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Stell Dir vor, Schalke spielt gegen Dortmund, und keiner geht hin

Heute ist es mal wieder so weit: das Derby steht an. Also: nicht irgendein Derby, sondern DAS Derby. Heute halb sechs in der Veltins-Arena: S04 gegen BVB. Der absolute Knaller! Die Ausnahmesituation schlechthin. Ach so, Sie interessieren sich nicht so sehr für Fußball, verstehen deshalb auch nicht so viel davon, und deshalb ist Ihnen das heutige Spiel auch ziemlich egal. Verstehe. Nur: bei der ganzen Sache geht es eigentlich überhaupt nicht um Fußball. Andererseits geht es um nichts Anderes als um Fußball.

Mmhh, wie soll ich Ihnen das jetzt bloß erklären? Am besten, ich fange mal ganz von vorn und ganz langsam an. Also, S04 ist die Abkürzung des Gelsenkirchener Fußballclubs (FC) Schalke, gegründet 1904, der heutzutage nicht mehr im Parkstadion spielt, sondern in der „Veltins-Arena“. Das ist normal. Zum Beispiel der BVB, das ist der Ballspielverein Borussia  Dortmund – der spielt auch nicht mehr auf „Roter Erde“, auch nicht mehr im Westfalenstadion, sondern im Signal Iduna Park. Gegründet 1909, deshalb auch BVB 09.
Und dass die Fußballstadien jetzt alle so schöne Firmennamen tragen, richtig, das liegt daran, dass der Fußball heute ein veritabler Wirtschaftszweig ist. „Es geht nur noch ums Geld“, spricht der Volksmund, und irgendwie ist das in dieser Allgemeinheit nicht einmal von der Hand zu weisen. Die Borussia, also der BVB, ist z.B. eine AG, also eine Aktiengesellschaft. Die einzige im deutschen Profifußball, aber immerhin.
Dass es nicht mehrere davon gibt, könnte auch daran liegen, dass die Aktionäre dieses Traditionsvereins mit diesem Wertpapier (bislang) wahrlich nicht glücklich geworden sind. Das führt hier jetzt zu weit; es bedeutet jedoch nicht, so viel sei gesagt, dass dort nicht enorme Summen umgesetzt werden. Die Dauerkarten wurden alle verkauft; der Signal Iduna Park ist ständig ausverkauft.

Die Veltins-Arena, also die auf Schalke, vielleicht nicht ganz so zuverlässig, doch im Grunde schon. Und vor allem: wenn, so wie heute, die Dortmunder kommen, also der verhasste Reviernachbar, dann ist die Hütte rappelvoll. Gar keine Frage. Eigentlich. Nur heute könnte es uneigentlich ein wenig anders aussehen. Das ist ein Ding! Allein schon die Vorstellung: die Borussen kommen auf Schalke, und es sind noch Plätze frei.
Ach ja, ich wollte Ihnen doch erklären, warum es einerseits um nichts Anderes, andererseits überhaupt nicht um Fußball geht. Also, das kann man nicht so ohne weiteres erklären. Das Beste wäre, Sie sähen sicht zunächst einmal den Film „Fußball ist unser Leben“ an. Der ist etwa zehn Jahre alt, also quasi aktuell. Es geht um eine Gruppe Schalker Fans, gespielt u.a. von Uwe Ochsenknecht und Ralf Richter, einkommensschwach und bildungsfern, denen nur noch ihr Schalke-Fanatismus scheinbar einen Sinn im Leben zu geben vermag.
Und auch die überragende Rolle der Konkurrenz (zurückhaltend ausgedrückt) zwischen den Blau-Weißen (Schalke) und den Schwarz-Gelben (Dortmund) wird im Film schön herausgearbeitet. Klar, der Spielfilm ist überzeichnet, und doch – oder deshalb – kann er – im Gegensatz zu mir – erklären, was es bedeutet, wenn Fußball alles ist.

