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Sauerland, sein Taktgefühl und der Duisburger Stolz

„Doch wäre es nicht Aufgabe eines Oberbürgermeisters gewesen, den Verletzten im Krankenhaus einen Besuch abzustatten? Hätte es sich nicht gehört, den Angehörigen der Opfer aufrichtig seine Anteilnahme und sein Bedauern zu bekunden, statt nur auf der ersten, gespenstischen Pressekonferenz schmallippig Floskeln aufzusagen? Und gebieten es nicht Aufrichtigkeit und Rückgrat, Stellung zu nehmen zu all den Vorwürfen, die gegen ihn erhoben wurden, etwa dem, dass er sich leichtfertig und fahrlässig und vielleicht auch verblendet von der Ruhm versprechenden Aussicht auf das große Ereignis in seiner gebeutelten Stadt über zahlreiche Sicherheitsbedenken hinweggesetzt habe? Doch Adolf Sauerland schwieg – und schuf damit das Bild eines extrem kaltherzigen, unsensiblen und taktlosen Menschen.“

Helmut Schümann im Berliner „Tagesspiegel“, online gestellt am 29.07.2010 um 19:41 Uhr, erscheint vermutlich bundesweit am Freitag, den 30.07.2010, in der Printausgabe.

Adolf Sauerland – ein extrem kaltherziger, unsensibler und taktloser Mensch, der – wie es einige Zeilen weiter heißt – „zum Bild der Taktlosigkeit noch die Darstellung eines Politikers (addiert), der Verantwortlichkeit an Untergebene abwälzt und der in abenteuerlichen Ausflüchten Halt sucht“?
Fritz Pleitgen hat in der gestern Abend ausgestrahlten ZDF-Talkshow „Illner“ gesagt, es dürfe nun keine Hetzjagd gegen Adolf Sauerland geben. Pleitgen kommt mit dieser Mahnung ganz offensichtlich etwas zu spät. Sauerland ist bekanntlich bereits bei seiner Kranzniederlegung an der Unfallstelle beschimpft, bedrängt und mit Unrat beworfen worden. Er hat Morddrohungen erhalten.
Er kann sich nicht mehr unter die Leute wagen, verschanzt sich mal hier, mal dort. Immer mit einer Eskorte Polizeischutz. Seine Familie wurde aus dem Haus in Walsum ausquartiert. Sauerland ist, wie die „Zeit“ schrieb, „ein Ausgestoßener in der eigenen Stadt“.
Keine schöne Sache, möchte man nicht haben, niemand. Wer Adolf Sauerland kennt, weiß, dass für ihn das Dasein als Outlaw ganz besonders schmerzhaft sein muss. Er hat sich diese Situation selbst zuzuschreiben. Seine Entscheidung, zu blocken, zu täuschen und zu lügen, setzte ihn unter Druck abzutauchen und immer abstrusere Dinge von sich zu geben.
Die Stadt Duisburg – ohnehin keine Schönheit – erscheint seit dem 24. Juli in der Medienwelt ohnehin meist als eine Bronx, in der so ziemlich alles für möglich gehalten werden muss. Duisburg als ein einziger Ausbund von Hässlichkeit. Die Menschenjagd gegen ihren leider immer noch amtierenden Oberbürgermeister hübscht sie nicht auf. Was immer die in der Schimmi-Selbstidentität Aufgewachsenen in ihrem berechtigten Zorn empfinden mögen.

Adolf Sauerland – ein extrem kaltherziger, unsensibler und taktloser Mensch? Ich habe Sauerland nicht als kaltherzig kennengelernt. Unsensibel war und ist er m.E. auch nicht, wenngleich einzuräumen ist, dass auch seine Sensibilität ein spezifisch Duisburger Gepräge aufweist. Taktlos konnte er sein, der Adolf Sauerland, keine Frage. Immer nur als OB die feinen Reden zu halten, entsprach nicht seinem Amtsverständnis. Er konnte – im Guten wie im Bösen – bei Bedarf ganz schön auf die Kacke hauen. Aber das ist nicht die Art von Taktlosigkeit, die in dem eingangs zitierten Tagesspiegel-Artikel gemeint ist.
Hier werden Herrn Sauerland Taktlosigkeiten vorgeworfen, die man nicht hätte für möglich halten sollen. Leider ist das meiste davon wahr. Zwar soll der OB zu Wochenbeginn sehr wohl noch Verletzte im Krankenhaus besucht haben, doch diese Selbstverständlichkeit nimmt nichts vom verheerenden Gesamteindruck, den Sauerland seit dem 24. Juli hinterlässt. Eine einzige Aneinanderreihung von Taktlosigkeiten, in der Summe eine einzige Unverschämtheit!
Da denkt man sehnsüchtig an die ein oder andere Taktlosigkeit im Duisburger Stil zurück, über die man sich – je nach persönlichem Geschmack – offen oder klammheimlich gefreut hatte. Die passte dem ein oder der anderen hier bei uns nicht; egal: diese feinen Pinkel hätten doch nach Düsseldorf umziehen können.

