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Die Konsequenz aus der Loveparade: Survival of the Fittest

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Unter welchem Namen werden wohl die Strafverfahren gegen die für die Katastrophe vom 24. Juli Verantwortlichen in die deutsche Geschichte eingehen? „Duisburg-Prozess“? „Loveparade-Prozess“? Kleiner Scherz: „Sauerland-Prozess“ scheidet aus, der Name ist bereits vergeben.

Wie auch immer dieser Prozess – ja klar: es werden mehrere Verfahren sein – dereinst heißen wird, er wird / sie werden im Zentrum der öffentlichen Aufmerksamkeit stehen. Gewiss: der 24. Juli wird nicht mehr so sehr die Schlagzeilen beherrschen wie jetzt; doch wer meinen oder gar hoffen sollte, nach dem „Sommerloch“ werde allmählich das Gras anfangen, über die Sache zu wachsen, wird sich täuschen.
Die erste Voraussetzung dafür, dass Duisburg die gegenwärtige Schockstarre überwinden könnte, wäre ohnehin der Rücktritt und / oder die Inhaftierung des noch amtierenden Oberbürgermeisters Sauerland. Dass er jetzt, also drei Tage (!) nach dem Sterben auf der Karl-Lehr-Straße immer noch nicht sein Amt niedergelegt hat, ist schwer zu verstehen und wird von Tag zu Tag unverständlicher.
Nachdem die WAZ-Gruppe heute bekannt gegeben hat, dass es (mindestens) einen schriftlichen Beleg für das gibt, was sowieso jeder weiß, nämlich dafür, dass Sauerland sehr wohl bestens über die Sicherheitsbedenken informiert war und sich darüber hinweg gesetzt hat, stellt sich die Frage, ob und wann die Strafverfolgungsbehörden Sauerland festnehmen werden.

Auch wenn bei Herrn Sauerland m.E. keine „Fluchtgefahr“ unterstellt werden kann: es ist gang und gäbe, dass „angesichts der Höhe der anzunehmenden Strafe“ Staatsanwaltschaften und Untersuchungsrichter eine solche konstruieren.
Alles andere als reine Konstruktion wäre m.E. der Haftgrund der „Verdunkelungsgefahr“. Zwar hatte die Staatsanwaltschaft gleich am Samstag sämtliche im Rathaus befindlichen Unterlagen zur Loveparade beschlagnahmt, doch ist damit keineswegs die Gefahr beseitigt. Bei Wikipedia heißt es:

„Von Verdunkelungsgefahr spricht man in der Rechtssprache, wenn der dringende Verdacht besteht, dass eine zurzeit noch nicht inhaftierte Person Beweismittel vernichten, abändern oder Zeugen und Mitschuldige beeinflussen könnte. Damit ist zumeist ein Grund gegeben, diese Person vorübergehend in Untersuchungshaft zu nehmen, um die Wahrheitsfindung nicht unnötig zu erschweren.“

Wenn überhaupt irgendwo in diesem Land oder sonst wo „Verdunkelungsgefahr“ besteht, dann doch wohl im Rathaus auf dem Burgplatz, dessen Chef als potenziell Hauptbeschuldigter in dieser Sache gelten muss, und das – trotz erklärter „Erhellungsabsicht“ gegenwärtig verdunkelt bis zum Geht-nicht-mehr.

Nun sind Presse und Öffentlichkeit – gottlob – keine Strafverfolgungsbehörden. Doch sollte man meinen, dass in einer Demokratie die Menschen durchaus einen Anspruch haben zu erfahren, wie es zu der Katastrophe am 24. Juli kommen konnte. Dass die Duisburger Stadtverwaltung („das System“, wie man sich in diesen Kreisen zu nennen pflegt) die Parole ausgegeben hat, dass nichts, aber auch gar nichts in Sachen Loveparade nach außen dringen darf, kann nicht überraschen angesichts der Tatsache, dass im Rathaus nach wie vor eine Gemeinschaft von Tatverdächtigen das Sagen hat.
Hin und wieder dringt aber doch etwas aus „dem System“ nach draußen. So ist heute bspw. zu lesen, dass Planungsdezernent Jürgen Dressler qua Dienstanweisung seinen Dienstobliegenden angeordnet habe, sämtliche Anfragen in Sachen Loveparade unbeantwortet zu lassen. Für den Fall der Zuwiderhandlung habe er „disziplinarische Konsequenzen“ in Aussicht gestellt.
Jürgen Dressler ist 64 Jahre alt; es ist noch ein Jahr hin bis zu seinem wohlverdienten Ruhestand. Dressler war, wie er wahrscheinlich annimmt, clever. Er hatte die Baugenehmigung für das Loveparade-Gelände nicht unterzeichnet, was dann ein ihm untergeordneter Abteilungsleiter erledigt hatte. Stattdessen hatte er sogar in einer handschriftlichen Notiz darauf verwiesen, dass für ihn eine solche Genehmigung überhaupt nicht in Frage komme.
Deshalb scheint sich Dressler nun allen Ernstes einzubilden, ohne jegliche dienstrechtliche Konsequenz aus der ganzen Sache rauszukommen und in aller Ruhe sein Pensionsalter erreichen zu können. Dass er außer diesem „Mit-mir-nicht“ nichts, aber auch gar nichts unternommen hatte, die Todesfälle auf der Karl-Lehr-Straße zu verhindern, also mindestens mal seinen Amtseid gebrochen hatte, scheint ihm dann wohl entfallen zu sein.
Oder eben nicht; will sagen: vielleicht schwant Dressler, dass es auch für ihn noch ziemlich dicke kommen könnte. Vielleicht verhängt er deshalb all seinen Mitarbeitern einen Maulkorb. Vielleicht legt er gerade darum solch ein – angesichts der realen Situation geradezu groteskes – wilhelminisches Gehabe an den Tag.

Wer weiß das schon? Wahrscheinlicher scheint mir zu sein, dass Dressler seinen Führungsstil überhaupt gar nicht als autoritär und vorsintflutlich empfindet, sondern einfach das macht, was er immer in Krisenfällen macht. Das, was alle „im System“ so machen. Wie sie es so machen. Wie sie es immer gemacht haben, und wie sie es auch gedenken, in aller Zukunft zu tun.
Das aber zeigt, dass die Akteure auf dem Burgplatz die Dimension des Geschehenen und seiner Konsequenzen überhaupt noch nicht annähernd begriffen haben. Es wird nicht so wie bisher weitergehen. Und es wird auch nicht mit dem bisherigen Personal weitergehen.
Es wird einen Schnitt in Duisburg geben. Und – „Verdunkelungsgefahr“ hin, „Verdunkelungsgefahr“ her – auf die Dauer wird alles ans Tageslicht kommen, weil im Brandfall die eine Krähe eben doch der anderen die Augen aushackt.

Die Herren vom Duisburger Verwaltungsvorstand werden in den nächsten Tagen, Wochen und Monaten eine Menge neuer Erfahrungen machen. Der ein oder andere Lernfähige mag überleben können. Darwin nannte das „Survival of the fittest“. Immerhin eine Chance. Gar mancher im Tunnel hätte sich darüber gefreut.

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