Website-Icon xtranews – das Newsportal aus Duisburg

Überwachungskameras…?

Unser Leser Lothar Evers, hat uns folgenden Text freundlicherweise als Gastkommentator  zur Verfügung gestellt:

Der alte Duisburger Güterbahnhof als Veranstaltungsort der Loveparade 2010 war am 24 Juli mit Kameras perfekt überwacht. Den Livestream der Veranstalterproduzierten McFit und BILD.de, moderiert von Glamour-Pärchen Sandy Meyer-Wölden und Oliver Pocher. Allein in diesem feed konnte man aus bis zu 30 Kamerapositionen die eigenen Perspektive wählen. Dazu kam das WDR Fernsehen mit mehrerer Kameras und einem eigenen Übertragungswagen.

Was wir jedoch in den Wochen nach der Katastrophe am häufigsten zu sehen bekommen, sind Bilder der “Überwachungskameras“. Sie laufen bei Spiegel TV, bei BILD.de und auch an einigen anderen Stellen. Überwachungskameras geben das Geschehen scheinbar objektiv wieder. Das kann man von den uns im Moment gezeigten Bildern jedoch nicht behaupten.

Aber der Reihe nach…

Zum ersten Mal erfuhren wir von der Existenz der Überwachungskameras im SPIEGEL Nr. 31 vom 2. August 2010. Da lernen wir den laut SPIEGEL wohl wichtigsten Mannan der Unglücksstelle, (…) der in seinem fensterlosen Container an der Stirnwand der Todesrampe saß und von dort aus über 16 Kameras den Zu- und Abfluss steuern sollte”kennen. Damals tritt Carsten Walter im SPIEGEL noch als der “geheimnisvolle Unbekannte”, als der Mann, der seinen Namen hier nicht lesen will aber nun erstmals öffentlich spricht auf:

“Ein Experte für Extremsituationen, (…) der an seinen Monitoren erleben musste, wie das System versagte. Wie er nicht mehr gegen steuern konnte, weil das System (…) gar nicht funktionieren konnte und weil offenbar auch die Polizeitaktik vollends versagte”.

Soweit, so konfus!
Zu dem System, dass nicht funktionieren konnte, später. Bleiben wir vorerst bei Carsten Walters Monitoren und den sie speisenden “Überwachungskameras”:

“Der Crowd-Manager saß in seinem Container, er konnte alles ganz genau verfolgen, Kamera 13, Kamera 14, Kamera 15, er konnte sehen, wie die Katastrophe sich anbahnte. Um 16.05 Uhr waren auf dem Monitor des Crowd-Managers nur einige wenige zu sehen, die den Heimweg antraten. Die Polizeikette auf der Rampe stand noch locker. 16.14 Uhr: Nun rückten die Polizisten schon dichter zusammen, um dagegen zu halten, denn in ihrem Rücken schwoll die Menge langsam an. Noch stärker aber die Menge vor ihnen, die von unten auf sie zu kam. Wie konnte das sein? Die Antwort lieferte Kamera 15, Blickrichtung Westtunnel. Schon seit 16.08 Uhr strömten zahlreiche Besucher auf die dortige Polizeikette zu, um 16.14 Uhr konnte die Polizei sie nicht mehr halten. So wenig wie ihre Kette im Osttunnel. Schon das war schlimm, aber noch nichts gegen das, was dann um 16.20 Uhr im Westen geschah, draußen vor dem Tunnel. Kamera 14, Blickrichtung Einlassschleuse West: Zuvor muss ein Krankenwagen die Schleuse passiert haben und steckte seitdem in der Menge fest. Schließlich gab der Fahrer auf. Umständlich drehte er um, fuhr langsam zur Schleuse zurück; sie wurde nun erneut für ihn aufgemacht. Und nur eine Minute später war auf dem Bildschirm zu sehen, wie eine riesige Menschenmenge in den Tunnel Richtung Hauptrampe lief. (..) Um 16.21 Uhr lieferte Kamera 13 ein Bild von der Hauptrampe, auf der nun von beiden Seiten gewaltige Menschenmengen gegen die Polizeikette brandeten. Menschen, die herauf wollten, hinaus wollten. Nur wie? Wohin? Die Treppe.”

Wir sehen dass Sujet: die Kameras liefern Bilder, der Psychologe für Extremsituationen sitzt im Computer und kann nichts machen. Dieses Setting erläutert auch die illustrierende SPIEGEL Grafik:

SPIEGEL Grafik: Loveparade Duisburg 2010 Ueberwachungskameras auf dem Container von Crowd Manager Karsten Walter

Begleitend zur Print Ausgabe des SPIEGEL legtSPIEGEL-TV noch eins drauf. Im Fernsehbeitrag mutieren die Bilder der Überwachungskameras sogar zu

Polizeivideos, die SPIEGEL-TV vorliegen, (…) zeigen, dass alle Verantwortlichen in konzertierter Desorganisation das Party-Volk in einen Überlebenskampf hinein laufen liessen, den man nur mit viel Glück lebendig oder unverletzt überstehen konnte.
SPIEGEL TV Video 1 ab min 2:50

Haben Sie es schon bemerkt? Schauen Sie noch einmal ganz genau hin:

SPIEGEL_TV bezeichnet die Bilder der Überwachungskameras auf der Loveparade Duisburg 2010 als „Polizeivideos!