Ja, wir waren ein bisschen stolz darauf, Duisburger zu sein. Trotz all der Probleme. Auch ich, auch wenn ich vor sechs Wochen Sie mit der These vertraut gemacht habe: „Duisburg ist Scheiße“. Ich hätte mich schämen sollen, es so direkt gesagt zu haben. Niemand jedoch wäre auf die Idee gekommen, sich dafür zu schämen, dass es so ist, wie es nun einmal ist.
Der 24. Juli markiert für diese Stadt eine Zäsur. „Ich schäme mich, Duisburgerin zu sein“, stand heute bei einer Demonstrationsteilnehmerin auf dem T-Shirt. Vielleicht ist dies noch ein Rest dieses besonderen Charmes dieser besonderen Stadt: wenn man sich schon schämen muss, dann schreibt man es zumindest fett aufs T-Shirt und schreibt auch dabei warum.
Doch die Scham ist echt. Absolut authentisch. Die Duisburger fühlen, oder: wie wir hier sagen: „der Duisburger“ (m/w) fühlt sich in seiner Ehre betrogen. Da kommen Leute hierher – Loveparade, egal – und werden zerquetscht, wahrscheinlich weil unser Adolf Sauerland – CDU, egal – da so richtig Mist gebaut hat.
Und dann zieht der auch noch so eine richtig schmierige Nummer ab. Schmierig, so etwas mögen wir hier schon mal überhaupt nicht. Wenn er sofort gesagt hätte:

„Okay, da ist richtig was schief gelaufen, deshalb entschuldige ich mich als OB dieser Stadt. Und ich trete zurück, weil ich der Verantwortliche bin. Als letzte Amtshandlung habe ich noch eine hochrangige Untersuchungskommission eingesetzt.
Im persönlichen, strafrechtlichen Sinne halte ich mich für unschuldig. Damit das auch amtlich ermittelt wird, erstatte ich bei der Staatsanwaltschaft Selbstanzeige. Ich bin sicher, dass sie meine Unschuld feststellen wird. Ich war gern Euer Oberbürgermeister; aber ich kann unter diesen Umständen nicht weiterarbeiten!“

Die einen hätten dies voll akzeptiert, die anderen hätten die Nase gerümpft, aber er hätte in jeder Duisburger Kneipe sein Bier bekommen, der Adolf Sauerland. So aber ist er „ein Ausgestoßener in der eigenen Stadt“. Dieses Schmierige – es geht den Duisburgern an die Nieren.

Ich habe ihn anders kennengelernt, den Sauerland. Kein bisschen kaltherzig. Sensibel schon, wenn es drauf ankommt. Taktgefühl, wenn es sein muss; ansonsten lieber frei raus. Diese Geschichte mit dieser Loveparade, da hatte er sich in etwas verrannt. Dann die ganzen Toten, die Morddrohungen gegen ihn, er mit einem Bein im Gefängnis … da werden die Leute anders.
Der kämpft jetzt nicht mehr um sein Amt, nicht um seine Pension; der kämpft um seine Haut, der Sauerland. So wie es aussieht, kennt er jetzt, wie man hier so sagt, keine Verwandten mehr.
Städt. Angestellte angepöbelt und als „Mörder“ bezeichnet. Nicht nur im Call-Center müssen sie sich die unglaublichsten Dinge anhören. Die „Politessen“ gehen nicht mehr uniformiert auf die Straße. Einige Mitarbeiter erwägen, bis zum Sauerland-Rücktritt krank zu machen. Sie halten das alles nicht mehr aus. Sie ertragen es unter diesen Umständen nicht, für die Stadt zu arbeiten. Sie schämen sich dafür. Kein Wunder; viele Menschen schämen sich ja allein schon dafür, Duisburger zu sein.
Und das mit Duisburg ist noch nicht einmal alles. Es ist noch weit mehr kaputt gegangen an diesem 24. Juli. Denn es ist ja nicht der Name unserer Stadt, und es sind auch nicht allein die 21 Toten, die diesen Schock verursachen, der die Menschen überall in Deutschland, und auch viele Menschen im Ausland, nicht zur Ruhe kommen lässt.

Sauerlands Schonfrist endet am Wochenende.

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