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Adipositas-Epidemie: der Mensch, seine Gene und seine Anpassungsfähigkeit

 

Oh doch! Manchmal liegt es wirklich an den Genen. Bevor die Sarrazin-Debatte völlig vorbeigerauscht ist, wollen wir das noch einmal festhalten. Manche Menschen sind aus genetischen Gründen … tja, wie soll ich es sagen? Also, hier ist wirklich höchste Vorsicht geboten. Wie leicht könnte man Menschen an dieser Stelle verletzen!
Dies ist auch Sarrazin vorzuwerfen: angenommen, ein Mensch ist aus genetischen Gründen tatsächlich nicht so leistungsfähig, integrationsfähig oder auch in der Gesamtbetrachtung so ziemlich unfähig, dann gehört es sich einfach nicht, ihm dies anzukreiden!
Das ist eine Sache der Kinderstube. So etwas macht man nicht! Auch so ein Begriff wie „Genschrott“ sollte in einer Debatte unter zivilisierten Menschen schlichtweg tabu sein. Angeboren ist angeboren; da macht man nichts dran. So etwas haben die Anderen gefälligst zu respektieren!

Manchmal sind es die Gene; okay. Manchmal auch nicht. In unseren hoch zivilisierten Ländern neigen sogar Menschen dazu, ihr leicht erkennbares Defizit auf einen angeborenen Bioschaden zurückzuführen. Insbesondere dann, wenn dieses Defizit nicht aus einem Zuwenig besteht, sondern aus einem Zuviel. Oft auch: eine ganze Menge zuviel.
„Bei mir liegt das an den Genen“, tragen die Betroffenen dann häufig vor, was so viel bedeutet wie: da kann man nichts machen. Also: „Da kann ich nichts dran machen.“ Und die Gene sind derartig gemein, zumindest eins von ihnen, dass selbst wenn man etwas daran machen könnte, es dafür sorgt, dass man gar nicht daran machen möchte.
Das ist wissenschaftlich erwiesen. So wird bspw. aus China gemeldet, welche Erkenntnisse ein schottischer Forscher – und nicht nur dieser – gewonnen hat: „Wissenschaftler haben wahrscheinlich einen Grund herausgefunden, aus dem manch einer lieber zu Fritten als zum Apfel greift. Es könnte an einem Gen liegen, das mit einem höheren Risiko zur Fettleibigkeit in Zusammenhang steht.“
Das könnte wahrscheinlich sein. Und wir sehen dieses kleine, unschuldige, chinesische Mädchen, wie es darunter leidet, sich faktisch willenlos noch mehr Speiseeis in den Mund schieben zu müssen. „ Eine Studie mit Kindern führte zu dem Ergebnis, dass solche Kinder mit einer gängigen Variante des Gens dazu neigen, hoch-kalorische Lebensmittel zu essen.“

Okay, das Wort „hoch-kalorisch“ wird von der Rechtschreibhilfe bemängelt; doch genauso wenig, wie es sich gehört, über Dicke zu lachen, schickt es sich, das Deutsch der Chinesen zu bewitzeln. Das macht man nun einmal nicht! Und außerdem: in der Sache haben sie ja Recht, die Chinesen. Denn auch bei Wikipedia ist nachzulesen, „dass Übergewicht auch eine genetische Komponente hat.“ Aha!
Manchmal, das hatte ich aber eingangs bereits eingeräumt, liegt es auch nicht an den Genen. „Da sich die genetische Ausstattung des Menschen in den letzten Jahrzehnten praktisch nicht verändert hat, ist die starke Zunahme von Adipositas in erster Linie das Ergebnis veränderter Lebensumstände“, heißt es in einem Standardwerk. Ja, das hat doch auch niemand bestritten.
Der „Kölner Stadtanzeiger“ titelt heute: „Fettleibigkeit wird zur Epidemie“. Heute Morgen hat nämlich hat die Organisation für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung (OECD) eine Bestandsaufnahme zum Thema „Adipositas“ veröffentlicht. Die OECD ist eine Organisation von 25 entwickelten Staaten mit hohem Pro-Kopf-Einkommen. In der Studie heißt es laut „Kölner Stadtanzeiger“:
“Fettleibigkeit nimmt in immer mehr Ländern das Ausmaß einer Volkskrankheit an. In den Mitgliedsstaaten der Organisation für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung ist nach am Donnerstag veröffentlichten Zahlen im Schnitt bereits jeder zweite Bürger übergewichtig. Deutschland ist in dieser Beziehung repräsentativ: Dort trugen zuletzt 60 Prozent der Männer und 45 Prozent der Frauen zu viele Kilos mit sich herum, rund jeder sechste Deutsche war fettleibig. Vor 1980 habe der Anteil der krankhaft dicken Menschen in den meisten Ländern noch deutlich unter zehn Prozent gelegen, schreiben OECD-Experten zu den alarmierenden Zahlen.“

Die „Fettsucht grassiert in den Industrieländern“ („Focus Online“), sie breitet sich in den Ländern der OECD aus wie eine Volkskrankheit. Setzt sich der Trend fort, werden 2020 zwei Drittel der Menschen zu dick sein.“
„Die Fettsucht-Epidemie“, schreibt „Spiegel Online“, „gehört in den Industrienationen zu den führenden Auslösern von Todesfällen und Invalidität. Studien zufolge ist die Krankheit weltweit für jährlich rund 2,6 Millionen Todesfälle und mindestens 2,3 Prozent der Gesundheitskosten verantwortlich.“
Die schlechten Ernährungsgewohnheiten, zu viel Stress und zu wenig Bewegung ziehen auch immer mehr Kinder in Mitleidenschaft. Der OECD-Studie zufolge ist schon heute jedes dritte Kind übergewichtig – Tendenz steigend.

Der Mensch zeichnet sich, wie wir wissen, durch eine besonders hoch entwickelte Anpassungsfähigkeit aus. Er wird auch mit dem Umstand, dass er immer fetter wird, irgendwie zurechtkommen. Im Harry-Potter-Vergnügungspark in Florida stellte sich bspw. auf einer Achterbahn das Problem, dass viele Besucher einfach nicht in die Sitze gepasst haben. Gut, da hatte man eben neue eingebaut.
Auch Fluglinien müssen neue, innovative Konzepte entwickeln, um zeitgemäße Antworten auf den jüngsten Evolutionsschub des Menschen präsentieren zu können. Air France ist jetzt mit einem speziellen Übergewichtsangebot auf den Markt gekommen: für die zweite Sitzkarte werden nur noch 75 Prozent des Flugpreises fällig, wenn er sozusagen in Personeneinheit gebucht wird.
Und so, wie die Gesellschaft Antworten auf die Fettleibigkeit findet, ist umgekehrt die Fettleibigkeit selbst eine Antwort auf drängende gesellschaftliche Probleme. Wenn auch nicht bei allen, so handelt es sich aber doch bei den meisten OECD-Staaten um alternde Gesellschaften. Die tendenziell steigende Lebenserwartung stellt gegenwärtig noch viele Länder vor immense soziale Umstellungsprobleme.

Sollte sich die Adipositas-Epidemie im prognostizierten Ausmaß weiter entfalten, wird der Trend bei der Lebenserwartung alsbald drehen. Übergewichtige sterben signifikant früher. Die mitunter hysterischen Züge in der heutigen Rentendiskussion belegen, dass oftmals die Menschen selbst ihre beeindruckende Anpassungsfähigkeit unterschätzen. Die heutigen Menschen. Dicke sollen ja irgendwie gemütlicher sein.

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