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Loveparade: die Schlussstricher

Artikel von Dr. Werner Jurga

Die Loveparade liegt inzwischen einen Monat zurück. Allmählich scheint sich der Medienrummel um die Montanstadt an Rhein und Ruhr etwas zu legen. Bereits nach einem halben Monat war sie förmlich zu greifen, die Sehnsucht danach, dass allmählich das Gras beginnt, über die ganze Sache zu wachsen. Diese Sache mit der Loveparade.

Jetzt, also nach einem Monat, werden die ersten wirklich richtig ungeduldig. Hans-Werner Schlochow spricht in einem Leserbrief die Duisburger WAZ-Redaktion direkt an. In der Printausgabe vom 23.10.2010 lesen wir:
„Die Anzahl der Teilnehmer der Demo vor dem Rathaus sollte auch für Sie ein Signal sein, dass die Loveparade langsam zum Auslaufmodell mutiert. Berichten Sie wieder darüber, wenn Ergebnisse der Untersuchungsbehörden vorliegen. Ich bin weder Parteimitglied noch verleugne ich es, Duisburger zu sein. Die Art und Weise, wie Duisburg zur Zeit in den Dreck gezogen wird, stört mich allerdings sehr.“

Hier spricht die Sehnsucht nach dem Schlussstrich. Die Sehnsucht danach, dass endlich damit aufgehört wird, Duisburg „in den Dreck zu ziehen“. Wir wollen nicht länger verleugnen, Duisburger zu sein. Erst recht nicht wegen dieser Loveparade, genau genommen müsste es heißen: wegen dieser Katastrophe auf der Loveparade, die, wie Herr Schlochow meint, „langsam zum Auslaufmodell mutiert“.
Schlochow steht mit seinem Ruf nach einem Schlussstrich nicht allein da. Hier verlässliche empirische Angaben machen zu wollen, wäre erstens unmöglich, zweitens müßig. Doch gewiss spricht er für viele Duisburger, während auf der anderen Seite ebenfalls sehr viele gar nicht abwarten können, dass die Schuldigen „sühnen“ müssen, um es vorsichtig zu formulieren.
Wir kennen bereits aus einem ganz anderen Zusammenhang eine Schlussstrichdebatte. Wir kennen die Sehnsucht, nicht kollektiv in den Dreck gezogen werden zu wollen. Wir kennen den Wunsch, sich ganz unbefangen dazu bekennen zu können, Deutscher zu sein, ohne schief angeguckt zu werden.

Und doch verbietet sich jeder Vergleich von vornherein. Was in Duisburg am 24. Juli passiert ist, war schrecklich. 21 Menschen sind umgekommen, Hunderte körperlich verletzt, Tausende psychisch traumatisiert worden. Schrecklich genug – ohne Frage. Und genauso fraglos gibt es Menschen, die hierbei Schuld auf sich geladen haben, oder – um es etwas aufgeklärter zu formulieren – die hierfür die Verantwortung tragen.
Damit hat es sich. Es ist vor einem Monat in Duisburg nichts passiert, was auch nur in Ansätzen irgendwie mit dem Holocaust vergleichbar wäre. Auschwitz ist einzigartig und doch mit anderen Gräueltaten zu vergleichen. Die Loveparade in Duisburg gehört zweifelsohne nicht dazu. Ich bitte um Verständnis, dass ich auf eine Erläuterung dieser Banalität verzichte.

Duisburg am 24. Juli 2010 war schrecklich. Die Katastrophe wird sich in die Stadtgeschichte einbrennen. Bald wird sie Geschichte sein. Insofern ist es richtig: es muss ein Schlussstrich gezogen werden. Ein ehrenvolles Andenken an die Toten steht einem „Schlussstrich“ dabei keinesfalls im Wege. Eher im Gegenteil: aus dem Privatleben wissen wir, dass erst wenn es gelingt loszulassen, erst wenn wirklich Abschied genommen wird, die „eigentliche“ Trauer und das ehrenvolle Gedenken beginnen können.

Ein Schlussstrich muss gezogen werden. Das Leben geht weiter. Die Eltern und Geschwister, die Liebespartner und engste Freunde der Toten vom 24. Juli werden dieses Datum zeitlebens nicht vergessen können. Doch gerade für sie wird es wichtig sein, wirklich abschließen zu können und ihr Leben im Gedenken an den verstorbenen Angehörigen neu zu ordnen.
In unserem Kulturkreis ist es üblich, nach sechs Wochen – und nicht etwa schon nach einem Monat – das Ende dieser ersten Trauerphase zeitlich zu verorten. Schon deshalb – wenn Sie so wollen: aus Gründen der Pietät – kommen diese Rufe nach einem Schlussstrich für meinen Geschmack eindeutig zu früh.
Aber klar muss doch auch sein: bislang hat wirklich niemand für das Desaster am 24. Juli auch nur teilweise Verantwortung übernommen. Niemand, wirklich niemand – es sei denn, wir wollen uns damit zufrieden geben, dass ein „Crowdmanager“ der Veranstalterfirma einen Fehler eingeräumt hat.
Wie man in einer solchen Situation auch nur auf die Idee kommen kann, einen Schlussstrich zu fordern, ist mir ehrlich gesagt unbegreiflich. Sind es wirklich parteipolitische Motive, die Menschen dazu bringen, derart unsägliches Zeug von sich zu geben?

Friedrich Schäfer beschwert sich ebenfalls in einem Leserbrief bei der WAZ Duisburg. Er schreibt (Printausgabe vom 23.10.2010):
„Einen solch gemeinen Artikel hat er (Sauerland) nicht verdient … Seitdem er dran ist, bewegt sich endlich in unserer Stadt einiges zum Positiven.“

Werter Herr Richter! Nun geht aus der WAZ nicht hervor, auf welchen „gemeinen“ Artikel sich Ihr Protest bezieht. Dafür können Sie nichts. Doch was auch immer dort geschrieben sein mag, verstehen Sie doch bitte: das Eine hat mit dem Anderen nichts zu tun!
Adolf Sauerland trägt die politische Verantwortung für diese Katastrophe. Ob er sich auch persönlich etwas zuschulden hat kommen lassen – ich denke schon -, werden Gerichte zu befinden haben. Ob seine Amtsführung bis dahin erfolgreich war – ich denke schon – oder nicht, hat mit der Loveparade und der Bitte um einen Schlussstrich nicht das Geringste zu tun.

Das Leben, auch das politische Leben, in Duisburg wird weitergehen. Auch schon bevor ein Schlussstrich unter die Loveparade gezogen werden kann. Der erste – allerdings notwendige – Schritt ist, dass Sauerland geht. Rufe nach einem Schlussstrich können ihn also allenfalls hinauszögern.

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