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Loveparade: wachsendes Gras, Morddrohungen und Parteiengezänk

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Samstag, der 7. August 2010, wieder so ein Tag, an dem es Duisburg nicht geschafft hat, die Schlagzeilen in Deutschland zu beherrschen. Überall diese Naturkatastrophen. Einige werden dies, da bin ich ganz sicher, als sicheres Indiz dafür werten, dass allmählich das Gras beginnt, über die ganze Sache zu wachsen. Diese Sache mit der Loveparade.

Aber es gibt auch diese merkwürdigen Meldungen; zum Beispiel diese hier von RP-online: „Loveparade-Ermittler fürchten Morddrohungen“, zuletzt aktualisiert: 07.08.2010 – 12:47 (RP) Der Name des Staatsanwaltes, der gegen die Verantwortlichen der Duisburger Loveparade ermittelt, soll geheim bleiben. „Wir nennen den zuständigen Staatsanwalt nicht, um die Person keinen Gefahren auszusetzen“, sagte am Freitag ein Sprecher der Staatsanwaltschaft Duisburg.
Dass Adolf Sauerland mit dem Tod bedroht wird, ist seit einigen Tagen bekannt. Der frei und direkt gewählte Oberbürgermeister kann sich, wenn überhaupt, nur noch in Begleitung von Personenschutz in Duisburg bewegen. Er gilt, vermutlich zurecht, als einer der für das Desaster Verantwortlichen. Dass es gegen ihn Morddrohungen gibt und offenbar auch seine Familie bedroht wird, ist, was eigentlich nicht erwähnt zu werden braucht, eklatantes Unrecht.
Ein Unrecht, das offenbar kaum einer Erwähnung mehr wert zu sein scheint. So ist das in Duisburg: einem Menschen wird gedroht, ihn umzubringen; er kann sich nur noch unter Polizeischutz vor die Tür trauen – kein Grund für eine Meldung; schließlich werden ja in Duisburg … was glauben Sie denn, wie der oben zitierte RP-Artikel weitergeht? So:
In Duisburg gab es in den vergangenen Tagen bereits Morddrohungen gegen verschiedene Verantwortliche der Loveparade …
Na dann …

Gut, mögen Sie sagen: Herr Sauerland ist an diesem Kesseltreiben gegen ihn nicht ganz unschuldig. Mag sein. Ich war am Samstag Abend in einem Restaurant in Duisburg essen. Kein für ein politisches Milieu bekanntes Restaurant, ein ganz normales Speiselokal in der Vorstadt.
Und dennoch war an allen Tischen in meiner Hörweite die Loveparade-Katastrophe im allgemeinen und Herrn Sauerlands Verhalten im besonderen das Gesprächsthema. Dass der Mann massiv bedroht wird, war es nicht. Wo leben wir eigentlich?!
Und nun erfahren wir so nebenbei, im Fließtext eines RP-Artikels – ohne Quellenangabe, aber doch glaubhaft -, dass Sauerland gar nicht der Einzige ist, sondern dass „verschiedenen“ Leuten, die mit der Loveparade zu tun hatten, ein Killer in Aussicht gestellt wird. Vermutlich ist so etwas real gar nicht allzu bedrohlich; vermutlich ist es einigen Flachköpfen einfach nur gelungen, irgendwie an die Telefonnummern ihrer Opfer zu kommen.
Dennoch: man staunt, wie schnell wie vieles, was man auch in Duisburg für zivilisatorischen Standard gehalten hat, kaputt gehen kann. Und es fallen einem die Leute ein, von denen man weiß, dass sie davon ausgehen, dass allmählich das Gras beginnt, über die ganze Sache mit der Loveparade zu wachsen.

