Website-Icon xtranews – das Newsportal aus Duisburg

Drama im Duisburger Kessel

loveparade

Nun denn. In 36 Stunden geht sie los, die Loveparade. Zugegeben: ich bin kein Freund dieser Veranstaltung. Kultur? Ich lache mich tot. Und auch meine Sympathien für deren Besucher, die üblicherweise „Raver“ genannt werden, halten sich erkennbar in Grenzen.
„Ich gönne wirklich jedem dieser durchgeknallten Vollidioten alles, was sie wollen“, schrieb ich bereits letztes Jahr in etwas eigenartiger Syntax, die sich nur bei der Lektüre des Artikels erschließen kann. Wie auch immer: das, was am Samstag auf sie zukommt, gönne ich ihnen nicht. Auch ihnen nicht. Das Drama im Duisburger Kessel sollte man auch seinem schlimmsten Feind nicht wünschen.

Die Bundespolizei wird mit „über 1200 zusätzlichen Polizeibeamten im Einsatz“ sein; recht drollig sind die Hinweise der Bundespolizei anlässlich der Loveparade:
“Der Hauptbahnhof Duisburg wird in der Abreisephase wahrscheinlich nicht in der Lage sein, immer alle Abreisewillige sofort aufzunehmen. Eine zeitweilige Sperrung wird sich daher aus Sicherheitsgründen nicht vermeiden lassen.“
Recht drollig deshalb, weil die größten Probleme doch gar nicht in der „Abreisephase“ auftreten werden, sondern in der Anreisephase. Eine „Abreisephase“ im Wortsinn wird es gar nicht geben; denn was ein echter Raver ist, der bleibt auch gern mal ein wenig länger.
Vom „Sicherheitsdezernenten“ Rabe erfahren wir in einer Mitteilung der Stadt Duisburg: "Wir wollen an diesem Tag Party und Sicherheit für unsere Gäste und die Anwohner gewährleisten – bis in die frühen Morgenstunden hinein." Das heißt nicht, dass es nicht auch während der von der Bundespolizei so genannten „Abreisephase“ zu Sperrungen des Hauptbahnhofes kommen kann. Das heißt nur, dass etwaige „Engpässe“ am Abend nichts sein werden im Vergleich zu den katastrophalen Zuständen am Morgen.

Noch einmal zur bereits zitierten Mitteilung der Stadt Duisburg: sehr aufschlussreich ist schon die Überschrift. „Loveparade 2010: Duisburg ist für die größte Party gerüstet“. „Gerüstet“, nicht etwa „gut vorbereitet“. Wenn ich dies anmerke, dann handelt es sich nicht um eine Wortklauberei, die bei der Stadtverwaltung Duisburg in der Tat nicht immer angemessen wäre.
Nein, die Lage ist wirklich ernst. „Duisburg ist gewappnet“, heißt es im Text an anderer Stelle. Wortklauberei? Gegenfrage: wenn Sie Freunde zu einer Fete einladen, wappnen Sie sich dann? Oder rüsten Sie sich gar? – Natürlich nicht. Und doch hat sich hier kein städtischer Angestellter im Ton vergriffen. Denn, zurück zum Text:
“Das größte Musikereignis in der Geschichte der Stadt wird Duisburgs Einwohnerzahl kurzfristig verdoppeln oder verdreifachen.“ Will sagen: es wird von 500 Tausend bis zu einer Million Besuchern der Loveparade ausgegangen. Freilich ohne diejenigen „Raver“, die Duisburg auch an anderen Tagen ihr Zuhause nennen.
Dabei scheint es sich um eine einigermaßen realistische Schätzung zu handeln; denn Techno-Musik, Loveparade und diese ganze „Art of Love“, wie man das Spektakel in diesem Jahr genannt hat, sind nicht mehr ganz so en vogue. Deshalb wird davon ausgegangen, dass die Besucherzahlen von Essen und Dortmund nicht mehr erreicht werden. 2007 wurden in Essen 1,2 Millionen, 2008 in Dortmund 1,6 Millionen „Raver“ gezählt.

Es ist allerdings nicht ganz auszuschließen, dass auch in diesem Jahr wieder weit über eine Million Menschen kommen werden. Nach Duisburg, das sich eigenen Angaben zufolge für „gewappnet“ bis „gerüstet“ hält. Das, wie Dezernent Rabe sagt, die „Sicherheit für unsere Gäste und die Anwohner gewährleisten“ … „wollen“ (!). Sicher ist sicher: „Das gelingt nur, wenn alle beteiligten Ämter und externe Behörden eng vernetzt sind und an einem Strang ziehen.“