Weiter im Text des SPIEGEL:

Schon um 16.16 Uhr war Kamera 13 nach links geschwenkt, zu der schmalen Stiege an der Westmauer, die eine halbe Stunde später zur Todesfalle werden sollte. Noch war sie von Bauzäunen umgeben, bewacht von einem Security-Mann, der sich gerade mit einem Polizisten unterhielt. Sie achteten nicht auf einen Mann, der über den Zaun kletterte, die Treppe hochlief, aufs Veranstaltungsgelände. Die Menge unten applaudierte. Eine Minute später schon der Nächste. Ein Raver, rosafarbenes T-Shirt, stieg über den Zaun, auf die Treppe, riss oben jubelnd die Arme hoch und winkte seinen Freunden zu, sie sollten nachkommen. Kurz danach ließ der Security-Mann drei weitere Raver passieren, die Treppe hochlaufen, triumphierend in die Masse winken. Eine junge Frau zeigte das Victory-Zeichen.

Die entsprechende Passage im in SPIEGEL-TV hört sich so an:

Um 16:16 ist auf den Bildern der4 Überwachungskamera zu sehen, wie ein Mann die Abseppgitter an der schmalen Treppe überwindet und dann schnell aufs Partygelände hinaufsteigt. Niemand hindert ihn daran. Eine weitere Person folgt. Die Menge applaudiert und die Ordner greifen nicht ein.
SPIEGEL TV Video 2 ab min 3:55

Noch einmal als Still:

Loveparade Duisburg 2010, gesehen von Überwachungskamera 13 auf Spiegel-TV: Personen auf der Treppe

Genaues Hinschauen führt auf die Spur:
diese Überwachungskamera schaut nicht vom Dach des Containers und: sie schwenkt dahin, wo es interessant ist. Diese Kamera ist gar keine “Überwachungskamera”, sondern steht hier:

Loveparade Duisburg 2010 Kamera 13 mit 2 Personen besetzt auf Gerüst über dem Container

Für diese Kameraposition ist extra ein Podest aufgebaut worden. Sie wird von zwei Personen bedient. Rechts am Podest steht die orangene Leiter, die später von der Polizei herunter gereicht wird, um den von der Rampe Fliehenden den Aufstieg über den Container zu erleichtern. Hier ein Photo vom “Morgen danach…”:

Loveparade Duisburg 2010 Kamerapodest über dem Container am nächsten Morgen

Auch die anderen Kamerapositionen sind auf der SPIEGEL-Grafik falsch eingetragen. Das zeigt ein Ausschnitt aus dem Detailplan der Loveparade, in den alle Beteiligten ihre Funktionen und Positionen eingetragen haben:

Loveparade Duisburg 2010 Detailplan Kamerapositionen an der Rampe

Die Kameras 15 und 16 sind ebenfalls nicht auf dem Container angebracht, sondern befinden sich wie Kamera 13 einen Rang höher gegenüber den beiden Tunnelausgängen auf der Rampenbrüstung. Nicht in die Spiegel Grafik eingetragen sind die Kamerapositionen 4 und 12, die eine Betrachtung des Staus am Rampenausgang vor der Float Strecke ermöglichen. Gerade bei Kamera 4 ist dies eine grobe Auslassung. Diese Kamera war zusätzlich mit einer Justierung ausgestattet, um für den

“Zu- und Ablauf von Publikum (…) die Personendichte auf dem Veranstaltungsgelände zu bestimmen. Diese 4 Kameras werden per Tastendruck auf voreingestellte Messzonen justiert, die winkelgenau Bildbreiten von jeweils 5m, 10m, und 20m, wiedergeben. Somit ist eine Quadratmeter-genaue Personen-Hochrechnung möglich. (…) Über diese vor programmierten Positionen kann die Veranstaltungsleitung sehr genaue Personendichten ermitteln, die als Sachdaten die Grundlage für alle Entscheidungen der Publikumssteuerung auf dem Gelände dienen. (…) Diese Publikumszählung ist im Lagezentrum im Hoist Haus jeder Zeit abrufbar.”
– Veranstaltungsbeschreibung Loveparade 2010 (Anlage 29 des Zwischenberichtes der Stadt Duisburg? Seite 17) –

Die beiden Personen auf dem Podest muss man in einen weiteren Zusammenhang stellen, der in der o.g. Veranstaltungsbeschreibung konkretisiert wird:

Zusätzlich sind auf dem Gelände vier Aussichtspodeste positioniert, die ausschließlich für leitende Kräfte der Sicherheitsfirmen und der Sicherheitsbehörden vorbehalten sind. Von hier aus geben die Mitarbeiter per Funk permanente Lagebeschreibungen an das Lagezentrum weiter.

Warum hat uns Carsten Walter bei seinen Medienauftritten diese Integration der Kameras in ein integriertes System der Überwachung, Publikumssteuerung und Security  nicht mitgeteilt?
Warum stimmen in der Darstellung in SPIEGEL, SPIEGEL-TV und Bild soviele Details nicht?
Was ist der Grund für diese Auslassungen, Fehler und sprachlichen Schludrigkeiten? Gerade beim SPIEGEL, der sonst auf Recherche, Factchecking und sprachliche Präzisionen grössten Wert legt?
Zu früh für Antworten!
Aber höchste Zeit, die Fakten auf den Tisch zu legen. Und von der Legende des Carsten Walter als “lonesome Ranger” im Container Abschied zu nehmen.

Die mobile Version verlassen