Unterdessen präsentiert die „Süddeutsche Zeitung“ (SZ) das dpa-Foto eines kahlgeschorenen, kräftigen jungen Mannes, der hinten auf seinem schwarzen T-Shirt in weißen Großbuchstaben die Aufschrift „SAUERLAND DU RATTE“ trägt und offensichtlich unbehelligt durch die Stadt schreitet. Normal. Bildunterzeile: „Die Bevölkerung von Duisburg hat OB Sauerland als Sündenbock für die Loveparade-Katastrophe auserkoren.“
Das also ist die „Bevölkerung von Duisburg“. Aus süddeutscher Sicht, mögen Sie sagen; nur: die „Süddeutsche Zeitung“ ist schon noch – ich kann es nicht ändern – die auflagenstärkste der „seriösen“, bundesweit erscheinenden Tageszeitungen. Und wer weiß, welche Blätter noch alle dieses dpa-Bild „bringen“ werden. Selbst wenn die Hoffnung berechtigt ist, dass die anderen einen nicht ganz so dusseligen Spruch unter das Foto setzen: irgendetwas werden sie ja schreiben müssen.
Und dass es tatsächlich möglich ist, in einem solchen Outfit durch Duisburg zu spazieren, scheint das Foto zu belegen. Duisburg – die etwas andere Metropole an Rhein und Ruhr. Derweil macht die politische Klasse auf Demokratie. Die Spitzen von Rat und Verwaltung spielen Parteienstreit, der ohne Zweifel ein Wesensmerkmal der Demokratie ist.
Ich habe stets gegen Beschwerden über Parteienhickhack und dergleichen argumentiert. Ich halte den dahinter steckenden Harmonismus für im Grunde demokratiefeindlich. Gerade deshalb erlaube ich mir die Frage, ob es ausgerechnet jetzt, (keine) zwei Wochen nach dem entsetzlichen Ereignis besonders stilvoll ist, die eigenen Parteifarben zu preisen und die andere Seite in Klein-Fritzchen-Manier anzugehen.

Alt-OB Josef Krings scheint tatsächlich der Einzige im politischen Establishment Duisburgs zu sein, der die richtigen Worte gefunden hat. Ein Mann von 83 Jahren. Ein Ehemaliger.
Im Stadtrat spielt das Kartell der Mittelmäßigkeit Bundestag. Die CDU versammelt sich hinter ihrem Oberbürgermeister, so als wäre nichts gewesen und käme auch nichts mehr. Bei der SPD gibt es niemanden, der dem OB auch Positives bescheinigen könnte. Bei dem, was die Grünen – also deren Ratsfraktion – abliefert, versagt sogar das Modell vom „Bundestag Spielen“.
Im Stadtrat ist niemand auszumachen, der die Dimension des Geschehenen auch nur annähernd in der Lage wäre zu erfassen. Dies immerhin sieht in der Verwaltungsspitze etwas anders aus. Hier ist – vielleicht abgesehen von Sauerland – zumindest eine Ahnung davon zu spüren, dass noch eine ganze Weile lang kein Gras wachsen wird. Dass, wenn die Staatsanwaltschaft an die Anklageerhebungen gehen wird, vorerst überhaupt kein Gras mehr wachsen wird.
Wenn die RP schreibt: „SPD-Dezernent greift OB Sauerland an“, ist dies zwar wahr, dennoch aber grob irreführend. Bei dem Streit zwischen Dressler und Sauerland geht es nämlich keineswegs um ein – oben kritisiertes – Parteiengezänk. Es geht genau genommen nicht einmal um einen „Machtkampf“, wie es in vielen Medien heißt. Es geht – gänzlich unabhängig von der Farbe des Parteibuchs – um zwei Männer, die spüren, dass sie mit einem Bein im Gefängnis stehen, die deshalb mit allen Mitteln um ihre Freiheit kämpfen. Das ist klar.

Was mir nicht so ganz klar ist: wieso eigentlich werden auch die „Loveparade-Ermittler“ bedroht, wieso der leitende Staatsanwalt mit Morddrohungen eingeschüchtert. Man sollte doch eigentlich meinen, dass der Pöbel in seiner Rachsucht auf die Staatsanwaltschaft setzt. Merkwürdige Sache.

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