Ich hatte vorgestern darauf hingewiesen, dass die abgesperrte Party-Fläche „nur“ 230.000 Quadratmeter hat. Dass, wenn man also 460.000 Personen auf das Gelände ließe, zwei Leute auf einem Quadratmeter zappeln müssten – wobei ich die Flächen für die Bühnen, die Wägen („Floats“) ebenso unberücksichtigt ließ, wie den Umstand, dass auch die Rettungskräfte und die Sicherheitskräfte dort irgendwie durchkommen müssen.
Ich weiß nicht, wie viele Menschen man gedenkt, auf die „Partymeile“ zu lassen. Und ich weiß erst recht nicht, wie viele Menschen kommen werden. Ich weiß nur, dass alle auf dieses Gelände gelangen wollen. Und nach Lage der Dinge ist damit zu rechnen, dass es vielen „Ravern“ wird verwehrt werden müssen. Nach Lage der Dinge reden wir hier nicht über Tausende Menschen, sondern eher über Hundert- als über Zehntausende.
Da hat Rabe schon recht: wenn das „Gewährleisten von Sicherheit“ überhaupt auch nur irgendwie gelingen soll, dann müssen „alle beteiligten Ämter und externe Behörden“ reibungslos und ohne irgendwelche Eifersüchteleien zusammenarbeiten und gleichsam über sich hinauswachsen. Doch leider kann selbst dann niemand für Sicherheit garantieren.

Gestern hatte ich das „Stadtpanorama“ im Briefkasten, ein kostenloses Anzeigenblatt. Es wird Reklame gemacht für die Loveparade; aber man steht freilich auch bei den Geschäftsleuten in der Pflicht, die letztlich diese Zeitung finanzieren. Und die machen sich freilich Sorgen um ihre Umsätze am Samstag.
Aber auch hier: gute Laune geht vor. Und was dabei heraus kommt, vermag wirklich zu erheitern. Hier: Wilhelm Bommann vom Einzelhandelsverband sieht´s locker, so das Stadtpanorama vom 21.07.2010: „Warum nicht den einen oder anderen interessierten Blick auf die schrille Veranstaltung werfen und danach entspannt shoppen?“
Tja, das kann er ja mal versuchen, der gute Herr Bommann. Okay, der muss so etwas sagen, und außerdem kann er am allerwenigsten dafür. Uwe Gerste, der Chef der Duisburger Marketing GmbH, hat schon eher etwas mit der ganzen leidigen Angelegenheit zu tun. Er trötet ins gleiche Horn: „Loveparade und City-Besuch sind kein Widerspruch. Die Raver reisen überwiegend mit der Bahn an und werden auf abgesteckten Routen zum Festivalgelände geführt. Ein großer Teil der City-Shopping-Gäste kommt aber mit dem Auto, das passt also.“
Keine Sorge, Fachleute von der Sorte Uwe Gerstes tragen – jedenfalls soweit ich weiß – keinerlei Anteil an der Verantwortung für Leib und Leben Hunderttausender. Aber sie sorgen mit ihrem unverantwortlichen Geschwätz dafür, dass sich eine Atmosphäre der Sorglosigkeit breit gemacht hat, angesichts derer man sich schon Sorgen machen sollte.

Inzwischen ist bekannt geworden, dass die Polizei schon frühzeitig Anreisende abfangen wird, um einer Katastrophe im Hauptbahnhof vorzubeugen. Aus Krefeld wird folgendes berichtet:
Bei plötzlich auftretenden Verkehrsstörungen muss die Krefelder Polizei damit rechnen, dass Züge in Richtung Duisburg nur bis zum Bahnhof Uerdingen fahren können.
Für diesen besonderen Fall ist die Weiterfahrt der Fahrgäste dann mit Bussen vorgesehen. Die Krefelder Polizei wird in diesem Fall mit zusätzlichen Einsatzkräften für die Sicherheit der Loveparade-Besucher sorgen, damit eine reibungslose Weiterreise nach Duisburg gewährleistet werden kann.

Auch wenn wir unterstellen, dass im Osten und im Süden Duisburgs vergleichbare Maßnahmen getroffen werden, bleibt das Problem, dass die „Raver“ letztlich auf das Partygelände wollen. Die übrigens, wenn man Professor Peer Abilgaard, dem Leiter der Psychiatrischen Klinik des Marienhospitals Glauben schenken darf, ein nicht ganz unkompliziertes Publikum darstellen. Die WAZ schreibt heute:
„Der Psychiater rechnet mit drei Sorten von Zuschauern: den echten Ravern, die Psychostimulanzien konsumieren, den neugierigen Zuschauern, bei denen vor allem Alkohol und Cannabis erwartet werden, sowie einer kleinen Schar Drogenabhängiger, die die Gelegenheit nutzen will, ihre Bestände aufzufüllen.“

Die Ärzte sind vorbereitet. Die Rettungskräfte ebenfalls. Das Gleiche gilt für die Kräfte der Landes- wie der Bundespolizei. Sie alle trifft kein Vorwurf. Das, was sich am Samstag im Duisburger Kessel abspielen wird, geht letztlich auf das Konto des für diese Fehlplanung ungeheuren Ausmaßes Verantwortlichen.
Es ist ohne Beispiel, dass Zehntausende, wenn nicht gar Hunderttausende – zumal noch von psychoaktiven Substanzen beeinflusste – Menschen abgedrängt, abgeblockt und eingekesselt werden müssen. Mir ist es egal, was unter diesen Umständen aus dem viel beschworenen Werbewert für die Stadt Duisburg wird.
Ich hoffe und bete, dass die Zahl und die Schwere der Verletzungen im überschaubaren Rahmen bleiben werden, dass viele gesund, und dass alle überhaupt wieder nach Hause kommen werden.

Die mobile Version verlassen