Es sind nicht wenige, für die „der Fußball“ alles ist. „Fußball ist unser Leben“ – ein Milieuschlager. Wahrscheinlich ist sein Titel in Deutschland nirgendwo mehr bittere Realität als „auf Schalke“. Der FC S04 sei anders als alle anderen Vereine, heißt es. Hier gehe es um „Religion“. Schalke – Sie erinnern sich – ist ein Stadtteil in Gelsenkirchen, einer Stadt, in der die Arbeitslosenquote noch etwas höher liegt als in Duisburg.
Aber – wie gesagt – die Fußballverrücktheit in und um Dortmund ist auch nicht ganz ohne. Der BVB ist seit Jahren der Bundesligaverein mit den meisten verkauften Dauerkarten. Nun spielen die Eintrittskarten für die Finanzierung der Proficlubs keineswegs mehr die Hauptrolle; die Erlöse aus den Fernsehübertragungen sind viel wichtiger. Aber unwichtig ist gar nichts.
Die Top-Spieler sind sehr teuer, die meisten Proficlubs chronisch in den roten Zahlen, und insbesondere bei den beiden hier in Rede stehenden Zentren des Ruhrgebietsfußballs entsteht in regelmäßigen Abständen der Verdacht, dass in den Bilanzen Zeitbomben ticken könnten. Wie auch immer …

Jedenfalls hat der FC Schalke 04 seine Eintrittspreise deutlich erhöht, gerade auch im unteren Preissegment, also auf den – ohnehin nur noch spärlich verbliebenen Stehplätzen. Und für das heutige Revierderby wird darüber hinaus noch ein sog. „Top-Zuschlag“ fällig, obwohl die „Knappen“, wie die Schalker auch heute noch genannt werden, mit 0 Punkten auf dem letzten Tabellenplatz stehen.
Und nun geschah das Unvorstellbare: Dortmunder Fanklubs wollen das Spiel der Spiele boykottieren, und zwar ausdrücklich nicht, um dem ewigen Rivalen zu schaden, sondern um gegen deutlich erhöhte Eintrittspreise zu protestieren. „Kein Zwanni für ’nen Steher“, lautet ihre Aktion. Auf der Homepage schreiben sie:
“Soziale Verantwortung kostet Geld. Es bedeutet, bezahlbare Tickets für Fans und ermäßigte Tickets für Arbeitslose anzubieten. Es bedeutet, Rollstuhlplätze zu stellen, die womöglich anders mehr Einnahmen bringen würden. Es bedeutet, Ansprechpartner zu organisieren, die sich um Menschen kümmern, für die der Verein ihr Ein und Alles geworden ist …
Wir wollen ein Preisniveau, das die soziale Bedeutung des Fußballs aufrechterhält und das Fans möglichst vieler Gesellschaftsschichten und Altersklassen einen Stadionbesuch ermöglicht.“

Die Sorge der Fans ist durchaus begründet. In England, wo die Ticketpreise schon heute ein ungleich höheres Niveau als hierzulande erreicht haben, ist zu beobachten, so die FTD, dass das – einkommensschwache – Stammpublikum aus den Stadien verdrängt worden ist. Die Plätze der einst so berüchtigten britischen Fußballrowdies werden jetzt von Mittelschichtsvätern mit ihren Kindern eingenommen. Ob dies nun von den Clubs beabsichtigt war oder nicht, jedenfalls ist mit den Hard-Core-Fans auch die für Fußballarenen so typische Geräuschkulisse weitgehend verschwunden, weil der Upper-Class-Gentleman auch in Begleitung seiner Kinder nicht so einen Radau zu machen pflegt.
Und in Kenntnis dessen sagt Sprecher Marc Quambusch, ein Sprecher der Dortmunder Fanclubs: „Wir müssen ein Zeichen setzen.“ Und weiter: „Die Blauen sind doch genauso Opfer wie wir.“ Unfassbar! Rolf Rojek versteht die Dortmunder und kann sich mit ihnen „in der Sache voll identifizieren“. Das mutet beinahe revolutionär an, wenn man weiß, dass er der Vorsitzende des Schalker Fan-Club Verbands ist.
Aber er findet: „Irgendwann kommt die Grenze, wo du sagen musst: Bis hierhin und nicht weiter.“ BVB-Mann Quambusch fände es „absolut genial, zusammen ein klares Zeichen zu setzen. Wir haben ja sonst nicht so viel gemeinsam.“

Eigentlich gar nichts. Oder auch alles. Wie bei der Frage, was diese Dinge überhaupt mit dem Fußball zu tun haben. Inzwischen liegen auch zahlreiche Solidaritätserklärungen von der britischen Insel vor. Die Fans dort hoffen auf einen Erfolg ihrer deutschen Gesinnungsgenossen – einräumend, dass sie selbst die ganze Entwicklung verpennt haben. Und auch ich neige dazu, mit den Fans und ihren Fanclubs zu sympathisieren.
Ich verstehe nicht allzu viel davon. Doch halte ich es für ausgeschlossen, dass eine Strategie, die darauf abzielt, Problemgruppen unter den Fans mit der Preisschraube aus den Arenen zu verbannen, eine wirkungsvolle Maßnahme gegen Gewalt darstellen könnte.

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