungen zutoppen?
In der „Kann“-Bestimmung für die Absenkung einer 100%-Sanktion auf 60% ist die ehemalige Formulierung „unter Berücksichtigung aller Umstände des Einzelfalls“ gestrichen worden. Noch weniger als bisher also eine Chance zur Berücksichtigung des individuellen Schicksals. Auch diese Entscheidungen werden der reinen Willkür preis gegeben. Für unter 25-Jährige und neuerdings auch Jugendliche und Kinder unter 16 Jahren kommt es knüppeldicke: Während das alte Gesetz formuliert „… Hilfebedürftigen, die das 15. Lebensjahr, jedoch nicht das 25. Lebensjahr vollendet haben …“ – ist der Kinderschutz im neuen Entwurf ersatzlos gestrichen worden. Da heißt es nur noch: „Bei erwerbsfähigen Leistungsberechtigten, die das 25. Lebensjahr noch nicht vollendet haben …“ Will der Gesetzgeber damit etwa sagen, dass er beabsichtigt, Menschenrechte verletzende Sanktionen auch auf unter 16-Jährige anzuwenden – 100% Nahrungsentzug und drohende Obdachlosigkeit auch bei Kindern und in der Pubertät?
Ebenfalls neu im Gesetz ist der „§ 31b / Beginn und Dauer der Minderung“. Es ist ein für ein demokratisches Gemeinwesen und die damit verbundenen ethischen Wertvorstellungen schwer erträglicher Zynismus, hier von „Minderung“ zu sprechen, wo Nahrungsentzug und Verlust der Wohnung vollstreckt werden. Alleine schon die Wortwahl ist eine Demütigung für die Betroffenen. „Alleine nach dieser ersten Einschätzung des verschärften Sanktionsparagrafen – ohne dass wir Anspruch auf juristisch Endgültiges oder Vollständigkeit erheben könnten – bleibt gar keine andere Wahl“, so Brigitte Vallenthin gegenüber dem Sozialticker, „als endlich die Bundesverfassungsrichter zu fragen, ob derartige Formen staatlicher Gewalt mit der Menschenwürde des Grundgesetz vereinbar sind.“